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Noologie, Teil I:
Eine Strukturtheorie des Wissens

1. Kernthemen der Noologie

1.0. Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?

@ :KANT_AUFKLAERUNG
Auszug aus den Artikel von Immanuel Kant: "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" (1784).
AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.
Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen | (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen. Daß der bei weitem größte Teil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) [33] den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte, dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperreten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen, allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einigemal Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern und schreckt gemeiniglich von allen ferneren Versuchen ab.
1.1. Die Prinzipien der Noologie
to gar auto noein estin te kai einai
Denn dasselbe ist Erkennen und Sein.
Parmenides, [34] Vom Wesen des Seienden, B3

prejudices are found by contrast, not by analysis
P. Feyerabend (1975, p. 31)

It requires a very unusual mind to undertake the analysis of the obvious.
A. N. Whitehead

Kein Mensch kann Euch irgend etwas enthüllen,
ausser dem, was schon in der Morgendämmerung
Eures Bewusstseins schlummert.
Denn die Vision eines Menschen
leiht einem anderen Menschen nicht ihre Flügel.
Khalil Gibran

Die Vernunft ruft Ideen ins Leben, der Verstand findet Wahrheiten, Wahrheiten sind leblos und lassen sich mitteilen, Ideen gehören zum lebendigen Selbst ihres Urhebers und können nur mitgefühlt werden. Das Wesen des Verstandes ist Kritik, das Wesen der Vernunft ist Schöpfung. Die Vernunft erzeugt das, worauf es ankommt, der Verstand setzt es voraus.
Spengler (1980, 570)

Mit dem Begriff Noologie bezeichne ich meinen Ansatz eines Struktur-Systems von Meta-Wissen. Meta-Wissen ist Wissen über Wissen. Das Wort Noologie ist gebildet aus den griechischen Worten Noos / Nous und Logos. Diese haben im Deutschen einen gemeinsamen Bedeutungsbereich: Geist. So gesehen bedeutet Noologie: Die selbst-rekursive Anwendung von Geist auf Geist.

Mein Arbeits-Grundprinzip ist der Kantische Imperativ des "Sapere Aude: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" [35] In anderer Formulierung: "Selber Denken macht schlau." Dieses Arbeitsprinzip hat eine gewisse Verwandtschaft mit der englisch-amerikanischen Tradition der Common Sense Philosophy (C.S. Peirce, W. James). In wieder etwas anderer Formulierung findet sich das Prinzip bei Cusanus, als "docta ignorantia". Das Motiv dieser Fassung beinhaltet eine Vorsichtsregel, die vor allem für alle diejenigen wichtig ist, die (glauben, dass sie) viel wissen. Denn ein grosses angehäuftes Wissen ist oftmals eine sehr effektive Abwehr gegen das Hinterfragen von "Selbstverständlichkeiten". Eine ganz besonders hintergründige versteckte "Falltür" solcher Selbstverständlichkeiten ist die alte Bedeutung des lateinischen Wortes "sapere", das nicht nur "denken" bedeutet, sondern auch "schmecken". Somit beinhaltet der Kantische Imperativ noch einen ganz unauffälligen Bezug zu jenem anderen "un-heimlichen" Imperativ aus der Genesis: "Von den Früchten des Baumes der Erkenntnis sollt Ihr nicht naschen" [36]. "Sapientia" ist wiederum äquivalent mit "Sophia", und somit finden wir uns sofort mitten drin in einem recht verwickelten Semantik-Rhizom, das irgendwie, wir wissen nur nicht so genau wie, im Ur-Sprung all unserer existentiellen Verwicklungen von "Geist und Welt" liegt.

Mit dieser "verwickelten" Programmantik stütze ich mich zwar auf die mir bekannten ortho- und heterodoxen philosophischen Traditionen, nehme mir aber die Freiheit, sie so zu interpretieren, wie ich sie verstehe(n möchte). [37] (Siehe: Das Imho-Prinzip). [38] Die Begründung hierfür ist das Nicht-Identitäts-Prinzip der Noologie: Ein Gedanke, einmal reflektiert, ist ungleich dem Gedanken, wie er original gefasst wurde. [39] Weiterhin hat sich der Reflexions-Kontext aller Gedanken im Prozess der immer weiter schreitenden gesellschaftlichen und individuellen Reflexion ebenfalls geändert. Nach dem Abhängigkeits- oder Relativismus- Prinzip [40] der Noologie ist die Bedeutung von Gedanken immer auch von ihrem Reflexions-Kontext abhängig, und der ist oft wesentlich verschieden von dem, als sie entstanden sind.

1.2. Strukturthemen und Bedeutungsfeld der Noologie
1.2.1. Das "Design in Spannungsfeldern"
@ :DESN_SPF1
Denktechnisch basiert das Arbeitsprinzip der Noologie auf einer Methode, die ich "das Design in/ von Spannungsfeldern" nenne. Wesentliche Bedeutung haben vor allem "Tripolare Spannungsfelder". [41] Das Aufeinander-Einwirken von konzeptuellen Spannungsfeldern [42] und ihre letztliche Entladung führt zu Strukturen. Diese Strukturen formen Muster, und dieser Musterformation wohnt eine Logik inne. Das System des Ken Wilber mit seinen Quadranten und Holons ist ein Beispiel für ein solches logisches Struktur-System. Mit der Methode der Spannungsfelder sind aber auch andere strukturell äquivalente Musterbildungen möglich, und es kommt darauf an, sich hier eine gewisse Flexibilität zu schaffen und zu bewahren. Die Welt der Erfahrung und die Welten des Geistes, sowie ihre Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit, lassen sich m.E. nicht mit einem einzigen Super-Muster "einrahmen". Es ist zu erinnern, dass es die wohl grösste geistige Errungenschaft der heutigen Wissenschaft ist, dass jede neue Erkenntnis zumindest prinzipiell alles über den Haufen werfen kann, was die gesamte Menschheit bis jetzt gedacht und für "ewig wahr" befunden hat. [43]

Wie in der Einleitung schon gesagt, stelle ich nicht den Anspruch, Wilber so zu verstehen, wie er selber sich darstellt und von anderen verstanden werden möchte. [44] Sein System ist viel zu gewaltig, als dass irgend jemand behaupten könnte, es zu verstehen oder gar kritisieren zu wollen. Stattdessen kann man ihm dankbar sein, dass er diese gewaltige Synthese-Aufgabe aufgenommen hat, und sogar, wenn er damit gescheitert sein sollte, ist dieses Unterfangen doch "heroisch" zu nennen. (Nach G. Bruno: Heroische Leidenschaften). Mit Nietzsches Differenzierung von "Apollinisch" und "Dionysisch" lässt sich ziemlich elegant das Moment der Energeia einflechten, das ich in Wilbers grossem Werk vermisse. Nietzsches Philosophie streift er nur in ein paar Nebensätzen (452: Antimodernist, 503: mystische Öffnungen). Im Index von EKL gibt es nur 8 Einträge zu Nietzsche, und von denen sind 3 falsch. Zu Heraklit hat er praktisch nichts zu sagen (EKL: 411), und das ist m.W. auch falsch. Das ist ein be-deutsames Indiz für eine einseitige Ausrichtung seines Systems.

Der hier abgebildete Wilber'sche Quadrant dient weiterhin als Beispiel für die Errichtung von perspektivischen, pyramidalen Hierarchie-Strukturen, die auch eine wesentliche Arbeitsmethode der Noologie sind. Ich möchte dabei auch anmerken, dass es nicht ganz zufällig ist, dass dieser Quadrant in seiner Form den heutigen technologischen Waffen-Zielgeräten mit ihren Fadenkreuzen sehr ähnlich sieht. Diese Tiefen-Bezüge zwischen Denken (Symbolisierung) und Waffentechnik, insbesondere der Ballistik (Syn-Ballein) habe ich in anderen Artikeln der Symbolator-Serie schon herausgearbeitet. Hier ein wesentlicher Text dazu: "Neuronal Resonance and User Interface Technology", (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol12.htm

@ :WILBER_QUADRANT

Abb.: Das Wilbersche Quadranten-System (aus Wilber IMPR)

Der Vergleich mit und der Kontrast zu dem Wilber'schen System ist hilfreich, um das "Design in Spannungsfeldern" der Noologie zu erläutern: Sowohl das Quadranten-Prinzip wie auch die Holons basieren auf einem Spannungs-Prinzip von (Zusammen-Halt / -Hang) versus (Disintegration / Distinktion). [45] Die Spannungsfeld-Notation dafür ist:
(Kohäsion / Synbolae <-> Disintegration / Distinktion / Differenz / Diabolae)

In anderer Form steht dies als das Motto der Alchimie:
(solve <-> coagula)

Diese grundlegenden Phänomene finden sich sowohl im Sinnes-System, d.h. in der Arbeitsweise des Nervensystems, als auch in der physikalischen und belebten Natur. [46] Die wichtigste Anwendung und Ausformung dieses Prinzips ist die Dichotomie, eine Grundfunktion neuronaler Prozesse. [47] Der "Dualismus" ist die Sichtweise, die man erhält, wenn man nur das "Gewordene" betrachtet, also wenn sich die Spannungsfelder entladen haben. (Siehe Korvin-Krasinski: 1986, 12-14). Fatal wird der Dualismus, wenn es um moralische Kategorien, also "Gut" und "Böse" bzw. die "wahre" oder die "falsche" Lehre geht. Dichotomie ist auch ein Grundphänomen der Handlung, denn eine jede Handlung zu einem bestimmten Zeitpunkt schliesst alle anderen möglichen Handlungen aus. In ähnlicher Weise enthält das Prinzip der Bifurkationen bei Laszlo (und in der Systemtheorie) eine Ausformung der Dichotomie. In der Aristotelischen Darstellung wird das Feld der "Potentialität" (aller nur möglichen Entwicklungen) durch den "Actus" (die Handlung) eingegrenzt.
->: DUALISMUS, p. 224

Ein Quadranten-Schema basiert auf einer doppelten Dichotomie, in der Diktion der Noologie: Zwei konjugierte Spannungsfelder. Bei Wilber ist es die zwischen Innen und Aussen (Left / Right), und zwischen Individual und (Cultural / Social / Relational) (Upper / Lower). Die Spannungsfeld-Notation dafür ist:

(Innen / esos / emisch <-> Aussen / exos / etisch)
^
|
v
(Individual <-> Cultural / Social / Relational)

Die Konjugation der zwei Spannungsfelder wird hier durch die vertikale Anordnung und die verbindenden Pfeile ^|v angedeutet. Dies liesse sich zwar noch graphisch ausgefeilter darstellen, aber das Prinzip sollte auch mit der hier verwendeten ASCII-Zeichen-Darstellung sichtbar werden. [48]

Der Zusammen-Halt / -Hang von Holons wird davon determiniert, welche Stellung der "Kampf" (agon, ant-agonismus) zwischen den disintegrierenden Fliehkräften (Zentrifugal) und den einigenden Ordnungskräften (Zentripetal) gerade innehat. [49] Das wurde oben schon so dargestellt:
(Kohäsion / Synbolae <-> Disintegration / Distinktion / Differenz / Diabolae)
Es lässt sich analog auch formulieren:
(Der Weg zum Einen <-> Der Weg zu den Vielen)
Siehe dazu auch weitere Erläuterungen unter:
->: HOLON_ARCHIE, p. 79; ->: SPEKTRUM_GREGATIONEN, p. 278

Wilbers Zentralthemen von "Aufstieg" von der Materie-Ebene hin zum "absoluten Geist" (oder "Spirit" in Wilberspeak) und "Abstieg" von der "absoluten Geist"-Ebene hin zur Materie) [50] werden in der Noologie mit den griechischen Original-Begriffen "Anabasis" und "Katabasis" bezeichnet. Dies ist in gewisser Weise eine Wieder-Holung und Anders-Formulierung (Paraphrase, Metamorphose) des letzten Spannungsfelds. Es ist das ewige Drama, das auf allen Ebenen des Kósmos vom Beginn an (ex archaes), bis in alle Ewigkeit weitergespielt wird (eirousai ta t' eonta ta t' essomena pro t' eonta). [51]

(Anabasis <-> Katabasis)

Die graphische Darstellung der Bewegung der Anabasis ist in dem Quadranten zentrifugal (also vom Zentrum des Fadenkreuzes mit der Bewegungs-Richtung nach aussen) markiert. Die Katabasis geht von aussen nach innen (zentripetal). Hier verbirgt sich ein kleines graphisches Missverständnis, da nach Wilber der "Spirit" im Zentrum seines Denksystems steht, und nicht die untersten Holons (Materie, Prehensions). Man kann noch eine andere Perspektive auf den Quadranten entwickeln, in dem man ihn als eine hohle, umgekippte Pyramide ansieht, auf deren Basis wir von oben schauen, und in ihrer tiefsten Tiefe befinden sich die untersten Holons. Das ist zwar als Visualisations-Aufgabe etwas unkonventionell, aber es erläutert die Konstruktionsprinzipien des Wilber'schen Systems bestens. Zur Eingewöhnung an solche morphologischen Transformationen empfehle ich die Übungen in einem späteren Kapitel:
->: GENERAL_NN, p. 94; ->: BORING_FRAUEN, p. 97; ->: AUGE_PYRAMIDE, p. 99

Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem noologischen "Design in Spannungsfeldern" und Wilbers System ist der: Wilber liefert etwas "Gewordenes" (ergon) [52], das sich zwar zwischen seinen aufeinander abfolgenden Büchern immer wieder verändert, [53] aber er stellt jedesmal ein in sich geschlossenes System vor (oder versucht es wenigstens). Das "Design in Spannungsfeldern" stellt sich eine andere Aufgabe. Hier versuchen wir, direkt in den kreativen Prozess des "Werdens" (en-ergeia) einzusteigen und auch die Leser/in mit in diesen Prozess einzubinden. Das ist natürlich ein etwas unkonventionelleres Verfahren, und mag am Anfang auch schwieriger zu verstehen sein, aber da die Noologie auch auf ein Handlungs- und Praxis-System zielt, ist das erforderlich. Um Handlung und Praxis zu be-handeln, muss man den Prozess als solchen in das System mit einbeziehen, dafür muss man ein paar Kunstgriffe anwenden. Die sollen im Folgenden entwickelt werden.
Die Tensional Integrity der Spannungsfelder
Ein weiterer Kontrast zur "gewordenen" Darstellung bei Ken Wilber ist hier, dass die Spannungsfelder "von selbst" dafür sorgen, dass eine bestimmte geometrische / räumliche Konfiguration "aufgespannt" wird. [54] Dies verhält sich analog zu den Elektronen-Raumladungswolken von Molekülen. Die Konjugation von zwei Spannungsfeldern mit demselben "Landungspotential" ist in der Ebene notwendigerweise quadratisch, und im Raum ein Tetraeder. Auf diese Weise lassen sich die Konfigurationen, die den Platonischen Körpern zugrundeliegen, auch logisch und quasi-physikalisch fundieren. Wenn sich etwas in der Konfiguration der Spannungsfelder ändert, dann ordnen sie sich auch wieder "von selbst" in eine neue räumliche Position. Dies ist wiederum ein Prinzip der Meta-Morphologie, die die Logik der Transformationen (Metamorphosen / Meta-ballein) einsichtig macht.
1.2.2. Das Bedeutungsfeld der Noologie, ein Struktur- / Transformations-System des Noos
Es ist für mich das Gleiche,
von wo ich anfange; denn dahin kehre ich wieder.
Parmenides
@ :BEDEUT_NOOS
Der folgende Abschnitt enthält so etwas wie die "zentrale Schaltstelle" der Noologie. Hier finden sich alle Schlüsselthemen, die in den folgenden Kapiteln weiter ausgeführt werden. Und hierhin kehre ich in der rekursiven Reflexion auch immer wieder zurück.

Noologie ist der Umriss / Entwurf eines Struktur-Systems des Nous / Noos, [55] sowie eines Struktur-Transformations-Systems, das ich Meta-Morphologie [56] nenne. Ich beziehe mich in der Formulierung des Noos historisch auf die Schrift von Parmenides "Vom Wesen des Seienden", ohne aber den Anspruch zu stellen, dass ich mit Nous / Noos dasselbe meine wie er. [57] Die Grundthemen des Noos sind: Erkennen, Unterscheiden, Erinnern, Reflexion und Selbst-Reflexion. Weiterhin umfasst die Noologie in meiner Diktion noch folgendes Bedeutungsfeld: Wissen, Denken, Verstand, Vernunft, Bewusstsein, Vorstellung, Spirit(uell), Geist, Logos, Intellectus, (co-)gnoscere [58], Kognition, Mind, Gedächtnis, Erinnerung, [59] (Selbst-) Reflexion, Common Sense, aber auch Emotion, Empfinden, Empathie, [60] Leiden, [61] Lügen, List, Gedanken-Verdreherei oder Tropo-Noesis, [62] Humor, [63] Phantasie, Poesie, Intuition, Mythos, Mystik, Prophesie und sogar Märchen. [64] Unter der Bezeichnung "Spirit" taucht ein ähnliches Thema auch bei Wilber an zentraler Stelle auf. [65]
Der Noos der Noologie und die philosophische Tradition
Ich versuche hier, ein System zu entwerfen, das möglichst unabhängig von dem Gebrauch des Wortes "Nous" in der philosophischen Tradition bleibt, wie etwa bei Plotin. Inhaltlich geht die Noologie eher in die entgegengesetzte Richtung zu Parmenides. Während Parmenides sich vor allem auf das "ewig und unveränderlich Seiende" bezieht, und dies zum Thema seines Diskurses macht, behandelt die Noologie vor allem die Aspekte des Werdens, der Wirk-Kräfte, und des Prozesses.

Parmenides hat in seiner Schrift m.W. auch gar nicht von "Nous" gesprochen, sondern nur von "Noein". Dies ist bedeutungsvoll, da hier noch "Noein" als Handlung thematisiert wird. In meiner Sichtweise ist es nur als Konventions-Mittel erlaubt, "Nous" als Begriff zu verwenden. Vor allem ist es möglichst zu vermeiden, ihn sachlich oder dinglich zu verstehen. Verdinglichung und Substanzialisierung ist ein Problem mit dem Gebrauch von "Geist" und "Spirit", das sich trotz aller Vorsichtsmassnahmen in die Philosophie (bzw. das populäre Verständnis) einschlägiger Werke von Hegel bis Wilber eingeschlichen hat. Die Verdinglichung von "Geist" und "Spirit" birgt ein ontologisches Grundproblem: Welchen ontologischen Ort soll "Geist" im Kontrast zu den "Dingen der Welt" und den "Empfindungen des Subjekts" annehmen? Das soll später unter "Einzelthemen der Noologie" wieder aufgegriffen werden. [66] Eine ausführliche Einführung zu der Rolle von Noos und Logos in der altgriechischen Philosophie findet sich bei Leiber (1996, Teil I, p. 57-124). In Übereinstimmung mit Wilber behandele ich das Thema des Noos als Shunyata-Konzept, also als Leere.
Das "Aristo Telos" der Noologie
In Anlehnung an den Dharma-Weg des Buddha orientiert sich die Noologie hin auf ein Fernziel, ohne aber den Anspruch zu stellen, dass dies hier oder überhaupt erreichbar wäre. Es kommt hier nicht darauf an, dass man ein Ziel (telos) nennt, das man im leistungsorientierten Sinn erreichen kann oder möchte, sondern dass ein "Höchstes Ziel" (aristo telos, peras) existiert, an dem man sein Bemühen ausrichtet, auch wenn man genau weiss, dass man es (nach menschenmöglichen Masstäben) nie erreichen kann. [67]

Das Aristo Telos der Noologie ist:
1) richtiges Wissen (Ortho-Noesis),
2) richtiges Können (Ortho-Dynamis),
3) richtiges Handeln (Ortho-Poiesis) und
4) richtiges Betrachten oder Reflektieren (Ortho-Dia-Noesis). [68]

Ortho (gr) := aufrecht, gerade. Es ist ein Ziel der Noologie, Wege zu einer Formulierung der "Ecology of Mind" nach Bateson zu finden, ohne in dieselben Denkfallen zu geraten, in die praktisch alle existierenden Ortho- Systeme geraten sind, die apodiktisch den Anspruch stellen, "die Wahrheit" oder "das Absolut Richtige, Gute und Schöne" zu formulieren. Im Hintergrund besteht hier ein Spannungsfeld zwischen dem, was aus irgendeinem Kontext einmal erkannt und gesagt worden ist, und wie gut und pragmatisch zutreffend es für den gegebenen Kontext vielleicht ist, das besagt noch nichts darüber, dass das in späteren und anderen Kontexten noch gültig ist. Hier ist insbesondere das Nicht-Identitäts-Prinzip der Noologie von Bedeutung: Durch die progressive Reflexion werden Gedanken "aufgehoben", und somit auch ihrer ursprünglichen Wirk-Kraft (dynamis) entkleidet. Oder anders ausgedrückt: Der menschliche Verstand ist so "vielgewunden" (poly-tropos), dass er es immer wieder geschafft hat, mit wenig Anstrengung die "Grösste Wahrheit" zum "Grössten Irrtum" der Menschheitsgeschichte umzufunktionieren (en-tropia). ->: LUEGE_LIST, p. 171
1.2.3. Die Spannungsfelder der Noologie
@ :NOO_SPF
Man führt zur Betrachtung der Welt simultan zwei komplementäre Blickwinkel ein, von denen sich jeder unzweideutig in klar verständlicher Sprache ausdrücken lässt und die beide, voneinander getrennt, falsch sind.
Nils Bohr: Das Prinzip der Komplementarität

Das Bedeutungsfeld der Noologie soll jetzt mit der Methode der Spannungsfelder systematisiert werden. Eine weiter vertiefende Diskussion der Methode der Spannungsfelder folgt noch unter: ->: DESN_SPF2, p. 53
1.2.3.1. poiesis <-> pathesis
@ :POIE_PATHE
Das erste Spannungsfeld der Noologie ist, wie unter "Leit- und Leidmotive" schon angedeutet, das von "poiesis" und "pathesis", auf Deutsch: Das (Er-)Schaffen und (Er-)Leiden. Der poiesis- Aspekt der Noologie umfasst auch noch das Bedeutungsfeld von dynamis und energeia, auf Lateinisch: potentia. Diese Aspekte charakterisieren, wie das Wort Potential auch andeutet, die Fähigkeit, zu (Er-)Schaffen. Diese Fähigkeit lässt sich allerdings nur anhand von etwas real (Er-/Ge-) Schaffenen (dem ergon, wergon, oder Werk), er- be- und auf-weisen. Die poiesis ist wesentlich das Programm, das die Wissenschaft und Technik seit ca. 300 Jahren verfolgt hat: "Wissen als Macht", zuerst das Erkennen und dann das Verfügungswissen über die Welt. [69] Weniger polemisch formuliert ist dies das Appetenz-Prinzip des Wissens (-Erwerbs), welches in neo-freudianischer Sprechweise also den Antrieb des Sich-Einverleibens auf die noetische Ebene translatiert (Wilberspeak). [70]

(Noologie <-> Nosologie <-> Noo-Pathologie)

Der pathesis- Aspekt ist das Leidens-Vermeidungs-Prinzip von Wissen, das im Volksmund auch so ausgedrückt wird: "Durch Schaden wird man klug". Etwa zeitgleich mit Parmenides vor ca. 2500 Jahren hat der Buddha mit der Dharma-Lehre den Grundstein für die systematische Erforschung des pathesis- Aspekts gelegt. Naheliegend gibt es das griechische Wort "Nosos" für "Krankheit", "Leiden", und damit können wir den passenden Begriff "Nosologie" prägen. [71] Nosologie ist das Wissen vom und über das Leid(en). ->: NOSOLOGIE, p. 141

(Ortho-Noesis <-> Noo-Pathesis)

Ein weiteres Leidens-Prinzip von Wissen wird durch das Spannungsfeld von (Ortho-Noesis <-> Noo-Pathesis) ausgedrückt. Dies lässt sich so interpretieren: Die Philosophie versucht in ihrer kollektiven Anstrengung, sich möglichst an Themen der Wahrheit aus- und aufzurichten, daher der Begriff Ortho-Noesis. [72] Es ist unmittelbar einsichtig, dass es wohl nur wenige (aber bestimmt nicht nur eine einzige) Formen und Darstellungen von Wahrheit gibt, aber dass die Zahl der Dar- und Vor-Stellungen des Falschen unendlich ist. Trotzdem kann man eine Systematik des Falschen erstellen, die nicht unendlich ist: Die "Noo-Pathologie". Es handelt sich dabei um die Pathologien des "Wissens an Sich". Pathologie wird dabei so verwendet, wie es der heute gebräuchlichen medizinischen Sprechweise entspricht. Dies wird in einem späteren Kapitel als ein wesentliches Fokusthema der Noologie weitergeführt.
->: NOO_PATHOLOGIE, p. 158; ->: LUEGE_LIST, p. 171
1.2.3.2. anabasis <-> katabasis
@ :ANA_KATABASIS
What goes up, must come down, that is the eternal merry-go-round.
A.G.
Schicksal und Kausalität verhalten sich wie Zeit und Raum.
Spengler (1980, 155)
Alles Gewordne ist vergänglich.
Spengler (1980, 216)

Das Spannungsfeld von (poiesis <-> pathesis) ist in etwas anderer Formulierung das Spannungsfeld von (anabasis <-> katabasis), auf Deutsch: (Hinauf <-> Herunter). Das ist eines der fundamentalsten Konzepte in Wilbers Begriffs-System, und bestimmt auch für die Noologie den Gang der Gedanken. Anhand des Beispiels lässt es sich so darstellen: "Nosologie" taucht in der westlichen Tradition auch unter dem Begriff "Soteriologie" auf, und steht damit im polaren Kontrast zu "E-soterik". [73] Während Esoterik ein Unternehmen der anabasis ist, [74] also ganz nach oben hinauf will (in die ultimaten Höhen des Non-Dualen Bewusstseins), ist die Soteriologie ein Unternehmen der katabasis, denn sie geht ganz nach unten, in die Niederungen des menschlichen Leidens und all der sonstigen Pathologien der "conditio humana". Die tibetische buddhistische Tonglen-Meditation ist ein Beispiel für katabasis. [75] Das Spannungsfeld von (poiesis <-> pathesis) ist ebenfalls in den Urmythen der Menschheit "aufgehoben", und zwar in der biblischen Genesis (dazu später mehr), und im Mythos der Zwillings- Kultur-Heroen Pro-metheus und Epi-metheus (Hesiod, ca. -700). [76]

In den spirituellen Traditionen ist anabasis der Weg des Yogi, Sadhu und des Arhant. Siehe EKL, 701: "Der frühe Buddhismus war praktisch eine reine Aufstiegs-Bewegung zum Kausalen... Das war in allen wesentlichen Belangen ein reiner Gnostizismus. Die Mahayana-Revolution, insbesondere in Nagarjunas Madhyamika-Lehre, war dagegen durch und durch nichtdual (advaya) und sah Nirvana und Samsara als 'nicht zwei'... [im Weiteren Nagarjunas Angriffe gegen] die frühen Schulen des Buddhismus (Theravada und Abhidharma), ... viele Übereinstimmungen mit Plotins Angriffen gegen die Gnostiker" ... "Es lässt sich wohl ohne grosse Übertreibung sagen, dass fast alle nichtdualen Traditionen der Welt gänzlich oder teilweise auf Plotin und Nagarjuna zurückgehen." [77]

In der Noologie umfasst (anabasis <-> katabasis) auch noch:
(Werden / Er-Zeugen <-> Vergehen / Zerstören / Auflösung)
Dies berührt sowohl das Zentralthema des Kosmogonischen Eros als auch die Formulierung des Apeiron bei Anaximandros.
->: ANAXI_APEIRON, p. 105; ->: EROS_KOSMOGONOS, p. 233
1.2.3.3. Das Struktogramm von ais-thaesis und phai-no(e)sis, pragma und theoria
@ :STRUKT_THEORIA
Eine etwas kompliziertere Anordnung liefert das Struktogramm von "ais-thaesis" und "phai-no(e)sis" das in etwa der Wilber'schen Differenzierung von Aussen- und Innen-Ansicht entspricht. Die Komplexität entsteht dadurch, dass wir hier wieder "konjugierte Spannungsfelder" vorfinden:
(ais-thaesis <-> phai-no(e)sis)
^
|
v
(anabasis <-> katabasis)

In linearer Schreibweise sieht das so aus:
((ais-thaesis <-> phai-no(e)sis) <-> (anabasis <-> katabasis))

Ich verwende zur graphischen Darstellung statt des Quadranten nun ein Struktogramm. [78] Dieses stellt den Prozess der Dichotomie (das Auseinander-Schneiden) [79] von "Denken" (Noos) und "Welt" (Pragmata) dar.

Welt
^
pragma, chraema (ding-Gebilde)
^
ais-thaesis <-> phai-no(p)sis
^
phai-no-men-on <-> theatron .
v
phai-no(e)sis <-> theoria .
v
nou-menon (denk-Gebilde)
v
nous

Abb.: Das Struktogramm von "ais-thaesis" und "phai-no(e)sis"

Das Struktogramm ist so zu lesen: "ais-thaesis" umfasst alle Wahrnehmungen, die der Klasse der Aussen-Ansichten (Wilberspeak) zugeordnet werden, und "phai-no(e)sis" umfasst die Klasse aller Innen-Ansichten. Hierfür steht der bekannte philosophische Begriff der Phänomenologie. Das Wirken des Spannungsfelds von "Anabasis" und "Katabasis" führt dann zum Auseinanderfallen / Zertrennen (Dichotomie) in die Polaritäten von "Geist" / Nous und Welt. Die "Pragmata" / "Chraemata" ist der Gattungsbegriff für "alle Dinge dieser Welt", während die "Theoria" [80] das Gesamtsystem der Anschauungen und Vorstellungen [81] von der Welt ist, in anderen Worten die Kartographie, oder das Welt-Bild.

