Auf
welche Art und Weise Menschen in einem Team, z.B. während eines Meetings,
zusammenarbeiten, scheint jedem von uns aus eigener Erfahrung geläufig zu
sein. In den letzten Jahrzehnten ist den Psychologen jedoch zunehmend
bewußt geworden, daß wir nur einen oberflächlichen Teil dieser
Realität bewußt wahrnehmen. Daneben gibt es zahlreiche wichtige
Prozesse, mit denen wir zwar intuitiv manchmal sehr erfolgreich umzugehen
verstehen, die uns jedoch nur unterschwellig oder überhaupt nicht
bewußt sind.
Heute stehen wir im Rahmen von Groupware vor der Aufgabe, mit virtuellen Teams
zu arbeiten, d.h. mit Menschen, die räumlich und teilweise zeitlich
voneinander getrennt sind, sich in ihrer Zusammenarbeit aber wie ein wirkliches
Team verhalten sollen.
Die bekannten Schwierigkeiten mit der Akzeptanz von Groupware zeigen, daß
die Abbildung der Oberflächenstruktur eines Teams (Arbeitsabläufe) in
eine Computer-Umgebung nicht ausreicht, eine effektive und effiziente
Zusammenarbeit zu ermöglichen. Es bedarf eines Konzeptes, das der
vielschichtigen unterbewußten Teamstruktur Rechnung trägt.
Unser Ansatz dazu ist das Interaktor-Konzept. Ein Interaktor ist, wie der Name sagt, eben nicht nur re-aktives Element, eine Instanz, die auf bestimmte Anforderungen in festgelegter Weise reagiert, sondern ein Interaktor besitzt Eigenschaften, die einem hohen Grad von Autonomie entsprechen. Ein Interaktor hat Intentionen, Vorstellungen auf vielen Ebenen, die er in Realität umsetzen möchte: er hat Bedürfnisse, Wünsche und Ziele. Er möchte sich in seiner Welt als eigenständiges Wesen nicht nur behaupten, sondern auch ausdrücken. Dies sind die Eigenschaften und Fähigkeiten der beteiligten Menschen - ein Programm, eine Maschine kann von sich aus immer nur reaktiv sein.
Es geht beim Interaktor-Konzept also darum, die Intentionen der Menschen, die das Team bilden, in der virtuellen Umgebung, in der sie zusammenarbeiten, programmtechnisch auszudrücken. Ein Interaktor ist eine tiefgreifende Einheit zwischen einem Menschen, der am Computer sitzt und einer programmierten Instanz, die ihn im Rahmen des virtuellen Teams vertritt. Eine gute Metapher scheint das Marionettentheater zu sein, bei dem ja auch für den Zuschauer nicht nur die Bewegung von Puppen zu sehen ist, sondern wo eine sehr tiefe emotionale Kommunikation zwischen dem - verborgen bleibenden - Puppenspieler, und seinem Publikum entsteht. (Siehe Heinr. v. Kleist: "Über das Marionettentheater"). Diese wird durch das Medium der Puppen nicht etwa vermindert, sondern hier stellt sich ein bemerkenswerter Effekt ein: Durch die Vermittlung (die mittelbare statt der unmittelbaren Kommunikation) kann sich das Spiel der menschlichen Emotionen sogar noch feiner und deutlicher auszeichnen. Dies ist unbedingt zu bedenken, wenn ein Kommunikationskanal mit eigenen Gesetzmäßigkeiten eingesetzt wird, wie es beim Computer der Fall ist. Die praktische Aufgabe ist: Wie gestaltet man nun den "Marionetten-Teil" des Interaktors, das Computer-Programm, so kommunikativ, daß es in der Lage ist, die Intentionen des zugeordneten Menschen auszudrücken und zu verfolgen?
Ein
erster Schritt war sicherlich die Einführung der Objekt- Orientierung in
der Version von Smalltalk. Objekte haben, als Entitäten im Rechner, so
etwas wie ein "Eigenleben": Ein Objekt besitzt also eine eigene Datenverwaltung
und einen Satz von Methoden. Er unterscheidet also in gewissem Sinne zwischen
sich und der Außenwelt.
