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3. Ansätze zu einer humanistisch orientierten Computer-Technologie



AG-Text-Code: ART-HUM.DOC


Anmerkung: Der Begriff "Humanistisch" muß vorab geklärt werden, um die Möglichkeit der Verwechselung auszuschalten. Mit "Humanistisch" ist hier nicht die Begriffsprägung gemeint, wie sie durch die kalifornische Pop-Kultur und den von ihr abgeleiteten Strömungen der humanistischen Psychologie heute ins Allgemein- Bewußtsein eingedrungen ist. Vielmehr ist hiermit der Ansatz verknüpft, die Vision wiederzubeleben, die dem Humanismus eines Wilhelm von Humboldt zugrundeliegen. Eine radikale, (auf die Wurzeln zurückgehende) Analyse der Conditio Humana auf diesem Planeten in dieser Zeit, ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine solche Neuorientierung. Eine weitere Facette der Begriffs "Humanistisch" wurde jüngst von Michail Gorbatschow in seinem Vortrag auf dem Kongress der Sozialistischen Internationale in Berlin am 14.09.1992 gebraucht. Hier spricht der Verlierer des Kalten Krieges zu uns, derjenige, der die Lektion gelernt hat, und er ermahnt uns, die wir uns auf der Siegerseite wähnen, uns zu hüten, vor dem falschen Triumph, denn der Krieg geht unvermindert weiter, und er sucht sich heute seine Opfer nach dem Zufallsprinzip.

3.1. Neue Perspektiven auf die Ursachen der Software-Krise

Während der Arbeit in Richtung auf eine humane Computertechnologie entstand die Erkenntnis, daß es nicht damit getan ist, bestimmte Programmiermethoden hier, und gewisse Arbeitsmethoden da zu verbessern. Es zeigte sich, daß es die tief eingegrabene Natur dieser Technologie ist, die die wirkliche Ursache für alle Seiteneffekte ist, wie sie uns heute unter dem Stichwort der Software-Krise begegnen. Diese Ursache liegt in der Natur der Computertechnologie: Computertechnologie ist Kriegstechnologie.Seite: 19
Obwohl meiner Meinung nach ein Informatik-Institut der Universität der Bundeswehr genau die richtige Stelle wäre, um den Anfang zur endgültigen Entmilitarisierung des Computers zu setzen, muß ich hier betonen, daß ich mit meinen Ausführungen weder die Meinung der Universität der Bundeswehr, noch ihres Präsidenten, noch die Meinung irgendeines Fakultätsmitglieds, oder Herrn Professor Molzbergers vertrete. Die hier geäußerten Ansichten und Ideen sind ganz und gar meine eigene Meinung und meine eigene Erkenntnis.
In diesem Aufsatz kann nur ein skizzenhafter Anfang gemacht werden, der aber insofern seine Bedeutung hat, als er sich fundiert auf das Wissen und die Kenntnis stützt, die mit dem vollen Spektrum der Computertechnologie verbunden ist. Dies ist leider ein Schwachpunkt aller heutigen Geisteswissenchaftler, daß sie der harten Realität der Computertechnologie nicht auf ihrem eigenen Terrain begegnen können, und daher darauf angewiesen sind, ihr Material aus zweiter Hand, aus den Meinungen und Ansichten der Computertechnologen über sich selbst, und ihre Zunft, zu beziehen. Hier ist also der Ansatz, die Brücke zwischen Technologie und Humanismus zu schlagen, und ich hoffe, daß ich mit diesem Ansinnen nicht zwischen den Mühlsteinen zerrieben werde. Einstein hat damals die Problematik eines solchen Unterfangens so beschrieben, als er von seiner Theorie (der Relativität) sagte: "Wenn ich Erfolg habe, dann werden mich die Deutschen einen Deutschen nennen, und die Franzosen werden mich einen Weltbürger nennen. Wenn ich aber keinen Erfolg habe, werden mich die Deutschen einen Juden nennen, und die Franzosen nennen mich einen Deutschen."

