The issue of machine creativity, much more than intelligence, is a deeply
metaphysical question. While technology gets ready to answer that question in
terms of functional mechanisms, the base of western philosophy and metaphysics
is tacitly modified all the while. This article touches upon some of the
relevant questions in connection with creativity, free will, and rationalistic
philosophies of the mind/matter dualism. The impressions of the author with the
Leibniz Project, a ten years experience of creation in a small symbolic
universe in the computer are recounted. Human Mythologies of Creation are
compared to the bits-and-bytes of Software Creation. The startling fact is that
both stories have very similar components. As Bolter (Turing's Man) has
supposed, the metaphysics of the Computer Age are radically different than
those of the faustian age of occidental man. The book of mythology will get a
totally new, exciting chapter, and maybe, the whole story of metaphysics will
be re-written.
Das Leibniz Projekt ist ein Langzeitexperiment, das nun seit etwa zehn
Jahren das Wachstum und die Entwicklung eines kleinen symbolischen Universums
im Computer studiert. Dieses Mini-Software-Universum, genannt das
Leibniz-Software-Kreations-System (im folgenden auch Leibniz-System
genannt), entstand ca. 1983 als ein Nucleus-System im 64 KB-Adressraum
eines Z-80 Computers. Es wies schon damals, als Nucleus-Version in ca. 30 Kbyte
Object, alle Komponenten eines in sich geschlossenen, vollständigen
Software-Entwicklungs-Systems mit Konstruktor und Debugger,
Massenspeicher-Verwaltung, Input-Output-System und User-Interface auf. Dieses
System ist dann in den 640-K Bereich eines IBM-PC Computers eingewachsen, und
"lebt" heute im Megabyte-Adressraum einer Workstation. Ursprünglich war
das System als Software-Entwicklungs-Umgebung gedacht. (Im Jahre 1983 gab es
auf den CP/M und frühen PC-Computern bestenfalls Ansätze zu der heute
standardmäßigen Technologie). Ich habe das System im wesentlichen
alleine erstellt. Sein Umfang beträgt ca. 100.000 Codezeilen, 10.000
Routinen und 6 MB Source. Obwohl in der Breite und Tiefe der Anwendung heute
Systeme wie die Microsoft- und Borland- Software-Umgebungen mit ihrer
Manpower-Investition von vielen hunderten Mannjahren für ein
Einmann-Projekt wie das Leibniz-System unerreichbar sind, ergeben sich aus
dieser Arbeit einige ganz wesentliche Erfahrungen und Erkenntnisse, die in den
zukünftigen Phasen des Leibniz Projekts und in meiner Arbeit "Umrisse
des Leerstellendenkens" (UMRISSE93) noch weiter ausgearbeitet werden
sollen. Dieser Bericht gibt einen vorläufigen Ausblick auf diese
Perspektiven,
Zuerst ist festzustellen, daß die obige Bezeichnung: "(Ein Projekt, das) das Wachstum und die Entwicklung eines kleinen symbolischen Universums im Computer studiert" am Kern der Sache weit vorbeigeht. Es ist nämlich nicht die Entwicklung des objektiven Computersystems, die hier die interessante ist, sondern die Entwicklung des subjektiven Geistes, des Denkens, das dieses Computersystem konstruiert. Die Tatsache, daß ich das Leibniz-System im wesentlichen alleine konstruierte, (im Gegensatz zu anderen vergleichbaren Projekten dieser Größe, die von vielen Personen bearbeitet worden waren) eröffnet die Perspektive auf eine Tatsache, die zwar schon immer bekannt war, aber im Bereich der Software noch nicht so recht beachtet wurde: Der Prozess der individuellen Wandlung des Kreators in Interaktion mit seiner Kreation. Als Kreator des Systems ist es mir möglich, das geschaffene System als eine Art Spiegelbild meiner eigenen Denkstrukturen zu erkennen. Das Software-System ist nicht nur Konstruktion und Kreation im alten objektivistischen Sinne, sondern es ist Selbst-Reflektion, und zwar einer ganz anderen Art als der früheren Selbst-Reflektion, wie sie z.B. in der Philosophie betreiben wurde. Ich habe aus diesem Grund das Leibniz Projekt auch die Fortsetzung der Philosophie mit anderen Mitteln genannt. Hier ein Ausschnitt aus einem Artikel zu dem Thema:
"Ein solches Software-System stellt eine Reflexion auf die eigenen Wissens- und Denk-Muster dar. Es ist, wenn es einmal einen gewissen Umfang gewonnen hat, praktisch ein eigenes Universum für sich. Es ist auch für seinen Schöpfer nicht mehr überschaubar, und gewinnt völlig andere Qualitäten: Es wird Er-Leb-bar. D.h. die Re-Aktionen des Systems, die eigentlich völlig deterministisch aufgrund der programmierten Logik ablaufen, sind aufgrund der unüberschaubaren Menge der möglichen internen Zustände, nicht mehr exakt planbar, und gewinnen eine aktive Qualität. Der menschliche Benutzer des Systems, der Operator, erhält in seinem Erleben den Eindruck der Interaktion mit einem eigenständigen, mehr oder weniger unabhängigen Wesen, eben einem Inter-Aktor."
"Da das geschaffene System nach den Gesetzmäßigkeiten der Denkstruktur des Schöpfers angelegt ist, ist es ein Spiegelbild, und zwar ein aktives Spiegelbild des Schöpfers. Dies nimmt ein altes Thema der Mythologie in neuer Form wieder auf. Und somit kann der Operator durchaus epische Dramen wahrhaft homerischer Qualität an einem Nachmittag aus- und durch-leben. Mal ist er der Blitze-schleudernde Zeus, der in seinem Universum nach Belieben schaltet und waltet, hier kreiert, dort instanziiert, da alloziert und dort wiederum deletet und neu formatiert. Mal ist er der kühne Herkules, der mit heroischer Tat-Energie den Reset-Knopf betätigt, um den Augias-Stall auszumisten, und dann wieder ist er der tragische Laokoon, der von den Schlangen-Schlingen der sich gegenseitig aufrufenden Subroutinen verschlungen wird."
aus: ART-TEAM.DOC
Auch bei anderen Autoren wie z.B. Bolter (Turing's Man / Der Digitale Faust)
und Weizenbaum wird über den Universums-Charakter eines Software-Systems
gesprohen: Bedeutsam sind vor allem bei Bolter die Anklänge einer neuen
Metaphysik des Turingschen Menschen, des neuen Menschentyps also, der
den Computer als sein Denk-Instrument benutzt.
"Dieses Universum ist teils natürlich (schließlich besteht es aus Elektronen), teils künstlich (als Wissenschaft der symbolischen Logik). Der Programmierer wird mit der Dichotomie von Vernunft und Notwendigkeit konfrontiert, betrachtet jedoch die ihm von der Notwendigkeit auferlegten Grenzen gelassener. Vielleicht wird sich der zu schreibende Schöpfungsmythos mit einem Hohen Programmierer als Schöpfer-Gott wesentlich von den griechischen und christlichen Mythen unterscheiden, ebenso wie von jenen der Aufklärung und des Marxismus. Der Programmierer-Gott erschafft die Welt nicht sofort und ein für alle Mal, sondern immer wieder von neuem, indem er ihre Bausteine so umstellt, daß sie zu jedem Schöpfungsprogramm passen. Diese Welt läuft dann wie ein Programm ab, bis zum Schluß oder zu einem Wirrwarr; dann wird die Tafel abgewischt, und ein neues Spiel beginnt." "Diese Beschreibung paßt ziemlich gut zur Art, in der die üblichen Mythen der modernen Physik entstehen. Der Kosmos begann mit einer großen Explosion, und jetzt spaltet sich die ganze Materie mit stets abnehmender Geschwindigkeit. Eines Tages könnte sie haltmachen, sich zurückbilden und in einem vernichtenden Kollaps enden. Dann entstünde vielleicht ein neuer Kosmos. Selbstverständlich hat Elektrotechnik mit der Aufstellung dieser auf der Astronomie und der Quantenphysik beruhenden Theorie nichts zu tun, doch die vom Computer angeregte Vorstellung von Kreativität könnte eine Hilfe sein, um die Einstellung der modernen Welt gegenüber den Mutmaßungen der Physiker zu definieren. Meist waren die früheren abendländischen Denker zu ernst, um die Welt als ein aus der Vorstellung eines spielerischen Gottes erwachsenes Spiel zu betrachten, doch östliche Philosophen scheuten nicht davor zurück. Eine solche Auffassung würde einen grundsätzlichen Wandel bedeuten, das Ende des Glaubens an den unendlichen Fortschritt und an das unendliche Streben der abendländischen Seele, und ein neues Denkmodell für den Einzelnen und die Gesellschaft könnte entstehen."