Der zweite Schritt ist die Zuweisung eines eigenen (oder ggf. mehrerer)
Rechnerprozesses. Interaktoren laufen - je nach technischer Implementation -
parallel oder quasi-parallel. Im Gegensatz zum üblichen OOP-Konzept ist
asynchrone Zusammenarbeit zwischen den Instanzen möglich. Nun hat die
bisherige Software- Technologie bisher nur geringe Aufmerksamkeit auf
menschliche Faktoren gelegt. Die Ansätze von Smalltalk-System sind in der
heutigen Software-Technologie wieder zugunsten von nicht-interaktiven,
compilierten Systemen wie C++, Eiffel und anderen in den Hintergrund
gedrängt worden.
Der
dritte und entscheidende Schritt ist eine Sache der Flexibilität der
Schnittstellen zwischen Mensch und Programm. Das Programm muß zur
Extension des Menschen werden, in der er - im wörtlichen Sinne -
Körpergefühl entwickelt. Dies ist ein Effekt, der vielen von uns sehr
vertraut ist. Wir können in einem Auto unser Körpergefühl so
ausdehnen, daß das Auto eine Erweiterung unseres Körpers wird: Wir
schätzen nicht nur geistig ab, sondern wir spüren physisch, wie nah
oder wie weit die äußeren Grenzen des Autos - also der Erweiterung
unseres Körpers - von einem Hindernis entfernt sind.
Es ist ein durchaus unangenehmes Gefühl im eigenen Körper, wenn es
dann doch irgendwo fast oder tatsächlich schrammt. Nur auf diese Weise
können wir auch intuitiv mit einem Auto umgehen, d.h. wir sind auch in der
Lage, unsere unbewußten Intentionen auszudrücken. Die geschieht
tatsächlich in hohem Maße, und wie man - leider - im
Straßenverkehr beobachten kann, hauptsächlich im Bereich der sonst
sorgsam zurückgehaltenen Triebkräfte, den Aggressionen, dem
Imponiergehabe, und der Rücksichtslosigkeit. Wie beim Marionettentheater,
werden Emotionen verstärkt, und akzentuierter ausgedrückt, wenn auch
hier in weniger schöner Form.
Um genau das geht es bei Groupware. Und das Wort Körpergefühl ist hier auch nicht als Metapher gemeint: Nonverbale Kommunikation geht tatsächlich über Gefühle. Gefühle sind, qua Fühlen, ausschließlich Körperwahrnehmungen. Wie ist es nun möglich, ein Programm so zu gestalten, daß wir Menschen es als zu uns gehörig, als Ausdehnung des eigenen Körpers, empfinden?
Die Lösung dazu wurde in ihren Grundzügen von A. Goppold vor annähernd 10 Jahren gefunden. A. Goppold ist es gelungen, in einem Software-System eine Abbildung seiner Denkstrukturen zu erstellen. Dieses System nannte er, in Anlehnung an ein ähnliches Projekt von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) das LEIBNIZ System. Ein solches Software-System stellt eine Reflexion auf die eigenen Wissens- und Denk- Muster dar. Es ist, wenn es einmal einen gewissen Umfang gewonnen hat, praktisch ein eigenes Universum für sich. Es ist auch für seinen Schöpfer nicht mehr überschaubar, und gewinnt völlig andere Qualitäten: Es wird Er-Leb-bar. D.h. die Re-Aktionen des Systems, die eigentlich völlig deterministisch aufgrund der programmierten Logik ablaufen, sind aufgrund der unüberschaubaren Menge der möglichen internen Zustände, nicht mehr exakt planbar, und gewinnen eine aktive Qualität. Der menschliche Benutzer des Systems, der Operator, erhält in seinem Erleben den Eindruck der Interaktion mit einem eigenständigen, mehr oder weniger unabhängigen Wesen, eben einem Interaktor.