3.2. Die Wurzeln aller Technologie

Eine radikale Analyse der Wurzeln der heutigen Technologie reicht sehr, sehr weit in der Vergangenheit. Nach Schätzungen etwa 10.000 Jahre. Das Volksgedächtnis bewahrt solche uralten Spuren vortrefflich, und eine der klarsten Spuren, die so sehr weit zurückreichen ist: "Wissen ist Macht" Da ein Exkurs in eine so graue Vergangenheit fast nur mit spekulativen Mitteln durchgeführt werden kann, sollen hier nur einige wesentliche Aspekte dieser uralten Tradition angerissen werden.
Heutige Technologiekulturen sind eng mit dem uralten Macht- und Herrschaftsinstrument der Hierarchie verbunden. Sowohl militärische, wie politische als auch wissenschaftliche Komplexe sind hierachische Gebilde. Siehe dazu auch in der Bibliographie: °SCHWA85 °BORN75 °GEHL64. Diese Gebilde kann man als soziale Organismen bezeichnen: Es sind Komplexe, deren Lebenszeit die Lebensspanne ihrer Konstituenten lange, lange überdauert. Die Analogie der Zellen in einem biologischen Organismus und der Mitglieder einer Organisation ist schon lange in Gebrauch. Diese Organismen formen durch geeignete Ausleseverfahren und jahrzehntelange (lebenslange) Prägung die Denk- und Empfindungsmodi ihrer Konstituenten in einem wesentlich stärkerem Maße als daß ein wirklich entscheidender Einfluß einer Einzelperson auf den Gesamtkomplex zu verzeichnen ist. Eine rühmliche Ausnahme hiervon ist der oben erwähnte Michael Gorbatschow, dessen Privileg es war, der Totengräber einer der mächtigsten Organisationen dieses Jahrhunderts zu sein. Nun ist die kommunistische Partei der Sowjetunion in dem Szenario der Hierarchien, die die Geschicke der Menschen dieses Planeten bestimmt haben, im Vergleich mit ihren erfolgreicheren Wettbewerbern nur eine Eintagsfliege. Die Katholische Kirche ist jetzt bald 1700 Jahre alt, die Linie der Ismailiten 1300 Jahre. In der Geschichte gab es noch wesentlich ältere Hierarchien. Die Pharaonen und ihr Priesterstaat regierten Ägypten für 3000 Jahre. (Es gab zwar verschiedene Dynastien von Pharaonen, aber die Kontinuität war durch das Fortbestehen der Priesterkaste gewahrt.) Es ranken sich endlose Legenden um die Möglichkeit oder die Wahrscheinlichkeit von Organisationen, die unter dem Deckmantel der tiefsten Verschwiegenheit seit Jahrtausenden die Menscheit entweder zum Besseren oder Schlechteren manipulieren.
Diese Theorien haben alle einen entscheidenden Schwachpunkt. Sie gehen von der Grundannahme aus, daß es so etwas wie einen den Mitgliedern solcher Organisationen manifesten Willen, ein Ziel, eben ein Manifest, einer solchen Organisation gäbe. Die Möglichkeit, daß die Organisation als supra-individueller Organismus (der Übermensch), leben und existieren könnte, und daher ein völlig an-anthropisches (nicht menschenähnliches) "Bewußtsein" haben könnte, ist bisher kaum in Betracht gezogen worden. Warum hier überhaupt das Thema gestreift wird, hat einen sehr naheliegenden Grund. In der Artificial Intelligence gehört es zum täglichen Brot des Forschers, sich Gedanken nicht nur über die Möglichkeit, sondern über die genauen Bedingungen außermenschlicher Intelligenz zu machen. Meine These ist, daß die Forscher in die falsche Richtung geschaut haben. Außermenschliche Intelligenz existiert, seit es die sog. "menschliche Kultur" gibt.