BOLTER90, 224,225
"Der Programmierer... ist der Schöpfer von Welten, deren alleiniger Gesetzgeber er ist. Gewiß gilt dies auch für den Entwerfer jedweden Spiels ... (Programme) gehorchen bereitwillig den Gesetzen und stellen ihr gehorsames Verhalten voll zur Schau. Kein Dramatiker, kein Bühnendirektor, kein Kaiser, wie mächtig sie auch gewesen sein mochten, beherrschte je mit solch uneingeschränkter Macht eine Bühne oder ein Schlachtfeld und konnte solch unerschütterlich pflichtbewußten Schauspielern oder Truppen Befehle erteilen"
WEIZ76, 115
Das
Thema der Kreativität hat einen erheblichen philosophischen Tiefgang. Wir
stehen hier vor Fragen, die einen wesentlich metaphysischen Charakter haben.
Die Thematik ist schon in der Scholastik in dem Streit zwischen den Thomisten
(im Gefolge von Thomas Aquinas) und den Scotisten (nach Duns Scotus) deutlich
geworden. Kognition, also das Erkennen dessen, Was Ist, ist eine
Leistung, die von einem Wesen erbracht werden kann, das keinen Willen hat.
Kreation, also: "Es Werde" erfordert aber einen Willen.
Nach Scotistischer Ansicht ist Vernunft vom Willen abhängig. Dies
würde auch die Frage maschinellen Bewußtseins um eine ganz
neue Dimension erweitern. Im übrigen ist die Idee eines freien Willens
einer der Lieblingsmythen unserer westlichen Kultur. Zu fast allen Zeiten und
in fast allen anderen Kulturen hätte die Frage nach einem freien Willen
bei ihren jeweiligen Repräsentanten ein ungläubiges
Kopfschütteln und verursacht oder bestenfalls eine Antwort wie: "Eine gute
Idee aber für unsere Kultur zu gefährlich". Wie Jaynes
überzeugend darstellt, wäre sogar die Frage nach dem
Bewußtsein, das für uns moderne Menschen so fraglos
selbstverständlich ist, je nach Kultur und Zeit anders beantwortet worden.
(JAYNES76)
Verfolgen wir das Thema der Kreation ein wenig weiter, so finden wir sofort
zwei wesentliche Grundthemen:
Das
erste Grundthema ist die menschliche Kreation: Kreation im faustischen
Wirken des Menschen, und seinem Kampf mit der Natur, der er die Rohstoffe
für seine Werke abringt, sie transformiert, und sie in eine Schöpfung
nach seinem Willen umgießt. Diese Kreation ist es, der ja die
Maschine selber entstammt. Die Maschine ist dem Menschen nicht nur Hilfsmittel
zur Kreation, sondern sie ist in gewissem Sinne verkörperte,
quasi-autonome, manifeste Kreation. Eine Produktionsmaschine kann etwa,
mit einem vollgefüllten Magazin und laufender Energieversorgung, für
einige Zeit ohne das Zutun eines Menschen die Kreationsvorgänge autonom
weiterführen, für die sie eingerichtet war. Dies würden wir
intuitiv nicht "Kreativität" der Maschine nennen. In ihrer
Zweckerfüllung ist diese Maschine zwar nicht kreativ, aber sie ist ein
Stück Kreation.