Das Vorhandensein eines weiteren Spannungsfeldes wird durch die griechische Wurzel the- angedeutet. Hier taucht die Komponente des Theo-logischen auf, welche ich hier etwas anders bezeichne: die Gnoseologie. Eine weitere Interprationen dieses Struktogramms finden sich in dem Kapitel "Peri mnaemae kai ana-mnaesis, peri ais-thaesis kai phainosis".
->: LOGOS_SPERMATIKOS, p. 47; ->: PERI_MNAEME, p. 199
1.2.3.4. Vergessen <-> Gedächtnis / Er-Innern
@ :MNEME_ANAMNESE
(laethae <-> mnaemae / anamnaesis / alaetheia)

Das Spannungsfeld wird durch diese griechischen Begriffe gebildet: (laethae <-> mnaemae / anamnaesis / alaetheia). [82] Der Term alaetheia hatte in der alt-griechischen Philosophie noch eine besondere Bedeutung, die aus der Mythologie stammt, nach der die Seelen aus dem Strome des Vergessens, der Laethae, trinken mussten, bevor sie die Wiederverkörperung erlangen konnten, und die A-Laetheia war im mythologischen Sinn die Wiedererinnerung an frühere Leben. [83] Im weiteren philosophischen Gebrauch wandelte sich die Bedeutung zu "Erkenntnis". Laethae, der Strom des Vergessens, wurde in der Thermodynamik zur Entropie umgedeutet. Im Rahmen der Noologie ist Entropie der Sammelbegriff dafür, dass mit dem Wirken des "Zahns der Zeit" alle Gedächtnisspuren wieder ausgelöscht werden. Vilem Flusser hat mit einer Glanznummer jüdischer talmudischer Logik die biblische Genesis als Ur-Skript von In-Formation und Entropie interpretiert. [84]

One in-forms (creates improbable situations), to counterposition the "spirit" against the matter which has the absurd tendency to gravitate towards thermal death [entropic equilibrium]. When inscribing or graphing, this "spirit" penetrates into a material object in order to "inspire" it, meaning to make it improbable. But the objects are treacherous, their tendency towards entropy will erase in time all the in-formations that have been engraved. Everything which the "spirit" imprints into the objects, will be forgotten in time...
"Spirit" can only want to achieve that the time before its in-formations have withered away, will be very long...
Materials have the property that the longer they preserve the in-formation the harder it is to inscribe them...
There is a solution to the dilemma: One can inscribe a clay brick and bake it afterwards...
The invention of baking bricks for the purposes of hardening memory is a high achievement of "spirit" and the whole history of the west can be seen as a series of variations of this theme...
Vilem Flusser (1990: 14-17), transl. A.G.

Gedächtnis und Er-Innern berühren wohl die tiefsten und immer noch unergründlichsten Themen des Noos: Die Zeit. Hier ist aber eine andere Zeit gemeint als die physikalistische Newton/ Einsteinsche Zeitvorstellung: Nach Newton (und der in seinem Zeitalter massgeblichen geordneten Kosmo-Mechanik) fliesst die Zeit gleichförmig wie ein Fluss, sie ist der uniforme Hintergrund, vor dem sich alles ereignet, was nur Prozess sein kann. Bei Einstein hat sie den Charakter eines Raumzeit-Gefüges angenommen, und wird damit gemäss den Denk-Gewohnheiten der Mathematik prinzipiell reversibel. Aber die Thermodynamik und die tägliche Erfahrung lehren uns, dass nichts in der Welt reversibel ist. Das literarische Thema von Humpty Dumpty (Alice in Wonderland) illustriert die tagtägliche Erfahrung von Irreversibilität (Aussenansicht), andererseits macht die Erinnerung alles Erlebte ebenfalls irreversibel (Innenansicht). Daher gilt in der Welt der Erinnerung auch nicht das Grundprinzip der Mathematik: Die Identität. A zum Zeitpunkt t0 ist nicht gleich A zum Zeitpunkt t1, weil At0 noch in der Erinnerung präsent ist, und At1 damit sozusagen verdoppelt ist. Und wie Nietzsche bemerkte, [85] gibt es in unserer Welt keine Dinge, die absolut identisch gleich sind, so etwas kommt nur in dem idealisierten, zeitlosen, platonischen Denkraum der Mathematik vor.

Gedächtnis und Er-Innern bieten noch eine weitere Form des Spannungsfelds von (anabasis <-> katabasis). Im Deutschen ist das nicht mit festen Begriffen zu differenzieren, daher soll die Differenzierung von (mnaemae <-> anamnaesis) bei Aristoteles verwendet werden. Mnaemae (katabasis) ist der Gesamtbegriff für alle spontanen und automatischen Erinnerungsfunktionen, also all das, was uns das neuronale Gedächtnissystem in allen Prozessen des spontanen Wiedererkennens, bis hin zu den äusserst unwillkommenen Flashbacks einmal erlebter unangenehmer Situationen präsentiert, und Anamnaesis, (engl. recall) (anabasis) ist die bewusste Anstrengung, mit der man (oft vergeblich) sein Gedächtnis nach etwas durchsucht, von dem man weiss, dass es eigentlich irgendwo da sein sollte, aber man weiss nicht wo, oder wie man es gerade finden soll. Hier findet sich als Leit-Thema auch die Gedächtniskunst oder Mnemotechnik.

Ohne Gedächtnis gibt es keine (Erfahrung von) [86] Zeit, keine Vergangenheit, keine Gegenwart oder Zukunft. Dies ist ein weiteres essentielles Thema des Noos. Wilbers Zentralthema der Evolution ist eine Ableitung dieser Gedächtnis-Funktion. [87] Irgendetwas (z.B. ein Lebewesen) kann sich nur entwickeln, wenn es irgendwo, und irgendwie, eine Gedächtnisspur von dem aufbewahrt, was es einmal war, und was es einmal erlebt hat. Lebewesen zeichnen sich im Kontrast zu Dingen durch diese Fähigkeit aus, und man muss erst einmal eine plausible informationstechnische Funktion finden, die es denkbar macht, dass der Kósmos als Ganzes ein Gedächtnis hat. [88] Im Darwinistischen Konzept der Evolution stellt das Genom die Gedächtnisspur dar, die das Leben seit seiner Entstehung vor ca. 4 Mrd Jahren ungebrochen mit sich trägt. Es ist wissenschaftlich noch nicht geklärt, wie das Gedächtnis der Organismen funktioniert. Die Neuronen des Gehirns spielen da zwar eine Rolle, aber da alle Lebewesen (eine Art von) Gedächtnis aufweisen, ist das Nervensystem wohl nicht der Hauptfaktor der Gedächtnis-Funktion.
1.2.3.5. Subjective / Indvidual <-> Objective <-> Collective / Cultural / Relational
@ :SUB_OBJ_SEM
(SUB <-> OBJ <-> SEM)

Zur Darstellung dieses Spannungsfeldes folgen wieder die entsprechenden Begriffe von Ken Wilber (IMPR): In seinem Quadranten steht Subjective / Indvidual in der "Upper Left", Objective ist "Upper Right", und seine "Lower Half" wird hier "SEM: Collective / Cultural / Relational" genannt.

Ich führe hier auch einen neuen Typ des Spannungsfelds ein: das tripolare Spannungsfeld. Dies sind in dem Diagramm die ontologischen Welten von SUB, OBJ, und SEM, die in gegenseitiger Kommunion stehen, die sich nach dieser Darstellung nicht in eine einzige Hierarchie zwingen lassen. Eine eingehendere Diskussion dieses Themas folgt in einem späteren Kapitel.
->: ORTE_SUB_OBJ, p. 108




Abb.: Das Spannungsfeld von
(SUBjective / Indvidual <-> OBJective <-> SEM: Collective / Cultural / Relational)

SUB und OBJ entsprechen der "Upper Half" von Wilbers Quadranten, und die "Lower Half" heisst SEM. In der Alltagssprache nennen wir SEM auch: Das Zwischenmenschliche. Es ist zwar möglich, den Bereich SEM in zwei Hälften aufzuspalten, wie bei Wilber, aber das ist m.E. nicht nötig. In der Ethnologie spricht man zwar auch von unterschiedlichen Sichtweisen: "emisch" (Innen) (Wilberspeak: Interior Collective, Cultural) und "etisch" (Aussen) (Wilberspeak: Exterior Collective, Social). [89] Allerdings haben SEM-Systeme kein Selbst- oder Ich-Bewusstsein wie höhere Organismen, und so kann das nur metaphorisch gelten. Die "Lower Left" ist auch der fragwürdigste Teil in Wilbers System. Die tiefere Diskussion über die Pro's und Kon's soll später geführt werden. Verkürzt lässt sich das so darstellen: Wilber konstruiert eine Hierarchische Monistische Ontologie, in der sich alles auf das Element "Spirit" begründet. [90] Das (SUB <-> OBJ <-> SEM) - Modell formuliert eine Triadische Ontologie, in der die Elemente in gegenseitiger Inter-Dependenz bzw. gegenseitiger Kommunion stehen.
1.2.3.6. Mental / Cognitive <-> Emotional / Empathic
@ :MENTAL_EMOTIONAL
Unstet treiben die Gedanken / Auf dem Meer der Leidenschaft
Schiller, Gedichte: Würde der Frauen

Mit der obigen Unterscheidung der Bereiche OBJ und SEM tut sich ein weiteres wichtiges Spannungsfeld auf: Das von Mentaler / Kognitiver vs. Emotionaler Intelligenz (Mental / Cognitive <-> Emotional / Empathic). Wir können zwei verschiedene Grundtypen von Intelligenz unterscheiden, die sich entweder bevorzugt auf dem Bereich OBJ oder den Bereich SEM ausrichten. Ich kürze im Folgenden diese unterschiedlichen Ausrichtungen als OBJint und SEMint ab. Diese grundsätzliche Unterscheidung der Typen verschiedener Intelligenz-Ausrichtung entlang OBJ oder SEM ergibt dann einen fundamentalen Unterschied in der Konstruktion eines Gesamtsystems. Hier ist ein Punkt, an dem ich eine wesentliche Unterscheidung zu Wilbers System mache. Dies soll in einem späteren Kapitel wieder aufgenommen werden. Es wäre zwar theoretisch möglich, dieses Spannungsfeld auch als Variation des (poiesis <-> pathesis) -Feldes zu verstehen, aber da gerät man leicht in eine Denkfalle, in die vor allem die christliche Denktradition gefallen ist: Mitfühlen (Empathie) ist nicht gleich Mitleid(en). Dies hat besonders Nietzsche in seinen Polemiken gegen das Christentum herausgearbeitet.
->: EMOT_INTELL, p. 66
1.2.3.7. Liebe: Agape <-> Philia <-> Eros
@ :AGAP_PHIL_ERO
Das Feld von Emotion und Empathie führt uns nun in einen weiteren Ur- und Un-Grund: Die "Liebe". Ich möchte dieses Wort hier nur sparsam verwenden, weil es wie kaum ein anderes so abgegriffen und korrumpiert ist, dass es nur noch für Schlagwort-Wechsel und Schlager-Texte (unter Ausschluss von Denken) zu gebrauchen ist. Im antiken griechischen Sprachgebrauch gab es noch drei Worte für "Liebe": Agape (Nächstenliebe), Philia (Zuneigung, Liebe, Freundschaft), [91] und Eros (erotische, geschlechtliche, leidenschaftliche Liebe, Begierde, und Eros Kosmogonos nach Hesiodos). [92] Diese unterschiedlichen Grund-Themen der "Liebe" stehen in einem "Tripolaren Spannungsfeld", ebenso wie (SUB <-> OBJ <-> SEM). [93]

Das Thema der "Liebe" steht wiederum im Spannungsfeld mit "Geist" (Wilberspeak "Spirit"), aus dem Grund, weil "Geist" das Thema der philosophischen und spirituellen Anstrengungen der Menschheit ist, die Sterblichkeit zu überwinden, und die Ewigkeit zu erlangen. [94] Das Prinzip Eros beinhaltet als Strukturthema der Er-Zeugung aber notwendigerweise auch die Zerstörung und das Vergehen. Dieser Aspekt wurde aber aus verständlichen Gründen unterdrückt.
(Geist <-> Eros)

So bildete sich in den philosophischen und spirituellen Traditionen der Menschheit eine gewisse Imbalance von (Geist <-> Eros), was sich auch fatal auf das Thema der "Liebe" auswirkte, und im unbedachten Gebrauch und einseitiger Bevorzugung bestimmter Facetten dieses Komplexes entwickelten sich erhebliche Pathologien. Die Entwicklung des Zentralthemas der "Liebe" im Christentum ist dafür wohl ein sehr gutes Beispiel. In ihrer Auseinandersetzung mit den neo-platonischen, gnostischen und orgiastischen Strömungen des antiken Synkretismus formulierten sie ihre spezielle Adaption des Motivs der Agape. Das uneigennützige Mitgefühl war sicher zur damaligen Zeit ein wichtiges Thema (und ist es genauso noch heute), aber es wurde in einseitiger Bevorzugung dann zu einem eisernen Gesetz, das sich mit einer gewissen Rigidität in das System der christlichen Morallehre einschlich. Man kann auch sagen, Agape ist "Liebe", durch den moralin-sauren Filter gepresst. Das Prinzip Eros wurde durch die Anstrengungen der Kirchenväter wie Augustinus aus dem christlichen Denk-System verbannt, mit fatalen Folgen für die Menschen der Christenheit.

Aufgrund dieser vielfältigen Missverständnisse möchte ich hier für den Kontext der Noologie den Komplex der "Liebe" darstellen als das Tripolare Spannungsfeld von:
(Agape <-> Philia <-> Eros)

"Liebe" selber steht wiederum in einem Spannungsfeld von
(Attraktion <-> Repulsion / Revulsion):
(Liebe <-> Abneigung, Ekel, Hass)

Die strukturelle Basis der Unterscheidung der verschiedenen Aspekte von "Liebe" sind die Wesens-Komponenten von (Attraktion <-> Repulsion), die nicht nur den sexuellen Bereich, sondern auch Denkweisen, Ethiken, und andere (ethnische) Merkmale kennzeichnen. Diese können als das Spannungsfeld von homo, homoio, und heteros dargestellt werden:
(homo: gleich <-> homoio: ähnlich <-> heteros: andersartig)

Dies lässt sich am Beispiel von (Agape <-> Philia <-> Eros) so verdeutlichen:

Eros bezieht sich auf die Attraktion des "heteros", des komplementär-Andersartigen, das (in / nach / von) seinem Wesen die ideale Ergänzung sucht. Dies ist das Grundprinzip der Attraktion von Männlich-Weiblich, wie es in der Platonischen Mythologie der Ur-Trennung der Geschlechter dargestellt wird. [95] Die folgende Beziehung "verbindet" das Andersartige mit der Attraktion und Freundschaft:
(heteros: andersartig <-> heteiros / heteira: Freund/in)

Philia in der Form der "Männerfreundschaft" (oder initiatischen Bruderschaft) bezieht sich auf die Attraktion des "homo", also der Gewissheit der Gleichartigkeit, ein Grundvertrauen, das man(n) nicht gegenüber der "heteros / heteras" haben kann, weil man(n) das nicht in seinem Wesen kennt.

Agape ist ein nachgeordnetes Prinzip, das erst durch Reflexion entsteht: Die Erkenntnis, dass wir alle als Menschen irgendwie "homoio", also ähnlich sind, und dass wir bei all unserer Verschiedenheit doch die gleiche Basis von Empfinden und Leiden haben. Etwas verkürzt kann man auch sagen: "Wir sind alle darin gleich, dass wir so verschieden sind." Hier setzt sowohl die christliche wie auch die buddhistische Lehre der Compassion / des Mitgefühls an, wobei der Buddhismus etwas mehr "all inclusive" ist als die abrahamitischen Religionen, weil hier nicht das Joshua-Genesis-Syndrom im Wege steht. [96] Der Buddhistismus bezieht in seiner Version der "Agape" nicht nur die Glaubens-Brüder und -Schwestern ein, sondern alle Menschen, und sogar noch alle Lebewesen. Hier liegt auch eine humanistische Esszenz der Kat-Holisierung und der Oikumene [97]: Nämlich dass man die anderen Menschen nicht erst dann als Mit-Menschen ansieht, wenn man sie zu seiner eigenen Religion konvertiert hat.

Es ist interessant, dass der deutsche Titel von Ken Wilbers Werk "Eros, Kosmos, Logos" die "Traduttore - Traditore" Meisterleistung eines deutschen Übersetzers ist. Im Original heisst es "Sex, Ecology, Spirituality". [98] Man könnte dies auch als jüngstes Beispiel für fatale Fehl-Interpretationen und Verwechselungen von Eros, Liebe, und Sex präsentieren. Das schwierige Verhältnis von "Geist" (Wilberspeak "Spirit") zu Liebe und Eros wird noch ein wesentliches Thema der Noologie sein.
->: EROS_SPIELE, p. 149; ->: EROS_KOSMOGONOS, p. 233
En-Ergeia / Eros <-> Orgae / Orgia
Der emotive Aspekt des Eros ist eine Form der En-Ergeia, die sich den Menschen als Orgae (Trieb, heftige Begierde, Leidenschaft) bemerkbar macht. Dies hatte im antiken Griechenland noch eine heilige (hiero-) Ausprägung, als Orgia in den heiligen Opferfesten des Dionysos, der Demeter und der Eleusinischen Mysterien.
(En-Ergeia / Eros <-> Orgae / Orgia)

Infolge der Verteufelung des Eros durch die Christen degenerierte auch die Orgia von einer heiligen Handlung zu der abscheulichen, perversen Orgie, als die sie dann in das moderne Denken eindrang. Die Orgae als heiliger Ur-Trieb und menschlich wahrnehmbare Form der En-Ergeia findet ihre ebenso menschlich wahrnehmbare Form der Entladung als Orgasmus.
(Orgae <-> Orgasmus)

1.3. Noologie und die Praxis der Non-Dualität
1.3.1. Das "Bodhisattva-Prinzip" der Noologie
@ :NOO_BODHISATVA
Im Bezug auf Ergebnisse der mystischen Traditionen (Wilbers "Perennial Philosophy") soll hier eine Vorsichtsregel eingeführt werden, das "Bodhisattva-Prinzip" der Noologie: Solange Non-Duale Erfahrungen nicht allen Normalmenschen zugänglich sind, oder wenn man nicht eine Methode aufzeigt, wie sie zu erfahren sind, ist es zwecklos oder sogar gefährlich, mit Argumenten zu hantieren, die vorgeben, aus dem Non-Dualen zu entstammen. Leider hat die New-Age / Esoterik-Bewegung allzuviele, hauptsächlich korrupte, falsche, oder schlicht einfach nur inkompetente Gurus hervorgebracht, die sich alle auf die Autorität ihrer Erleuchtung berufen, und die Menschen damit zu Millionen in die Irre, und oft genug in die Psychose und sogar in den Tod geführt haben. Als soziale Bewegung hat sich die Anwendung des vorgeblichen Non-Dualen Bewusstseins leider weitgehend diskreditiert. [99] Solchen "Spintisierereien" soll durch die Betonung des Common Sense vorgebeugt werden. Auch wenn die hier vorgestellten Ideen und Konzepte ebenfalls etwas fremdartig erscheinen mögen, [100] sollen Zugangswege geschaffen werden, wie diese Prinzipien eingesetzt und nutzbar gemacht werden können. Mithin ist es ja der Anspruch, nicht nur ein elaborates Gedankensystem in die Welt zu setzen, sondern tatsächlich auch erweiterte und verbesserte Möglichkeiten zur Orientierung und für das Handeln in der Welt zu schaffen.
1.3.2. Advaita-Noesis, eine Meditationstechnik
@ :ADVAITA_NOESIS
I'm fixing a hole where the rain comes in, to stop my mind from wanderin'
The Beatles, Yellow Submarine

Hier möchte ich einen Zugangsweg der Praxis aufzeigen, die nach Meinung aller Autoren, wie auch Wilbers, [101] unerlässlich ist um die Ergebnisse Non-Dualer Erfahrung nachvollziehen zu können. Dies nenne ich Advaita-Noesis. Es ist zwar eine Sprachvermischung, aber es klingt etwas weniger schwergewichtig als "A-dichotomische Noesis", wie man es auf Griechisch ausdrücken würde. Der Grund, warum ich es nicht "Non-Duales Bewusstsein" nenne, ist einerseits der oben genannte, dass er so diskreditiert ist, und (bei denen, die behaupten, Zugang dazu zu haben) in Wilberspeak mehrheitlich ein Prä- denn ein Trans-Phänomen ist (EKL 259-261), andererseits ist "Non-Duales Bewusstsein" ein sprachlicher Wolpertinger (oder Chimäre). Bewusstsein ist in seiner Funktion immer Bewusst-sein von irgend etwas, dem Objekt, und ist damit inhärent dichotomisch. Weiterhin impliziert der grammatische Substantiv, dass es ein "Sein" ist, das ist in Whiteheadscher Terminologie eine "fallacy of misplaced concreteness". Bewusstsein ist eher ein Prozess denn ein "Sein". Das englische Wort "awareness" wäre hier ein etwas besser passender Begriff. In Shankaras "Viveka Chudamani: Kleinod der Unterscheidung" ist der Praxis-Charakter des Advaita Vedanta auch klarer ausgedrückt. [102] Das folgende ist aber auch kein Versuch einer weiteren Neu-Auflage von Techiken des Advaita Vedanta. [103] M.E. gehört Advaita Vedanta in den alt-indischen, vedisch- hinduistischen Kulturkreis und seine tradierte Lebenspraxis, und muss da auch bleiben, denn er ist von wesentlichen gesellschaftlichen Voraussetzungen abhängig, die heute im Westen einfach nicht existieren, und nicht reproduziert werden können. Deshalb kann man heute als Westler kaum Advaita Vedanta modo Shankara (oder gar Ramana Maharshi) praktizieren, [104] und sollte es auch gar nicht versuchen.

Ein Bezug auf das "Non-Duale Bewusstsein" ist solange nutzlos, solange nicht eine praktische Technik mitgeliefert wird, wie man es oder zumindest einen Geschmack davon (sapientia) [105] erlangen kann. Hier soll also eine Meditations-Technik vorgestellt werden, die meinem Geschmack entspricht, und wohl vieler Menschen im Westen, und der Erkenntnis, dass es im praktischen Leben nicht immer einfach oder möglich ist, eine harte und anstrengende Meditations-Praxis ohne die stützende Gemeinschaft eines Klosters, Ashrams oder einer Sangha über Jahre hinweg kontinuierlich durchzuführen. Nach meiner Einschätzung ist die Meditation die beste, die die Praktizierende/n in die Lage versetzt, selbstständig zu weiteren Stufen vorzudringen, ohne dass man weitere Schub- und Zughilfen von Aussen benötigt (etwa in Form eines "erleuchteten" Meisters, einer Sangha, oder einem abgestuften System von Initiationen). In der Computertechnik spricht man analog von einem Bootstrap-Prozess, und nach Münchhausen ist es eine Methode, "sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf zu ziehen".

Die Technik beruht auf einer Kombination einer abgespeckten Zazen- / Vipassana-Methode mit der Brahma-Kumaris Meditation. [106] Dazu braucht man sich nicht in irgendeine bestimmte Position zu setzen, und man kann es auch liegend oder im Gehen ausführen. [107] Man achtet wie beim Zazen oder Vipassana einfach auf den Atem, und behält ihn im Fokus der Aufmerksamkeit. Man konzentriert sich aber nicht auf den Atem, wie er durch die Nase streicht, sondern auf den Kontrollpunkt der Atemwelle. Der Kontrollpunkt wird ganz automatisch bewusst, sobald man sich auf den Atem konzentriert. Dieser Kontrollpunkt wandert mit dem Atemzyklus durch den Körper, in etwa in einer elliptischen Bewegung. Wichtig ist vor allem, dass man den Kontakt zu dem Kontrollpunkt bei den Umkehrungen des Atemzuges nicht abbrechen lässt. Gleichzeitig stellt man sich diesen Punkt als infinitesimal klein vor, und wenn man gerne eine Visualisation dazu machen möchte, kann man sich diesen Punkt als "Gott" oder ein sonstiges "Summum Bonum" vorstellen, welches der gerade präferierten Glaubensrichtung entspricht. Die einzige Bedingung dabei ist, dass der Punkt infinitesimal klein ist. Dies dient der Annäherung an und der Aufhebung des an sich unüberwindlichen logischen Paradoxons, dass Bewusstsein in seiner Funktion immer Bewusst-sein von irgend etwas, dem Objekt ist. Wenn das Aufmerksamkeits-Objekt ein infinitesimal kleiner Punkt ist, hat man ein Objekt, das gleichzeitig kein Objekt ist. Ein ähnliches Prinzip hat Cusanus in "Docta Ignorantia" und Leibniz mit seiner Differential-Rechnung eingeführt. Diese Technik lässt sich immer und überall durchführen, im Bus oder Bahn, im Warteraum, etc. nur beim Autofahren sollte man sie auf keinen Fall anwenden. Was die Effizienz von Meditations-Techniken angeht, gibt es grosse Unterschiede bei den Menschen, und was bei dem einen sofort Ergebnisse zeigt, wirkt bei anderen überhaupt nicht. Daher, sollte man den Kontrollpunkt nach ein paar Versuchen nicht finden, ist die Technik für die betreffende Person nutzlos und man muss sich auf dem Markt nach etwas anderem umsehen. Auf jeden Fall ist mein Rat, dass man keine Technik über Monate hindurch praktizieren sollte, wenn man nicht nach ca. einer Woche konkrete Ergebnisse erhält. Und die hier genannte Methode ist so einfach, dass man sie ohne weiteres in einer Woche etwa 1-2 mal am Tag für ca. 20-30 Min. probieren kann. Weiterhin sollte man sich durch den Begriff "Kontrollpunkt" nicht in die Irre führen lassen, dass hiermit eine Yoga-Atem-Kontroll-Technik gemeint ist (Pranayama). Der feine Unterschied ist, dass mit der Konzentration der Aufmerksamkeit der unbewusste, autonome Prozess des Atems aufgehoben wird, und es erscheint erst einmal praktisch unmöglich, den Atem nicht zu kontrollieren. Das ist soweit ok, solange man nicht glaubt, man müsste ihn kontrollieren, oder zu versuchen, irgendwelche psychischen Effekte durch die Kontrolle zu erzielen. Hier gilt die alte Zen-Regel, dass Lichterscheinungen und sonstige paranormale Dinge wie die Holz-Späne beim Drechsler sind. Sie sind das Abfallprodukt und nicht etwa Anzeichen eines Fortschritts.

In dem oben zitierten unscheinbaren Vers aus "Yellow Submarine" der Beatles findet sich eine andere Fassung dieser Technik, und sogar ein Grundprinzip des Systems: Denn der Kontrollpunkt ist nicht wirklich ein Punkt in unserer Realitätsebene, sondern ein kleines (schwarzes oder weisses) Loch, in physikalischer Analogie gesprochen ein sogenanntes "Wormhole". Denn alles, was sich in unserer Normal-Wahrnehmungs-Welt befindet, und das sind auch Gedanken, Konzepte, Visualisationen, etc. sind immer noch Objekte der Dualen oder Aristotelischen Welt. Dieses "Loch" ist von der einen Seite gesehen, das "Atman", und von der anderen, das "Brahman". Erst wenn man die "holiness / holeness" des Kontrollpunkts realisiert, ist man "drüben". Aber das ist ein Kapitel der fortgeschrittenen Meditationspraxis und man sollte das nicht vor einem Jahr erwarten. Deshalb ist es auch zwecklos, sich das schon von Anfang an vorstellen zu wollen, dann bleibt auch das nur ein Konzept.

1.4. Struktur, Reflexion und Semantik in der Noologie
1.4.1. Noos, "Logos Spermatikos", Gnothi se auton, Gnoseologie
@ :LOGOS_SPERMATIKOS
Zu den alten Zeiten, als die Zentralbegriffe unserer heutigen Philosophie entstanden, galt noch das Diktum: "Nomen est Omen". D.h. der Name einer Person oder eines Dings ist das Zeichen seines Schicksals. Nach dieser Ansicht war Begriffs- oder Namenswahl eine extrem kritische Angelegenheit, und musste mit Bedacht vorgenommen werden. Der Name ist nach der damaligen Ansicht so etwas wie ein "logos spermatikos", und aus ihm lässt sich konsequent ein ganzes System entwickeln. Somit ist in den Begriff "Noologie" einiges an Bedeutung verpackt. Am prägnantesten lässt sich sein Ursprung mit der Anweisung darstellen, die über dem Tor des Apollon-Tempels von Delphi stand: "Gnothi Se Auton": Erkenne Dich selbst. (Und die Situation, in der Du steckst). Dieses Motto wird oft auch als Ursprung der Philosophie bezeichnet. Aus dem "Gnothi" entwickelte sich das Leitmotiv der spirituellen Tradition der Gnosis, und in Anlehnung an diesen Namen hat Noologie einen weiteren Aspekt: die Gnoseologie. Dies soll kein Ansatz für eine Neo-Gnosis sein, [108] sondern soll bestimmte strukturelle Themen der Gnosis neu aufzugreifen, und damit "aufheben".
1.4.2. Die iterative und reflexive Methode des Aufhebens
@ :NOO_AUFHEBEN
Das "Aufheben" ist eine Arbeitsmethode Wilbers, die er von Hegel adaptiert hat, selbstredend wohl kaum so, wie Hegel es intendiert hat.