3.3. Die Methodik des "Double Think"

Ich will jetzt noch ein Gebiet streifen, das bei der Erforschung solcher Komplexe von entscheidender Bedeutung ist: Die Methodik. Der Begriff, der von Orwell (1984) entlehnt wurde, hat folgende Bedeutung: Ich als der Forscher, der sich mit der Thematik eines Überbewußtseins auseinandersetzt, das mein Bewußtsein (und das meiner Mitmenschen) mehr prägt, als ich jemals hoffen kann, ES zu beeinflussen, muß mir vollkommen klar sein, daß das Instrumentarium meines Geistes und meines Verstandes von jenem Komplex geprägt worden ist. Wenn man diesem Komplex so etwas wie einen Willen zubilligen möchte, dann ist es auf jeden Fall sein manifester Wille, daß keiner seiner Konstituenten jemals den Schatten einer Ahnung von seiner Existenz haben darf (Daher auch die o.g. Verschwörungsmythen). Da ES meinem Verstand übergeordnet ist, ist es IHM ein leichtes, dies zu bewirken, indem es mir einfach die konzeptuellen Mittel vorenthält, einen solchen Gedanken zu denken. Und wenn ich ihn dennoch denken kann, dann wird auf der nächsten Verteidigungs-Linie dafür gesorgt, daß, sofort nachdem ich ihn geäußert habe, ich von den netten Leuten in den weißen Kitteln abgeholt und an einen sicheren Ort gebracht werde. Ich will deshalb hier nicht allzuviel mehr sagen, sondern nur darauf hinweisen, daß man mit der sozial sanktionierten Denk- und Schließ-Methodik in so einem Fall nicht sehr weit kommt. Man muß eine Methode einsetzen, die Orwell "Double-Think" genannt hat. Diese geht ungefähr so:
Es macht zwar "objektiv" überhaupt keinen Sinn, die Hypothese eines Überbewußtseins anzunehmen, aber man kommt manchmal wesentlich einfacher zu wesentlich sinnfälligeren Ergebnissen als ohne diese Hypothese. So ungefähr war das auch bei der Erfindung der imaginären Zahlen. Ein recht gangbarer Weg ist es, jede der öffentlichen Verlautbarungen der Kopf-Konstituenten des Hierarchiekomplexes (also der sichtbaren Machthaber und ihrer Vertreter bis in die Instanzen, also Schulen, Kirchen, Polizeistationen, Krankenhäuser und Gefängnisse) auf die mögliche Inversion in ein logisch haltbares Gegenteil zu überprüfen. Durch Ausschluß von logisch widersprüchlichen Thesen gelangt man allmählich zu einer koherenten Sicht der Tatsachen, die der der offiziellen Darstellung diametral gegenübersteht, deren inherente Logik aber genauso zwingend und zweifelsfrei ist, wie die offizielle. In Gedenken der netten Herren in den weißen Kitteln beende ich diesen Gedankengang hier etwas abrupt und wende mich wieder meinem Hauptthema zu, der (Computer-) Technologie. Computer-Technologie: Eine Technologie des Krieges - Die heutige Computer-Technologie (und mit ihr der größte Teil aller Technologie) ist eine Technologie des Krieges: Gezielt, Feinde zu zerstören, und nachdem die äußeren Feinde besiegt waren, nun weiterwirkend, und weiterwütend, in einem unbarmherzigen, kalten Bürgerkrieg. Wir stehen heute am Ende des Kalten Krieges, und müssen erschreckt feststellen, daß nach diesem Ende sofort viele kleine heiße Kriege aufflammen. So als ob die kriegerische Energie über Jahrzehnte unter der dicken Decke der drohenden Atomvernichtung gezwungenermaßen nur geschwelt hätte, und nun, bei jedem kleinen Windzug überall helle Flammen aus der Kohle lodern.
Die Computertechnologie, wie auch die Luft- und Raumfahrt- Technologie, und die Atom-Technologie, wurden geschaffen und unterhalten, um Kriege zu gewinnen. Wie ich oben andeute, genügt es nicht, auf die historisch leicht bestimmbaren Auslöser zu weisen, es muß auch Arbeit an den viel tiefer reichenden Wurzeln gemacht werden. Aber die historische Vergangenheit ist leichter nachzuzeichnen und bietet gutes Anschauungsmaterial, von dem aus man weitere Schlüsse ziehen kann.