Wenn wir der Frage nachgehen, warum wir den Produktionsvorgang der Maschine
nicht gern Kreativität nennen, dann kommen wir auf einen weiteren, sehr
tiefgehenden Punkt. Die Grundlage aller Produktionsprozesse, die die
menschliche Zivilisisation ausführt, ist in der aristotelischen
Unterscheidung von Hyle und Morphe, also von Substanz und Form zu
suchen. Der menschliche Wille ist nur in der Lage, das Material, das wir der
Natur entreißen, umzuformen. Eine solche Transformation bewegt sich aber
unentrinnbar innerhalb des Sein des Seienden, was man auch "Die Aristotelische
Kiste" nennen kann. Siehe auch: GÜN-OP-III, "Maschine, Seele und
Weltgeschichte", p. 218-229.
Es gibt noch eine andere Kreation, die bisher der Theologie vorbehalten gewesen ist: Die Genesis drückt es so aus: Und Gott sprach: "Es werde Licht". Dies ist Kreation als Ursprung, Kreation aus dem Nichts. Diese Kreation ist metaphysisch. Und wie ich in den obigen Abschnitten andeute, bewegen wir uns im symbolischen Universum eines Computers in einem Feld, das eine frappierende Ähnlichkeit mit den Vorstellungen der alten Kreations-Mythen der Völker hat. Die Konsequenz der Erfahrbarkeit und Erlebbarkeit des Symbolischen Universums ist eine Entwicklung in Richtung auf eine neue metaphysische Repräsentation. Um Kreativität des Mechanismus vorstellbar, denkbar, und installierbar zu machen, muß eine neue Vorstellung existieren, über das, was bisher als zwei Antagonismen: Geist und Materie, Subjekt und Objekt, gedacht wurde. Zuse hat in seiner Schrift "Rechnender Raum" (ZUSE-RAUM) schon vor langer Zeit Ansätze unternommen, eine Kosmologie zu denken, in der die Grundlage ein informationsverarbeitender Agent ist. Die Theorie von Jean Charon geht ebenfalls in diese Richtung (CHARON82). Nun sind solche Konzepte aber in keiner Weise neu. Die alt-indische Philosophie kennt so etwas seit ca. 4000 Jahren: Die alte vedantische Vorstellung des Brahman, des Bewußtseinsfeldes, das der Ursprung von Geist und Materie ist. (DEUSSEN66, VEDA-BODHA, VEDA-VIVEK) Solche Vorstellungen sind der heutigen Metaphysik des Computerdenkens wesentlich näher verwandt, als ein allmächtiger Schöpfergott, der als reiner Geist die Materie irgendwie "erschafft". Der Fundamental-Agent, der solcher Metaphysik zugrundeliegt, ist in neuer Sprechweise Information. Diese Kategorie der Information ist aber nicht mehr von den alten aristotelischen Kategorien ableitbar.
Es liegt nahe, daß vorzugsweise Personen, die eine intensive und direkte Erfahrung solcher Universums-Erlebnisse, wie oben berichtet, gemacht haben, bereit und vor allem konzeptuell in der Lage sind, eine neue Metaphysik zu denken, und sie auch auf die konventionelle Welt anzuwenden. Die Virtual Reality ist hier nichts weiter als ein Anzeichen für die konsequente Entwicklung:
"Wie aus diesen Beschreibungen und von Erfahrungen anderer Programmierer deutlich ist, erkennen wir hier das Auftreten von eigenständigen Realitätssystemen. Diese stehen an Wirklichkeitsgehalt der Konsensus-Realität, also dem Realitätssystem, das unsere physisch erlebte Umwelt darstellt, kaum noch nach. Dieser Aspekt wird heute unter dem Oberbegriff "Virtual Reality" (VR) in größerem Stil umgesetzt. Es ist dabei aber deutlich, daß die "Accessories", die physikalischen Metaphern, mit denen man heute versucht, VR umzusetzen, eher ein Umweg sind, da die körperliche Metapher des drei-dimensionalen Raumes eben nur eine unter vielen möglichen ist -- wenn sie auch als Einstiegsmetapher für die Mehrheit der Menschen unserer Kultur die geeignete und bevorzugte darstellt."
