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2. Die Computer-Industrie und welthistorische Entwicklungen



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2.1. Die Notwendigkeit der historischen Perspektive

Um eine fortlaufende und so rasante Entwicklung wie die der Computerindustrie zu verstehen, muß man eine historische Perspektive entwickeln. Dies ist normalerweise erst einige Zeit nach den Ereignissen möglich, aber wenn es gelingt, sich von den Detailfragen und den technischen Verschleierungen freizumachen, ist dies auch zeitgleich möglich. Die Entwicklung der Industrialisierung und der Buchkultur liefern genügend brauchbare Parallelen. Einleitend deshalb eine Definition der Computerindustrie, die ein wenig überzeichnet einen wesentlichen Charakterzug dessen markiert, was uns hier an Entwicklung aufwächst. Aus dem Devil's Dictionary der Computerei
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Computer: Ein Werkzeug, um alle Produktions- Verwaltungs- und Kontrollvorgänge zu automatisieren und zu rationalisieren, die unnötig wären, wenn die menschliche Gesellschaft sich selbst etwas menschlicher und vernünftiger ernähren, fortbewegen, regeln und regieren würde.

2.2. Parallelen zwischen Weltgeschichte und Computerindustrie

Die neunziger Jahre sind eine Periode tiefgreifender Umschichtungen in allen Bereichen der Gesellschaft. Allen Anschein nach ist der Zerfall des Kommunismus und die damit verbundene Auflösung der globalen Machtblöcke Ost/West nur der Anfang einer noch weiterhin sehr Interessantes versprechenden Entwicklung der Menschheit auf diesem Planeten.

2.3. Kalter Krieg und Computer-Technologie-Revolutionen

Geht man von diesem globalen Szenario über zu einer Betrachtung der Computer-Industrie, kann man nicht umhin, auffallende Parallelen zu entdecken. Der kalte Krieg, mit seinem gigantischen Rüstungswettlauf, in dem sich ein ganzer Kontinent in den Ruin getrieben hat, ist in keiner Weise verschieden von den Mechanismen, mit denen die Hochrüstung im Megabyte- und Multi-MIPS- Bereich betrieben wird. Die Folgen hier sind genauso ruinös. Duch die sich überschlagende technische Innovation wird Kapitalvernichtung im größten Ausmaß betrieben, indem technisch noch völlig funktionsfähige Rechner durch neuere Modelle ersetzt werden müssen. Die dabei entstehenden Personal- Kosten durch beständiges Veralten von vorhandenem Wissen und der Notwendigkeit zu Neutraining fressen heute größere und größere Anteile von der verfügbaren Arbeitsleistung der Computerspezialisten auf, und drängt ältere Fachkräfte, deren Erfahrung dringend benötigt wäre, aus der produktiven Arbeit.

2.4. Umwelt-Zerstörung und Kultur-Erosion

Die Umwelt- Zerstörung der Halbleiterindustrie ist nicht so auffällig, wie die der konventionellen Industrien, aber die Effekte des völligen Umpflügens der in jahrhunderten gewachsenen bürgerlichen Medienkulturen durch die neuen Technologien und der damit verbundene Orientierungsverlust der Menschen und ihre Anfälligkeit für gezielte Desinformation durch die neuen Medien sind überhaupt nicht absehbar. (Man erinnere sich, daß die Hitler-Diktatur sich auf ein völlig neues Medium stützte, das Radio, (und geringer, den Film) mit dem ein ganzes Volk systematisch pervertiert wurde).

2.5. Mainframes und Kommunismus

Die Erosion der Maniframe- Kultur und der Zerfall des Kommunismus haben zwar auf den ersten Anschein wenig Gemeinsamkeit, da Mainframes sicher eine der schönsten Ausgeburten des Kapitalismus sind, aber wenn man ein wenig auf die darunterliegenden Strukturen schaut, entdeckt man doch einiges Denkenswertes. Die Mainframekultur wie die (zufällig) kommunistischen Diktaturen sind hierarchische Systeme, deren Fähigkeit, auf Wandlungen zu reagieren, in der Konkurrenz mit dezentralisierten Systemen unterlegen ist. Wie ich in der Diskussion CISC contra RISC zeige, gibt es fast keine wirklich technisch haltbaren Argumente für oder gegen einen der Kontrahenten, und so liegt es nahe, daß auch die Mainframe-Kultur von einer Ideologie geprägt ist, die es verstanden hat, sich jahrelang abzuschotten, aber letztlich den Realitäten nicht entrinnen konnte. Frühere Arbeiten zur Historischen Perspektive - Ich habe 1983 angefangen, die Entwicklung der Computerindustrie aus einer historisch/soziologischen Perspektive zu betrachten, und bin zu Ergebnissen gekommen, die exakt von den Ereignissen oder von anderen, ausführlicheren Studien bestätigt wurden. Z.B. die Thesen über den kulturellen Zusammenhang des Buchdrucks und der Microcomputer- Revolution ºHOLO83 ºBUCH-CMP84 ºGIES91 oder die Dynamik der IBM-orientierten Computerindustrie ºIBM-PC84. (siehe auch die Literaturverzeichnisse LPL-Bibliographie und Bibliographie von A. Goppold)

2.6. Was die Geschichte lehrt

Gerade in der Computer-Industrie ist es eine oft übersehene Tatsache, daß die heißen Themen von heute nichts anderes als wiederaufgewärmte Fragen sind, die schon diverse Male in der Geschichte der Industrie aufgetreten sind. So bietet das Studium der ersten Jahre der Computer, ca. 1940-1950, schon sehr viel Material, das uns hilft, heutige Vorgänge besser zu verstehen. Die Entstehung der Minicomputer in den 60er Jahren und die Microcomputer in den 70er Jahren zeigen, wie Veränderungen in der Kosten-Balance der Ausgangs-Technologien der Computer tiefgreifende Veränderungen im Markt, sowohl bei den produzierten Architekturen, als auch Veränderungen im Anwender-Profil nach sich ziehen.
Um andere Prozesse zu verstehen, genügt es nicht, die Geschichte der Computerindustrie allein zu betrachten. Die Computerindustrie steht im Augenblick in der "Sauerteig"-Phase, in der eine gesellschaftliche Entwicklung das Stadium des rasanten Wachstums in Nischenbereichen beendet hat, und nun wie die gesamte Masse so durchtränkt hat, daß von nun an das Bestehen der gesamten Masse nicht mehr ohne diese Komponente gesehen und verstanden werden kann. Historische Parallelen zu diesem Stadium lassen sich am besten noch in der Entwicklung des Buchdrucks in der frühen Neuzeit finden. Um die Bedeutung der damaligen Entwicklung richtig einzuschätzen, sollte man einen historischen Kunstgriff machen: Neuzeit wurde in in späteren Jahrhunderten aus der Rückschau das Zeitalter genannt, das begann, als sich das gedruckte Buch als Informationsmedium in der europäischen Gesellschaft durchgesetzt hatte. Dies war ungefähr im siebzehnten Jahrhundert der Fall, und damit hatte eine Entwicklung, die ca. 1450 mit dem in der Geschichte als Wendepunkt bezeichnetem Ereignis begann, nämlich dem Druck der Bibel durch Johannes Gutenberg, die "Sauerteig-Phase" erreicht. Siehe dazu auch ºGIES91. Gieseckes Analyse der Geschichte des Buchdrucks ist ein Muß für jeden, der die zukünftige Entwicklung der Computerindustrie beurteilen will, und dessen Entscheidungen von Projektionen auf die nächsten Phasen der Entwicklung abhängen.


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