3.4. Technologien als Kriegsfaktoren

Technologie, oder Erfindungen haben schon immer das Kriegswesen "vorwärts" getrieben. Mit dem Wurfhebel-Speer sollen die Säbelzahntiger und Mammute ausgerottet worden sein. (Das Prinzip ist ein kurzer Wurfspeer, der mit einem Hebelarm anstatt mit der Hand geschleudert wurde.) Der Streitwagen soll die ägyptischen und vorderasiatischen Großreiche begründet haben. Die Trireme bohrte das persische Imperium in den Grund. Die Stahltechnologie verlagerte das Macht-Potential immer weiter nach Norden: Erst Rom, dann Mitteleuropa. Der Steigbügel brachte die arabischen und tatarischen Eroberungszüge. Langbogen waren die entscheidende Waffe im hundertjährigen Krieg England gegen Frankreich. Das griechische Feuer hielt das oströmische Imperium für 1000 Jahre über Wasser. Feuerwaffen besiegelten das Schicksal der Ritterheere. Panzerkeile und Stuka-Schläge waren die technologische Komponente von Hitlers Blitzkrieg. Radar und Langstreckenbomber, hochklopffestes Benzin und schnelle Panzer-Dieselmotoren die technologische Komponente seines Untergangs. Technologische Fehler als Kriegsfaktoren Technologische Überlegenheit kann kriegsentscheidend sein, aber technologische Kurzsichtigkeit hat noch größeres Potential zur Entscheidung: Die Japaner verloren ihre Flugzeug- trägerflotte vor Midway, weil sie übersehen hatten, daß das Flugzeugbenzin auf ihren Trägern ein wesentlich höheres Gefährdungspotential darstellte als feindliche Bomben und Torpedos. Während japanische Schlachtschiffe erwiesenermaßen 50 Bomben- und Torpedotreffer hinnehmen konnten und immer noch nicht sanken, brannten die vier japanischen Flugzeugträger nach einigen Treffern unkontrollierbar aus.

3.5. Die Mobilisation von Kontinenten

Der zweite Weltkrieg brachte die Notwendigkeit der Mobilisation der technologischen Ressourcen ganzer Kontinente, der USA, Mitteleuropas, und der damaligen UDSSR. Nur auf dem Kräftepotential von Volkswirtschaften mit hunderten Millionen Menschen war technologische Kriegführung dieses ungeheuren Ausmaßes möglich. Dazu kam der Wirtschaftsfaktor der Rüstung. Nach Meinung von Wirtschaftswissenschaftlern war die Bewältigung der Rezession sowohl in USA als auch in Deutschland nur durch die Rüstungsproduktion möglich. Japan führte seinen Krieg, um an Rohstoffe für seine Industrien zu kommen.

3.6. Die Fortsetzung des Krieges mit kalten Mitteln

Daher erwies sich der sofort nach Ende des Weltkrieges einsetzende Kalte Krieg als Gücksfall für die auf Hochtouren laufenden Rüstungsindustrien. Sie konnten mit unverminderter Intensität weiter arbeiten. Der Sputnik-Schock brachte für die USA die Notwendigkeit, ihre Forschungs-Politik ebenfalls in den Kalten Krieg einzuspannen. Seit den vierziger Jahren kam der Aufschwung Kaliforniens durch die militärischen Aufträge. Das Silicon Valley lebte davon. Praktisch alle amerikanischen Universitäten waren vom DoD abhängig. Die ARPA - Agency koordinierte die Computer- Forschung der Universitäten. Eine solchermaßen militarisierte Forschung ist von dem militärischen Charakter ihres Auftrages durch und durch durchtränkt. (Auf englisch sagt man: dyed in the wool.)