aus: ART-TEAM.DOC
Die heutige Entwicklung der Computersysteme bringt eine neue Epoche dessen, was
man früher "Die Geistes-Entwicklung" genannt hätte. Aber der
Term "Geistes-Entwicklung" gehört dieser vergangenen Epoche an, und
ist überholt. Ebenso wie der Begriff "Materie". Die Trennung
zwischen Materie und Geist der zurückliegenden Epoche, wie sie mit
dem aristotelischen Denken von Subjekt und Objekt begann und in dem
kartesischen Rationalismus kulminierte, wird durch das neue Computerdenken auf
eine ganz andere metaphysische Basis gebracht. Von dieser Basis ist es dann
auch sinnvoll, die Kreativität der Maschinen zu betrachten.
Etwa
im Jahre 600 v.Chr "erfand" Zoroaster oder Zarathustra die vermutlich
älteste systematische Fassung des Dualismus mit der Lehre des Gegensatzes
des absoluten Guten und des absoluten Bösen. Ahura Mazda der gute
Schöpfergeist und sein Wiedersacher Ahriman als Prinzip des absoluten
Bösen. Dieses System wurde die Staatsreligion des persischen
Großreichs. Nachdem Kyrus die Israeliten aus ihrer Gefangenschaft befreit
hatte, begannen diese, ihre Religion neu zu strukturieren, und übernahmen
die dualistische Systematik von den Persern. Kurze Zeit später "erfanden"
dann auch die Griechen den absoluten Dualismus von Geist und Materie, oder Hyle
und Morphe, bzw. Seiendem und Nichtseiendem. Die Synthese des griechischen und
hebräischen Gedankenguts ergab dann später die Grundlage des
Christentums.
Die Theologen hatten schon immer das größte Problem, zu
erklären, wieso der angeblich allmächtige gute Schöpfergott es
zugelassen hat, daß ihm der Teufel so ins Handwerk pfuschte, und die Welt
zu dem verkommen ließ was sie heute ist. Wer aber die Erfahrung des
Programmierer-Schöpfergottes gemacht hat, der ist eines Besseren belehrt
worden: Der Teufel ist nicht ein böser Widersacher, der dem
allmächtigen Schöpfer das Werk verdirbt, sondern die Kreation selber
ist es, die dem Schöpfer die Fesseln anlegt. Der Teufel steckt, im
wahrsten Sinne des Wortes, im Detail. Das Potential der Kreation ist
unendliche, allmächtige Freiheit und Kreativität. Die einmal
geschaffene Kreation aber ist absolute, eisenharte, unentrinnbare Bindung.
In den indischen Schöpfungsmythen wird dies auch Karma genannt.
Der Schöpfergott gibt seine Allmacht an die Kreation ab und unterwirft
sich den Gesetzen der Kreation, die er selber geschaffen hat. Lediglich
durch einen entschlossenen Aktes des Delete und Neuformatierens ist es dem
Schöpfer möglich, diesen Fesseln zu entkommen, und eine neue Kreation
zu beginnen. Dabei gesteht er sich aber sein eigenes Versagen ein. Das ist
sowohl für den Gott als auch für den Programmierer ein schwerer
Schlag gegen das Ego. Damit sind solche biblischen Geschichten wie die Sintflut
aus einer ganz anderen Sicht zu sehen. Wie Bolter richtig bemerkt, muß
aber ein Programmierer solche Niederlagen so oft auf sich nehmen, daß er
irgendwann eine gewisse Abgeklärtheit gegenüber solchen Katastrophen
erlangt.