Da das geschaffene System nach den Gesetzmäßigkeiten der Denkstruktur des Schöpfers angelegt ist, ist es ein Spiegelbild, und zwar ein aktives Spiegelbild des Schöpfers. Dies nimmt ein altes Thema der Mythologie in neuer Form wieder auf. Und somit kann der Operator durchaus epische Dramen wahrhaft homerischer Qualität an einem Nachmittag aus- und durch- leben. Mal ist er der Blitze- schleudernde Zeus, der in seinem Universum nach Belieben schaltet und waltet, hier kreiert, dort instanziiert, da alloziert und dort wiederum deletet und neu formatiert. Mal ist er der kühne Herkules, der mit heroischer Tat-Energie den Reset-Knopf betätigt, um den Augias-Stall auszumisten, und dann wieder ist er der tragische Laokoon, der von den Schlangen- Schlingen der sich gegenseitig aufrufenden Subroutinen verschlungen wird.
Wie aus diesen Beschreibungen und von Erfahrungen anderer Programmierer deutlich ist, erkennen wir hier das Auftreten von eigenständigen Realitätssystemen. Diese stehen an Wirklichkeitsgehalt der Konsensus-Realität, also dem Realitätssystem, das unsere physisch erlebte Umwelt darstellt, kaum noch nach. Dieser Aspekt wird heute unter dem Oberbegriff "Virtual Reality" (VR) in größerem Stil umgesetzt. Es ist dabei aber deutlich, daß die "Accessories", die physikalischen Metaphern, mit denen man heute versucht, VR umzusetzen, eher ein Umweg sind, da die körperliche Metapher des drei-dimensionalen Raumes eben nur eine unter vielen möglichen ist - wenn sie auch als Einstiegsmetapher für die Mehrheit der Menschen unserer Kultur die geeignete und bevorzugte darstellt.
Der
nächste Schritt besteht nun folgerichtig darin, das Erlebnis der Reflexion
durch ein Programm-System anderen Menschen zu vermitteln, die dann in die Lage
versetzt werden, ihre individuelle Version ihres einzigartigen Interaktor
selbst zu gestalten. Dies ist A. Goppold zwar in einem Einzelfall - mit einem
Informatik- Studenten - gelungen. Eine allgemein brauchbare Lösung
benötigt aber Voraussetzungen, die in den früheren Versionen des
Leibniz Systems noch nicht gegeben waren, da es recht wenig systematische
Möglichkeiten gab, den Interaktor auf die Denkstruktur seines menschlichen
Partners einzustellen. Dadurch konnte eben nur jemand mit einer
äußerst feinen Sensibilität für die Denkstrukturen einer
anderen Person diesen Interaktor "übernehmen" und mit ihm "spielen" (Der
Vergleich mit einer überaus komplizierten Marionette mag hier vielleicht
hilfreich sein.)
Ein Vergleich mit konventionellen Software-Systemen ist ebenfalls anschaulich:
In einem konventionellen System überwiegt meistens noch das Diktat der
Struktur, wie es durch den Programmdesigner, oder die gerade vorherrschende
Moderichtung des User-Interface Designs vorsieht. Die
Einstellmöglichkeiten sind, wenn überhaupt gegeben, hinter
dermaßen kryptischen Formulierungen verbarrikadiert, daß nur in
einem verschwindend geringen Anteil der Fälle tatsächlich von dieser
Möglichkeit Gebrauch gemacht wird. Ein gutes Beispiel sind hier die
programmierbaren Programm-Editoren in der Nachfolge von EMACS, die alle ein
LISP-ähnliches Interface besitzen. Dies zu beherrschen ist aber eine
Wissenschaft für sich. Aber da Programmierer ja zu solcher
Geistesakrobatik neigen, haben hier die Programm-Skript-Schnittstellen eine
gewisse Beliebtheit erlangt.