3.7. Wendepunkte des Kalten Krieges

Da in einem kalten Krieg keine Entscheidungsschlachten leicht zu identifizierende (und zu glorifizierende) Wendepunkte markieren, ist schwerer festzustellen, was wann die endgültige Niederlage der Sowjetunion besiegelt hat. Mein Vorschlag für diesen Wendepunkt ist die Verkündung des SDI-Programms durch Reagan Anfang der 80er Jahre. Die Computertechnologie der USA machte Waffensysteme möglich, denen die Sowjets auch unter den größten Opfern nichts mehr entgegensetzen konnten. Bei dem Versuch, es doch zu tun, bluteten sie sich materiell aus. Die computergesteuerte Stinger-Rakete, mit der die Afghanischen Mujaheddin dann reihenweise die sowjetischen Hubschrauber von Himmel holten, gab dann den Anstoß zum endgültigen Zusammenbruch. Der Sieg der USA war ein Pyrrhus-Sieg, denn auch sie hatten ihr wirtschaftliches Potential ausgeblutet.

3.8. Wissen ist wie Wasser

Wenn man an Militarisierung der Forschungsindustrie denkt, hat man sofort Assoziationen von Überwachungsstaats-Methoden mit einer Grobschlächtigkeit wie in der ehemaligen UdSSR. Solche Strukturen sind aber völlig überaltert und sind vor allem den Eigenschaften des neuen Mediums Wissen nicht angepaßt. Man kommt heute mit subtileren Methoden wesentlich weiter, als mit den alten Polizeistaat-Taktiken. Spätestens seit der Schlappe der Kirchen-Strategen gegen Martin Luther und seine Gefolgsleute war es nur noch einigen Hinterwäldlern nicht klar, daß Wissen wie Wasser ist. Der Volksmund hat dafür wieder die passende Weisheit parat: Wasser ist das stärkste Element, es ist so stark daß nicht der stärkste Mann es halten kann. Wissen, wie Wasser, sickert durch alle Ritzen, und nagt unermüdlich an den härtesten Dämmen, Wehren, und Mauern, bis es sie unterspült und zum Einbruch bringt. Diese Grunderkenntnis fehlte den Machthabern im Kreml und brachte sie zum Fall.
In einer nach amerikanischem Muster freiheitlich organisierten Gesellschaft kann sich Wissen wesentlich besser entfalten und verbreiten als in einem Polizeistaat. Dadurch wird mehr Wissen produziert, und mehr Wissen wird (durch schnelle Verbreitung) anwendbar. Technologie ist eine Folge von Wissen. Wenn Technologie mit Mitteln erzeugt wird, wie es in den USA gemacht wird, kostet es die Volkswirtschaft weniger als in der UDSSR, wo die technologischen Anstrengungen, mit den Amerikanern auf den wichtigsten Waffentechnologien schrittzuhalten, den ganzen russischen Kontinent letztlich in den Ruin geführt hatten. Der Vorsprung war aber, wie gesagt, nur knapp, und auch die USA hatten sich an den Rand des Ruins gewirtschaftet.
Ich habe in den vorangegangenen Ausführungen versucht, die enge Verbindung heutiger (Computer-) Technologie mit den Erfordernissen des Kalten Krieges aufzuzeigen. Es ist hier nicht primär mein Anliegen, die militärische Anwendung und Zielrichtung einer Technologie in irgend einer Weise zu werten. Deshalb habe ich am Anfang auch so weit ausgeholt, und die Bezüge zu wesentliche weiter und tiefer reichenden gesellschaftlichen Fundamenten aufgestellt. Was ich aber hier zeigen möchte, ist ein Faktor, der sich aus meiner Analyse ergibt: Nämlich daß gewisse inherente Dynamiken einer Kriegstechnologie den ausgesprochen fatalen Charakter eines Damokles-Schwerts haben, das sich sofort gegen seinen Träger richtet, nachdem dieser mit seiner Technologie den äußeren Feind besiegt hat.
Und diese inherente Natur der Computertechnologie muß erkannt, verstanden und beherrscht werden, um nicht von einer Falle in die nächste zu fallen.