"I have one major rule: everybody is right. More specifically, everybody - including me -has some important pieces of the truth, and all of those pieces need to be honored, cherished, and included in a more gracious, spacious, and compassionate embrace."
"Introduction", Collected Works of Ken Wilber, vol. VIII, p. 49

Dieses Zitat illustriert Wilbers Methode des "Aufhebens". (In EKL 480-481 führt Wilber diese Methode auf Origines zurück, der die allegorische Interpretation = "Aufhebung" des Mythos "erfunden" hat.) Kritische Beobachter nennen das auch Eklektizismus, Synkretismus und Prokrusteanismus, aber wenn man alle "spirituellen" Traditionen der Menschheit unter einen Hut kriegen möchte, muss man hier und da schon ein paar Ecken und Kanten abschneiden. Nach diesem Zitat könne man meinen, dass Wilber mit seinem "everybody is right" in Richtung "anything goes" (Feyerabend) tendiert, aber bei genauer Lektüre seiner Texte und vor allem der Antworten, die er selber auf Kritiken seiner Arbeit gibt, wird bald klar, dass er wohl nach einer Version der Orwell'schen Maxime vorgeht: "All animals are equal, but some animals are more equal than the others". (Animal Farm). ->: MYTHOS_MAERCHEN, p. 56

Auch ich möchte keinem unbeschränkten Kultur-Relativismus ala "everything goes" das Wort reden. [109] D.h. auch wenn jeder das Recht haben sollte, sogar die abstrusesten und dümmsten Gedanken in seinem Kopf zu hege(l)n, erfordert es die praktische Vernunft, dass es ein Verfahren gibt nach dem die offiziell anerkannt abstrusesten, dümmsten und gefährlichsten Gedanken schön "aufgehoben" (im Hegelschen Sinne) werden, und in der realen Welt der menschlichen sozialen Getriebe nicht allzuviel Unheil anrichten können. Vergessen wir aber zuerst nicht, dass mehr Unheil damit angerichtet wird, dass die Menschen zu wenig denken, und erst in zweiter Linie, dass sie falsch(es) denken. Denn wenn man nur lange und intensiv genug nachdenkt, kommt man schon von selbst darauf, dass irgendetwas falsch an dem ist, was und wie man denkt. Insofern finde ich Wilbers Methode, wie er Hegel mit dessen Methode des "Aufhebens" selber "aufhebt", sehr sympathisch, und ich mache mir das Prinzip zunutze, indem ich Wilber "aufhebe", und so das Spiel eine Runde weiterspiele.
1.4.3. Das Struktur-System
@ :STRUKTUR_SYSTEM
Form ist Leere, und Leere ist Form
Buddhistische Weisheit

Form ist nicht Inhalt, und wenn sie nicht Inhalt ist, muss sie leer sein. Das ist ein einfacher sprach-logischer Schluss. Struktur ist eine rekursive, iterative, systematische Anwendung des Form-Prinzips, in anderer Sprechweise eine Systematik von Meta-Patterns. (Das ist auch ein Grundprinzip aller Wissenschaft). [110] Noologie ist ein Struktur-System, und daher nur sekundär Inhalts-orientiert. Das ist immer nur in gewissen Grenzen möglich, und das Abgleiten in Inhalte nicht zu vermeiden. (Daher auch das Prinzip der "Höheren Kunst des Scheiterns", s.u.). Die Noologie teilt damit einige Aspekte mit der Mathematik, nämlich ihren Minimal-Anspruch, nur ihren internen Regeln für innere Konsistenz zu genügen. [111] Natürlich können die formalen und logischen Regeln der Mathematik nicht auf die Noologie übertragen werden. Z.b. ist die Forderung nach Widerspruchsfreiheit unmöglich zu erfüllen. [112] Um ein Konsistenz-System für die Noologie zu entwerfen, muss man praktisch den ganzen Weg umkehren und zurück verfolgen, de- und re-konstruieren, den die Entwicklung der abendländischen Logik der letzten 2500 Jahre genommen hat. In der Ethnologie und der vergleichenden Religionswissenschaft findet man schon Ansätze dafür, die "emische" Sicht einer Kulturtradition mit ihrer eigenen, idiosynkratischen Konsistenz zu bewerten und zu würdigen. Es gibt natürlich erhebliche subtile Probleme dabei, die Orientierungssysteme von geistig, zeitlich und räumlich fernen und fremden Kulturen mit irgendetwas kommensurabel zu machen, was eine genuin europäische Entwicklung der letzten 2500 Jahre ist. Die ethnologische akademische Auseinandersetzung von "etisch" und "emisch" dreht sich wesentlich um diese Frage. [113] Oder andersherum formuliert: Jedes Struktursystem ist "etisch" und muss den Inhalten, die es "aufheben" will, irgendwo Gewalt antun. Das scheint ein nicht aufzuhebendes Dilemma zu sein. Ich spreche das weiter unten auch unter dem Aspekt an: "Die Kunst der Selbst-Reflexivität als die höhere Kunst des Scheiterns".
->: NOO_SCHEITERN, p. 74
1.4.4. Selbst-Reflexion, Dia-Noesis
@ :SELBST_REFLEX
Ein weiterer Aspekt der Noologie ist die Selbst-Reflexion (Dia-Noesis). Das ergibt sich aus dem "Gnothi Se Auton". Selbst-Reflexion führt entweder zu einem Struktur-System oder ins Chaos, da Reflexion (aka Denken) immer zwei Komponenten hat: Seine Inhalte, und den Prozess des Denkens selber. Selbst-Reflexion als philosophische Beschäftigung richtet sich auf den Prozess des Denkens und seine Voraussetzungen, nicht aber auf seine Produkte. Man kann spitzfindig argumentieren, dass auch Selbst-Reflexion ein Denk-Inhalt sein muss, und dass man einen Prozess nur vollziehen, nicht aber konservieren (oder "aufheben") kann, denn dann hat man den Prozess zerstört, und durch ein Ding ersetzt. Das ist richtig, und es ist einer der Grund-Widersprüche von Selbst-Reflexion, und wieso das den mehr traditionellen Wissenschaften suspekt erscheint. Daher bevorzugen die meisten modernen Wissenschaften die Erforschung von "Irgendetwas", das ausserhalb des menschlichen Bewusstseins liegt: Den Objektbereich. Wesentliche Vorarbeiten im Bereich der Selbst-Reflexion finden sich, wenn auch unter anderem Namen, in einem Teilbereich der Theologie. Dies kann man u.a. in den Konfessionen des St. Augustinus finden, [114] die sich zwar nominell mit der Betrachtung Gottes befassen, die aber geistesgeschichtlich eines der ersten, tiefsten, und systematischsten Zeugnisse menschlicher Selbst-Reflexion sind. Aufgrund der biblischen Injunktion aus der Genesis, sich nicht der Hybris der Versuchung zur Erlangung der Gott-Gleichheit hinzugeben, mussten die christlichen Denker in ihrer Selbst-Reflexion den Umwe g über Gott gehen. (Siehe dazu auch die Geschichte des Sündenfalls in der Genesis in einem späteren Abschnitt). [115] Die religiös-moralische Injunktion hat überdies noch einen sehr wesentlichen praktischen Zweck: Wenn Denken sich auf sich selbst richtet, führt das leicht geradewegs in den (Grössen-)Wahnsinn. Logisch gesprochen, beruht dieses Problem auf dem "infiniten Regress", einer unendlichen Spiegelung, in den das auf sich selbst gerichtete Denken leicht gerät. In der einschlägigen spirituellen Literatur wird ein ähnliches Phänomen auch als "hyper-inflated Ego" bezeichnet, offenbar eine Berufskrankheit, von der praktisch alle modernen Gurus infiziert sind. Dies war auch ein Thema in Wilbers frühem Buch "Das Atman-Projekt", wenn auch unter etwas anderen Vorzeichen. Die Wissenschaft der Selbst-Reflexion wird in der Diktion der Hegel-Schule nach Gotthard Günther auch "Reflexions-Theorie" genannt.
1.4.5. Ein Ordnungs-System für Welt-Wissens-Repertorien und die Kenogrammatik
@ :ORDNG_WELTWISS
Letztlich intendiert die Noologie auch einen konkreten Einsatzbereich: Datenbanksysteme für Welt-Wissens-Repertorien a la WWW. Es ist wohl unübersehbar, dass die letzte Periode von dreihundert Jahren exponentiell wachsender "Wissens"-Produktion der Menschheit schon lange unser Vermögen überholt hat, das akkumulierte Material adäquat zu ordnen und nutzbar zu machen. Für die Planung von Datenbanken kann Gotthard Günthers Denkansatz der Kenogrammatik wesentliche Impulse geben: Dies ist der Versuch, einen Formalismus zu entwickeln, um das "Flatland" (Wilberspeak) der Aristotelischen Logik mit mehrwertigen Stellenwert-Logiken zu überwinden. Dieses Projekt lief von den 1950er bis 1970er Jahren, [116] als der Einsatz von Computern hauptsächlich in numerischer Sichtweise definiert wurde. Kenogrammatik ist ein Ansatz, Leer-Konzepte wie die Madhyamika-buddhistische Shunyata in ein operationales System einzubinden. Eine allgemeine Kenogrammatik ist ein System von qualitativer Kategorisierung und Logik der Qualitäten. Hierzu gibt es in der Programmierung schon Ansätze, wie dem Konzept logisch gebundener oder typisierter Variablen, bei denen nur Operationen oder Methoden zugelassen sind, die sich auf genau diesen Typ beziehen. Bei relationalen Datenbanken existieren heute schon rudimentäre technische Ansätze für logische Stellenwertsysteme, und mit heutigen Arbeiten, arbeitsfähige Ontologien für das WWW zu entwickeln, bekommt dieses Thema eine ganz neue Aktualität.
1.4.6. Das Semantische Feld, Spirit, Geist, Mind, Vernunft, etc.
@ :NOOS_SEMFELD
Die Begriffe "Spirit", "Spirituell" oder "Geist" sind die Zentralthemen eines Diskurses, der in der Philosophie und Theologie seit ca. 2300 Jahren geführt wird, und der die Grundlage verschiedenster "spiritueller" Systeme ist (die "perennial Philosophy" nach Wilber), zwischen denen man sich aber "trefflich uneinig" sein kann. Weitere Variationen dieses Begriffs mit leicht changierenden Bedeutungen sind: Logos (Heraklit), Intellectus (Leibniz), Vernunft (Kant), Geist (Hegel), Verstand, Wille & Vorstellung (Schopenhauer), Mind (Bateson), "Spirit" (Wilber), Bewusstsein, Denken, etc. Es gibt kaum einen philosophischen Begriff, der soviele Differenzen im Detail zulässt, wie "Geist". Das heisst pragmatisch wieder: Dieser Begriff ist für sachliche Diskussionen unbrauchbar. "Geist" ist der grosse "deus ex machina", mit und in dem sich alles "aufheben" lässt. Das hat Hegel so gemacht, und Ken Wilber hat es ihm nachgemacht. Er zwingt alle Variationen des "Geistigen" in ein System des "Spirit" zusammen. Aber wenn sie erst einmal dort "aufgehoben" sind, verschwinden sie unterschiedslos in der "Nacht des Absoluten, in der alle Katzen grau sind". (Analog dazu in heutiger Kosmologie: das Schwarze Loch).

Die Vorgehensweise der Noologie ist ein wenig anders: Man muss die Unterschiede "aufheben", und man muss die Differenzierungen bewahren, bevor sie in dem besagten Schwarzen Loch des Absoluten verschwinden. Das Konzept der Semantischen Felder beruht auf einer anderen Vorgehensweise im Umgang mit den Begriffen, der Grundlage alles konzeptuellen Denkens, das die Methode der westlichen philosophischen Tradition der letzten 2300 Jahre war. Die folgende Darstellung deutet dies an, indem das semantische Feld mit en-ergeia äquivalent gesetzt wird.

(Semantisches Feld <-> Begriff)
(en-ergeia <-> ergon)
Semantische Felder, semantische Unschärferelation, Relativismus
@ :SEMF_RELATIVISM
Concepts, just like percepts, are ambiguous and dependent on background. Moreover, the content of a concept is determined also by the way in which it is related to perception.
Feyerabend (1975, 76)

Die Verwendung des "Noos" im vorliegenden Kontext ist daher keiner traditionellen (westlichen) philosophischen Tradition verpflichtet, die diesen Begriff in bestimmten Bedeutungen benutzt. "Noos" ist in meiner Arbeitsweise kein "Begriff" im linguistischen Sinn, sondern ein semantisches Feld, ähnlich wie eine quantentheoretische Elektronen-Raumladungswolke. Das nenne ich das Onoma-Semaiophonische Feld. [117] Wie in der Quantentheorie, lassen sich zwar gewisse formale Aussagen über diese Raumladungswolke machen, aber sie entzieht sich einer genauen Lokalisierung. Es gibt keine feste Definition. Das nenne ich die "Semantische Unschärferelation". In der Quanten-Physik beeinflusst die Messung den Ablauf des Experiments. Die erfolgreiche technische Anwendung der Quantentheorie zeigt, dass man auch mit unscharf definierten Objekten gut arbeiten kann. In der Welt der Semantik verändert der Kontext die semantische Bedeutungs-Ladungswolke: Je nach Kontext hat ein Wort eine mehr oder weniger subtil verschiedene Bedeutung. [118] Das nenne ich auch: Semantischer Relativismus oder Abhängigkeits-Prinzip der Noologie. Nur in rigoros definierten wissenschaftlichen Fachsprachen wie der Mathematik, oder der Chemie sind die Symbole kontextunabhängig. Aber genau genommen kann das nur für die Mathematik gelten, weil die Mathematik völlig unabhängig von den Gegebenheiten der Erfahrungswelt ist. Schon in der Chemie schleicht sich nämlich eine Kontext-Abhängigkeit ein, die sich heute als "Emergenz" tarnt. Emergenz bedeutet aber nichts anderes als dass hier ein Kontext-System am Wirken ist. Am Beispiel der molekularen Verbindung von Wasserstoff und Sauerstoff sieht das so aus: Flüssiges Wasser (als Grundvoraussetzung für organisches Leben) erfordert für seine Existenz einen ganz anderen Kontext als atomares Hydrogenium und Oxygenium, und unter den kosmologischen Bedingungen, unter denen diese Elemente im atomaren Zustand vorkommen können, ist Wasser unmöglich, und umgekehrt. Heisse interstellare Wolken können kein Wasser enthalten, und wenn sie kalt sind, kann sich höchstens Eis bilden (Kometen). Auf dem Planeten Erde ist isoliertes atomares Hydrogenium und Oxygenium ausserhalb eines Labors nicht zu haben. In der Atmosphäre kann sich Oxygenium nur in Kombination mit N(i/eu)trogenium stabilisieren, weil es in reiner Form alles verbrennen würde.
Das Prinzip des semantischen Relativismus
Das Prinzip des semantischen Relativismus ist etwas komplizierter als das konventionelle philologisch- / linguistische Schema fester Begriffs-Verortungen (Topik). Dazu wieder das Analogon aus der Quantenphysik: Der Protein-Folding Mechanismus ist abhängig von den unterschiedlichen Bindungs-Energien der Elektronen-Ladungswolken der Teilmoleküle. Ein Protein kann meist nur zwei, [119] sehr selten aber mehrere verschiedene Zustände des Energie-Minimums annehmen. Aber die Art, wie die Moleküle des Proteins sich im Raum anordnen, ist mit keiner technischen Rechenmethode zu erfassen, sie ist computational überkomplex, wie der Fachausdruck heisst. In analoger Weise erzeugen Kontext-Strukturen wechselnde Bedeutungs-Facetten für Wörter. In den Sprachen und Erzählweisen des Orients werden solche Techniken souverän gehandhabt, während im Westen höchstens ein paar Schriftsteller wie James Joyce (Finnegan's Wake) in solche Sphären vorgedrungen sind. Für die Wissenschaftlichkeit sind solche Verfahren natürlich ein Anathema. Ein Grund für diesen andersartigen Umgang mit der Sprache liegt in einer sozialen Eigentümlichkeit vieler östlicher Kulturen: Dort gilt es als unschicklich, "die Dinge beim Namen zu nennen", und wenn das passiert, ist damit ein "Gesichtsverlust" der betreffenden Person verbunden. Daher hat die Kunst der Umschreibung verglichen mit westlicher Metaphorik und Euphemistik im Osten ungeahnte Höhen erreicht. Diese Umschreibungskunst ist sehr dienlich bei dem Unterfangen, sich sprachlich über Dinge zu äussern, die nicht zu dieser Welt gehören, also das Kernthema östlicher Mystik. Daher greifen westlich-philosophische Kriterien nicht in diesem Feld.
1.4.7. Konzeptuelle Spannungsfelder
@ :DESN_SPF2
... die antike Mathematik des Kleinen betrachtet den konkreten Einzelfall, berechnet die bestimmte Aufgabe, führt die einmalige Konstruktion aus. Die Mathematik des Unendlichen behandelt ganze Klassen formaler Möglichkeiten, Gruppen von Funktionen, Operationen, Gleichungen, Kurven, und zwar überhaupt nicht hinsichtlich irgendeines Resultats, sondern hinsichtlich ihres Verlaufes. Es ist so seit zwei Jahrhunderten - was den Mathematikern der Gegenwart kaum zum Bewußtsein kommt - die Idee einer allgemeinen Morphologie mathematischer Operationen entstanden, welche man als den eigentlichen Sinn der gesamten neueren Mathematik bezeichnen darf.
Spengler (1980, 116)

Das "Design in Spannungsfeldern" ist die hauptsächliche Denktechnik der Noologie. Hier möchte ich einen kurzen Abriss geben, was die Essentials der verwendeten denktechnischen Prinzipien der Noologie, das "Design in Spannungsfeldern", sind. Für die Leser/in mag dies einer der fremdartigsten und erklärungsbedürftigsten Aspekte der Noologie sein. Ich versuche es zuerst mit einer Analogie aus der Mathematik und der Physik: Die Noologie zeichnet im denktechnischen Bereich eine Entwicklung nach, die in der Mathematik mit der Ablösung von der euklidischen zu nicht-euklidischen Geometrien und zu Topologien vollzogen wurde, die Ergebnisse wurden dann auf physikalische und kosmologische Theorien übertragen. Dies führte zu den Formulierungen von Relativitätstheorie und Quantentheorie wie wir sie heute kennen. [120] Dies wird hier auf Denkräume bzw. Denk-Struktursysteme angewandt. Dabei werden hauptsächlich zwei physikalische Metaphern eingesetzt: Die Relativität, und verschiedene Attraktor-Prinzipien, wie sie etwa in den Elektronen-Raumladungswolken der Molekular-Chemie entwickelt wurden. Diese Prinzipien sind aber nur als Analogon zu verstehen. Das Prinzip der Spannungsfelder lässt sich insofern auch auf das Denken anwenden, weil die Prozesse des Aufteilens und Kategorisierens, mit denen wir unsere Denkräume "aufspannen", sich meistens auf Gruppierungen von Ähnlichkeit (Attraktoren) und Verschiedenheit (Repulsoren) zurückführen lassen. Weitere Anwendungen des Prinzips der Spannungsfelder sind hier zu finden:
->: DESN_TRIPOLAR, p. 240

In meiner Dissertation [121] habe ich diese Methode schon mit umfangreichen Beispielen und Quellen schon vorgestellt, deshalb genügt hier eine kurze, konzentrierte Übersicht. Alles was existiert, muss bei seinem Eintritt in die Existenz durch ein Spannungsfeld gehen. Am einsichtsvollsten ist das für Frauen, die durch eine Geburt gehen. Deshalb fällt dem Papst das Denken in Spannungsfeldern schwer, erstens, weil ihm diese Ur-Erfahrung nicht zugänglich ist, und zweitens weil ihm der Rest seiner Entscheidungen sowieso vom rechten Glauben vorgegeben ist. Aber normale Sterbliche können diese Spannung in allen alltäglichen Entscheidungsvorgängen feststellen, wenn sie nicht wissen, wie und nach welchen Kriterien sie sich entscheiden sollen. Und um die armen Männer dafür zu entschädigen, dass sie nicht das primordiale Spannungserlebnis des Geburtsvorgangs erleben dürfen, sorgen die Frauen schon zuverlässig dafür, dass die Männer möglichst viele Momente der Spannung erleben, bevor sie den Frauen zu eben jenem Erlebnis verhelfen dürfen.
Der praktische Sinn der Tripolarität
@ :TRIPOLAR_FELD
Besondere Bedeutung haben vor allem "Tripolare Spannungsfelder". Der praktische Sinn dieser Denk-Technik lässt sich am besten wieder mit einem Vergleich aus der Elektro-Technik illustrieren: Der wesentliche Grund, warum man den elektrischen Drei-Phasen-Strom einsetzt, ist die grössere Effizienz, die man bei der Elektro-Magneto-Kopplung der Motoren und Generatoren erreicht. Dies beruht auf dem einfachen Grund, dass ein Zweipolar-System einen höheren Anfahr- und Betriebs-Widerstand überwinden muss, weil die beiden Magnet-Pole nicht in Opposition stehen dürfen. Dies muss man ingenieurmässig unbedingt verhindern, weil der Motor dann nicht anläuft, und sofort durchbrennt. Dies wird mit einem analogen Prinzip wie der Unwucht bei Dampflokomotiv-Triebrädern erreicht. Das Tripolar-System verhindert zuverlässig eine oppositionale Selbst-Blockade und ist damit effizienter. Als Denk-Technik ist dies völlig analog: Ein Tripolar-System verhindert Blockierungen des Denkens, und wirkt so etwa wie ein "aus sich selbst heraus laufendes Rad".
En-Ergeia und Ergon
@ :ENERGEIA_ERGON
Abstrakt gesprochen, ist das Spannungsfeld eine Anordnung von Attraktoren und Repulsoren, also Anziehungs- und Abstossungskräften. Es ist die Matrix für den Ur-Prozess, in dem En-Ergeia sich in Ergon entlädt. Strukturell analog zu dem dualen Prinzip von En-Ergeia und Ergon ist in der Literatur die Terminologie des Carlos Castaneda, der es als Nagual und Tonal bezeichnet. [122] Selbstredend ist hier keinesfalls beabsichtigt, irgendeine Anleihe bei den wundersamen Energie-Eiern und -Fäden, oder den beeindruckenden Zauberkräften zu nehmen, die Castaneda in seinen Romanen beschreibt, das soll in dem Märchenreich bleiben wo es herkommt. (Siehe Michael Ende, "Die Unendliche Geschichte": Phantasién). Hier kommt es nur auf strukturelle Ähnlichkeiten an. En-Ergeia ist in der Noologie der Fachausdruck für den Arbeits-Bereich der Pera-Noesis, der Erforschung der Genzen des Denkraumes, und was dahinter liegt. Damit wollen wir uns im nächsten Abschnitten beschäftigen. Alles was existiert, also was faktisch ist, ist Ergon. Der Bereich des Entstehenden, Werdenden, Vergehenden, Potentiellen, Imaginativen, liegt auf dem Territorium der En-Ergeia oder En-Archäa. [123]

1.5. Noologie und die "heterodoxen" philosophischen Traditionen

Die Noologie setzt an einem Punkt neu an, an dem sich die abendländische Philosophie vor ca. 2500 Jahren herauskristallisierte: Der Schritt "vom Mythos zum Logos". (So der Standard-Titel dieser Bewegung). Philosophie ist eine "Kunst der Begriffe" [124], und als real existierende soziale Bewegung in der Auseinandersetzung ihrer Praktiker untereinander und mit ihrer Gesellschaft hat die Philosophie in den letzten 1500 Jahren Strukturen entwickelt, die die Gegebenheiten der westlichen Denk- und Weltsicht in gewisser Weise verdeckt metaphysisch stabilisieren. Als Anthropologe auf Feldforschung der "Totems und Tabus der Eingeborenen der nordwestlichen weissen Rassen" (Popper 1962) kann man bestimmte ethno- / euro- / logo- / ratio- Zentrismen entdecken. [125] Das könnte (rein hypothetisch und imho) ein Grund sein, warum die akademische Philosophie Probleme hat, für die heutige Existenz-Problematik der Menschheit eine adäquate Fragestellung oder Ansätze für eine Antwort zu finden. Ein wichtiger Grund hierfür ist auch, dass die soteriologische Tradition der westlichen Philosophie abgebrochen ist, als die christliche Kirche in diesem Bereich die Monopol-Stellung übernahm. Es erscheint heute notwendig, erweiterte Denkansätze zu finden, um neue Ansätze für Fragestellungen und Antworten zu finden. Emotion und Intuition, Mystik und Mythologie sowie Märchen, sind Aspekte des Noos, die von der akademischen Philosophie aus ihrem Lehrgebäude abgespalten wurden, weil sie nicht den rationalen Kriterien genügen. (Siehe Korvin-Krasinski: 1986, 223-224). In diesem Sinne sind diese Bereiche "heterodox". Die Noologie versucht mit den hier entwickelten Methoden, wichtiges Material aus diesen Traditionen wiederzugewinnen und für die heutige Situation aufzubereiten.
1.5.1. Intuition, Mythos, Prophesie und Märchen
@ :MYTHOS_MAERCHEN

According to the fairy-tale the success of science ist the result of a subtle, but carefully balanced combination of inventiveness and control. Scientists have ideas. And they have special methods for improving ideas. The theories of science have passed the test of method. They give a better account of the world than ideas which have not passed the test. The fairy-tale explains why modern society treats science in a special way and why it grants it privileges not enjoyed by other institutions.
Feyerabend (1975: 300)

... the knowledge of today may become fairy-tale of tomorrow and ... the most laughable myth may eventually turn into the most solid piece of science.
Feyerabend (1975: 52)

My purpose is not to provide a scholarly account, my purpose it to tell a fairy-tale that might some day become a scholarly account ...
Feyerabend (1975, p. 209-210)

In den Punkten "Intuition", "Mythologie", und "Märchen" unterscheidet sich mein Standpunkt von dem Wilbers, weil er diese Aspekte des Noos als "Prä-" Phänomene ansieht (EKL 217-226, 259-261), und sie an eine defizitäre, untergeordnete Position stellt. In seiner evolutionären Sicht muss das Denken sich von der mythologie-gebundenen Struktur ablösen und durch die rationale Phase gehen, bis es schliesslich zur Vision Logic des Non-Dualen Bewusstsein des Advaita Vedanta oder ähnliche Errungenschaften der buddhistischen Meditations-Praxis oder anderer Mystiker "aufsteigen" kann. Und erst von dieser Position aus soll es dann in der Lage sein, als "Vision-Logic" "wirklich wirksam" zu werden. Solange aber solche Fähigkeiten nicht von allen Menschen erreicht werden können, ist ein solches Referenz-System m.E. sowohl denktechnisch wie auch ethisch nicht vertretbar. Das habe ich schon mit dem "Bodhisattva-Prinzip" der Noologie formuliert.
->: NOO_BODHISATVA, p. 44

Intuition, Mythos, Prophesie und Märchen, gehören nach heutiger akademischer Konsensus-Ansicht nicht zu den Arbeitsgebieten der Philosophie. [126] Die Noologie orientiert dagegen sich in der Ein- und Wert-Schätzung des Mythos an den Arbeiten von Feyerabend (1975: 47-50, 296), G. de Santillana, Hertha v. Dechend (1993) und Joseph Campbell (1972-1996). Abweichend von der Konstruktion des Origines (in EKL 480-481) lässt sich nach diesen Theorien der Mythos als ein Codierungsprinzip verstehen, das der Medialität der oralen Wissens-Tradition angepasst war. Er ist also weder wörtlich, noch moralisch, noch allegorisch, sondern als Code zu verstehen, ein Code, der aber nur von ausgebildeten Spezialisten verstanden werden konnte. [127] Im Unterschied zu H.v. Dechend nehme ich aber nicht an, dass es sich bei den alten Mythologien vor allem und hauptsächlich um archäo-astronomisches Material handelt. Es widerstrebt mir einfach, anzunehmen, dass sich alles, was unsere Ur-Ahnen gedacht und gewusst haben, vollkommen und ohne Rest in heutiger Wissenschaftlichkeit "aufheben" lässt. Die Erfindung der Schrift machte die orale und performative Wissens-Tradition überflüssig, und schon zu den Zeiten, als in Alexandria die philologischen Redaktionen der Homerischen Werke entstanden (also um -200), verstand niemand mehr diesen Code, er war schon seit ca. 500 Jahren in Vergessenheit geraten. Der letzte bekannte griechische Autor, der ihn beherrschte, war Hesiodos (-700), und vielleicht auch noch Parmenides (-500) der die Technik in seinem Proimion eingesetzt hatte. Mit Sicherheit kann man sagen, dass Origines um 200 AD keine Ahnung mehr davon hatte. [128]

Der Mythos ist nach Feyerabend ein Kontrast-Thema zu den heute im westlichen Denken vorherrschenden Methoden (dem Aristotelischen Denken nach G. Günther). Die hier vorgestellten Noologischen Märchen sind eine Kreative Mythologie nach J. Campbell, und dienen dazu, alternative Skripte und Kontrast-Szenarien für die heute vorherrschenden, als selbstverständlich geltenden und nicht hinterfragbaren Skripte zu konstruieren. Die hier dargestellten Denkstrukturen beruhen auf alternativen Kombinationen des heutigen Wissensstandes, und lassen sich daher auch nicht so ohne weiteres als pure Phantasie abweisen.
->: NOO_MAERCHEN, p. 205; ->: PERA_NOESIS, p. 103

Prophesie ist ein Phänomen, das in den antiken Kulturen engstens mit den Trägern des kulturellen Gedächtnisses verbunden war, mit den Aoidoi, den Vates, den Druiden, den Nabijim u.a. Daher war ihre Arbeit auf ganz andere Weise in das damalige soziale System eingebunden, als das bei den vereinzelt auftretenden "Propheten" in den späteren Zivilisationen der Fall war. [129]

Confusionists and superficial intellectuals move ahead while the 'deep' thinkers descend into the darker regions of the status quo...
Feyerabend (1975: 68)

1.6. Das Spektrum des Bewusstseins

1.6.1. Von Empfindung zum Denken zur Logik
@ :SPEKTR_BEW
Das Denk-System des Ken Wilber ist hauptsächlich in dem Feld "Upper Left" seines Quadranten-Systems "aufgehängt". [130] In seiner Systematik nennt er diesen Quadranten auch: "Interior-Individual" und "Intentional". [131] Hier finden wir das Spektrum von "prehension" ... "perception" ... "symbols" ... "concepts" bis zu "formop" und "vision-logic". (Adaptiert von Piaget und Gebser: EKL 262-263). Dazwischen eingeschoben finden wir "emotion" und "sensation". Uneinsichtig ist allerdings, auf welche Weise diese Konzepte in seine Hierarchie oder in Wilberspeak: "Holarchie", eingebunden sind. "Emotion", "Empathie" und besonders "Intuition" sind wohl eher Noos-Formierungen parallel zu "Symbol" und "Konzept", nicht aber in ein hierarchisches System von Über- und Unter-Ordnung hinein zu zwingen. Dies mag ein blinder Fleck des westlichen Denkens insgesamt sein, in dem ausgeblendet wird, dass es auch höhere Formen des Noein gibt (oder geben kann), die nicht symbolisch und konzeptuell sind, mit denen es aber möglich ist, komplexe Operationalisierungen vorzunehmen, so z.B. eine "Logik der Empathie". Dies wird auch als "emotionale Intelligenz" bezeichnet, und ist eher dem Wilber-Quadranten Lower-Right zugeordnet. Es handelt sich nämlich um ein Phänomen der intersubjektiven Kommunikation, also der SEMsphäre der Noologie. Dieses Thema soll später ausführlicher behandelt werden.
->: EMOT_INTELL, p. 66
1.6.2. Empfindung und Selbst-Reflexion
Wenn wir den Quadranten "Upper Left" vom Anfang an aufrollen, fangen wir damit an, dass wir das semantische Feld des Wortes "Bewusstsein" damit umschreiben, dass ein Wesen Empfindungen (prehensions) hat, und dass es dazu noch eine spezielle Empfindung hat von sich selbst, als dem, der diese Empfindungen hat. Dies nennt man die "Reflexion des Bewusstseins". Ob reine Empfindung / Empfindsamkeit ohne Reflexion auch als Bewusstsein bezeichnet werden kann, ist wesentlich eine philosophische Klassifikationsfrage, es ist eben das, als was man es definiert. [132] Empfindung ist die erste Grundvoraussetzung der "Wesenhaftigkeit" (sentient beingness), ansonsten ist es ein Ding. Hier setzt auch die buddhistische Konzeption der "empfindenden Wesen" an, die Buddhanatur haben.
1.6.3. Unterscheidung, Gedächtnis und Erinnerung
"Empfindendes Wesen" an sich ist allerdings auch nicht viel wert, wenn nicht die weiteren Fähigkeiten des "Noein" hinzukommen. Das sind u.a. die Fähigkeiten der Unterscheidung, vor allem aber Gedächtnis und Erinnerung. Diese letzteren sind essentiell, weil sie die Zeitlichkeit induzieren. Physik und Mathematik kennen kein Gedächtnis, daher sind die Phänomene, die mit ihren Formalismen beschrieben werden können, generell reversibel. (Ausser in der Thermodynamik). Irreversibilität ist eine Anomalie in der mathematischen Physik, und daher ist die "great chain of being", die auch Wilber in sein System aufnimmt, kaum zu gebrauchen: Gedächtnis lässt sich aus keinem mathematischen Theorem der Physik ableiten. [133] Mathematik und mathematische Physik sind inhärent "platonisch", [134] da ihre Gesetze zeit-invariant, und damit auch anti-evolutiv sind. Wie an verschiedenen Stellen schon gesagt, ist "Emergenz" ein "deus ex machina", der nichts erklärt, sondern nur eine Leerstelle mit einer Worthülse kaschiert.
->: ORTE_SUB_OBJ, p. 108; ->: SEMF_RELATIVISM, p. 52
1.6.4. Kategorisierungs-Systeme
Im folgenden Abschnitt verwende ich den Begriff "Kategorisierung" in einer speziellen Bedeutung, nämlich als "System der Unterscheidung und Ent-Scheidung". Dies wird mengentheoretisch begründet: Eine Kategorisierung erzeugt a) disjunkte Untermengen, und erfasst b) auch alle Elemente des Objekt-Bereichs. Eine n-polare Kategorisierung erzeugt somit n disjunkte Untermengen des Objekt-Bereichs. Dies unterscheidet sich ein wenig von dem konventionellen philosophischen Kategorie-Begriff, z.B. bei Aristoteles und bei Kant.