Die Problematik ist weniger eine der Möglichkeit, sondern eine der Ökonomie. Die Entwicklung der Benutzerschnittstellen auf dem Macintosh und dem NeXT zeigt die allgemeine Richtung. Verschiedene Menschen haben verschiedene Repräsentationssysteme von Wissen. Hier seinen die Grundtypen genannt, wie: Auditiv, Visuell, Kinesthetisch. Der Repräsentations-Typ, der im Bereich der Programmierung am erfolgreichsten ist, muß erst mit langem Training erworben werden: Stark Symbolorientert, und vor allem Pedantisch. Da jeder Grundtyp eine eigene Datenstruktur erfordert, sind hier mit der augenblicklichen Technologie gewisse Grenzen gesetzt, aber die Entwicklung in Richtung Multi-Media und Virtual Reality zeigt, daß die Technologie hier genau die Vorraussetzungen zu schaffen im Begriff ist.
In
welcher Weise kann das Arbeiten mit Interaktoren eine Verbesserung der
erzielten Ergebnisse bringen? (Irgendjemand muß ja diese Systeme
bezahlen, und das werden zuerst Firmen sein, die ihren Teams auf diese Weise zu
einer besseren Produktivität verhelfen wollen). Hier ist der Punkt, an dem
wir glauben, eine neue Vision beitragen zu können, die Ergebnisse vor
allem in Bereichen bringen wird, an die wir bisher überhaupt nicht gedacht
haben.
Eine Vorstellung davon, in welche Richtung das zielt, hat jeder erfahrene
Programmierer, der sich so intensiv in seine Arbeit vertieft, daß er das
Gefühl hat, mit der Maschine eins zu werden. Wir sprechen auch vom
Flow-Zustand, oder einem induktiven Zustand, in dem wir, z.B. am PC, zu enormen
Leistungen in der Lage sind. Hier geht es jedoch nicht um einsames Arbeiten am
PC sondern - im Gegenteil - um intensivste Kooperation mit anderen Partnern.
Ein besseres Beispiel ist daher wohl ein Spiel, daß so spannend ist,
daß wir total hineingehen und weitgehend vergessen, daß es sich
"nur" um ein Spiel handelt.
Wie oben schon bemerkt, muß immer der besondere Effekt eines Mediums mit
in die Überlegung einbezogen werden, wenn man etwas altbekanntes mit
diesem neuen Medium durchführen ("rationalisieren") will. Das gilt beim
Computer besonders. Daher ist es doppelt verfehlt, die gewohnten
Arbeitsstrukturen in irgendeiner schematischen Arbeitsweise auf den Rechner
übertragen zu wollen. Zu dieser Erkenntnis wacht die DV-Industrie nach
einem 40-jährigen DV-Traum gerade auf. Auch dies ist ein Symptom dessen,
was wir heute "die Software-Krise" nennen.
Im Gegenteil: Die überraschenden Effekte, die ungeplanten, die
unvorhergesehenen, werden die Effekte sein, die die größte
Wirksamkeit haben werden, und den größten
Produktivitätsdurchbruch bringen werden. Daher muß vor allem die
Flexibilität im Vorder- Grund stehen, vor allem die Flexibilität der
Gruppenmitglieder, sich ihre Systeme "selbst zu schaffen". Dazu ist das
Interaktor- Prinzip aber gerade geeignet. Damit ist auch gleichzeitig der
Hinweis gegeben, wie man Menschen dazu hinführen kann, sich in der
abstrakten virtuellen Realität von Interaktoren bewegen zu lernen und wohl
zu "fühlen". Die synergistische Lösung des Führungsprinzips ist:
Die Menschen führen sich selber, und sie schaffen und erschaffen sich ihre
Interaktoren-Umwelt.
Als Ziel schwebt uns vor, Menschen binnen weniger Stunden so weit zu bringen,
daß sie so viel Spaß an der Sache finden, daß sie auf das
"Spiel" im Rahmen ihrer realen Umwelt nicht mehr verzichten möchten.