3.9. Technologien und Männer

- Ich sehe hinter der gewaltigen Mobilisierung der Forschungs- Industrie der letzten 50 Jahre eine politische Meisterleistung, die möglicherweise noch nicht so recht gewürdigt worden ist. Es erscheint uns heute so selbstverständlich, daß es in diesen technologischen Großprojekten gelungen ist, tausende von hochqualifizierten Wissenschaftlern auf ein ganz spezielles Ziel hinarbeiten zu lassen - ob das die Atombombe war, oder das Überschallflugzeug, oder die Interkontinentalrakete und der Mondflug. Um diese Leistung mit irgendetwas ähnlichem zu vergleichen, muß ich weit in die Geschichte zurückgreifen: Die Entwicklung der römischen Legion. Die römischen Legionen waren über mindestens 500 Jahre im Felde unbesiegbar. Es war den Römern gelungen, die einzelnen Männer einer Legion so aufeinanderzudrillen, daß sich die Legion bewegte und handelte als sei sie ein einziger, lebender Organismus. Ein Feind, der gegen eine Legion anrannte, zerschellte an ihr, wie eine Welle an einer Klippe. Für uns individualistische Menschen von heute ist der Grad der Kohärenz, mit dem hier Menschen zu einem übergeordneten Ganzen zusammengeschweißt worden waren, unvorstellbar, und übt dabei eine unheimliche Faszination aus. Das Sinnbild der Legion war das Liktorenbündel, das jeder Legion vorangetragen wurde. Dieses wurde auch Fasces genannt. Faszination und Faschismus entstammen diesem selben lateinischen Wort, Fasces. Und der Faschismus war eine Wiederbelebung dieser Legionsmethode.
Das Phänomen Faschismus hat nicht nur mit Demagogie und Verführung zu tun, sondern auch mit Psychotechnologie. Und um den zweiten Weltkrieg zu gewinnen, und die Großforschungskomplexe aufzubauen, mit denen die erforderlichen Technologien gebaut werden konnten, war ebenfalls Psychotechnologie erforderlich. Es ist allerdings ein Ding, Menschen auf einer physischen Ebene zu koordinieren, und ein ganz anderes, dasselbe auf der intellektuellen Ebene zu versuchen. Sämtliche Heeresführung zu allen Zeiten nach Rom war im wesentlichen ein mehr oder weniger gelungener Abklatsch der Legions-Methode, erreicht wurde sie nie wieder. (Die Kriegstechnologie verbot auch später das Zusammenballen von Menschen in derartig dichten Massen). Die Industrialisierung war ebenfalls auf diese Methoden der Menschenführung aufgebaut. Ob man einen Soldaten "Griffe Kloppen" und Exerzieren beibringt, oder ob man einen Arbeiter anlernt, bestimmte Handgriffe zu verrichten, ist ein und dasselbe.
Aber Wissenschaftler zu koordinieren ist eine ganz andere Sache. In Abwandelung eines alten indianischen Sprichworts kann man sagen: "Es ist leichter, 1000 Flöhe in ein Schilfrohr zu bugsieren, als drei Wissenschaftler zu einem Thema zur Übereinkunft zu bringen." Der stark individualistische Charakter der Wissenschaftler-Tätigkeit erschwert eine zielgerichtete Koordination ungemein. Und die große Gefahr ist, wenn man zu stark kontrolliert, dann bekommt man zwar Output, aber nichts mehr, was zu gebrauchen ist.