Dualismus ist eine spezielle Technik der Unterscheidung, und zwar die exklusive Anwendung von Dichotomie. Die Dichotomie ist die einfachste Form der Kategorisierung, nämlich die bipolare. Sie ist schon in die wesentlichen Grundfunktionen des Nervensystems eingebaut. Weil der Dualismus auch für die einfachsten Gemüter begreiflich ist, ist er in unserer Welt auch so weit verbreitet. [135] Und problematisch ist der Dualismus genau deswegen, weil dahinter oft vorgefertigte und unreflektierte Bewertungs-Schemata stehen. Es ist eben leichter, die Heiden und Ungläubigen als "Böse" zu bezeichnen, und sie zu erschlagen oder zu bekehren, als sich genauer mit dem auseinanderzusetzen, was ihre Ansichten wohl an Wert für sich haben könnten.

Mehrpolige Kategorisierungen sind sehr viel schwieriger zu erfinden und zu handhaben. Dabei ist eine Vierpol-Kategorisierung, oder ein Quadrant [136] wie Wilber ihn entwirft, wieder einfacher als eine tripolare oder penta-polare (fünf). Ein Vierpol-System ist eine verdoppelte (oder konjugierte) Dichotomie. Daher ist es sehr weit verbreitet, neben dem allbekannten cartesischen Koordinaten-System finden wir es z.b. im indianischen Medizinrad, wo die Himmelsrichtungen mit bestimmten Qualitäten besetzt sind, und in allen Kulturen, in denen das Kreuz eine Rolle spielt. In der indischen und anderen alt-asiatischen Kulturen wie der tibetischen, tritt es bevorzugt als Swastika, also Hakenkreuz, in Erscheinung.

Im Christentum hat die Tripolarität wenigstens eine religiöse Ehrenstellung gefunden, auch wenn sich das Abendland ansonsten mehr durch Dualismus hervorgetan hat. Als kultisches Symbol erscheint es im keltischen und japanischen Kulturkreis als Triskellion. (Nach Korvin-Krasinski 1986). Die einzige kulturell weit verbreitete penta-polare Systematik (wenn man das überhaupt Systematik nennen kann) ist die Fünf-Wandlungsphasen-Lehre der chinesischen Medizinphilosophie. Kategorisierungen mit mehr als fünf Polen sind praktisch inexistent. Wie oben schon angedeutet, geht das 10er Kategorien-System des Aristoteles in eine andere Richtung als die hier intendierte.

1.7. Noologie und Lebens-Praxis, Handlung, Emotionale Intelligenz

@ :NOO_HANDLUNG
Gerade das ist ein Verhängnis später, viel schreibender und viel lesender Kulturen, daß der Gegensatz von Leben und Denken immer wieder verwechselt wird mit dem vom Denken über das Leben und Denken über das Denken. Alle Weltverbesserer, Priester und Philosophen sind einig in der Meinung, daß das Leben eine Angelegenheit des schärfsten Nachdenkens sei, aber das Leben der Welt geht seine eigenen Wege und kümmert sich nicht um das, was von ihm gedacht wird.
Spengler (1980, 576)
@ :BERUFS_DENKER
Die großen Staatsmänner pflegen unmittelbar zu handeln und zwar aus einem sichern Sinn für die Tatsachen heraus. Das ist für sie so selbstverständlich, daß die Möglichkeit, über allgemeine Grundbegriffe ihres Handelns nachzudenken, ihnen gar nicht in den Sinn kommt, gesetzt daß es solche Begriffe überhaupt gibt. Sie wußten von jeher, was sie zu tun hatten. Eine Theorie darüber entsprach weder ihrer Begabung noch ihrem Geschmack. Denker von Beruf aber, die ihren Blick auf die von Menschen geschaffenen Tatsachen lenkten, standen diesem Handeln innerlich so fern, daß sie sich in Abstraktionen vergrübelten, am liebsten in mythische Gebilde wie Gerechtigkeit, Tugend, Freiheit, und danach dem historischen Geschehen der Vergangenheit und vor allem der Zukunft das Maß anlegten. Darüber vergaßen sie zuletzt den Rang bloßer Begriffe und kamen zu der Überzeugung, daß Politik da sei, um den Lauf der Welt nach einem idealischen Rezept zu gestalten. Da dergleichen nie und nirgends geschah, so erschien ihnen das politische Tun dem abstrakten Denken gegenüber so gering, daß sie sich in ihren Büchern darum stritten, ob es ein "Genie der Tat" überhaupt gebe.
Spengler (1980, 1107-1108)
1.7.1. Noos als Thema der Lebens-Praxis
Noologie interessiert mich wesentlich in der praktischen Anwendung. Seit dem Proimion des Parmenides [137] und dem berühmten Spruch von Descartes wissen wir alle, dass "Denken" und "Sein" in irgendeinem Zusammenhang steht. Ob die verschiedenen Darstellungen immer besonders brauchbar waren, wie bei dem "Cogito ergo sum" von Descartes, mag man diskutieren. Denn es ist zwar unbestreitbare Voraussetzung für "Denken", dass man existiert, aber besonders umwerfend ist diese Erkenntnis nicht. Ein anderer Philosoph hat zu dem "Cogito ergo sum" von Descartes bemerkt: "Den ganzen philosophischen Aufwand hätte er sich auch sparen können, wenn er sich nur auf das Gefühl eines kräftigen Zahnschmerzes konzentriert hätte."

Hier wäre ein Ansatz zur Frage nach dem, was Bateson in seinem Buch "the ecology of mind" genannt hat. [138] Es ist in meinem Verständnis ein dringend nachzuholendes Unterfangen, nachdem in den letzten ca. 300 Jahren die Menschheit fast unrettbar in den Produkten und der Anwendung des Denkens, besonders formaler und technischer Art, versunken ist, aber die lebens-praktischen Methoden des Denkens haben damit nicht Schritt gehalten. Ich möchte die Errungenschaften der Mathematik und anderer formaler Systeme nicht unterschätzen, die diesen technischen Fortschritt ermöglicht haben, aber bei aller Mächtigkeit dieser Methoden sind ihre Probleme offensichtlich. Erstens schliessen die Formalismen 99% der Menschheit aus, und zweitens sind sie völlig unbrauchbar für die lebens-praktischen ethischen und sozialen Themen, die heute am dringendsten bewältigt werden müssten.

Parmenides spricht im Original seines "Proimion" von "Noein", übersetzt mit "Erkennen", welches der Ausgangspunkt seines philosophischen Diskurses ist. "Noein" ist die Tätigkeit, die dem "Noos" zugrundeliegt. [139] Ich stelle hier keine etymologischen Ansprüche, welches nun das Ur-Wort ist. Aber ich arbeite an vielen anderen Stellen heraus, dass eine Tätigkeit logischen Vorrang vor einem Produkt hat. D.h. bevor etwas ist, muss es geschaffen worden sein oder entstanden sein. Daher ist "Noos" der Sammelbegriff für alle Aspekte und Untertätigkeiten, die das "Noein" vollzieht. Hier finden wir auch die philosophische Grund-Unterscheidung zwischen En-ergeia und Ergon, welches wieder eine andere Formulierung des Begriffs der "Archae" ist. [140] Die "Archae" ist "En-ergeia" und damit der Ursprung von allem was existiert. Siehe auch: "En archae en ho logos". [141] Hiermit können wir das semantische Feld von "Noos" genauer markieren, ohne es, wie schon gesagt, definieren zu wollen. "Noein" ist die Tätigkeit des Unterscheidens und Einordnens, also der Klassifikation und Hierarchisierung der Lebens-Eindrücke. Weiterhin ist es eine Gedächtnistätigkeit. Ohne Erinnerung von etwas Ähnlichem kann es keine Klassifikation geben. Erinnerung ist damit eine der Grund-Voraussetzungen von "Noein". Diese Grund-Funktionen sind unserem Nervensystem schon eingebaut, so dass wir durch unseren neuronalen Apparat schon mit einer Welt als Produkt von Millionen vorgefertigter Kategorisierungen konfrontiert werden, bevor wir überhaupt anfangen, wissentlich zu denken. [142]

Das, was man im Allgemeingebrauch "Denken" nennt, ist im wesentlichen das Arbeiten mit begrifflichen, sprachlichen und anderen Symbolen. In der Philosophie-Geschichte hatten Intelligenz-Äusserungen, die sich schwer verbalisieren oder formalisieren lassen, einen etwas schwierigeren Stand. So ist der riesige Bereich der performativen, kinesthetischen, technischen, artistischen und künstlerischen Traditionen ein weiteres wesentliches Thema der Noologie. Diesen Bereich habe ich in meiner Dissertation (Goppold 1999d) schon ausführlich beschrieben.
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn10.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn24.htm
1.7.2. Das Handlungs-System
Der angebornen Farbe der Entschliessung / Wird des Gedankens Blässe eingekränkelt
Shakespeare, Hamlet, III, 1

"Der Handelnde ist immer gewissenlos; es hat niemand Gewissen, als der Betrachtende" (Goethe).
Spengler (1980, 1112)

Das Thema der Lebenspraxis führt direkt hin auf das Handlungs-System der Noologie. Hierfür formuliere ich das Konzept des LHWissens. [143] Dies wird auch in Anlehnung an die Dharma-Programmatik des Buddha formuliert. [144] Die Noologie zielt wesentlich auf die Kluft zwischen Wissen und Handeln. In meinem Verständnis von Noologie nützt Wissen allein überhaupt nichts, um irgendetwas praktisch umzusetzten, also ganz im Gegenteil zu Bacons (falsch zitiertem) Diktum: "Wissen ist Macht". [145] Ich führe diese Thematik in Teil IV weiter aus: "Natürliche Führerschaft und Charisma: What They Can't Teach You at Harvard Business School". Eins der grössten Probleme der Menschheit war schon immer, dass die Leute, die zu wenig wussten, zu viel Macht hatten, und die Wissenden zuviel Skrupel hatten, irgendetwas von Konsequenz zu tun. [146] Dazu folgendes Zitat:

The problem is that the supreme enlightened (so far we can ascertain) are not very creative, let alone dwelling on the summit of such activity. On the contrary, one might cynically observe that trademarks of vita unitiva/sahaja samadhi/baqa, judging from lives of Ramana Maharshi, legendary Bodhidharma or Suso are lethargy, apathy or asocial quietism. The fact that a few realized mystics were also powerful and charismatic writers (Rumi, Angelus Silesius, Sri Aurobindo,..) doesn't alter the sobering truth: creativity, as we are used to understand the meaning of this word, is a specific activity of struggling human beings doomed to subject-object relational isolation. In this sense, neither God, nor the God-realized humans present epitomes of creativity.
www.kheper.net/topics/Wilber/atman_fiasco.html

Reflexion und Handlungsfähigkeit stehen oft in einem Antagonismus. Das mag auch damit zusammenhängen, dass es ein Charakter-Thema ist, welche Menschen sich der Reflexion, und welche sich dem "Feld des Handelns" widmen. In einem späteren Kapitel "Lust, Frust, Leid und die Sucht nach Ewigkeit" wird dies unter dem Thema der Galen'schen Charakter-Typen weiter ausgeführt. [147]

Denn es sind besonders Melancholiker, die sich der Reflexion widmen. Umgekehrt finden sich unter den Politikern eher Sanguiniker und Choleriker. Beispielsweise ist Platon als Politiker erbärmlich gescheitert, und sein Entwurf der "politeia" ist heute (nach Popper) eher ein Beispiel erzreaktionärer Gesinnung, denn ein Standardwerk politischer Philosophie. [148] Aristoteles war zwar der Erzieher von Alexander, aber er konnte ihm offensichtlich nicht die notwendigen ethischen und politischen Weisheiten beibringen, die er gebraucht hätte, um mit seinen Eroberungszügen einen dauerhaften Einfluss auf die Welt zu haben. Diese Diskrepanz wurde in neuerer Vergangenheit von Oswald Spengler genauer ausgearbeitet, und er selber war ein paradigmatischer Stubengelehrter und Schreibtischtäter. Er hatte den Antagonismus von Reflexion und Handlungsfähigkeit klar erkannt und theoretisch durchdrungen, und war ihm in seinem persönlichen Schicksal ebenso hoffnungslos verhaftet.

Es gibt geborene Schicksalsmenschen und Kausalitätsmenschen. Der eigentlich lebende Mensch, der Bauer und Krieger, der Staatsmann, Heerführer, Weltmann, Kaufmann, jeder, der reich werden, befehlen, herrschen, kämpfen, wagen will, der Organisator und Unternehmer, der Abenteurer, Fechter und Spieler, ist durch eine ganze Welt von dem "geistigen" Menschen getrennt, dem Heiligen, Priester, Gelehrten, Idealisten und Ideologen, mag dieser nun durch die Gewalt seines Denkens oder den Mangel an Blut dazu bestimmt sein.
Spengler (1980, 575)

So kann man die paar Wissenden der Menschheitsgeschichte, die Politik und Weisheit verbinden konnten, an den Fingern einer Hand abzählen: Etwa im Westen Marc Aurel und Nicolaus Cusanus, einige islamische Weise, die unter den Kalifen und in Zentralasien Beraterfunktionen ausübten, und im Osten Kung Fu Tse, der die Staatsphilosophie Chinas formuliert hat. [149]

@ :WAHR_WIRKLICH
Wie man Politik macht? - Der geborene Staatsmann ist vor allem ein Kenner, Kenner der Menschen, Lagen, Dinge. Er hat den "Blick", der ohne Zögern, unbestechlich den Kreis des Möglichen umfaßt... Das Richtige tun, ohne es zu "wissen", die sichere Hand, die den Zügel unmerklich kürzer faßt oder fallen läßt - es ist das Gegenteil von der Begabung des theoretischen Menschen. Der geheime Takt allen Werdens ist in ihm und in den geschichtlichen Dingen ein und derselbe. Sie ahnen einander, sie sind für einander da. Der Tatsachenmensch... hat die Frage des Pilatus beständig auf den Lippen. Wahrheiten - der geborene Staatsmann steht jenseits von wahr und falsch. Er verwechselt die Logik der Ereignisse nicht mit der Logik der Systeme. "Wahrheiten" [existieren nur] ... hinsichtlich ihrer Wirkung, deren Stärke, Dauer und Richtung er überblickt und für das Schicksal der von ihm gelenkten Macht in seine Rechnung stellt.
Spengler (1980,1112)

Politische Fähigkeit liegt anscheinend in einem Feld menschlicher Intelligenz, das mit rein rationalen und logischen Kriterien schwer zu fassen ist. Hier kommen solche Trend-Begriffe aus der Management-Literatur vor wie: Emotionale Intelligenz, Social Competence, Leadership, etc. Die meisten Menschen lassen sich bei den meisten ihrer Handlungen nicht von kognitiven, logischen und kalkulatorischen Prinzipien (oder auch den Prinzipien des Homo Oeconomicus) leiten. Schlimmstenfalls werden sie gelenkt von blinden Impulsen, konditionierten Reflexen, und der Massen-Manipulation (Beispiele: Werbung und Ideologie). Wenn es besser kommt, dann folgen sie einem schwer zu definierenden Leitfaden, der Common Sense und Intuition genannt wird. Die Grundlagen behandele ich unter dem Arbeitstitel "Das neuronale, subsymbolische Wissen". [150] Die Anwendung soll auch ausführlicher in der Fortsetzung der Schrift "Natürliche Führerschaft und Charisma" ausgearbeitet werden.
->: NOO_CHARISMA, p. 351

Im vorliegenden Kontext der Noologie steht vor dem Handeln, der Entscheidung, und der Tat, das Spannungsfeld von widerstreitenden Anforderungen, Zielen, Wünschen, zur Verfügung stehenden Mitteln, beteiligten politischen Interessen etc., das es zu erkennen gilt. (Gnothi Se Auton). Das Ziel der Handlung ist zuerst die Befriedigung (satias) einer inneren emotionalen Spannung (dis-satiation), [151] von der wir glauben dass wir sie durch eine Veränderung der äusseren Umstände erreichen können. Erst nachdem wir gehandelt haben, erkennen wir, dass sich damit immer neue Spannungsfelder auftun. Dies ist auch die Erkenntnis der asiatischen Karma-Lehre. Die Sapientia beinhaltet die Erkenntnis, dass die Zyklen von Dis-satiation und Handlung unendlich sind, und dass der Ausweg nur durch das Spannungsfeld von Satias und Dis-satiation führen kann.

Insofern entspricht auch die alte Weisheit "Politik ist die Kunst des Möglichen" durchaus dem Prinzip der Spannungsfelder. Was in der Noologie zusätzlich erfasst werden kann, ist eine flexiblere Technik im Erkennen von und im Umgang mit Spannungsfeldern. Der menschliche Normal-Verstand lässt sich leicht durch die Umstände und durch seine dualistische Predisiposition in den Eindruck treiben, dass in einer Situation unvereinbare Gegensätze vorliegen, wo manchmal ungeahnte Affinitäten liegen. Die Dynamik von mehrpolaren Spannungsfeldern erlaubt es, Gegensätze aufzulösen, wenn andere Formen von Koalitionen (Affinitäten) möglich sind.

1.7.3. Emotionale Intelligenz, die "Logik der Empathie", Charisma
@ :EMOT_INTELL
Die besondere Bedeutung des Spannungsfelds von Mentaler und Emotionaler Intelligenz (Mental / Cognitive <-> Emotional / Empathic), der "Emotionalen Intelligenz", oder "Logik der Empathie" lässt sich am besten darstellen, wenn wir die "Zusammenwerfung" genauer untersuchen, die in Wilbers "Upper Left" seines Quadranten stillschweigend vorgenommen wird.
->: MENTAL_EMOTIONAL, p. 41; ->: WILBER_QUADRANT, p. 27

Die Themen von "emotion" und "sensation" sind dort unauffällig eingeschoben, und es ist unklar, auf welche Weise diese Konzepte in seine Hierarchie oder in Wilberspeak: "Holarchie", eingebunden sind. Emotion, Charisma, und Intuition sind höhere Formen des Noein, die nicht symbolisch und konzeptuell sind, mit denen es aber auch möglich ist, komplexe Handlungsgefüge zu vollziehen.

Die westliche Tradition der Philosophie tendiert ebenso wie Wilber dazu, sich bevorzugt den Themen von Kognition, Rationalität, Logik, und Mentalität zu widmen. (Dies aus dem naheliegenden Grund, weil die meisten Philosophen Männer waren, s.u.) Wilber hat dies an verschiedenen Stellen in seinem Werk zwar thematisiert, aber er kann sich selber dem Einfluss dieser Pre-Skripte [152] nicht entziehen, und so ist auch sein System hauptsächlich Mental und Kognitiv. Zusammenfassend kann man dies als einen Komplex von ethno- / euro- / logo- / ratio- Zentrismen behandeln.

Das Hintergrund-Thema ist, dass es zwei verschiedene Grundtypen von Intelligenz gibt, die sich entweder bevorzugt auf dem Bereich OBJ oder den Bereich SEM ausrichten. Diese werden als OBJint und SEMint abgekürzt. In der Alltagssprache nennen wir SEM auch: Das Zwischenmenschliche. Diese Ausrichtung ist zudem noch geschlechts-spezifisch: Die Mehrheit der Männer tendiert eher zu dem Bereich OBJ während die Mehrheit der Frauen auf SEM ausgerichtet sind. Hier gilt übrigens auch die 70-90% Regel, die besagt, dass die Ausrichtung einer statistischen Verteilungsfunktion folgt, nach der etwa 70-90% der Fälle mehr zu dem einen Typ tendieren, als dem anderen, aber je nach Situation und Stimmungsschwankung auch mal anders reagieren können. Das kann jeder noch so rationalistischer "Hirni" selbst erleben, falls er einmal in die Situation kommen sollte, "verliebt" zu sein.
->: PROZENT_REGEL, p. 121

Ein wesentlicher Faktor in dieser Ausprägung ist anscheinend die (embryonale) Testosteron-Konzentration und ihr Einfluss auf die Entwicklung des limbischen Systems (nach Simon Baron-Cohen). Aus diesem Grund variiert die Orientierung von Frauen auch mit ihrem Hormonspiegel, je nach der augenblicklichen Phase ihres Zyklus. Bei Männern ist zu beobachten, dass Homosexuelle wiederum stärker SEMint orientiert sind als Heterosexuelle.

Neuere neurowissenschaftliche Befunde haben ergeben, dass für das SEMint auch verschiedene Gehirnregionen als für das OBJint involviert sind: Kürzlich (2004) ging ein Fall eines Mannes durch die Fachpresse, der aufgrund eines Gehirn-Traumas funktional blind geworden war. (Zur Erläuterung: sein Auge und der Sehnerv funktionierten normal, aber die höheren visuellen Zentren waren geschädigt). Obwohl er nichts sehen konnte, konnte er dennoch auf Personen-Photos erkennen, was der emotionale Zustand der abgebildeten Person war: eher freundlich, freudig, und offen gestimmt, oder aber feindlich, wütend und verschlossen. Dies gibt einen wesentlichen Hinweis darauf, dass emotionale und intersubjektive Signale der zwischenmenschlichen Kommunikation über eigene "Kanäle" geleitet werden, und dass es folglich auch eigene Hirn-Bereiche der Emotionalen Intelligenz und der "Logik der Empathie" geben muss. Ein besonders interessanter Bereich dieser Fähigkeiten ist das Charisma. Diese Thematik soll in einem späteren Abschnitt weitergeführt werden. ->: NOO_CHARISMA, p. 351
1.7.4. Noo-Pathologien
Im Rahmen der Noologie ist das Spannungsfeld von Mentaler und Emotionaler Intelligenz (Mental / Cognitive <-> Emotional / Empathic) eine besonders reiche Fundgrube für mögliche Noo-Pathologien, die durch Imbalancen zwischen diesen Noos-Faktoren entstehen können. Dies markiert ein Fokusthema, das später unter dem Thema "Die Pathologien des Massenbewusstseins" weiter ausgeführt werden soll.
->: NOO_PATHOLOGIE, p. 158; ->: MASSEN_PATHOLOGIE, p. 173

Dies ist der Bereich des Inter-Personellen (sozialen / kulturellen), der Bereich SEM als ultimates Manipulations- und Perversions-System. Die Problematik wird vor allem dann virulent, wenn eine extrem hochentwickelte technisch- materialistisch- mechanistisch- wissenschaftliche mental- kognitiv-Struktur mit einer unterentwickelten primitiven, und unreflektierten emotionalen Intelligenz zusammen auftritt, die von den niedrigsten Trieben der Gier beherrscht wird. Dies ist ungefähr das Bild, das das heutige kapitalistische Globalisations-Dominator-System bietet, aber auch in seinen komplementären Erscheinungsformen, den irrationalen, mythischen Gegenbewegungen, wie etwa des radikalen, fundamentalistischen Islam.

Wilber behandelt in EKL (210-236) die sozial-noetische Entwicklung, die ab ca. -1400 in den Zivilisations-Zentren der Menschheit einsetzte, als Ablösung von magisch-animistischen und stammesgebundenen Strukturen zu einer Form, die er mythisch-rational nennt (EKL 220ff). In der Sprache der Noologie wurden hier bestimmte geistige Durchbrüche zu Systemen gemacht, die im generischen Sinne "kat-holisch" (kata holon) waren, die also die Zugehörigkeits-Bedingung eines Ethnos überwanden. Es handelt sich um Ablösungs-, und Abstraktions-Prozesse, die gleichzeitig auch Formen der Entwurzelung (also des Sturzes aus früherer Geborgenheit) waren, und damit auch die Möglichkeit für universale(re) Systeme der Massen-Manipulation bargen, welche auch ausgiebig genutzt wurden. [153] Ich mache hier rein hypothetisch die Annahme, dass diese Entwicklung auch aufgrund bestimmter geistiger Durchbrüche des Buddhismus wie auch des Christentums möglich wurde. Und genau aus diesem Grund musste das Dharma-Programm des Buddha scheitern, weil sich hier eine völlig neue Dimension der geistigen Massen-Pathologie aufgetan hat, für die die Lehre Buddhas keine Antwort bieten konnte, weil sie durch ihn ja sozusagen erst in die Welt gesetzt worden war. [154]

1.8. Das ultimate Spannungsfeld der Noologie

(Anspruch <-> Erreichbarkeit <-> Sinnhaftigkeit)
1.8.1. Noologie: noch ein Fall von intellektueller Hybris?
@ :NOO_HYBRIS
Eine Programmatik von Leitmotiven wird vor allem dann zum Leidmotiv, wenn erkennbar ist, dass sie prinzipiell oder aufgrund der Begrenztheit menschlicher Fähigkeit unerfüllbar ist. So lässt sich argumentieren, dass das Unterfangen der Noologie aus prinzipiellen Gründen zum Scheitern verurteilt ist, und dass es genauso eine Hybris ist, wie die Projekte von Ken Wilber. Wenn man irgend etwas über "Alles" sagen will, sagt man genausogut "Gar Nichts". Hegel drückte das passend so aus: "In der Nacht des Absoluten sind alle Katzen grau". Weiterhin gibt es schon unzählige weitere Schriften, die sich diesen oder jenen Aspekten der obigen Generalthemen widmen. Was wäre der Nutzeffekt, diesem Berg noch ein Exemplar hinzuzufügen? Dies wäre das ultimate Spannungsfeld der Noologie: Zwischen Anspruch und Erreichbarkeit, und dann der Sinnhaftigkeit des Unterfangens. Dazu noch ein passendes Zitat bei kheper.net, das eine analoge Kritik an Wilber äussert:

There are two figures in the history of ideas that Ken Wilber reminds me of (from my superficial reading of these subjects). The first is Pico della Mirandola, the Renaissance Platonist and Humanist. Note that in those days "Humanism" was not at a secular reaction against religion, but focussed on the relation of the human to the divine, seeing in human beings the summit and purpose of God's creation. The second is H.P. Blavatsky, founder of the Theosophical Society, who single-handedly created modern western esotericism.

Just as Pico attempted to establish a universal religion and system of knowledge based on a synthesis of Christianity, Platonism, Aristotelianism, Averroism, Stoicism, Hebrew thought, Jewish Kabbala, and many other fields of knowledge, all incorporated into a single all-embracing religious and philosophical system, and publishing his 900 theses on all possible subjects, "Conclusiones philosophicae, cabalasticae et theologicae", so Wilber seeks to incorporate all current fields of human knowledge within the compass of a single "Integral" philosophy.