Eine interessante metaphysische Frage läßt sich stellen, ob der
Kreator überhaupt einen freien Willen, also eine freie Entscheidung hat,
wie er die Kreation weiterentwickelt. Ich habe mit dem Leibniz-System die
Erfahrung gemacht, daß hier durchaus keine freie Entscheidung vorliegt.
Wenn erst einmal gewisse Design-Entscheidungen am Anfang gemacht worden sind,
so ziehen sich ihre Konsequenzen über Generationen und Generationen der
Software hindurch. Es ist durchaus möglich, davon zu sprechen, daß
die Kreation dem Kreator ihre Konsequenz aufzwingt. Weiterhin ergibt sich eine
psychische Dynamik des Kreators, die Kreation weiter und weiter zu
perfektionieren. Manchmal soweit, daß man meinen könnte, die
Kreation "möchte" sich weiterentwickeln, und benutzt den Kreator als ihr
Werkzeug.
Im alten Sumer und in Ägypten entstand die Priesterkaste, die man in der neueren Sprechweise das Interface zwischen der Götterwelt und ihrer Kreation, der dinglichen Welt nennen kann. Nicht umsonst hat die Wortprägung des Interface noch einen sehr deutlichen Bezug auf die Masken, die zu den Zeremonien der Kommunikation mit den Göttern getragen wurden. Das göttliche Gundproblem war schon immer das der Kommunikation zwischen dem Schöpfer und seiner Schöpfung. Auch wenn ein Textverarbeitungsprogramm anscheinend völlig stillsteht, wenn der Benutzer keine Eingabe macht, so täuscht dieser Eindruck: In Wirklichkeit läuft das Programm in einer endlosen Schleife in der Abfage der Tastatur-Eingaberoutine, während (bei einem Multitasking-System) andere Systemteile ihre periodischen Wartungs- und Updatevorgänge verrichten. In der Sprechweise der mythischen Kulturen geht der Priester jeden Morgen zum Tempel und findet kein Zeichen des Gottes vor, kehrt zu seinem Volk zurück und die verfahren weiter so wie gehabt.
"Einerseits verarbeitet der Computer elektronisch gespeicherte binäre Symbole, wobei der Arbeitsablauf von der Uhr gemessen wird, andererseits verarbeitet er die Zeit selbst, indem er Billionen von inhaltlosen Impulsen elektrischer Energie in nützliche Befehle zur Datenverarbeitung verwandelt... der Computer verwandelt Sekunden, Mikro- oder Nanosekunden in Informationen. Die ungeheure Geschwindigkeit, mit der diese Verwandlung stattfindet, versetzt den Arbeitsablauf in eine Zeitwelt, die außerhalb der menschlichen Erfahrung liegt. Ein Programm ist ein Rezept, eine Liste von Einzelbefehlen, die im Bruchteil einer Sekunde ausgeführt werden können. Der Programmierer kann die Befehle lesen, sie ändern, in maschinenlesbarer Form eingeben, doch sobald das Programm im Kernspeicher geladen ist, hat er keine Vorstellung vom Ablauf des Prozesses. Er kann zwar beobachten, wie ein Band mit seinen Daten abläuft, oder das Ticken des über die Platte laufenden Magnetkopfes hören, aber da gewöhnlich mehrere Programme im Computer gleichzeitig verarbeitet werden (time-sharing) , weiß der Programmierer nicht einmal genau, wann die CPU mit der Arbeit an seinem beginnt. Ingenieure, die Computer entwerfen, wissen wenig über das, was sich in jeder Nanosekunde in der CPU abspielt, denn ihre Arbeit befaßt sich mit Signalen für Ablauf und Logik. Mehr als die Programmierer müssen sie ihren Weg durch die verborgene zeitliche Welt der Maschine suchen. Sie bauen elektronische Krücken, Oszilloskope und Ähnliches, welche die in Sekundenbruchteilen eintretenden Veränderungen auf dem Bildschirm zeigen. Mehr als alle anderen sind sie sich des Paradoxon dieser zweiten zeitlichen Welt bewußt."