3.10. Wissenschafts-Mobilisierung und Spieltheorie

Die genaue Weise, wie die Mobilisierung der Forschungsindustrie zustande kam, wird möglicherweise nie geklärt werden, weil es vermutlich das am besten gehütete Geheimnis der Welt ist. Auf der anderen Seite erfordert es nur wenig kombinatorischen Aufwand, um den geistigen Urheber des Systems aufzuspüren: John von Neumann. Mit seiner Spieltheorie hatte er einen Satz von Grundgesetzen der Psychotechnologie aufgestellt, die es ermöglichten, die bisher völlig schleierhaften Methoden der Demagogen, Führer und Charismatiker wissenschaftlich zu beleuchten. Es handelt sich hierbei nicht um neue Prinzipien, sondern im Gegenteil die ältesten Herrschaftsmechanismen der Menschheit. Man kann daher nicht sagen, Von Neuann hätte sie entdeckt. Eher das Gegenteil: Es ist ihm gelungen, sie zu verfeinern und auf eine noch bessere Weise zu verschleiern, als das vorher möglich war.
Der Einsatz der Spieltheorie zur Mobilisierung der amerikanischen Forschungsindustrie führte zu den bekannten Begleiterscheinungen wie: Die "publish or perish" -Maxime. Das Gefangenen-Dilemma Das bekannteste Beispiel der Anwendung seiner Theorie ist das sog. Gefangenen-Dilemma: Zwei Gefangene haben zusammen eine Straftat begangen, und nun sitzen sie in Einzelhaft, und sollen morgen verhört werden. Wer geständig ist, und den anderen anschwärzt, kriegt Hafterleichterung (Kronzeugenregelung). Wenn aber nicht durch Aussage eines Gefangenen geklärt werden kann, wer genau die Straftat begangen hat, kommen beide frei.

3.11. Das Wissenschaftler-Dilemma

Dieses Beispiel zeigt, nur wenig abgewandelt, ein wesentliches Dilemma des Wissenschaftlers: Gegeben sind zwei Wissenschaftler A und B, die an demselben Thema arbeiten. Wer zuerst publiziert, gewinnt den Nobelpreis. Es ist eine Konferenz ihres Fachgebiets angesetzt. Wenn sie nicht hingehen, entgeht ihnen möglicherweise ein Detail, das zur Vollendung ihres Projekts entscheidend ist. Gehen sie hin, erfährt möglicherweise der Konkurrent etwas von ihm, das ihn auf die richtige Spur führt, und ihn zuerst ans Ziel kommen läßt. Das ist das Dilemma, in dem sie stehen, und es hat genauso mit Information über das Verhalten des anderen zu tun wie das Gefangenendilemma.

3.12. Wie Man Wissen Wasserdicht Macht

Das Ergebnis ist, sie gehen beide auf die Konferenz, und bemühen sich so gut es geht, Information zu bekommen, aber nicht soviel Information zu geben. Ganz schweigen können sie nicht, also müssen sie eine möglichst wahrscheinliche Version zurechtmachen, um die Konkurrenz irrezuführen. Wer das am besten beherrscht, schickt seinen Kollegen auf die falsche Fährte und wird zuerst fertig und gewinnt den Nobelpreis. Aus der lebenslang eingeübten Ausführung dieser Strategie ergibt sich so etwas wie ein "double-think" Syndrom der Wissenschaftler. Sie sind es so gewohnt, mit diesen zwei Realitäten umzugehen, daß es ihnen nicht mehr bewußt ist.

3.13. Das Wissenschaftler-Dilemma und die Computerindustrie

In der Computertechnologie ist der Fall sehr ähnlich gelagert, wie in den anderen Wissenschaften. Ich habe schon in einer früheren Analyse die Äußerst erfolgreichen Praktiken des Computerkonzerns IBM zum Beispiel genommen, wie man im wirtschaftlichen Wettkampf durch bestimmte Verschlüsselungs- Methoden die Konkurrenz abhängen kann. ( ºIBM-PC84)


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