However, the "neo-Renaissance" Wilber also differs from the Pico and his contemporaries in at two important respects. First, the Renaissance scholars were romantics, a philosophical position that Wilber rejects as "pre-rational". The Wilberian approach to systematising and categorising is ironically much closer to the Aristotelian and Aquinian position. Second, as Richard Hooker observes "Renaissance Platonism cannot really be easily considered as a school or even a coherent movement, and apart from the Academy founded by Marcilio Ficino and Cosimo de'Medici, it had very little support as a distinct discipline.. It was more important for its diffusion into a variety of philosophies and cultural activities, such as literature, painting, and music." [Renaissance Neo-Platonism] In contrast Wilber has established a school, an institute, the Integral Institute, based on and around his own systematisation of all human knowledge.
...
An impressive claim. Wilber's critics may consider it a bit too impressive. But this is not to deny that Ken Wilber in some respects seems like a latter day Pico della Mirandola, unifyimg fields of knowledge that have for the most part been separate and isolated since the Renaissance at least (Pico was a Renaissance Neoplatonist who incorporated all fields of human knowledge into a single all-embracing philosophical-religious system). It is just a question of whether - giving the current exponential growth in human knowledge (in my mind a symptom of a coming technological singularity) such a synthesis is even possible, and if it is, how best to go about doing it? (and yes this is a subject that I myself am also concerned with).
...
For this reason, a better analogy to Wilber's revolutionary approach and synthesis, although perhaps one he and his students may feel less comfortable with, is Madame Blavatsky, perhaps the greatest esoteroic-exoteric synthesiser of the 19th century (Hegel of course was superior in philosophical systematisation, but Hegel did not deal with mysticism and esotericism). She also in 1875 (with the help of Henry Steel Olcott and William Q. Judge) founded an instiute - the Theosophical Society - "to collect and diffuse a knowledge of the laws which govern the Universe". What is interesting Blavatsky was the first to incorporate East and West in a way that gives primary emphasis and praise to the wisdom of the East. Many concepts that Wilber presents in his integral philosophy - the stratified reality with its manifold levels, the long, painstaking linear evolution of the self through all these stages to perfection in godhead, the monistic emphasis on the impersonal Absolute (Atman-Brahman) as the ground of all, the vedantic koshas and the trilogy of gross, subtle and causal states [see ], the sympathy to and development of Tibetan Buddhist teachings, the harmony between and synthesis of science, philosophy, and mysticism..., all these and more are common to both the Theosophy of Blavatsky and her successors, and the Integral Philosophy of Wilber and his students.
...
Time and again, he takes widely divergent maps of consciousness and squeezes them into the same procrustean bed (for a good example of this, see the table of charts at the back of Integral Psychology). Perhaps because he reads so widely he does not have time to absorb in depth the intricacies and details of each scientific field, and each spiritual teaching. Because of this he tends to misunderstand evolutionary science, and teachers like Sri Aurobindo who go beyond the simple Zen and Advaita-based monism of his own belief-system
www.kheper.net/topics/Wilber/Wilbers_method.html

Dieser Kritik muss sich jeder Ansatz aussetzen, der ähnliche Ansprüche stellt. Nach meinem Eindruck ist Wilbers Werk aus stuktureller Sicht eine Neuauflage der Summa Theologiae des Thomas Aquinas (der sich wiederum auf Aristoteles beruft), mit dem konsequenten Abstraktionsschritt weg von der Konfessions- oder Religions-Gebundenheit.

Sachlich ist gegen den Vergleich mit Mme. Blavatski einzuwenden, dass Wilber nichts mit Okkultismus, Psycho-Phantasien und ätherischen Maitreya-Meistern im Sinn hat, sondern eine sehr mentale, rationale Linie fährt. Er macht einen ernstzunehmenden Versuch, die Shunyata-Logik wirklich einzusetzen. Und das ist Lichtjahre entfernt von den primitiven Phantasien einer Mme. Blavatski. Im Sinne einer Progression der Reflexions-Phänomene (oder kultureller "Evolution" in Wilberspeak) hat er auch die geschichtliche Lektion beherzigt, die Krishnamurti als der intendierte Maitreya-"Auserkorene" den Theosophen als kalte Dusche ins Gesicht geschüttet hatte. [155]

Hier noch einige Antworten auf den möglichenVorwurf von intellektueller Hybris:

1) Das Olympische Prinzip
Die erste Antwort ist analog zu dem "Olympischen Prinzip" nach Baron de Coubertin: "Dabeisein ist alles", oder wie schon angesprochen: "Die Kunst der Selbst-Reflexion ist die höhere Kunst des Scheiterns". Es kommt vor allem darauf an, dass man es versucht hat. Wissenschaft ist, wie so viele andere Phänomene der Menschheit, ein Nachahmungs-Effekt: Wo einer etwas gefunden hat, stürzt sich eine ganze Meute hinterher, und wie die Goldsucher gräbt man in denselben Gängen und Passagen immer weiter, auch wenn man nur noch winzige Krümel findet, die kaum reichen, den Aufwand zu bezahlen, den man getrieben hat, um sie zu finden. Zwar kann man nicht unbedingt behaupten, dass die Wissenschaft aufhört, Ergebnisse zu produzieren, [156] aber ein anderer Effekt ist unübersehbar: Z.b. werden die Atomar-Teilchenbeschleuniger immer grösser und teurer, dass sie irgendwann in absehbarer Zeit letztlich unbezahlbar werden. Die bekannte Mooresche Funktion, die Verdoppelungsperiode der Zahl der Transistor-Funktionen auf einem Chip steigt zwar konstant weiter wie vorhergesagt, aber ebenso steigen auch die direkten und indirekten Folgekosten der Chip-Produktion ins Exponentiale. Und solche weiteren Beispiele gibt es an allen Stellen zuhauf: Wissenschaft hat sich zu einer Materialschlacht entwickelt, die zunehmend desaströs wird. [157] Das einerseits durch die volkswirtschaftlichen Kosten der Forschung, andererseits durch die ökologische Zerstörung, die in der kapitalistisch- profit-maximierenden Anwendung der Ergebnisse der Wissenschaft verursacht wird. Wissenschaft wird zunehmend zum Patent- und Copyright-besetzten Territorium, das nur noch den Gross-Kapital-Eignern zugänglich ist. So liegen die limitierenden Grenzen der konventionellen Wissenschafts-Produktion weniger in der prinzipiellen Machbarkeit, sondern in den sozialen Nebenkosten und der Komplexitäts-Explosion, die sie erzeugt. Irgendwann werden bei der exponentiellen Rate der laufenden "Wissens"-Produktion die medialen Wissens-Speicher- und Abrufprobleme die Wissenschaft blockieren. Eine ausführliche Kritik an den tieferen Limitationen des Wissenschaftsbetriebs findet sich bei Feyerabend (1975).

Wenn klar ist, dass die Erfolgswege der letzten 300 Jahre Zivilisation zu Sackgassen werden, muss nach Auswegen gesucht werden, und man muss in Kauf nehmen, dass viele der Auswege-Sucher ebenfalls in Sackgassen enden werden. Insofern ist das Programm der Noologie nicht zu vergleichen mit dem Konstruktionsplan einer Brücke oder eines Schiffs, weil nicht zu erwarten ist, dass das Werk irgendwie vollendet werden wird. Hier geht es um Erweiterung von Grenzen, und diese definieren Geltungsbereiche von Kontexten, die wohl nie ausgefüllt werden können, aber dennoch ein noetisches Territorium abstecken. [158]

2) The Never Ending Quest
Dies war das Thema des Zitats von Gotthard Günther am Anfang. Es ist anscheinend das Schicksal bestimmter (relativ seltener) Charaktere in der menschlichen Rasse, sich Dingen zu verschreiben, die den praktischer und konkreter orientierten Zeitgenossen nur als "spintisieren" erscheinen. Es sind immer nur wenige, die diesem Drang verfallen, dafür aber umso unrettbarer. Wieso dieser unersättliche Drang aber entsteht, und wie er wirkt, ist eher rätselhaft. Diesem Thema habe ich eins der folgenden Kapitel gewidmet: "Der Sündenfall und die Sucht nach "Selbst-Reflexion" [159] Auch Ken Wilber scheint einer von denen zu sein, die diesem Drang verfallen sind, und er hat noch die besondere Gabe, seine Ergebnisse gut an das breite Publikum zu bringen und zu vermarkten, was die meisten anderen seiner Art nicht so gut können. Die Ikonisierung der "great universalist originals and polyhistors of the past" (s.o.) ist auch eine Immunisierungs-Strategie. Natürlich kann heute niemand mehr alles Wissen der Menschheit über- und noch weniger durchblicken, aber das sagt nichts über die Möglichkeit und Notwendigkeit, Struktur-Systeme (oder in technischer Sprache: Datenbanken und Ontologien) dafür zu entwerfen.

3) Vermischung von Substanz- und Prozess-Wissen, sowie von Struktur- und Inhalts-Wissen.
Nach den letzten Absätzen dürfte deutlich sein, dass auch bei einem Ansatz wie der Arbeit Wilbers das Scheitern als Teil des Prozesses billigend in Kauf genommen wird. Ich versuche daher, sein Prinzip "I have one major rule: everybody is right" so gut wie möglich zu nutzen, und anstatt ihn negativ zu kritisieren, versuche ich seine Methode weiter zu entwickeln, besonders sein Prinzip des "Aufhebens", das ja von Hegel stammt. Meiner Ansicht nach sind die Pre-Skripte westlicher Denk-Formen, [160] die man auch die "Medialität des Denkens" [161] nennen könnte, mit gewissen Strukturproblemen behaftet. Dies könnte man so bezeichnen: Die indo-europäische Sprachstruktur prä-formiert das Denken in Richtung auf eine Dinglichkeit (Substanzialisierung). Dies lässt sich mit der Indo-Europäschen Präferenz für Substantiv-Worte vor Verben deutlich machen, die das Denken unmerklich in diese Richtung festlegt. Whitehead nannte das "the fallacy of misplaced concreteness". Siehe dazu auch die Sapir-Whorf Hypothese. Die Konsequenzen daraus sind: Fehlende Differenzierung zwischen Substanz- und Prozess-Wissen einerseits, und zwischen Struktur- und Inhalts-Wissen andererseits. Nach meinem Verständnis der Weisen des Ostens wären sie wohl sehr ungehalten, wenn sie mit dem schriftlichen Nachlass ihrer Denk-Schulen konfrontiert würden, und würden ihn in der Luft zerreissen. (Ausgenommen vielleicht Kung Fu Tse). Was die Errungenschaft der Weisen des Ostens ausmachte, war Prozess-Wissen und nicht Substanz-Wissen, und m.E. hat auch Wilber in seinem System den "Spirit" irgendwo wieder substanzialisiert. [162] Zwar besagt Wilbers Zitat zu dem Atman-Projekt, [163] dass "Spirit" völlig ausserhalb (eschatos) dieser Welt ist, aber wie er dann in seinem System zu der Substanz wird, aus der die ganze Welt besteht, macht irgendwie den Eindruck einer "heiligen Wandlung" die er irgendwo vollzieht, wo sich das absolut Substanzlose dann doch in Substanz verwandelt. Das ist im wesentlichen auch der "Kunstgriff" des Advaita Vedanta, [164] durch den sich das Non-Duale Brahman vermittels "Maya" in den substanzlosen Epiphenomena (Überlagerungen) von Ego (Jiva) und Welt manifestiert. Und um das Verfahren zu verstehen, muss man wohl den Samadhi-Zustand der Non-Dual Awareness schon erreicht haben, was mithin die Vorbedingung wäre, um einen Durchblick durch Wilbers System zu bekommen.

Es geht das geflügelte Wort in spirituellen Kreisen, dass es für einen erleuchteten Meister und seine Realisation kein schlimmeres Schicksal gibt, als dass sich eine Schule nach ihm bildet. [165] Das kann ich zumindest nach meinem Verständnis der Le(e/h)re des Buddha behaupten. Für mich ist der zentrale Satz zum Verständnis des Buddhismus ein Ausspruch, den er machte, als er am Anfang seiner Laufbahn von seinen Jüngern gebeten wurde, zu predigen. Er sagte: "es ist eigentlich ziemlich sinnlos zu predigen, denn die, die das Zeug haben, meinem Weg zu folgen, werden ihn auch ohne mich finden, und die, die nicht das Zeug haben, denen hilft auch noch so viel Predigen nicht." Nach meiner Einschätzung ist dies genau, was mit den vielen Schulen des Buddhisumus passiert ist. Der Buddha formulierte eine Praxis zur Befreiung vom Leiden, aber kein System des Wissens.
1.8.2. Noologie und die höhere Kunst des Scheiterns
@ :NOO_SCHEITERN
Als Abschluss für diesen programmatischen Teil fällt mir noch ein passendes Zitat ein:
Naturwissenschaftler steigen in ihrem Wissensfortschritt auf die Schultern ihrer Vorgänger, während Geisteswissenschaftler einander immer nur auf den Füssen herumtrampeln.

Es ist leicht, das Scheitern eines anderen Denkansatzes deutlich zu machen. Es ist schon schwieriger, systematisch zu zeigen, warum das Scheitern unvermeidlich ist. Und es ist am schwierigsten, einen Ausweg zu zeigen, mit dem das Scheitern überwunden wird.

1.9. Das System des Ken Wilber in der Perspektive der Noologie

@ :WILBER_NOOLOGIE
1.9.1. Die Gotteskrieger sind wieder unter uns
Das Zentralthema von Wilbers Werk, der "Spirit", findet in der jetzigen Epoche eine ungeahnte Wiederkunft. Ich formuliere das mit einem geflügelten Wort:

"Wievele Schwalben braucht es, damit man merkt, dass es Sommer wird?"

Für einige Beobachter wird deutlich [166] dass gleichzeitig mit dem Aufstieg des materialistisch- / mechanistisch- / monetaristischen Dominationssystems, der heute mit der sog. "Globalisierung" in seine Vollendungs- und Erfüllungsphase geht, eine andere, antagonistische Entwicklung stattgefunden hat: Nämlich auch der Aufstieg verschiedener "spiritueller" Widerstands- und Gegenbewegungen, die sich auf die eine oder andere Weise unübersehbar machen. Am wenigsten zu übersehen ist wohl die Welle der islamischen Selbstmord-Attentate, die geradezu den Charakter einer Massenbewegung angenommen haben. [167] Weniger auffällig, aber genauso bedeutsam sind die Massen- Selig- und Heiligsprechungen, die unter Papst Joh. Paul II in seiner Amtszeit vorgenommen wurden. Ich habe die Zahlen gerade nicht parat, aber es sollen mehr gewesen sein, als in den letzten 400 Jahren davor insgesamt. Weiterhin erwähnenswert ist die entscheidende Rolle, die Papst Joh. Paul II bei der Zerschlagung der kommunistischen Herrschafts-Systeme gespielt hat. Und ebenfalls von Bedeutung ist, dass der Führer des gewaltigsten Machtkomplexes dieser Erde, G.W. Bush, ein bekennender Evangelical Christ ist (und mittlerweile auch fast 50% der US-Bürger, die ihn zum Präsidenten wiedergewählt haben). Diese Entwicklung macht es unübersehbar: Die Gotteskrieger sind wieder unter uns.

Irgendetwas bricht sich mehr oder weniger gewaltsam seinen Weg durch den materialistischen Panzer, der das Menschheitsbewusstsein seit der Aufklärung eingekrustet hat. Was die Romantiker des 19. Jh. [168] erträumten, die Hippie-Blumenkinder des 20. Jh., und was Morris Berman vor ca. 20 Jahren als Wunsch nach der "Wiederverzauberung der Welt" formulierte, kommt heute viel eher in allerlei Formen von Schwarzmagie daher. Spiritualität ist eben nicht nur gut und freundlich, sondern genauso auch böse, grausam und hässlich. [169] Wir sehen heute eine Umkehrung der Fronten eines uralten geistigen Kampfes, in dem die Bewegung der Aufklärung in ihrer wissenschaftlich- rationalen Form mit den allerbesten ethischen Absichten der Emanzipation vor gerade 400 Jahren mit Bacon, Galileo, Descartes und Newton als schwacher, verwundbarer Keim damals immer in Gefahr stand, von den Herrschafts-Strukturen der Staatskirche erdrückt zu werden. (Dieses damalige Herrschafts-System der Staatskirche nenne ich auch "Ancien Regime"). Die geistige Fundamentierung des Ancien Regime war mit der "Summa Theologiae" von Thomas Aquinas im 13. Jh. geleistet worden: Einem kohärenten System, in dem alle Phänomene zwischen Himmel und Erde in die Gesamtperspektive eines christlichen Geistes gezwungen wurden. Und diese Perspektiv-Leistung wurde dann in der Renaissance von den Malern in ein räumliches Ordnungsprinzip umgesetzt. Ken Wilber hat in meiner Interpretation eine Fortsetzung des Werkes von Thomas Aquinas geschaffen, diesmal abstrahiert von einer bestimmten Konfession und einem bestimmten Glaubenssystem, und damit im erweiterten Sinne oikomenisch und kat-holisch.
1.9.2. Kartographien des Bewusstseins
1.9.2.1. Konventionelle und verallgemeinerte Perspektiven
@ :PERSPEKTIV
Ken Wilber stützt sich in seinem System wesentlich auf Gebsers Arbeiten zur a-perspektivischen Weltsicht (EKL 236-244), und er stellt seine Formulierung des Resultats an die prominente Stelle in seinem System an die Spitze des Upper Left Quadranten unter dem Begriff "Vision-Logic" oder "Schau-Logik" (EKL 243). Mein Eindruck von seinem Unterfangen ist, dass es im wesentlichen im Upper Left Quadranten angesiedelt ist, also hauptsächlich (dyed in the wool) Mental und Kognitiv ist (obwohl er es selber lieber als "integral", "spirituell" und "allumfassend" verstanden wissen möchte). [170] Insofern stellt die "Vision-Logic" sozusagen "Das Auge auf der Pyramide" seines Systems dar. [171]

Ebenfalls ausgehend von Gebser, orientierten sich auch meine Arbeiten hin auf die Entwicklung eines abstrakten und verallgemeinerten Konzepts der Perspektive als Denk-Struktur-Schema oder -Technik. Die konventionelle Lehrmeinung zur Perspektive ist die einer Mal-Technik, die in der Renaissance entwickelt worden ist. [172] Formal und abstrakt interpretiert, ist die Perspektive aber ein Grund-Prinzip der Hierarchisierung und Ordnung. [173] In diesem Sinn ist "eine Perspektive gewinnen" die erste und ursprünglichste Verstandesfunktion, und jeder Erkenntnisfortschritt besteht im Gewinnen neuer Perspektiven. Ken Wilbers Arbeit ist in diesem geistigen Prozess ein weiterer Schritt in der Gewinnung neuer Perspektiven, wie er auch mit Hinweis auf Jean Gebser ausführlich darstellt.

Ähnlich ist es mit dem erweiterten Begriff der Perspektive: Dies ist ebenfalls eine Umformulierung der hierarchischen Methode, nämlich der Unterordnung des Sichtfeldes unter die Strahlengesetze des Blickpunktes. Bei der verständlichen Begeisterung für diese Methode, und besonders ihrer Macht-politischen Anwendung (z.B. das ideologisch-solarzentrische politische System des Roi Soleil, Lous XIV), [174] ist aber vergessen worden, dass der Mensch normalerweise zwei Augen zum Sehen hat, die Perspektive war also von Anfang an eine Zwangsmassnahme. Und so hat Gebser als bewusstseins-geschichtliche Nachfolge der perspektivischen Weltherrschaft das a-perspektivische Sehen eingefordert, was nichts anderes als eine Nach-Holung dieses offensichtlichen Versäumnisses ist. In meiner Interpretation besteht dieses Verfahren hauptsächlich in der Konstruktion von "mehrpolaren komplementären / kommunizierenden Perspektiv-Hierarchien". Das ist leider ein etwas sperriges Wort-Konstrukt, und ich habe es deshalb etwas umformuliert: "Das Design der Welt als Tripolares Spannungsfeld". ->: DESN_TRIPOLAR, p. 240

@ :AUGE_ZYKLON
Die Denktechnik besteht darin, eine Methode zur Überwindung des Dualismus zu entwickeln, indem man eine Dreipolare Komplementär-Perspektiv-Hierarchie konstruiert, in der drei Hierarchien in einem Kommunizierenden Komplementär-Verhältnis stehen. D.h. es gibt keine ultimate Zentral-Hierarchie, wie Wilber es mit seinem System des (leeren) "Spirit" erstellt, sondern im Tripolaren System entsteht die Leere "von selbst" im Zentrum (Auge des Zyklons / Zyklops) der drei komplementären Hierarchien. Das visuelle Denkbild hierzu ist das alte keltische und japanische Symbol des Triskellion (Nach Korvin-Krasinski). [175] Dieses Auge in einem tripolaren zyklischen System ist wiederum "Das Auge auf der Pyramide".
->: AUGE_PYRAMIDE, p. 99
1.9.2.2. Über Kartographien, Koordinaten- und Mass-Systeme
@ :KARTOGRAPHIE
"In other words, all of my books are lies. They are simply maps of a territory, shadows of a reality, gray symbols dragging their bellies across the dead page.."
"Foreword", in Frank Visser's Ken Wilber: Thought as Passion, 2000

Heute lassen sich die verschiedenen Ansätze zu Kartographien des Bewusstseins mit der Kartenzeichner-Kunst des Mittelalters vor Einführung der Mercator-Projektion und der Einführung des normierten rechtwinkligen (kartesischen) Längen- und Breitengrade-Systems vergleichen. Kartenzeichnen war eine "schwarze Kunst", die eifersüchtig gehütet wurde, und wenn das System der Karten nicht für den normalen Verstand sofort einsichtig war, umso besser, denn damit liess sich das Geheimnis der sicheren Passagen umso besser vor der Konkurrenz schützen. So waren die phantasievollen Ausschmückungen der alten Karten, über die sich spätere Generationen lustig machten, weil sie schon im Meridian-System zu denken gewohnt waren, nicht ganz so unnütz und phantasieverspielt, wie man glaubte. Man hatte nur die alten Codes vergessen. Portolankarten z.B. brauchten keine notwendige geo- / topographische Ähnlichkeit mit den Markpunkten der Erdoberfläche, weil auf ihnen z.b. dieselbe Distanz als längere Strecke eingezeichnet war, wenn auf dieser Strecke ungünstige Winde, widrige Strömungen, oder Untiefen eine längere Reise erforderten. All diese Informationen gingen mit der Einführung des normierten Koordinaten-Systems mehr oder weniger verloren, und galten nur noch als Seemansgarn. Natürlich hat das normierte Mercator-Meridian-System auch einen gewissen, kleinen Nachteil: Die Erde ist nicht flach, sondern eine Kugel, und lässt sich nicht in ein Quadranten-System einpassen, ohne den tatsächlichen Verhältnissen hier oder da ein wenig Gewalt anzutun (s.a. die Prokrustes-Methode). Allerdings ist es wohl ein Konsensus, dass die allgemeine Verbesserung des Orientierungs-Systems durch die Normierung ihre Nachteile aufwiegt. Es gibt Beispiele zuhauf, wie durch die Einführung "moderner" Normierungs-Systeme subtile und schwerwiegende Nebenwirkungen auftauchten: Die alten human-orientierten Mass-Systeme (das Masswerk-System von Elle und Fuss) und die darauf trainierten Handwerker und Baumeister sorgten dafür, dass alle Gegenstände des menschlichen Gebrauchs und der Behausung in einer optimierten Proportion zum Körper standen, die sich vor allem in der Bewegungsrhythmik von Werkzeugen oder des Körpers in der (Sakral-) Architektur niederschlug. Die besten Beispiele für die Meisterschaft dieser selbstverständlich und geheim beherrschten Kunst finden sich in der griechischen Tempel-Architektur und den europäischen Kathedralen. Aber auch die profane mittelalterliche Stadtplanung war noch nach diesem System ausgerichtet, und was heute chaotisch, verwinkelt, und verworren wirkt, war einmal nach einem genau bedachten Plan in den "Massen und Proportionen" (Ratio / Logos) des "Humanen Kosmos" geschaffen worden.

Dieser Proportions-Kanon beruht wesentlich auf dem Goldenen Schnitt, der überall in der Natur, und damit in den Proportionen des menschlichen Körpers zu finden ist. [176] Nach Einführung des metrischen Systems ging dieses Wissen weitghend verloren, unter anderem weil der Goldene Schnitt eine irrationale Zahl ist. Le Corbusier hat versucht, dieses Manko mit seinem Modulor-System wieder auszubessern, aber wohl ohne grossen Erfolg. Im Masswerk-System liegen für Schrauben und ähnliche Teile die Masse von 1/2, 1/4, 1/8, 1/16, etc. natürlicherweise schon fest, bzw. man nimmt als Basis die menschlichen Proportionen von ausgebreiteten Armen, Ellen, Fuss, Spannen, und Fingerbreit. Im metrischen System hat man keinerlei vorliegenden Proportionen-Kanon. Ähnliches gilt für die Zeitmessung: Die Normierung auf das Sonnenjahr und genormte Stundenlängen übergeht die menschlichen Biorhythmen, insbesondere der Frauen, deren Biologie dem Mondzyklus folgt.

Bei Wilbers System und Ansatz sticht die Ähnlichkeit mit den Kartographie-Systemen sofort ins Auge: auch er führt ein rechtwinkliges Quadrantensystem ein, und viele Geisteswissenschaftler und Philosophen halten ihn für einen "Terrible Simplificateur". Aber diesen inner-wissenschaftlichen Konflikt kann man auch als eine Widerstandshaltung einer alteuropäischen philosophischen Gelehrsamkeit interpretieren, die in traditioneller Verehrung der geheiligten Worte und Gedanken ihrer Geistesväter "kein jota" an dem ändern möchte, was sie einmal produziert hatten. Wie bei den Kartographien, kann vielleicht auch hier ein "Terrible Simplificateur" helfen, eine neue Perspektive über das Dickicht von tausenden Lehrmeinungen und Interpretationen zu gewinnen, das die Geistesgeschichte der Menschheit in den letzten ca. 5000 Jahren nach dem mythischen Turmbau zu Babel aufgetürmt hat. (Siehe EKL 504.)
1.9.2.3. Kartographien sind nicht wahr sondern brauchbar
Eine Kartographie stellt keinen wissenschaftlich veri- oder falsi-fizierbaren Anspruch auf Wahrheit nach der Popper'schen Methode, da sie ein reines Produkt des Noos ist. Sie ist "nicht von dieser Welt" und wie wir an dem Beispiel gesehen haben, tut sie meist der "realen Welt" irgendwo ein wenig Gewalt an. Das wird in dem alten Spruch: "The map is not the territory" veranschaulicht. Der Bewertungs-Masstab für eine Kartographie ist vielmehr an zwei Kriterien auszurichten: Erstens, wie tolerierbar sind die unvermeidlichen Unpassbarkeiten der Kartographie, und zweitens wie leicht ist sie einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Für eine Massen-Seefahrt hatte das Meridian-System den Vorteil, dass es eine Uniformität relativer Positionen zu einem gemeinsamen normierten Rahmen bietet, die mit den alten Kartographien nicht (so effizient) erreichbar war.
1.9.3. Holons und Holarchien
@ :HOLON_ARCHIE
Hierarchy, then, is simply an order of increasing holons, representing an increase in wholeness and integrative capacity. This is why hierarchy is so central to systems theory, the theory of wholeness or holism ("wholism"). And it is absolutely central to the perennial philosophy.
Ken Wilber, in: (URL) http://twm.co.nz/kwilb_eyspir.html
1.9.3.1. Holarchie und altweltliche Kosmologien
Ein Zentralthema in Wilbers System sind Holons und die Holarchie. Geistesgeschichtlich ist dies eine Wieder-Holung eines alten Schemas, das sich durch die Denksysteme der altweltlichen Kosmologien zieht. Das sprituelle Universum der altweltlichen Kulturen ordnete alle Phänomene in eine konzentrische Hierarchie ein (Wilber, EKL 38), in deren Mittelpunkt entweder Mount Meru, oder das jeweilige Summum Bonum des betreffenden Systems stand. Die alten Systeme waren wesentlich als Bilder spiritueller Welten intendiert, und nach dem Prinzip "Wie da oben so da unten" erstreckte sich ihre Gültigkeit auch auf die Dinge der materiellen Welt. Nicht zufällig assoziiert der englische Begriff "Whole" auch "Holy", und ein wesentlicher Bestandteil des semantischen Feldes von "Hieros" ist "Heilig". In der griechischen Diktion der Noologie ist dieser kosmologische Zentralpunkt die "Archae" oder "En-ergeia".

Wir finden die Holarchie des Himmlischen Reiches und der Hierarchie der Engel bei Dionysios Areopagita (Wilber, EKL 36, 412, 433, 494, 504). Diese Idee ist eine christianisierte Version der altweltlichen babylonischen Kosmologie, die sich auch in indischen und altamerikanischen Systemen nachweisen lässt. Dies lässt sich z.B. an dem Bauplan hinduistischer Tempel (z.b. Angkor Wat) und buddhistischer Stupas (z.b. Borobudhur), sowie der alten Stufenpyramiden, wie Ziggurats in Mesopotamien und China, oder der alt-amerikanischen Tempel der Maya, Azteken, Teotihuacan, und Nazca, demonstrieren. [177] Eine andere Darstellungsform dieser Anschauung sind Mandalas. Damit haben wir sowohl den Begriff der "Hier-Archie" in den ihm gebührenden Kontext eingebettet, als auch die sprituellen Konzepte, die Wilber verwendet. Er hat damit seinen eigenen Anspruch voll eingelöst, mit seinem Werk in der "grossen Tradition" oder "perennial philosophy" zu stehen und sie fortzusetzen, und er hat ein Zentral-Element dieser grossen Tradition in seinem Werk in neuzeitlicher Formulierung präsentiert.
1.9.3.2. Holons: Zusammen-Halt / -Haftung, Gregationen, Gestalt, Strukturen
Das Prinzip der Holons hat vier Ausprägungen:
1) Im Bereich der physikalischen Phänomene,
2) im Bereich der belebten Natur, auf den Ebene von Zellen, Organen und Organismen,
3) im sozialen Bereich von Tieren und Menschen (Gregationen), und
4) im kognitiven / emotiven Apparat, dem Anschauungs- und Vorstellungssystem der Menschen.