BOLTER90, 126
Ein Programmierer in einem Compiler-Batch-System ist in genau derselben
mißlichen Situation wie Gott in den rationalistischen philosophischen
Systemen (z.B. der prästabilierten Harmonie nach Leibniz): Er kann sein
Programm nur starten und dann beten, daß seine Logik diesmal korrekt war,
und es nicht wieder, wie bei den 129 Versuchen vorher, irgendwo
"hängenbleibt" und "abstürzt". Bolters Ausführungen stammen aus
einer Zeit und Technologie vor dem Personal Computer und sind
demgemäß nicht auf dem neuesten Stand. In der heutigen Technologie
stellen Debugger-Systeme den ersten Schritt zu einer Verbindung zwischen der
übergeordneten Welt des Programmiers und dem durch die Zeitmauer
getrennten Software-Universum dar. Die technologische Entwicklung weist somit
überraschende Parallelen zu der mythologischen auf. Und während die
Mythologie sich in tausenden von Jahren entwickelt, springt die Technologie
innerhalb von zehn Jahren auf Ebenen einer neuen Qualität. Es lohnt sich
aber auch heute noch, in der Mythologie auf Parallelen zu der technologischen
Entwicklung zu achten.
Ich
habe in dem Leibniz-System das Konzept des Interaktors geschaffen
(A-ACTOR.DOC), das anscheinend eine weitere Stufe der Entwicklung der
Wesenheiten in den symbolischen Universen des Computers darstellt. Die Frage
nach dem Bewußtsein in softwaretechnischer Analogie ist die Frage nach
den internen Repräsentationen der Zustände, in denen sich ein
Programm(teil) befindet, und ihre Modifikationsmöglichkeiten. Hier hat die
Technologie mehrere qualitative Stufen erzeugt.
In der ältesten Form von Programmen nach dem vonNeumannschen
Next-Instruction Schema, die z.B. in Fortran vorliegt, gibt es nur eine
einzige Stelle, den Programmzeiger. Die ausführende Maschine hat lediglich
die Möglichkeit, den Instruktionen des Programms zu folgen, und bei
Verzweigungen an andere Programmteile zu springen, um endlich vielleicht an
einem Ergebniszustand anzulangen, oder "sich aufzuhängen".
Die Strukturierte Programmierung führt mit dem Routinen-Stack ein
"Erinnerungsvermögen" ein. Wenn ein besonderer Mechanismus feststellen
kann, daß die weitere Abarbeitung in einem bestimmten Unterprogramm
aussichtslos ist, dann ist es dem Programm möglich, durch "backtracking"
zu einer früheren Ebene des Subroutinen-Stacks zurückzukehren, und
eine andere Bearbeitungsmöglichkeit zu wählen.
In der Objektorientierten Programmierung besitzt die Programmroutine
(das Objekt) einen Katalog von zulässigen, ausführbaren Operationen,
den Methoden, die über eine private Subsprache der Routine, die
Messages zu aktivieren sind. Weiterhin besitzt das Objekt seinen
privaten Datenbereich, auf den kein anderes Programm zugreifen kann.
Dies ist schon eine sehr weitgehende technische Bewußtseinsanalogie. Zu
bemerken ist, daß es sich hier um ein Bild handelt, in dem wie in dem
Leibnizschen System der prästabilierten Harmonie, der Kreator nur einmal
den Anstoß zum Programmlauf geben kann, aber dann aus der Interaktion mit
den Programm-Modulen ausgeschlossen ist. Zwar gibt es bestimmte Module (z.B.
Maus- und Tastatur-Routinen, Benutzer-Interfaces), die speziell für den
Benutzer eingerichtet sind, aber das einzelne Objekt bleibt in seinem privaten
symbolischen Universum des Computers ein- und abgeschlossen.
Der Interaktor ist ein Schritt weiter, in Richtung auf eine Öffnung
zwischen den Welten des Programmierers und der Software. Ein Objekt hat zwar
einen genau definierten inneren Zustand, der sich aus der augenblicklichen
Belegung seiner internen Datenfelder ergibt (man könnte in der Analogie
von einer Subjektivität sprechen), aber in dem rationalen System
der prästabilierten Harmonie ist es für die anderen Routinen
völlig uninteressant, etwas über diesen inneren Zustand zu erfahren.
Die Kommunikation ist rein funktional, und besteht in dem Ausführen von
Aufträgen. Für den Programmierer (-Gott) ist dies aber überhaupt
nicht uninteressant. Im Gegenteil: Die interne Information der Routinen ist
entscheidend wichtig für ihn, wenn er Modifikationen oder Eingriffe in den
Programmlauf machen will. Der Interaktor ist also ein Objekt, das mit einer
Kommunikationsschnittstelle zum Benutzer ausgestattet ist. Er ist ein Objekt,
das nicht nur interne Zustände hat, sondern sie auch mitteilen
kann. Ist der Interaktor damit vom Objekt zum Subjekt geworden? Wenn
wir den Ausführungen von Jaynes folgen, so hat die Sprache, also die
Mitteilungsfähigkeit der eigenen inneren Zustände einen
entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung des menschlichen
Bewußtseins gehabt. Ein Universum von Objekten, die rein funktional
über ihre Messages miteinander kommunizieren, ist behavioristisch,
seelenlos. Die Einführung einer speziellen Sprache zur Kommunikation
über die inneren Zustände ist in der Analogie die
Hiero-Glyphe, das heiligen Zeichen der Kommunikation mit den
Göttern. Und diese war nach Jaynes ein entscheidender Faktor in der
Bewußtwerdung der Menschheit.
A-ACTOR.DOC
Andreas Goppold
Die Software-Technologie des Inter-Aktors
ART-TEAM.DOC
A. Goppold
Team-Integration durch vernetzte Aktoren
BOLTER90
Bolter, J. David
Der Digitale Faust
Klett-Cotta Oktogon
Stuttgart 1990
orig. Turing's Man
Uni of North Carolina Press
CHARON82
Charon, Jean E.
Der Geist der Materie
Ullstein, 1982
DEUSSEN66
Deussen, Paul
Die Sutras des Vedanta
Leipzig, 1887
Georg Olms Verlagsbuchhandlung
Hildesheim 1966
GÜN-OP-III
Günther, Gotthard
Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik
Band 3
Philosophie der Geschichte und der Technik - Wille - Schöpfung -
Arbeit - Strukturanalyse der Vermittlung - Mehrwertigkeit -
Stellen- und Kontextwertlogik - Kenogrammatik - Theorie der Zeit
Felix Meiner Verlag
Hamburg 1980
JAYNES76
Jaynes, Julian
The Origin of Consciousness in the Breakdown of the Bicameral Mind
Houghton Mifflin
Boston, 1976
UMRISSE93
Andreas Goppold
Umrisse des Leerstellendenkens
Institut für Informatik 3.2
Universität der Bundeswehr München
1993
VEDA-BODHA
Advaita Bodha Deepika
(Lamp of Non-Dual Knowledge)
Publ. T.N. Venkataraman
Sri Ramanashram Tiruvannamalai, 1979
VEDA-VIVEK
Viveka Chudamani
Kleinod der Unterscheidung
Shankara
O.W. Barth Verlag 1981
WEIZ76
Weizenbaum, Joseph
Computer Power and Human Reason
Freeman, San Francisco 1976
ZUSE-RAUM
Zuse, Konrad
Rechnender Raum