Es ist zu untersuchen, ob alle vier Versionen auf identischen Prinzipien beruhen und wirklich unter einen Gattungsbegriff "Holons" zusammengefasst werden können. Hierzu wird in Teil III unter "Das Spektrum der Gregationen" eine Strukturtheorie von Gregationen entwickelt, die sowohl die physikalische Natur als auch die Gregationen von Organismen umfasst.
->: SPEKTRUM_GREGATIONEN, p. 278
In einer wichtigen Diskussion des Nicolaus Cusanus "De Principio" wird die "integrative capacity" von Holons, die Wilber erwähnt, auf den Ursprung, die Archae (lat. principium) zurückgeführt.
->: URSPRUNG_HERRSCHAFT, p. 326
1.9.3.3. Einwände gegen Holons
Es ist zu prüfen, ob das altehrwürdige Konzept der Holarchie auch den Gegebenheiten der modernen Wissenschaften entspricht, d.h. ob es brauchbar ist, wissenschaftliche Phänomene auch wissenschaftlich adäquat einzuordnen. Ich habe vor einigen Jahren schon einen Beitrag dazu für das "Wholeness Seminar" geschrieben:
"The Whole, the Parts, and the Holes"
(URL) http://www.newciv.org/ISSS_Primer/seminrzd.html

In wissenschaftlicher Sichtweise kann man immer dann von Holons sprechen, wenn typische Zusammenballungen (Koaleszenzen) [178] existieren, die sich von anderen Koaleszenzen absetzen, und für bestimmte Zeit ihre Stabilität bewahren, wie es etwa bei Atomen, Planeten, Sternen und Galaxien der Fall ist. [179] Aber nach heutiger physikalischer Kosmologie formen diese Phänomene keinesfalls ein so schön geschlossenes Ganzes, wie es etwa der Platonischen oder Plotinischen Idee eines Kósmos entspräche. Atome, Planeten, Sterne und Galaxien stellen eher die Singularitäten des Universums dar, also die Ausnahmen. Es existieren grosse Lücken: Planeten sind nicht notwendigerweise Teil der Holarchie einer Galaxie, da Planeten nicht bei allen Sternen zu finden sind. Obendrein muss die Planeten-Materie zuerst durch Kernfusion in einem Stern und anschliessender Nova-Explosion "hergestellt" werden. D.h. der "Tod" von Sternen ist die notwendige Voraussetzung für die Existenz von Planeten. Weiterhin ist das Universum (vermutlich mehrheitlich) erfüllt von allerlei schwer fassbaren Dingen, die aber unabdingbar für den Zusammenhalt und seine Entwicklung sind: Etwa die interstellaren Staubwolken und die heute postulierte dunkle Materie und -Energie, die Hintergrundstrahlung, oder das Quantenvakuum, was alles kaum selber als Holons zu definieren ist, und daher kaum in einer wohlgeformten Universal-Holarchie unterzubringen ist. [180] Im Zusammenhang damit steht die kosmologische Frage von Gravitation vs. Rotation / Fliehkraft. Wie soll man sich erklären, dass fast alles im Universum sich genau so schnell dreht, dass es eben gerade noch nicht auf Grund der Zentrifugalkraft auseinanderfliegt? Bei subatomaren Teilchen sind das ungeheure Drehmomente (Spin).

Die Klasse der biologischen Holons bereitet weitere Schwierigkeiten: Zwar sind die Körper von Organismen separate Entitäten, und sind damit gute Beispiele für Holons, aber sie sind nicht holarchisch aufgebaut. Der Körper ist aus Organen und Zellen aufgebaut, aber alle diese Zellen entstehen durch Teilung einer einzigen Zelle, der Eizelle, und diese Einheit kann nicht durchbrochen werden. Wenn der Körper stirbt, sterben auch die Organe und Zellen ab, sie sind also nicht als unabhängige Sub-Holons existent. Die einzige Möglichkeit einer partiellen Weiterexistenz besteht in der Vermehrung, wenn also eine Samen- mit einer Eizelle verschmilzt und ein neues Lebewesen zeugt. Auch die komplexeren Protein-Moleküle zersetzen sich nach dem Tod, wenn sie nicht gleich gefressen werden, also in den organischen Recycling-Prozess eintreten. So gibt es also zwischen der Ebene von kürzeren Kohlenwasserstoffen und dem lebenden Organismus keine unabhängige Holon-Schicht. Dies steht im Gegensatz zur Darstellung Wilbers, etwa in EKL p. 39-40, 89-90.

Wieder anders verhält es sich mit den Unter-Holons der Materiepartikel. Hier kann man verschiedener Meinung sein, ob diese wirklich unabhängig existent sind. So existieren in unserer Welt keine einzelnen Atome, und schon gar keine Quarks oder andere Bauteile. [181] Nur wenn wir sie mit grossem Energie-Einsatz separieren und zerschlagen, können wir ihre Spuren wahrnehmen. Das ist aber ein sehr schwaches Kriterium für ein Holon, und widerspricht wiederum der Forderung, dass die niedrigeren Holons unabhängig vom Vorhandensein der höheren existieren können. Quarks benötigen für ihre Existenz unabdingbar die Technologie der Menschen, die Teilchenbeschleuniger bauen, um sie zu erzeugen.

Ähnliche Probleme finden wir bei den "Holons" der Gregationen, also Tier-Herden, Stämmen und Staaten. In der Wilber'schen Darstellung werden diese in eine Klasse mit den anderen "Holons" gesetzt. Aber solche Gregationen sind etwas ganz anderes als Organismen, und es sind schon viele Geschichts- und Sozialwissenschaftler der Versuchung erlegen, hier unzulässige Gleichsetzungen mit Organismen (wie etwa Spengler) oder als Super-Organismen (Soziobiologie) vorzunehmen. Darauf weist auch Wilber hin (EKL, 93-94). Er zitiert Habermas: "Der Staat ist kein Makrosubjekt".

So gibt es viele "Holons", die nur Teil unserer konzeptuellen Welt sind, d.h. die keinen ontologischen Ort in der Upper-Right Welt des Wilberschen Quadrantenmodells haben. Zwar sagt Wilber, dass jedes Holon "eine Entsprechung auf der rechten Seite" hat (EKL 451), aber das ist zu bezweifeln. Holons sind als Bestandteile der Karte nützlich: They belong to the map, not the territory. Der Schlüsselbegriff "integrative capacity" weist auf die begriffliche Dimension, auf die es wesentlich ankommt. D.h. es ist ein Abstraktionsschritt in der Kategorisierung, nicht mehr und nicht weniger. Eine solche Art von Holismus ist rein konzeptuell, also "in the eye of the beholder", und dürfte für die Wissenschaften auch weniger Probleme bereiten.
1.9.3.4. Das holonische Prinzip im menschlichen Vorstellungssystem
@ :HOLON_PATTERN
Unbezweifelbar lässt sich das holonische Prinzip im Vorstellungssystem der Menschen finden. So existiert es unter anderem Namen in der Kunst-Theorie und Ästhetik, vor allem in der deutschen Literatur unter dem Begriff der "Gestalt". Bei genauerer Betrachtung beinhaltet das Wort Pattern oder Muster schon das Prinzip der "Wholeness", da das Wahrnehmungssystem ein Pattern immer als "Einheit" darstellt. Das ist trivial, weil es ansonsten "Vielheit" darstellen würde. Diese Thematik behandele ich eingehend unter dem Titel "Morphologie". [182] Weiterhin beinhaltet es eine emotive Komponente. Das menschliche Empfinden verlangt nach einer "Schliessung" im emotionalen Sinne, am bekanntesten vielleicht aus der Dramaturgie der Kriminal- und Liebes-Romane. Das Theater (siehe theatron) [183] ist eine der ältesten Ausdrucksformen dieses holistischen Dranges. Die dramaturgische "Schliessung" beinhaltet auf anderer, spiritueller Ebene den Effekt der Katharsis, welche wiederum den rituellen "theo"-Aspekt des antiken Theatron illustriert. In anderen Worten: Man kann das menschliche spirituelle Verlangen auch als einen Drang zur "Wholeness" interpretieren, und die absolute Spitze dieser "Wholeness" ist eben in Konzepten wie "Gott", "Brahman", "Spirit", etc. "aufgehoben". Dass Wilber sich der "Wholeness" verschrieben hat, ist daher kein Wunder. Wissenschaftlich mag man höchstens einwenden, dass dadurch nichts "erklärt" wird. Und dass man im Drang der Suche / Sucht nach "Wholeness" dann überall nur noch "Wholes" oder Holons findet, ist quasi selbstverständlich. ->: STRUKT_THEORIA, p. 35

Wer nur einen Hammer hat, für den stellt sich die ganze Welt in Form von Nägeln dar.
Gerald Weinberg, "Secrets of Consulting"
1.9.3.5. Geistesgeschichtliche Einwände
@ :ATMAN_PROJ
We seek for Spirit in the world of time; but Spirit is timeless, and cannot there be found. We seek for Spirit in the world of space; but Spirit is spaceless, and cannot there be found. We seek for Spirit in this or that object, shiny and alluring and full of fame or fortune; but Spirit is not an object, and it cannot be seen or grasped in the world of commodities and commotion.
In other words, we are seeking for Spirit in ways that prevent its realization, and force us to settle for substitute gratifications, which propel us through, and lock us into, the wretched world of time and terror, space and death, sin and separation, loneliness and consolation.
And that is the Atman project.
Ken Wilber, in: (URL) http://twm.co.nz/kwilb_eyspir.html

Meine Befürchtung ist, dass diese "Suche nach dem Spirit" selber eine Pathologie ist, die die Phänomene von "time and terror, space and death, sin and separation, loneliness and consolation" erzeugt und akzentuiert, und auftürmt zu der Monumentalität des menschlichen Leidens. So wird "Der Geist der Widersacher der Seele", und bringt seine Kraft der Separation (Dia-Ballein) in das gelebte Lebens, das zerrissen ist zwischen den "spirituellen" Ansprüchen und der Wirklichkeit vom Treiben und Getrieben-Werden der Conditio Humana. Dies behandele ich in einem späteren Kapitel.
->: NOSOLOGIE, p. 141

Eine Sammlung geistesgeschichtlicher Einwände gegen Wilber ist bei kheper.net zu finden: www.kheper.net/topics/Wilber/index.html

Nach meinem Eindruck und Vorkenntnissen in der Materie ist die Kritik nach westlich philosophischer Sichtweise berechtigt. Wie ich oben schon gesagt habe, kann man Wilber durchaus einen "Terrible Simplificateur" nennen. Meine Lösung zu dem Dilemma ist die Methode des semantischen Relativismus, die ich kurz in dem Abschnitt über "Noos" skizziert habe. [184] Das semantische Problem ist, dass Begrifflichkeiten relativ zu ihren Kontexten sind, aber in manchen Kontexten mehr als in anderen. Was in der abendländischen formalen Wissenschaft ein absolutes Sakrileg ist, ist in der mystischen blumigen Sprache des Ostens gang und gäbe. Die Schriften des Taoismus sind dafür das klassische Beispiel: Das Tao, das benannt werden kann, ist nicht das wahre Tao, etc. Wenn man danach geht, müsste auf den Deckel des Tao Te King stehen: "Vor dem Lesen verbrennen!" da man einer begrifflich formulierten mystischen Weisheit von vorneherein nicht trauen darf. Die Konsequenz der alten Weisen war ja schon seit jeher, nichts aufzuschreiben, vor allem nichts wichtiges. [185] Insofern ist auch der Ansatz von Wilber paradox. Das sagt er aber auch ganz offen:

"In other words, all of my books are lies. They are simply maps of a territory, shadows of a reality, gray symbols dragging their bellies across the dead page, suffocated signs full of muffled sound and faded glory, signifying absolutely nothing. And it is the nothing, the Mystery, the Emptiness alone that needs to be realized: not known but felt, not thought but breathed, not an object but an atmosphere, not a lesson but a life."
"Foreword", in Frank Visser's Ken Wilber: Thought as Passion, 2000

In der Welt des Gewordenen, des "ergon" ist der Ursprung nicht zu finden. Die "Archae" oder "En-ergeia" ist nicht von dieser Welt. Darum ist im Madhyamika-Buddhismus des Nagarjuna das Zentralthema die Shunyata, die Leere, die mit nichts zu (be-)greifen ist, was weltlicher Verstand erzeugen kann. Auch wenn wir das biblische Gebot in aller Konsequenz interpretieren: "Du sollst keine Bilder von mir machen" so ergibt das denselben Sinn: Alles was man sich Konkretes von und unter Gott vorstellen mag, ist schon Sakrileg. Nur die Theologia Negativa kann dem Göttlichen gerecht werden. Diese Theologia Negativa existiert sowohl im Buddhismus ohne personalen Gottesvorstellung unter dem Begriff "Shunyata", als auch in der griechisch-orthodoxen Praxis, in der römisch-katholischen Theologie findet man sie eher selten, wie bei Nicolaus Cusanus. Leerheit und Theologia Negativa sind aber meist nicht Bestandteil von Volksreligionen, da normale Menschen ihre Vorstellungen vom Heiligen lieber in irgendetwas kleiden, das ihnen geistig und vorstellungsmässig be-greifbar ist.
1.9.4. Efflux, Evolution, Gedächtnis, und Kumulative Reflexion
@ :EFFLUX
Jede Modernität hält Abwechslung für Entwicklung.
Spengler (1980, 379)

Die Kernfrage der Evolution ist die des Aristo Telos oder der Entelechie. Im Verständnis der materialistisch- physikalistischen Natur-Wissenschaft darf Evolution nicht auf irgendeinen "Punkt Omega" hin zielen, da sie keine Intentionalität hat. Allerdings beinhaltet die Wortwahl und das Konzept schon eine Pseudo-Intentionalität, und die basiert auf einen semantischen Grund-Irrtum, den Darwin selber begangen hat: Er hatte sein Prinzip der "Selektion" von den englischen Gentleman- Pferde- Hunde- und Vogel-Züchtern ausgeborgt, und es stillschweigend in den Bereich der Natur "translatiert" (Wilberspeak). Die "Natur" der Physik und der Materie kann nichts "selektieren", weil für "Selektion" ein Unterscheidungskriterium und eine Intentionalität benötigt wird, nach dem oder für das man "selektiert". Die "Fitness" in Darwins Sprechweise heisst aber nur, das das überlebt und sich fortpflanzt, was eben überlebt und sich fortpflanzt. Es ist eine pure post-hoc Logik und damit eine Tautologie.

Die Entelechie ist ein Konstrukt des Geistes und des Spirituellen, und so sind Ideen wie der "Punkt Omega" des Teilhard de Chardin "natürlich" Konzepte einer Theologie, und in diesem Bereich müssen sie auch bleiben, und dürfen nicht mit den Evolutions-Ideen der Natur-Wissenschaften verwechelt werden. Daher muss man auch bei Ken Wilber untersuchen, wo evtl. unzulässige "Grenzüberschreitungen" stattfinden. Es dreht sich im vorliegenden Fall darum, die strukturelle Äquivalenz bestimmter Gedankenmuster im Bereich von Entwicklung, Gedächtnis, Reflexion, Evolution und Zeitlichkeit aufzuzeigen. M.E. korrespondiert das Zeitkonzept, das mit dem natur-wissenschaftlichen Ausdruck der "Evolution" verbunden ist, nicht mit dem Zeitkonzept von Spirit, Gedächtnis, und Reflexion. Wilber differenziert zwar die "zwei Zeitpfeile" (EKL 23-31, 95), aber differenziert das nicht konsequent in seiner Diskussion. Die Begriffe "Efflux" oder "Entfaltung" (EKL 95) wären für seinen Zweck besser passend, weil sie nicht schon durch das unpassende physikalistische Zeitkonzept "verbaut" sind. Ein paradigmatisches Beispiel, wie Wilber das Wort "Evolution" aus dem natur-wissenschaftlichen Kontext herausreisst, ist in EKL, p. 246 zu finden, wo er über den Irrweg des Marxismus spricht: "... was sich als derart abwegig herausstellte, dass sich die Evolution jetzt nach kaum einem Jahrhundert ernsthaft daran gemacht hat, diesen Irrtum aus der Welt zu schaffen." Wilber behandelt das Zentralthema der kulturellen "Evolution" in WSG (110-129), aber seine Argumentation besticht eher durch voll-tönendes Pathos als durch logische Konsistenz. Im Bereich des Menschlichen und Kulturellen ist das Leit-Phänomen die Reflexion, über die Spanne der Kulturellen Er-Innerung. Dies ist aber besser in dem bekannten Begriff des Kollektiven Lernens aufgehoben, als in einer verquasten Idee der "Evolution". Und das "Lernen" im Rahmen der kulturellen Reflexion ist ebenfalls ein tückisches Thema. ->: ZEIT_HERRSCHAFT, p. 293

Für eine weitere systematische Behandlung der Zusammenhänge von "Evolution", "Kultur" und "Gedächtnis" wäre es nötig, eine Ausarbeitung der phänomenologischen Struktur des individuellen und kollektiven Gedächtnisses zu machen, das sich in der Biosphäre erstreckt, und als Semiosphäre seine Kontinuität über ca. 4 Mrd. Jahre des Lebens auf der Erde bewahrt hat, und dann wäre es nötig, diese Kontinuität der kollektiven Selbst-Er-Innerung der Semiosphäre den natur-wissenschaftlichen Ideen der "Evolution" entgegenzuhalten. Weiteres dazu unter:
http://www.noologie.de/desn.htm, ->: URKNALL_EVOL, p. 117; ->: IMMORTAL_KOMPLEX, p. 137
1.9.5. Anwendungen der Wilberschen Arbeiten: Die Neti-Neti Methode
Eine der fruchtbarsten Weisen, Wilbers Arbeiten in der Praxis anzuwenden, ist die Neti-Neti Methode des Buddha. Neti-Neti heisst: weder dies noch das. Der Buddha hatte die essentielle Unmöglichkeit, eine Lehre im positiven, konzeptuellen Sinn zu formulieren, erkannt, und m.E. ist das meiste, was heute in den Büchern zum Buddhismus steht, ist nicht wegen ihm, sondern gegen seinen Willen und seine Intentionen geschrieben worden. Ich begründe dies damit, dass das, was der Buddha zu lehren hatte, hauptsächlich praxis-orientiert war, und in der alten Tradition der mündlichen, performativen, Person-zu-Person Überlieferung stand. Es tut dieser Tradition Gewalt an, und entle(e/h)rt sie ihrer Wirkung, wenn man sie in Konzepte in Bücher fasst. Im Kontrast dazu ist die Chan/Zen Tradition in ihrer nicht-schriftlichen praktischen Überlieferung eine lebendige, und den Intentionen des Buddha wohl eher entsprechende Form des Buddhismus. Die Neti-Neti Methode ist ein sehr brauchbares Prinzip, solche Lehren, die sich erheischen, eine positiv wissbare Doktrin zu formulieren, zu zerstören. Dies gilt insbesondere für die wild wuchernden Hirngespinste des New-Age- und Esoterik-Marktes. Zu deren Ausjätung hat Wilber viel Nützliches beizutragen.
1.9.6. Schluss-Gedanken zu Ken Wilber:
Noch einmal die höhere Kunst des Scheiterns
In gewisser Weise haben die "spirituellen" Aspekte von Wilbers Arbeit eine Ähnlichkeit mit den Gleichungen der theoretischen Physiker, die für mich (und 99% der Menschheit) unverständlich sind: Solange man die Mathematik nicht versteht, muss man ihnen glauben, oder nicht, dass es stimmt, was sie sagen. Da es mittlerweile aber fast genauso viele verschiedene physikalische Modelle über die "letzten Ursachen des Universums, und die ultimaten Komponenten der Materie" gibt, alle aber wohlbegründet mit mathematischen Formeln, wie es zu den seligen Zeiten der Scholastiker noch Engel gab, die auf einer Nadelspitze tanzen konnten, kann man als Laie nur den Eindruck gewinnen, dass die mathematische Physik anscheinend in dieselbe Sackgasse geraten ist, wie damals die Scholastiker. Ebenso hat es den Anschein mit dem "Spirit" in Wilberspeak: Solange die höchste Phase des Non-Dualen Bewusstseins nicht als direkte greifbare Erfahrung vom Wirken des "Spirit" zugänglich ist, hält man sich lieber an das, was man als Durschnittsmensch erfahren kann, und nachvollziehen kann. (Der St. Thomas-Effekt). Das Wirken des Noos in unserer menschlichen Welt ist, ganz un-transzendental und un-mystisch, das eines Ordnungsfaktors. Und die Optimierung dieser Ordnungsfunktionen, im Sinne von Bateson's "Ecology of Mind" ist sicher ein vordringliches Projekt für unsere Zivilisation. In diesem Sinne halte ich den Ansatz von Ken Wilber für einen brauchbaren Versuch, der in die richtige Richtung weist. In anderen Worten: Es ist die selbst-reflexive Anwendung von Noos auf Noos. Das war schon immer das Thema höherer Seminare der Philosophie, und letztlich auch ihr wesentlicher Daseinsgrund. Man kann zwar mit Recht sagen, dass alle, die das unternommen haben, irgendwie und irgendwo gescheitert sind - siehe Hegel und der deutsche Idealismus. Aber bei diesem Unterfangen kommt es nicht auf Erfolg im westlich-leistungsorientierten Sinn an: Die Kunst der Selbst-Reflexion ist eben die höhere Kunst des Scheiterns.

2. Einzelthemen der Noologie

2.1. Morphologie und Meta-Morphologie
@ :NOO_MORPHOLOGIE
2.1.1. Patterns, Muster, Form, Gestalt und Neuro-Morphae
@ :NOO_PATTERNS
Im folgenden Kapitel sollen einige Erläuterungen zu dem Begriff des Pattern, Muster, oder Morphae gemacht werden.

Morphae griech. Form, Gestalt, Geste, Muster, engl.: pattern [186], jap.: Kata. [187]

Es wird im vorliegenden Kontext keine starke Unterscheidung zwischen den verschiedenen möglichen Bedeutungen von Morphae gemacht: Muster (pattern) ist die allgemeine (generische) Bezeichnung für die unterscheidbaren Inhalte des Wahrnehmungsfeldes eines allgemeinen neuronalen Systems. [188] Mit Form oder Gestalt kann ein spezieller Bereich des gesamten Feldes bezeichnet werden, der mit einer Auswahlfunktion (z.B. Bewußtsein) gerade fokussiert wird. [189] Ein Muster ist ein Berkeleysches Gebilde (esse est percipi) [190]. Seine "Existenz" (sein Sein) ist nicht, wie von Berkeley postuliert, von Gott abhängig, sondern davon, ob es von einem allgemeinen neuronalen System (biologisch oder technisch, wird hier auch General Neuronal Net: GNN genannt) prinzipiell erkennbar ist.
2.1.2. Der morphologische Kanon
Alles, was existiert, findet seine Erscheinung in distinkten, also unterscheidbaren Mustern. Der Begriff "unterscheidbare Muster" ist eine Tautologie. Alles, was ein Muster darstellt, ist unterscheidbar, und was nicht unterscheidbar ist, kann auch kein Muster sein. Es ist müßig, zu spekulieren, ob diese Musterhaftigkeit der Erscheinung eine Eigenschaft der Dinge selbst ist, oder ob dies ein "Artefakt" der Wirkungsweise von Nervensystemen ist. In biologischer Sichtweise ist ein Nervensystem ein Muster- Unterscheidungs- und Verarbeitungs-System, das der Selbsterhaltung des Individuums dient. Das menschliche Erkenntnisvermögen ist völlig abhängig von der Leistung unseres Nervensystems. Ausserhalb seiner Wahrnehmungsfunktionen existiert "nichts". Die antike Naturphilosophie der Griechen unterschied die Bereiche des Unterscheidbaren als "Kosmos" und des Nicht-Unterscheidbaren als "Chaos" nach Hesiodos, bzw. als das "Apeiron" nach Anaximandros. [191] Mit der Einführung des Konzepts der Peras (Grenzen), stellte Anaximandros auch das wesentliche Wahrnehmungs-phänomenologische Prinzip jeder nur möglichen "Musterhaftigkeit" auf. Es muss irgendeine Art von Grenzen haben (oder vom neuronalen System eingegrenzt werden).

Dies soll hier der "morphologische Kanon" genannt werden. Dieser Begriff soll an die morphologische Denkweise Goethes anknüpfen. In ähnlicher Weise hat Christopher Alexander sein Thema der "Pattern Languages" umschrieben.
2.1.3. Meta-Morphologie: The Systematics of Patterns that Connect
In den folgenden Passagen sind einige wesentliche Punkte meiner Schriften zum Thema Morphologie auf dem WWW zusammengefasst. Die wesenlichen Vorgänger, auf die ich mich beziehe, sind: J.W. Goethe, L. Frobenius, O. Spengler, G. Günther, G. Bateson, C. Alexander. [192]

Meta-Morphology is a technical term defined for the systematic study of patterns that connect, and their transformations. (Goppold 1999d: 40-63, 128-138). It is used here in two variants of meaning:
1) as short form for morphology of metapatterns as introduced by Gregory Bateson, and
2) as morphology of metamorphoses, derived from Goethe's work (Goppold 1999d: 34-40, 236-246).
The term metapattern is central to the work of Gregory Bateson, since it encapsulates his perspective and working method in one word, and Bateson describes this from many different angles and aspects in his works (Bateson 1972-1986). A short definition is given in "Mind and Nature":
Bateson (1979: 12): The pattern which connects is a metapattern. It is a pattern of patterns.
Bateson (1979: 18): We could have been told something about the pattern which connects: that all communication necessitates context, that without context, there is no meaning, and that contexts confer meaning because there is classification of contexts... So we come back to the patterns of connection and the more abstract, more general (and most empty) proposition that, indeed, there is a pattern of patterns of connection.

Stafford Beer describes the essence of pattern as a performance of the neuronal system:
(In Sieveking 1974, preface): A pattern is a pattern because someone declares a concatenation of items to be meaningful or cohesive. The onus for detecting systems, and for deciding how to describe them, is very much on ourselves... A viable system is something we detect and understand when it is mapped into our brains, and I suppose the inevitable result is that our brains themselves actually impose a structure on reality.

Pattern has recently gained prominence as key term for mathematics. In his work "Impossibility", John Barrow points out the universal importance of pattern perception and generation as the foundation of mathematics, which he identifies as central to the modern exact sciences. (Barrow 1998: 5-6, 57-58, 89, 190-193):
Barrow (1998: 192): The inevitability of pattern in any cognizable Universe means that there can exist descriptions of all these patterns. There can even be patterns in the collections of patterns, and so on. In order to describe these patterns, we need a catalogue of all possible patterns. And that catalogue we call mathematics. Its existence is not therefore a mystery: it is inevitable. In any universe in which order of any sort exists, and hence in any life-supporting universe, there must be pattern, and so there must be mathematics.
A pattern definition of mathematics is quoted by (Allot (www)):
"A contemporary definition is that mathematics is the science of pattern and deductive structure (replacing an older definition of mathematics as the science of quantity and space)."
A very similar statement was already worded by the visionary Spengler:
Spengler (1980: 116): the idea of a general morphology of mathematical operations...
(p. 551): Mathematics ... as the quintessence of morphologically equivalent quantities, like the totality of quadratic numbers, or of all differential equation of a certain type, treated as a new entity, as a new number of higher order ... (transl. A.G.).
The cosmologist Tipler describes the importance of pattern continuity as criterium for identity (1994: 164, 282-284, 291-293).
2.1.4. Goethe, Morphology, and Metamorphosis
@ :GOETHE_METAMORPH
Morphology is derived from the Greek word morphae, which is translated as: Gestalt, form, gesture, position, pattern. (Rost 1862: II,98; Goppold 1999d: 128-129). The Greek word typos has nearly the same meaning field, which re-appears in typology. Goethe coined the term morphology for the study of forms and their changes, his perception of the "patterns that connect". Bateson (1979: 17) refers to Goethe as source of inspiration. Severi (1993: 309, 311-315) describes the essentially holistic and dynamic character of Goethe's conception of morphology: For Goethe, the living organism is an entity which cannot be reduced to the sum of its components. The change of forms (the metamorphosis) of organisms follows a logic which is different from the laws of physics, and it can only be described by a systematic morphology. The Goethean morphology is based on the Gestalt principle. (Strube 1974: 540, Britannica : Gestalt psychology, Ehrenfels, Köhler, Koffka, Wertheimer). It traces back to earlier work of Herder and Vico. (Straube 1990: 168; Herder 1975: XVI-XVII; Berg 1990: 61). The temporal and dynamic character of the Gestalt was the leading criterium for Goethe's concept, which is poignantly expressed by the term Metamorphosis. (Cassirer 1957: 146-147, 152 f., Cassirer 1922: 345-351, 362, 375 f., 386). This is derived from Aristoteles, and Ovid's famous poem: Metamorphoses (Cramer 1993: 23 ff.). The morphological principles of Goethe (or a derivation of them) were taken up in Germany by a school of cultural morphology, whose best known proponents were Frobenius (Haberland 1973), and Spengler (1980), (Felken 1988: 53). Also, the school of Gestalt psychology (above: Britannica : Gestalt psychology), followed the lead of Goethe's work. The liberal use of the term "Seele" (soul) by workers of the various Gestalt schools, which may seem offensive to present-day scientific standards, is best understood as direct application of the ancient nature philosophical concept of soul as the "essence of (e)motion" as expressed by Aristoteles in his work "on the soul" (Picht 1987). A serious methodological problem for the Gestalt workers was the lack of suitable conceptual tools with which to approach their subject of study. In Goethe's time, the calculus of Newton and Leibniz had just been invented (Goethe had probably never learned it, and his mathematical understanding was weak). Riedl (1995, 1996c) describes the obligation of modern biology to Goethe's work:
Riedl (1996c: 105): Morphology: since Goethe (1795), the methodology of comparing Gestalt and to generalize the Typus; the cognitive basis for comparative anatomy, taxonomy and phylogeny.
Riedl (1995: 114)...Goethe... tried to understand the principle underlying his ability to discern pattern.

A morphological influence leading to Bateson's concepts can be shown through Ruth Benedict, whose work "Patterns of Culture" had been influenced by Spengler (Benedict 1934: 49-56), and her work in turn influenced Bateson, via the other famous female disciple of Franz Boas: Margaret Mead, who was Bateson's wife and collaborator at the time of his fieldwork in New Guinea. (Bateson 1979: 211-212). Because the tenets of the German school of cultural morphology, mainly of Spengler and Frobenius, are nowadays considered out of date, the term morphology needs to be re-formulated for the present purposes. Also to reach a differentiation in terms, the word Meta-Morphology has been coined.
2.1.5. Temporale Morphologie
Rekurrenz und Musik
@ :TEMPORAL_MORPHOLOG
Eine Morphologie von Mustern in der Zeit steht in engster Beziehung zur Musik. Die morphologische Definition von Rhythmus ist die "Erkennung / Erzeugung eines Musters der Rekurrenz". [193] Rekurrenz basiert auf neuronalen Muster-Erkennungsfunktionen, die Ähnlichkeit feststellen. Absolut Gleiches gibt es, wie Nietzsche richtig bemerkte, in der Natur nicht, sondern nur in der platonischen Welt der Logik und der Zahlen. Ein Ton ist ebenfalls ein Muster der Rekurrenz, aber auf einer tieferliegenden neuronalen Ebene. Das Erkennen eines Verhältnisses von Tönen (Intervall) ist demnach Ergebnis eines Mustervergleichs höherer Ordnung (Metapattern nach G. Bateson, Meta-Muster). [194] Musik basiert auf Erzeugung und Wahrnehmung von temporalen Mustern und Meta-Mustern. Das Pythagoräische System beruht auf dem Paradigma der Betrachtung und Interpretation aller Abläufe des Kosmos und der Menschenwelt auf der Basis solcher temporaler Muster. [195] Von besonderer Bedeutung sind hierbei die Wendungen bzw. Kehren: musikalische: strophae, (kata-strophae) [196], und kosmische: Tropae (en-tropia). Die Einbettung der Musik in die kosmischen Muster wird noch heute von der indischen Raga-Tradition praktiziert. [197]
Die Grenzen der Beobachtung temporaler Muster
Die Grenzen der Wahrnehmung / Beobachtung temporaler Muster werden auf der einen Seite durch die temporale Auflösung des menschlichen neuronalen Systems bestimmt, und auf der anderen Seite durch das Erinnerungsvermögen, [198] und die menschliche Lebensdauer. Kurz-periodische Muster bis ca. 10-20 KHz können als Töne akustisch wahrgenommen werden, während die untere Auflösungsgrenze des optischen Systems bei ca. 1/10 Sec. liegt. Erst mit elektronischen Hilfsmitteln wie Oszilloskopen und Spektrums-Analysatoren läßt sich die Musterwelt der höheren Frequenzen sichtbar machen. Bei sehr lang-periodischen Mustern, wie etwa Veränderungen des Sternenhimmels (z.B. die Präzession der Equinoktien) muß die Musterwahrnehmung über viele Generationen der Beobachtung und der kulturellen Transmission gehen. Dies wurde schon von vor-schriftlichen Kulturen beherrscht. [199] Es ist ein wesentliches Grundproblem der Geschichtsforschung, daß ihre Muster-Erkennung selbst ein Produkt der kulturellen Transmission ist, die damit auch der aktuellen Filterfunktion im Weltbild des Geschichtsforschers unterliegt. [200]
Metapattern, Hierarchie, spatio-temporale Perspektiv-Muster
Metapatterns oder Metamuster sind nach Bateson Muster von Mustern. Hierarchische Metapatterns sind eine spezielle Klasse, die rekursiv in einer Ordnungsrelation von 1:n stehen. Wissenschaft beruht auf Systemen von hierarchischen Metapatterns. [201] In Verallgemeinerung des optischen Begriffs werden sie hier auch Perspektiv-Muster oder kurz Perspektiven genannt. Das Ziel der Morphologie ist die Erlangung von möglichst weit- und tiefgreifender Perspektiv-Muster-Erkennung über Raum und Zeit (spatio-temporale Perspektiven). [202] Der emotionale Erlebniswert der plötzlichen Eröffnung solcher Perspektiven, nach langen, mühseligen Anstrengungen, ist deutlich aus den Berichten Petrarcas, [203] Spenglers, [204] und Gumilevs [205] zu erkennen.
Die Zeitstruktur des menschlichen Erlebens
Alles, was im Leben eines Menschen stattfindet, all sein Erleben, Handeln und Erinnern, passiert im Moment des Jetzt, dem Fokus des Augenblicks. [206] Dieser Augenblick mit all seinen Geschehnissen und Erlebnissen, reißt den Menschen unwiderruflich den Strom des Lebens entlang. Von diesem unwiederbringlichen Augenblick handeln auch die schicksalsschweren Zeilen in Faust (11581-11594). In der Neurophysiologie spricht man von dem Drei-Sekunden-Bewußtsein des Menschen (Pöppel). [207]

Das Handeln und Erleben kann nur im Augenblick stattfinden. Alles andere ist Erinnerung und Erwartung, die ebenfalls nur im Augenblick stattfinden. Erinnerung ist mit der Vorstellung von der Vergangenheit verbunden, Erwartung mit der Vorstellung von der Zukunft. Die Zukunft ist uns im wesentlichen verborgen. Unsere Erwartungen bestehen im wesentlichen aus Extrapolationen unserer Erinnerung, und Schlußformen, die auf Mustervergleichen beruhen. Die bekanntesten davon nennt man Induktion und Kausalität, und sie lassen einige Aussagen über die Zukunft zu. [208] Heidegger hat in "Sein und Zeit" eine ausführliche phänomenologische Beschreibung des Seins in der Zeit und in der Welt gegeben. [209]

Bazon Brock stellt die Beziehung von Vergangenheit und Zukunft so dar:
Was in der Gegenwart von der Geschichte verwirklicht werden kann - und uns Zukunft garantiert - ist gerade die historische Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit alles Gewesenen. Das in der Gegenwart präsent gehaltene Vergangene erzeugt uns gegenüber eine schauernmachende Wirkung, weil es uns auf die Kluft verweist, die unsere Vergangenheit und unsere Zukunft unüberbrückbar trennt. Was wir wollen, ist eines, was daraus wird, ein anderes. Niemand - das sagen uns die Zeugnisse der Vergangenheit - kann durch irgendwelche noch so heroische Anstrengungen dafür garantieren, daß sich die Zukunft als Verwirklichung seiner Pläne bestimmen läßt. Sie hat einen eigenen Plan, den erst zu erkennen vermag, wer das Ende der Geschichte in der völligen Stillegung des zeitlichen Vergehens erlebt hat. Das wird der Fall sein, wenn alles bisher Vergangene simultan die lebendige Gegenwart ausmacht und daher nichts Neues mehr geschehen kann. Da dieser Zustand menschlichem Bewußtsein niemals zugänglich sein wird, bleibt es den Menschen verwehrt, von einem Plan der Geschichte Kenntnis zu nehmen. [210]
Mnaemae, Gedächtnis, und Erinnerung
@ :NOO_ERINNERUNG
Erinnerung basiert auf Rekurrenz ähnlicher Muster im neuronalen System. Das Gedächtnis wird intensiv erforscht, und die Grundfunktionen der neuronalen synaptischen Verbindung sind zwar prinziell bekannt, aber wie (und wo) die neuronalen Prozesse für welche Erinnerung(en) genau stattfinden, ist noch weitgehend ungeklärt. [211] Im vorliegenden Zusammenhang sind die allgemeinen Phänomene der Muster-Transmission vorrangig vor differenzierenden Unterscheidungen. Erinnerung wird als generischer Begriff für alle in diesen Bereich fallenden Phänomene gebraucht, seine deutsche Be-deutung als Er-innerung wird mit Hegel [212] zur Akzentuierung ihres Prozesscharakters und der fortwährenden Neuschöpfung gewählt. Dies positioniert den Gebrauch vor allem gegen den Speicher-Aspekt, der in heutige Diskurse vor allem mit Computer-Metaphern eingedrungen ist, so der Verwechselung von memory und storage (bei Computer-Termini wie etwa RAM: Random Access Memory). Menschliche Erinnerung ist dynamisch, ein essentieller Lebens-Prozess, und kein Repositorium, oder Datenspeicher.
Vergangenheit und Selbst-Erinnerung
Selbst-Erinnerung ist der Schlüsselfaktor zur Selbst-Identität des Menschen, und die absolute Schranke der Selbst-Erinnerung ist der Tod, wenn man die Mythologie und die Esoterik einmal außer acht läßt. Erinnerung zeichnet sich wesentlich dadurch aus, daß sie unvollkommen und unzuverlässig ist. Generell ist festzustellen, daß Erfahrungen umso schlechter erinnert werden, je länger sie zurückliegen. Wenn es sich um Ereignisse handelt, die häufig vorkommen, wird das Einzelereignis ebenfalls schlecht erinnert. [213] Heftige Emotionen wirken sich verstärkend auf die Erinnerungsfähigkeit aus. Starke Schmerzen vergißt man so schnell nicht wieder, und vor allem, man vergißt auch ihre Begleitumstände nicht. Daher wurde Schmerz in vielen Kulturen systematisch als Mnemo-Technik par excellence eingesetzt.

Nietzsche stellte dies in seiner "Genealogie der Moral " so dar:
Vielleicht ist sogar nichts furchtbarer und unheimlicher an der Vorgeschichte des Menschen, als seine Mnemotechnik. "Man brennt etwas ein, damit es im Gedächtnis bleibt: nur was nicht aufhört weh zu tun, bleibt im Gedächtnis" - das ist ein Hauptsatz aus der allerältesten ... Psychologie auf Erden... Es ging niemals ohne Blut, Martern, Opfer ab, wenn der Mensch es nötig hielt, sich ein Gedächtnis zu machen; die schauerlichsten Opfer und Pfänder (wohin die Erstlingsopfer gehören), die widerlichsten Verstümmelungen (zum Beispiel die Kastration), die grausamsten Ritualformen aller religiösen Kulte (und alle Religionen sind auf dem untersten Grunde Systeme von Grausamkeiten) - alles das hat in jenem Instinkte seinen Ursprung, welcher im Schmerz das mächtigste Hilfsmittel der Mnemotechnik erriet... Je schlechter die Menschheit "bei Gedächtnis" war, um so furchtbarer ist immer der Aspekt ihrer Bräuche.

Zwischen der absoluten Schranke des Todes und dem Jetzt, steht noch die kleine Schranke des Schlafes, in dem sich jede Nacht die Selbst-Erinnerung ausschaltet, und dem Traumbewußtsein weicht. Normalerweise wacht man am nächsten Morgen wieder mit einer erneuerten Selbst-Erinnerung auf. Aber die Qualität der Erinnerung an die Erlebnisse des heutigen Tages unterscheidet sich merklich von der des letzten Tages. Es ist zwar noch die "Ich"-Erinnerung vorhanden, aber wie mit einem Schleier überzogen. Und je weiter wir in unserer Erinnerung zurückzugehen versuchen, desto schleierhafter wird diese.
2.1.6. Beispiele der morphologischen Technik
What Is It Like to be a General Neuronal Net?
@ :GENERAL_NN
Hier soll ein kurzer Ausflug in die Welt der neuronalen Impulsfelder in unserem Gehirn folgen. Ein General Neuronal Net (GNN) ist ein allgemeines neuronales System. Die Überschrift erinnert an den bekannten Aufsatz von Thomas Nagel: "What Is It Like to be a Bat?" Die Idee ist hier, daß wir uns in einem Gedankenexperiment vorstellen wollen, "wie es wirklich ist", wenn wir existenziell der "blinde Passagier" in einem Braitenberg-Vehikel sind (Holthausen in Breidbach (1996: 92-110)), und uns plötzlich in dieser fremden Welt der neuronalen Impulsfelder vorfinden. Als bildliche "Einstiegshilfe" verwende ich dazu das bekannte Bild von Flammarion, dessen Wirkung Karl Clausberg in seinem Buch: "Neuronale Kunstgeschichte" mit folgenden Worten beschrieben hat:
Clausberg (1999: 305): [Diese Aufgabe] "richtet sich auf die unbekannten, noch nicht benannten, kaum denkbaren Dinge jenseits des Sprachkokons, den Wilhelm von Humboldt als Mittler zwischen Mensch und Welt beschrieben hat"
und:
Clausberg (1999: 307): "Das ins Auge Fassen unbeschreiblicher Seherfahrungen".
Clausberg (1999: 289): In diesem noch heute so beliebten pseudomittelalterlichen Weltbild mit spektakulären Sphärendurchbruch hat die intellektuelle Mobilisierung neurokultureller Rückkoppelungsprozesse - eine wesentliche Voraussetzung unserer so erfolgreichen Technozivilisation - ikonenhafte Ausprägung gefunden.

In sehr ähnlicher Weise formulieren es McLuhan und McLuhan in "Laws of Media":
McLuhan (1988: 5): The obligation to explore, to find words for the inarticulate, to capture those feelings which people can hardly even feel, because they have no words for them...

In diesem Sinne möchte ich das Flammarion-Bild wörtlich nehmen, um einen "Einstieg" in eine ungewohnte Erlebniswelt zu finden.

@ :FLAMMARION_DESIGN

Abb.: Das pseudomittelalterliche Bild von Flammarion mit spektakulärem Sphärendurchbruch und Erweiterung durch A.G.

Um uns weiter einzustimmen, uns in die fremdartige Welt der neuronalen Impulsfelder in unserem Kopf zu begeben, möchte ich noch ein anderes Bild des "blinden Passagiers" verwenden, das von Maturana und Varela, aus "Baum der Erkenntnis" (p. 149-150) stammt, nämlich das Uboot. Es gibt wohl kein treffenderes Bild der operationalen Geschlossenheit (p. 146) des Nervensystems als das Uboot. Ich möchte dieses Bild vor allem deshalb einführen, um eine weitere Assoziation aufzubauen, und zwar zu den Beatles, deren Song "Yellow Submarine" wohl einen bestimmten Zeitgeist der 60er und 70er Jahre ausgedrückt hat.

Die Überleitungen der Gedanken-Bilder, die ich jetzt mache, sind Bestandteil der morphologischen Methode, die ich einführe. Analog dazu sind die entsprechenden computer-graphischen Anwendungen des "Morphing" allgemein bekannt. In der Kunsttheorie sprechen wir hier von Meta- und Ana- Morphosen, und in den Textwissenschaften spricht man von Metaphern und Allegorien.

Wenn wir an die Beatles und den Song "Yellow Submarine" denken, dann denken wir auch gleich an "Lucy in the Sky with Diamonds". (Zumindest diejenigen, die diese Zeit mitbekommen haben). Dies bietet uns dann den geeigneten Übergang, den wir noch brauchen, um eine Neuronen-Netz Interpretation des Flammarion-Bildes zu machen. [214] Also stellen wir uns vor, daß wir jetzt gerade der Missionar auf dem Bild sind, und wir machen einen Head-Trip der Manier "Lucy in the Sky with Diamonds" und so dringen wir jetzt in den inneren Kosmos unseres Nervensystems vor. Damit kann ich Sie auch gleich in weitere morphologische Techniken einführen, hier sind es Umkehrungen der Projektionsrichtungen, von Konkav nach Konvex, von Innen nach Außen, und von Bild und Hintergrund (Figure-Ground-Inversion). Die Kugelschale ist natürlich der Schädel, und das Flammarion-Bild ist morphologisch transformiert, und die Projektion umgekehrt. Dieses morphologische Instrumentarium war ebenfalls das Handwerkszeug der Exegeten und Allegoristen, und ist z.B. von McLuhan in seinen Werken beschrieben worden, wenn auch unter anderem Namen.
Die Boring-Frauen
@ :BORING_FRAUEN
Zur Erläuterung dieses Mechanismus dient noch ein anderes bekanntes Figure-Ground Kippbild.. Dieses Bild zeigt uns auch als Beispiel, wie das Nervensystem für uns automatisch morphologische Operationen durchführt, die auch als neuronale Attraktoren bezeichnet werden.




Abb.: Die Boring Frauen: Gestalt-Bild zur Demonstration neuronaler Attraktoren

Die Assoziation mit den Beatles-Songs löst unsere nächste Frage, als was wir uns nun die neuronalen Impulsfelder darstellen wollen. Nämlich nach "Lucy in the Sky with Diamonds" als ästhetisches Klang- und Lichterlebnis, bei dem die Impulse an Axonen und Synapsen mit kleinen farbigen Lichtblitzen aufleuchten, sowie als Töne. Akustisch können wir uns die Funktion des Nervensystems wie eine gewaltige vieldimensionale kontrapunktische Komposition vorstellen. Ich habe dieses Bild in einigen meiner Schriften weiter ausgeführt, [215] und es gibt ja in der Literatur ebenfalls diverse solcher Beschreibungen (z.B. das Pribramsche Hologramm-Modell des Gehirns). Wie ich festgestellt habe, ist diese Darstellung des Nervensystems den uralten pythagoräischen und orphischen Mythen morphologisch so nah verwandt, daß ich in diesem Zusammenhang von einer Neo-pythagoräischen Darstellungsweise spreche. Ich meine damit natürlich nicht, daß die alten Pythagoräer und Orphiker neuronale Modelle im Sinn hatten, sondern, daß zur damaligen Zeit nicht so strikt zwischen Innen- und Außenwelt unterschieden wurde, wie heute, und es einem Pythagoräer daher sehr leicht faßbar gewesen wäre, wenn man ihm die heutige neuronale Konzeption erklärt hätte. (Dazu auch die Arbeit von Julian Jaynes 1976). Ich möchte das gleich noch ein wenig verdeutlichen: Wenn Sie in einem absolut schall-isolierten Raum sitzen (z.B. in einer tiefen Höhle, wie Pythagoras auf Samos), hören Sie nach einiger Zeit zwei Geräusche, ein hohes Singendes, und ein dunkles, Brausendes, dies sind physiologisch die akustischen Peiltöne des Innenohrs und das Geräusch des pumpenden Blutes. Wahrscheinlich sind es diese Geräusche, die zum Ausgangspunkt der früheren Vorstellungen von der Sphärenmusik der Pythagoräer und des Anahat Nadam im Yoga wurden.

Dies also zur Einleitung: "What Is It Like to be a General Neuronal Net?" Eine ziemlich psychedelische Erfahrung. Natürlich kann ein GNN sich nicht selber "hören" und "sehen", sondern seine Impuls-Patterns sind das einzige, was es überhaupt "wahrnehmen" kann. Ich habe diese Situation in einem Aphorismus in Anklang an Whitehead als das "reformed GNN Universe of Metapatterns principle" bezeichnet: [216]

"Apart from the process patterns of General Neuronal Networks, there is nothing, nothing, nothing, bare nothingness."
Das Auge auf der Pyramide
@ :AUGE_PYRAMIDE



Abb.: Das Auge auf der Pyramide, schematisiert

Dieses Bild zeigt uns "Das Auge auf der Pyramide" aus dem Wappen der USA, wie es auf der US-Ein-Dollar Note dargestellt ist. [217]

Wir alle kennen die geläufige Interpretation: dies ist das Auge Gottes, das in seinem ätherischen Strahlenkranz, alles sehend, und völlig unbeeinflußt, völlig transzendent, losgelöst über dem Weltgeschehen schwebt, das in der schweren Materie der Pyramide eingeschlossen ist. Wir brauchen uns nur die ungeheure Plackerei der ägyptischen Fronsklaven vorzustellen, die notwendig war, diese Pyramide zu errichten, und wir bekommen eine direkte empathische Erfahrung von der Macht des Projektionsmechanismus dieses Symbols, das uns die Härte und Trostlosigkeit dieses Erdendaseins deutlich macht, und die unendliche Ferne eines Deus Absconditus, der davon völlig losgelöst, in seinem Himmel der Ewigkeit schwebt.

An diesem Beispiel erkennen wir eine der grundlegenden neuronalen, empathischen Wirkungsweisen von Symbolen, die über konditionierte Reaktionen im Neuronalsystem des Beobachters standardisierte Erfahrungen auslösen. Je älter eingeübt und je "selbstverständlicher" die Bedeutung eines Symbols, desto tiefer seine neuronalen Wirkmechanismen, und desto unbewußter ist seine Wirkung.

Das wissen vor allem diejenigen am besten, die seit unzählichen Generationen ihre Macht über die Symbole souverän ausüben. Die hintergründige Bedeutung dieses Symbols ist folgende: Dieses Bild zeigt Gott in seiner Transzendenz, in seiner Außerweltlichkeit, denn sein Auge ist durch den Stahlenkranz von dem massiven, materiellen Pyramidensockel abgetrennt. Man erinnere sich an eine ähnliche Diagrammatik, die in der heutigen Physik verwendet wird: Den Relativitäts-Lichtkegel als die Begrenzung aller möglicher Welterfahrungen. Ebenso läßt sich hier eine direkte Verbindung zu dem Objektivitätskriterium der Wissenschaft erstellen, denn auch der objektive Forscher muß, mit seinem Beobachterauge losgelöst, über den Dingen schweben. Die Verbindung von Methode und Technik finden wir in dem Namen für das Linsensystem der Kamera: Das Objektiv. S.a. Feyerabend (1975, 193).

Wenn wir dagegen die Pyramiden-Komposition auf Basis des Bildes von Flammarion ansehen, fällt auf, daß der Sucher dort den Kontakt mit der Pyramidenspitze von Innen aufnimmt. Dieses Bild zeigt Gott in seiner Immanenz, denn hier finden wir beides, die materielle Welt, wie die kosmische, im Inneren der Pyramide, damit auch innerhalb des menschlichen Seh- und Erfahrungsfeldes. Dies ist von entscheidender soteriologischer Bedeutung, und stellt einen der größten Konfliktpunkte der Religionen dar. Z.b. war die gnostische Sicht die der völligen Transzendenz Gottes, nach der alle Materie sogar das Werk eines bösen Geistes war, des Demiourgos, wie er in völliger Verkehrung des Platonischen Originals aus Timaios genannt wurde.
2.1.7. Meta-Morphologie, Eine allgemeine Systematik von Patterns, ihren Transformationen und Transmissionen
@ :META_MORPH
Hier wird das Thema der Meta-Morphologie weitergeführt, im neuen Gewande der Neurowissenschaften, in Form von Fuzzy-Logik und Fuzzy-Topologie Systemen. Das morpho-logische Denken ist ein Denken in Feldern von Semantischen Konnektivitäten, die mit morpho-logischen Operatoren transformiert werden.

Meta-Morphologie ist in der Noologie der Fachausdruck für die Klassen von Transformationen, die in Konfigurationen von Spannungsfeldern möglich sind. Auch hier wieder eine physikalische Analogie, aus dem Protein-Folding Mechanismus, wo die Ladungsenergien der Molekular-Elektronenwolken der Aminosäuren auf einen energetischen Minimal-Zustand hinstreben, der die genaue geometrische Form des Proteins bestimmt, und damit auch seine biochemische Wirkung. In der Welt von Gedanken und Ideen gibt es eine wesentlich grössere Freiheit und Varianz von quasi-energetischen Ladungen, und Gedanken können je nach Kontext auch ihre Polarität wechseln. Insofern hat die Meta-Morphologie ein wenig den Charakter einer mathematischen Topologie, in der sich die Körper verdrehen und strecken lassen. Aber nur ein wenig, denn wenn man nicht absoluten Unsinn produzieren möchte, sollte man das Verdrehen der Gedanken mit Bedacht und Subtilität durchführen. Von diesem Thema handeln die berühmten Polemiken Platons gegen die Sophisten, und aus Platons Erfolg resultiert auch eine gewisse Abneigung der westlichen Philosophie gegen Gedanken-Verdreherei oder Tropo-Noesis (Eel-Wriggling). [218] Aristoteles hat dann seine Logik eingeführt, um weitere Gedanken-Verdrehereien dann für alle Zeiten unmöglich zu machen, aber leider ist seine Logik nur auf den allergeringsten Teil der alltäglichen Problematiken anwendbar.

Das morpho-logische Denken macht den Ansatz, die ursprüngliche morphische Denkstruktur mit den neueren Möglichkeiten des logischen Denkens in Übereinstimmung zu bringen. Hierbei muß die Rolle der Schrift im Prozess der Entwicklung des logischen Denkens berücksichtigt werden. Das morphische Denken ist der oralen, epischen Tradition angepaßt, und das logische Denken an die Schrift, bzw. sie ist ein Produkt derselben. Der letzte große Versuch zum morpho-logischen Denken war von Spengler gemacht worden. Sein großer Entwurf ist zwar gescheitert, aber das liegt nicht daran, daß seine Intuition falsch war. Und so finden sich unter den 1200 Seiten im "Untergang des Abendlandes" genügend Hinweise und Materialien, mit denen man an eine Neukonstruktion des Morphologischen Systems gehen kann. [219]

Hier einige der Charakterisierungen, die Spengler zu seiner Methode gemacht hat:
Spengler (1980: 68): ... diese Perspektive legt den wahren Grund der Geschichte bloß. Sie läßt sich... nur mit gewissen Anschauungen der modernsten Mathematik auf dem Gebiete der Transformationsgruppen entfernt vergleichen.
(1980: 68): Die Stellung Goethes in der westeuropäischen Metaphysik ist noch gar nicht verstanden worden. Er war Philosoph. Er nimmt Kant gegenüber dieselbe Stellung ein wie Plato gegenüber Aristoteles. Plato und Goethe repräsentieren die Philosophie des Werdens, Aristoteles und Kant die des Gewordenen.
(1980, 77): Natur ist das Zählbare. Geschichte ist der Inbegriff dessen, was zur Mathematik kein Verhältnis hat. Daher die mathematische Gewißheit der Naturgesetze, die staunende Einsicht Galileis, daß die Natur "scritta in lingua matematica" sei und die von Kant hervorgehobene Tatsache, daß die exakte Naturwissenschaft genau so weit reicht wie die Möglichkeit der Anwendung mathematischer Methoden.
Goethe, in Spengler (1980: 130-131): Die Gestalt ist ein Bewegliches, ein Werdendes, ein Vergehendes. Gestaltenlehre ist Verwandlungslehre. Die Lehre von der Metamorphose ist der Schüssel zu allen Zeichen der Natur.
(1980: 134): Richtung und Ausdehnung sind die herrschenden Merkmale, durch die sich der historische und der naturhafte Welteindruck unterscheiden.
(1980: 135): Alle Arten, die Welt zu begreifen, dürfen letzten Endes als Morphologie bezeichnet werden. Die Morphologie des Mechanischen und Ausgedehnten, eine Wissenschaft, die Naturgesetze und Kausalbeziehungen entdeckt und ordnet, heißt Systematik. Die Morphologie des Organischen, der Geschichte und des Lebens, alles dessen, was Richtung und Schicksal in sich trägt, heißt Physiognomik.
(1980: 135): Die physiognomische Art der Weltbetrachtung... Das bedeutet Morphologie der Weltgeschichte.
(1980: 137): Zur Naturerkenntnis kann man erzogen werden, der Geschichtskenner wird geboren.

@ :GEDAECHTNIS_BILD
(1980: 138-139): "Das Bild der Geschichte - sei es die der Menschheit, der Organismenwelt, der Erde, der Fixsternsysteme - ist ein Gedächtnisbild. Gedächtnis wird hier als ein höherer Zustand aufgefaßt, der durchaus nicht jedem Wachsein eigen und manchem nur in geringem Grade verliehen ist, eine ganz bestimmte Art von Einbildungskraft, die den einzelnen Augenblick sub specie aeternitatis, in steter Beziehung auf alles Vergangene und Zukünftige durchlebt werden läßt; es ist die Voraussetzung jeder Art von rückwärtsgewandter Beschaulichkeit....

Heute spricht man in diesem Zusammenhang in der Nachfolge der Arbeiten von Bertalanffy, H.v. Foerster, Jantsch, Prigogine, in Begriffen wie Offene Systeme, Irreversibilität, und dem Zeitpfeil.

Ein wesentlicher Grund, warum Spenglers Arbeit zum Scheitern verurteilt war, lag m.E. darin, daß er seiner Zeit zu weit voraus war. Die Konzepte, die er zu denken versucht hatte, stießen noch zu sehr gegen die Eckpfeiler der Mentalität des 19. Jh.'s. In den knapp hundert Jahren nach der Erstfassung seines Werkes ging aber der Gang der Denk-Evolution der Menschheit in eine Richtung, mit der das Denken Spenglers in neuer Form "aufgehoben" werden kann. Dabei ist besonders der Fortschritt der formalen Systeme der letzten Jahre zu beachten, die Entwicklung neuerer mathematischer Konzepte wie Neuro-Computing. Mit den formalen Hilfsmitteln der Schrift und der Mathematik der letzten 2300 Jahre ist morphisches Denken schlecht zu vereinen. Um den Schritt vom defizitär rudimentär morphischen zum morpho-logischen Denken zu bewältigen, benötigt man andersartige Hilfsmittel als Denkprothesen, um diese äußerst schwierigen geistigen Operationen zu unterstützen und vor dem Entgleiten ins Phantastische, Nebulöse, und Mystische zu bewahren. Das war auch die Falle, in die Spengler getappt ist, in schöner Gesellschaft mit Goethe, Novalis, und einer Menge anderer Romantiker. Hier kommen die neueren Entwicklungen des Neuro-Computing zum tragen. Die fundamentale Arbeitsweise des Nervensystems weist wesentliche Ähnlichkeiten mit den morphischen Prinzipien auf. Sie ist feldhaft, kontinuierlich, selbst-rekursiv, dies wird in neueren Arbeiten wie "Interne Repräsentationen" beschrieben. (Breidbach 1996). Heutige Neuro-Computing-Systeme sind in der Lage, die grundlegenden morpho-logischen Operationen formal und operational intersubjektiv gesichert zu realisieren, für Goethe und Spengler wäre das der ultimate Wunschtraum gewesen. Damit wird der formale Durchbruch von Pascal und Leibniz, zur mechanischen Beherrschung der Aristotelischen Formalstruktur, heute auch für die Post-Aristotelische Struktur möglich, in der Form morpho-logischer Maschinen.

2.3. Pera-Noesis
@ :PERA_NOESIS
My first task... would be to explore these limits and to venture beyond them.
Feyerabend (1975: 73)

Im folgenden Kapitel möchte ich einen vertiefenden Exkurs in die Grenzbereiche des Denkens vornehmen. Die Methode wird entlang der Denklinien von Paul Feyerabend "Against Method" (1975) entwickelt, hat aber eine eigene Fundierung, nämlich die altgriechische, vorplatonische Philosophie und Mythologie.
2.3.1. peri peras
@: PERAS
Peira bedeutet: Versuch, gemachte Probe, Erfahrung (haben), aus Erfahrung wissen / belehrt sein. Das Klangfeld des griechischen Morphogramms [220] per- / peir- verbindet sich noch mit folgenden anderen Klangfeldern:

peirazo: Der, der an (oder in) die Grenzen führt: Er führt auf hohe Aussichtspunkte, wie Berge oder Turmspitzen, um weite Perspektiven aufzuzeigen. Gebser (1973: 38-59), (Matth 4,3-11; Luc. 4,3-13). Mit der anabasis ist eine Anstrengung verbunden, aber dann auch der Gewinn einer Perspektive, einer Übersicht. In der christlichen Mythologie muß er aber die undankbare Rolle des Versuchers spielen. [221] In der älteren Philosophie, vor dieser "Umwertung der Worte", hatte peira- mehr mit Ausprobieren (Empirie) und Erfahrung zu tun.

peirasis: das an (oder in) die Grenzen Führen. In christlicher Version: die Versuchung.
peirastaes = peirazo: Versucher, Verführer -> erastaes: Liebhaber -> philaes
peirastikos: zum Versuchen / Probieren gehörig. -> en-peiria / em-peiria
peirar / peiras / peiratos: Ende, Grenze, der höchste Grad, das Ziel, Vollendung
peirata technaes: Vollender der Kunst
pera: Ort: darüber hinaus, Zeit: länger
pera: Grenze [222]
peran: jenseits
peras: das Ende, das äußerste, Vollendung, Vollbringung, Vollziehung
perasis: Durchgehen, Darübergehen, Übersetzen
peratos: jenseitig
peratosis: Begrenzung, Endigung
peri- : rings herum

Im vorliegenden Kontext führt uns unsere ana-basis hin auf das nobelste und höchste Ziel, auf das aristo [223]-telos [224]. Dies ist äquivalent mit der Bedeutung von peras: "der höchste Grad, das Ziel, die Vollendung". Von Anaximandros stammt die älteste Überlieferung über das Werden und Vergehen der Dinge, und ihren Ursprung im Unbegrenzten.
2.3.2. Anaximandros: das apeiron
@ :ANAXI_APEIRON
archaen ... eiraeke ton onton to apeiron /
Der Ursprung (oder: Anfang) der seienden Dinge ist das Unbegrenzte (apeiron) .
ex on de he genesis esti tois ousi /
Aus welchen (seienden Dingen) die seienden Dinge ihre Entstehung haben.
kai taen phthoran eis tauta ginesthai kata to chreon /
dorthin findet auch ihr Vergehen statt, wie es gemäß der Ordnung ist.
didonai gar auta dikaen kai tisin allaelois taes adikias kata taen tou chronou taxin /
denn sie leisten einander Recht und Strafe für das Unrecht (adikia ) gemäß der zeitlichen Ordnung (chronos ). [225]
2.3.3. Pera-Noesis: Imaginäre ontologische Orte und Metaphysik
In der Mathematik ist man schon seit langem problemlos darin geübt, mit imaginären Zahlen real zu rechnen, nur in der Philosophie gilt es als "politically incorrect" und "mega-out", mit "Imaginären ontologischen Orten" zu arbeiten. Gut, die damaligen schlechten Erfahrungen, die man machen musste, als man noch die "ancilla theologiae" war, und dabei Putz- und Kärrner-Dienste für die christliche Metaphysik verrichten musste, sind im Kollektiv-Bewusstsein der westlichen Philosophie noch nicht überwunden, aber auch hier ist es vonnöten, sich von der einmal erlittenen Erniedrigung loszusagen, und dieses sumpfige, schwankende, geradezu hinterlistige Territorium wieder zu betreten, und es aus den Klauen der New-Age- und Esoterik-Spintisierer zu befreien.

Lassen wir erst einmal den Begriff "Metaphysik" hinter uns, und all die Vorstellungen, die sich in den letzten 2300 Jahren seit der betreffenden Schrift des Aristoteles darum herum gerankt haben. Die damalige Idee von der "Physis" hat heute kaum noch einen Bezug zu der heutigen naturwissenschaftlichen Idee von "Physik", und daher kann das Wort "Metaphysik" auch nur in die Irre führen. [226] Nennen wir es daher: "Pera-Noesis". Pera-Noesis ist ein Unternehmen zur Erforschung der Genzen des Denkraumes, das systematische, strukturelle Hantieren mit Konzepten, die sich mit nichts aus dem Occam- / Popperschen Veri- / Falsifizierungs-Instrumentarium an-greifbar machen lassen. Welchen Zweck soll ein solches Unterfangen haben, ausser phantasievolle Luftschlösser?
2.3.4. Das Im-Perium
@ :IM_PERIUM
Ich führe jetzt einen Sammelbegriff für alle Arten und Methoden zum Errichten und Erhalten der Genzen von Denk- und Erfahrungsräumen ein: Das Im-perium. Es ist für den vorliegenden Zweck unerheblich, ob das lateinische Wort Imperium etymologisch mit dem griechischen Pera verwandt ist oder nicht. Hier passt es ausgezeichnet. Ich mache jetzt die Annahme, dass das heute herrschende Weltbild ein "Im-perium" ist, das sich auf Grund bestimmter Eigendynamiken etabliert hat oder das installiert wurde, und das sich zwingend für alle Menschen als die "einzig erfahrbare Welt" etabliert hat. [227] Dies ist je nach Lehrmeinung, entweder ein evolutiver (etwa nach der Evolutionären Erkenntnistheorie) (und/ oder auch) ein sozialer, geschichtlicher Prozess gewesen, der unter anderem darin bestand, dass man den Menschen Denk- und Erfahrungszäune umgelegt hat, woraufhin sie nicht mehr in der Lage waren, irgendetwas anderes "Wahr" zu nehmen, als das, was das "Im-perium" des herrschenden Systems ihnen erlaubt. Ich arbeite dies in den folgenden Kapiteln unter "Gedanken, ihre Bahnen und ihre Grenzen" und "Die Pre-Skripte des Massenbewusstseins" weiter aus. [228] Es wurde am Anfang gesagt, dass die heutige Entwicklung der techno-kapitalistischen Gloabal-Zivilisation mit ziemlicher Sicherheit in die ökologische Biosphären-Katastrophe führen wird, und es ist ein Ziel der Noologie, einen Ausweg aus dieser an sich unaufhaltsamen Entwicklung zu finden. Die Vorgehensweise der Noologie besteht darin, das "Im-perium" dieses Systems zu dekonstruieren. Und dazu müssen wir uns erst einmal wieder mit "Pera-Noesis" vertraut machen.

2.3.5. Die Ur-Schlachten der Kräfte des Kosmos gegen die Kräfte des Chaos
@ :KOSMOS_CHAOS
... though unhappily in science, as in politics, it is often hard to reorganize without some brief period of overthrow.
Feyerabend (1975, p. 100)

Ich habe in verschiedenen Schriften über die Peras, [229] die Grenzen des Denkraumes geschrieben, sie sind in gewisser Weise so etwas wie die Fesseln des Fenris-Wolfes, die in der nordischen Mythologie beschrieben wurden: [230] Geschmiedet aus dem Bart der Frau, dem Schall des Katzentritts, dem Atem der Fische, und ähnlichen unmöglichen Ingredienzen. "Pera-Noesis" ist eine Denktechnik zum Auf- und Ent-Decken dieser Grenzen, natürlich zum Zweck, das Überschreiten zu ermöglichen. Aber solche Grenzüberschreitung wurde schon immer mit strengen Strafen geahndet, und nicht umsonst heisst der, der zum Überschreiten von Grenzen auffordert, der Peirazo, der Ver-Führer oder Ver-Sucher, und wird in der Bibel mit allen Attributen des Teufels ausgestattet. (Siehe auch die entsprechende Szene aus Goethes Faust, in der Mephisto den Faust auf einen hohen Berg führt.)

In der Tat ist auch eine gewisse Notwendigkeit einer Einzäunung der Denk- und Erfahrungsräume nicht von der Hand zu weisen, denn wenn man sie unbedacht aufhebt, dann kann es wirklich dazu kommen, "that all hell breaks loose". "Pera-Noesis" kann leicht in "Para-Noia" umschlagen, in Wahnsinn und Schlimmeres. Man sollte also subtil und vorsichtig damit umgehen. Das Hintergrundthema dazu ist der Ur-Kampf der Kräfte des Kosmos gegen die Kräfte des Chaos. Hiervon handeln viele Urzeitmythen, auch die Genesis, nämlich wie "Recht und Ordnung" in die Welt eingeführt wurden, aber in den meisten Mythen ausser der Genesis, konnte dies nur unter allergrössten Kämpfen, Schlachten, und Opfern erreicht werden. Und davon handeln auch so ziemlich alle nach-geholten Mythen, die man heute im Kino sieht, wie z.B. die "Herr-der-Ringe" Story, und alles mögliche weitere. Man muss nur verstehen, dass all diese Skripte Nach-holungen der alten Ur-Skripte sind, die heute kaum jemand noch kennt, wenn man nicht die alten Mythologien einigermassen überblickt, und sie nicht als Ammenmärchen abtut, sondern ihren tieferen Gehalt verstehen möchte. In der Genesis ist das Thema des primordialen Kampfes zwar noch vorhanden, aber mit einem Kunstgriff "aufgehoben", nämlich so, dass die Rebellion des Luzifer gegen Gott erst NACH der Schöpfung stattgefunden haben soll. Wer aber all die anderen Skripte kennt, für den dürfte klar sein, dass auch der Gott Yahwe sich erst nach einem harten Kampf gegen Luzifer ab- und durchsetzen konnte. [231] Aber das darf nach abrahamitischer Ideologie eben nicht sein, weil eben alles von Gott ausgeht und durch ihn entstanden ist, ausser der Sünde, natürlich, von der sich keiner so richtig erklären kann, wie sie eigentlich entstanden ist.
2.3.6. Ontologische Orte: SUB, OBJ, SEM
@ :ORTE_SUB_OBJ
Zunächst einige Erläuterungen über ontologische Orte: Ontologie ist die (philosophische) Systematik von dem, was "ist". Es gibt mindestens zwei ontologische Orte, den des Subjektiven (SUB) und den des Objektiven (OBJ). Dies wurde in einem vorangegangen Kapitel unter "Indvidual <-> Collective / Cultural / Relational" schon einmal angesprochen. Wie Descartes und andere Philosophen nachgewiesen haben, und wie man sich aber auch ohne Philosophen selbst leicht klar machen kann, ist es eine Grundtatsache, dass wir existieren. Wenn wir nicht existieren täten, könnten wir weder denken, noch sonst etwas tun. Also ist der erste, primäre ontologische Ort der der eigenen, subjektiven Existenz (SUB). Dann gibt es den zweiten ontologischen Ort der Objekte (OBJ). Dies ist auch ohne philosophische Nachhilfe leicht nachvollziehbar. [232] Dann haben aber einige Philosophen darauf hingewiesen, dass es noch einen dritten ontologischen Ort geben muss, den des "Du" und des "Wir", also des Intersubjektiven. Dies insbesondere Gotthard Günther in der Nachfolge der Hegel-Schule. Die positivistisch- / materialistische Naturwissenschaft bestreitet die unabhängige Existenz dieses Ortes, und geht (mehr oder weniger) stillschweigend von einem Monismus aus, dass nämlich nur ein einziger ontologischer Ort existiert, des OBJ, und dass das SUB "irgendwie" durch "Emergenz" oder "Evolution" aus dem Ort OBJ hervorgegangen ist, und ihm immer noch ontologisch untergeordnet ist, d.h. keine unabhängige Existenz hat. Der Fachbegriff dafür ist "Epiphenomenon". Diese Regelung hat vor allem eine wissenschafts-soziologische Kontroll-Funktion. In der positivistischen Naturwissenschaft ist es schlicht verboten, irgendetwas anderes als die alleinige Existenz von OBJ zu denken, und wenn man es doch tut, dann darf man eben nichts mehr in den angesehenen wissenschaftlichen Journalen veröffentlichen. So einfach ist das.

Eine unabhängige ontische Existenz des Ortes SUB ist eine notwendige Voraussetzung für den Glauben an eine "Unsterblichkeit der Seele", denn wo soll sie sonst bleiben, wenn in der Welt OBJ alles zerfällt, was noch an das einmal existiert habende SUBjekt erinnert, also wenn man als Mensch und Leib eben tot ist. Die Theologie vollzieht aber ein "aufheben" des Ortes SUB in "Gott", strukturell ist das ein Super-SUB, das alle Einzel-SUBs includiert. Die Existenz der zwei ontologischen Orte SUB und OBJ ist die Ausgangsbasis für den Dualismus von Subjekt und Objekt. Non-Dualismus hat also zwei Alternativen: Indem man alles wieder auf einen Monismus reduziert, wie es die Naturwissenschaft, Ken Wilber, und die Advaita-Philosophie tun, oder man führt einen weiteren ontologischen Ort ein: Die Welt SEM. Dazu eine Übungsfrage: Welchen ontologischen Ort haben Gedanken? Ich habe dies an anderer Stelle ausführlich diskutiert. [233] Gedanken haben einige beunruhigende Eigenschaften: Sie geben sich zwar den Anschein, als ob sie ganz privat in unseren Köpfen herumspuken, aber wenn wir die Sache etwas genauer untersuchen, dann können wir uns überzeugen, dass sie noch irgendwo anders residieren. Plato nannte das die Welt der Ideen, und ich habe es die Welt SEM genannt, oder auch die Semiosphäre. Die Voraussetzung von Gedanken ist Sprache, und Sprache existiert ausserhalb von SUB, bzw. sie existiert distributiv über eine ganze Menge von Einzel-SUBs. [234] Ohne Sprache oder ein anderes Vorstellungssystem [235] ist ein Gedanke schwer zu fassen, bzw. ganz unmöglich. Es ist müssig, darüber zu diskutieren, ob es Klassen von Gedanken gibt, die die vorhandenen Vorstellungssysteme prinzipiell nicht ausdrücken können, da man Gedanken am besten damit definiert, was mit den gegebenen Vorstellungssystemen ausdrückbar ist. Alles, was nicht damit ausdrückbar ist, wäre dann dem Bereich des "Jenseitigen", "Spirituellen", also kategorisch Ausgeschlossenen, zuzuordnen, und das wäre wiederum ein Thema für die Diskussion, ob mystische Non-Duale Erfahrungen innerhalb der Klasse aller nur möglichen Ontologien oder ganz ausserhalb liegen.

Wenn wir den Bereich SUB als das "Relationale" bezeichnen, dann finden wir hier auch die logische Struktur, die dem buddhistischen Kernprinzip der Paticca Samuppada (Pali) oder Pratitya Samutpada (Skrt), entspricht. Nach Joanna Macy (1991) ist dies auch die Tiefenstruktur der "General Systems Theory". Weiteres dazu unter:
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn16.htm#Heading60
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn17.htm#hdr11.2.2.
2.3.7. Die "Ontologie" des Advaita Vedanta
@ :ADVAITA_VEDANTA
Der Advaita Vedanta postuliert monistisch, dass allein das Brahman im ontisch positiven Sinne existiert. [236] Das Brahman ist ewig und unveränderlich, weder wird es noch vergeht es, und es bleibt sich selbst ewig gleich. [237] Nach dem Vedanta kann nur das real sein, was diesen Kriterien genügt. Alles andere, die Welt und das Ich (Jiva), sind Illusionen oder Überlagerungen, Produkte der Maya. Wie diese Überlagerungen zustande kommen, was die "Natur" und Wirkweise dieser treibenden Kraft der Maya ist, darüber gibt Shankara nicht viel Auskunft, sondern verweist auf die Veden und Upanishaden, in denen die gesamte Weisheit der Vordenker der indischen Tradition "aufgehoben" ist. Advaita Vedanta ist aber keine Wissenschaft, sondern eine "Methode zur Befreiung" von den Überlagerungen der Maya mittels Meditation und der Kunst der Unterscheidung. Wichtig ist in diesem System vor allem, sich von den Sinnen, Begierden und Trieben des Leibes zu lösen. Wenn man das Brahman erfahren will, muss man die Praxis befolgen, die Shankara vorgibt. In Bezug auf die "Methode zur Befreiung" und die Ermahnungen zur nicht-Anhaftung an leibliche und sinnliche Verlockungen unterscheidet sich der Advaita Vedanta wenig von den Lehren des Patanjali-Yoga und des Buddhismus, oder auch des Neo-Platonismus des Plotin, und dem christlichen System des Augustinus. Der Unterschied zum Buddhismus besteht hauptsächlich darin, dass letzterer sich auch noch von der ontischen Existenz des Brahman als Summum Bonum losgelöst hat. An seine Stelle tritt Shunyata, die Leere. Nach dieser Bestandsaufnahme erscheint es logisch, dass alles das, was in unserer Erfahrungswelt einen Wirklichkeits-Status hat (einen ontischen Ort), für den Vedanta Illusion ist, und im Umkehrschluss kann man auch das Brahman keiner ontischen Kategorie unseres normalen Denkens und Erkennens zuordnen. Im Buddhismus ist das sowieso klar, weil Shunyata definitionsgemäss keinen ontischen Ort haben kann. [238]
2.3.8. Das Neti-Neti Postulat der Noologie
Strukturell können wir feststellen, dass die Monismen Advaita Vedanta und Naturwissenschaft insofern die gleichen Denknotwendigkeiten nach sich ziehen: Wie man die offensichtlich erfahrbare Existenz aller anderen Bereiche, die nicht dem Allein und Absolut Seienden angehören (absolutes Brahmen vs. pure Materie), irgendwie plausibel machen kann. M.E. bieten dabei weder Advaita Vedanta noch Naturwissenschaft wirklich befriedigende Lösungen. Dies könnte man auch das "Neti-Neti Postulat" der Noologie nennen. [239] Der Terminus "Überlagerung" des Advaita Vedanta ist für praktische Zwecke in genau demselben Sinn zu verstehen, wie das Wort "Epiphenomena" der Naturwissenschaft. Und ebenso erscheint der "Deus ex Machina" der "Emergenz" und der "Überlagerung" (für mich jedenfalls) nicht so recht plausibel oder nachvollziehbar. Für Wilber ist "Emergenz" ein Zentralthema, wie aus der Vielzahl der Erwähnungen in EKL (siehe Index) ersichtlich ist. In einer Fussnote geht er auch genauer darauf ein: f(12) zu p. 66, p. 611: "Aus diesem Grund erklärt der Begriff "Emergenz"... eigentlich nichts, sondern beschreibt nur, was geschieht." und weiter: "Offenbar muss aber so etwas wie Eros im Spiel sein, sonst könnte es gar nicht beginnen." Aber leider, ja leider, ist Eros in der heutigen Wissenschaft kein anerkannter Wirkfaktor.
2.3.9. Die Welt SEM , das "Du" und das "Wir"
Es geht nun darum, die Notwendigkeit und Brauchbarkeit eines dritten ontologischen Ortes zu zeigen, der bei den beiden vorgenannten Monismen ganz "unter die Räder" kommt. Es wäre dann als nächstes die Aufgabe, zu beweisen, dass die Welt SEM identisch ist mit der Welt des "Du" und des "Wir". Ansonsten muss man noch einen weiteren ontologischen Ort dafür einführen. Wilber hat hierfür die zwei unteren Quadranten eingeführt, aber da er ontologisch ein Monist ist (imho), macht das wenig Unterschied. Wenn wir uns an die Occam'sche Regel des "entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem" halten wollen (Occam's Razor), muss man untersuchen, ob drei ontologische Orte ausreichen. Dann muss man sich Gedanken machen, was das Ganze überhaupt bedeutet, und in welcher Relation es zu dem Eingangsthema des Spirit steht, welches ja das Hauptgebiet von Wilbers Unternehmung ist. Das spare ich aber für später auf. Ich führe erst einmal die Diskussion weiter, warum "Pera-Noesis" durchaus kein absurdes Unterfangen ist.

Seltsamerweise bemerken wir nämlich, dass es viele phantasievolle Luftschlösser aus der Welt SEM gibt, die durchaus einen sehr merkbaren Einfluss auf das Geschehen der Welt, also die Geschichte hatten und haben. First and Foremost sind hier die Religionen zu nennen. "Pera-Noesis" muss sich also damit beschäftigen, dass wissenschaftlich völlig imaginäre Gebilde sehr reale Auswirkungen in der Welt der Menschen haben. Galaxien und Sterne, Quarks und Hadronen lassen sich wohl von Religionen weniger beeinflussen, Menschen dafür umso mehr.

Ein Forscher versuchte einmal zu beweisen, dass Käfer mit den Beinen hören. Dafür dressierte er einen Käfer, dass er hochsprang, wenn der Forscher "Hopp" sagte. Dann fing er an, ihm ein Bein nach dem anderen abzukneifen. Und siehe da: Mit jedem "Hopp" sprang der Käfer ein Stück weniger, und nachdem das letzte Bein abgekniffen war, rührte er sich gar nicht mehr. qed: Käfer hören mit den Beinen.

So ähnlich könnte es auch mit den Gedanken verhalten. Stellen wir uns vor, dass unsere Gehirne nur Gedanken-Empfänger, -Transformatoren, und -Übertrager sind, also quasi Antennen in einen pera-noetischen Gedanken-Äther. Wenn wir nun die Antenne abkneifen (ie. das Gehirn zerstören), dann kann man bei der betreffenden Person auch keine Gedanken mehr feststellen. Heisst das, dass die Gedanken damit zerstört sind? So ungefähr funktioniert auch die Überlegung, die Sheldrake mit seinen "Morphogenetischen Feldern" gemacht hat, nur eben als "Gedächtnis der Natur", das alles "aufhebt" was in der Natur an Erfahrungen je gemacht worden ist. Im indischen Kulturkreis existiert hierzu das Konzept der Akasha-Chronik, aber ohne seinen evolutiven Beigeschmack. Auf eine ähnliche Basis setzt Wilbers Idee von der Universal-Evolution auf.

2.4. Die Pre-Skripte des Massenbewusstseins
2.4.1. Gedanken, ihre Bahnen und ihre Grenzen
"Die Gedanken sind frei": Die grösste Illusion der Geistesgeschichte

Irgendeine arme Seele, die eingesperrt in einem finsteren Keller schmachtete, prägte einmal das geflügelte Wort: "Die Gedanken sind frei". [240] Das mag zwar im Vergleich zu einem gerade angeketteten und eingesperrten Leib seine relative Berechtigung haben, aber die Begrenzungen sind lediglich subtiler. Und es ist anzunehmen, dass jene arme Seele, die den obigen Satz "Die Gedanken sind frei" geprägt hat, wahrscheinlich genau deshalb in diesem finsteren Keller eingesperrt schmachtete, weil sie ihren Gedanken allzu freien Lauf gegeben hat. [241] Das gilt sowohl vorwärts wie rückwärts:

Je beschränkter der Körper, desto freier erscheinen die Gedanken und umgekehrt. [242]

Ein anderes passendes Bonmot illustriert dies: Es geht nicht um "Freedom of Speech" sondern um "Freedom after Speech". Wer allzuviel unpassende Gedanken denkt, und sie auch noch ausspricht, lebt möglicherweise nicht sehr lange. Es gibt eine Tendenz, dass die Gedanken der Menschen im Mittel nicht allzusehr von gewissen vorgegebenen Bahnen abweichen. Rein darwinistisch interpretiert, ist es eine wohl in Hunderten oder Tausenden von Generationen der eugenischen Selektion angezüchtete Eigenschaft der heute (noch über-) lebenden Menschen, die sie geprägt hat. Die nüchterne Erkenntnis ist: es ist überlebensfördernd, wenn man gewissen vorgegebenen Denkbahnen folgt und sie nicht überschreitet. [243] Howard Bloom begründet diese Tendenz mit seinem Konzept der "Conformity Enforcers". [244] Ihre Struktur und Wirkmechanismen sind ein weiteres Zentralthema der Noologie.
2.4.2. Pre-Skripte, Ethnos, Kat-holisierung und Wertegemeinschaften
@ :PRE_SKRIPTE
Mit dem Begriff "Pre-Skripte des Massenbewusstseins" soll hier umrissen weden, wie der Bereich SEM Einfluss auf die einzelnen Gedanken der einzelnen SUBjekte nimmt, wie diese also in der Wahl ihrer Gedanken nicht so absolut frei sind, wie sie manchmal denken.

Annäherungsweise ist das der teilweise unbewusste normative Wahrnehmungs-, Empfindungs- oder Entscheidungs-Hintergrund von grösseren Gruppen oder Massen von Menschen. Wie bei dem Thema "Spirit" und "Geist" gibt es auch hier einen ganzen Schwarm von Begriffen, die dafür geprägt wurden. Manchmal nennt man es Ideologien, Leit-Mythologien, Paradigmata, Sitte, Gebräuche, Konsensus, etc. [245] Es sind mehr oder weniger (un-)sichtbare und (un-)merkbare Spuren, denen die Menschen in ihren täglichen Entscheidungen und Gebräuchen folgen, nach denen sie sich richten, und was für sie "richtig", adäquat, und passend halten, mit solchen Begründungen wie: "es gehört sich so", "das haben wir schon immer so gemacht". Ich verwende hierfür den Begriff "Pre-Skripte des Massenbewusstseins". Auf Deutsch heisst das etwa: Vor-Schreibungen, und zwar weniger in dem Sinne von Vorschriften, wie wir sie aus den Gesetzbüchern kennen, sondern mit einem starken Anklang an den Derrida'schen Gebrauch der Spur.

Handelt es sich um Komplexe von langlebigen Pre-Skripten, die über viele Generationen hindurch das Leben der Menschen beeinflussen, dann findet man diese als Zentralthemen der Forschung in der vergleichenden Religionswissenschaft und der Ethnologie. Lev Gumilev listet in seinem Werk "Ethnogenesis and the Biosphere" spekulativ das Zusammenwirken eines Systems der vorherrschenden Pre-Skripte als bestimmendes Motiv für die Definition seines Begriffs des "Ethnos". [246] Ein Ethnos zeichnet sich durch trans-generationale Kontinuität aus, was zwar meistens, aber nicht immer durch endogame sexuelle Propagation erreicht wird. Da die Ethnologie sich traditionell mit räumlich (ab-)geschlossenen indigenen Gesellschaften befasste, war dies als Definitionsbereich quasi identisch, aber in gewissen Multi-Kulti-Gesellschaften wie etwa dem traditionellen Indien, existieren seit Jahrtausenden viele teil-separate Ethnoi, die sich innerhalb der grösseren indischen Population relativ stabil gehalten haben. Und nicht alle von ihnen isolieren sich durch Endogamie. Heute finden sich in westlichen Gesellschaften Glaubensgemeinschaften wie die Mormonen als neu entstandene teil-separate Ethnoi. [247] Nach diesem Raster kann man auch die Priester- und Mönchsgemeinschaften der katholischen Kirche und der buddhistischen Gemeinschaften als teil-separate Ethnoi bezeichnen, die sich aus einem Pool der Umgebungsgesellschaft regenerieren, weil ihnen die sexuelle Propagation durch die Regularien verboten ist. Andere Beispiele waren mittelalterliche Kriegerorden wie die Templer, Murabatim, Mameluken und Janitscharen. Hier lässt sich eine Entwicklung vom Ethnos zu Wertegemeinschaften ausmachen, deren Pre-Skripte zunehmend abstrakter und allgemeiner (kat-holischer) werden, wie etwa in der Entwicklung der modernen Wissenschafts-Community nachzuzeichnen ist.
2.4.3. Die Memetik
@ :MEMETIK
In der neueren westlichen Wissenschaft hat sich für diesen Komplex nach Dawkins und Dennett eine weitere spekulative Denkrichtung auf der Basis der Neo-Darwinistischen Interpretation formiert: Die Memetik. Dazu gibt es ist auf dem WWW ausführliches Material, so dass hier keine weitere Diskussion nötig ist.
2.4.4. Kurzlebige Pre-Skripte
Neben den langlebigen (transgenerationalen) existieren auch eher kurzlebige Pre-Skripte, die aber nicht weniger wirksam sein können, und die unter dem Begriff "Moden" oder "Zeitgeist" oder "Massenhysterie" in der Soziologie bekannt sind. Hier gibt es Muster von Rekurrenz, d.h. ähnliche Erscheinungen, die immer wieder auftreten. Das krasseste Beispiel sind Pre-Skripte, die ihre Anhänger dazu veranlassen, selbstzerstörende Handlungen zu begehen. Hierzu finden sich die Stichworte Messianismus, Mahdiismus, Millenarismus oder Eschatologismus, und das Phänomen des charismatischen Führertums taucht hier besonders häufig auf. Neure Beispiele sind z.b. die islamischen Selbstmord-Kommandos, die Jim Jones-Sekte, die Davidianer, und andere Sektengruppen der Neuzeit, gleichfalls die Nazi-Ideologie. Die Linie lässt sich nahtlos über viele extreme religiöse Gruppen wie die russischen Skopzen, den amerikanischen Shakern, über Assassinen, die christlichen Märtyrer, bis zu den Essenern und Massada-Kriegern ins Palästina der Römerzeit zurückverfolgen.
2.4.5. Die Grenzen des Denkraumes
@ :DENK_GRENZEN
The Buffalo Bridle: You can make a Buffalo go anywhere, as long as you can make him want to go there.
Gerald Weinberg [248]

Pre-Skripte sind die "peras" (im Sinne von Anaximander) [249] des Normalbewusstseins, die Grenzen, die man deshalb nicht überschreiten kann, weil man sie nicht wahrnehmen kann, will, oder darf. Es ist leicht einsichtig, dass alle expliziten, sichtbaren Grenzen des Denkraumes nur eine Herausforderung an jene unverbesserlichen querköpfigen Geister unter den Menschen sind, sie zu überschreiten. So stehen die Grenzen heute nicht mehr da wie ein Zaun, mit der Aufschrift "Denken Verboten", wie es vielleicht noch zu den seligen Zeiten der Inquisition mit ihrem Index der verbotenen Bücher und verbrannten Autoren Usus war. Man hat in der Zwischenzeit einiges dazugelernt.
2.4.6. Peras, die Pre-Skripte der Kosmologie, und das Fernrohr des Galileo
@ :KOSMOLOGIE_PRESCR
Die Kosmologie ist ein ergiebiges Feld für Beispiele, wie Grenzen des Denkraums festgesetzt werden, und wie sie funktionieren. Das wohl berühmteste Beispiel ist jene Begebenheit vor ca. 400 Jahren, als Galileo den Kardinal Bellarmino aufforderte, durch sein Fernrohr zu schauen, damit er sich selbst davon überzeugen konnte, was Galileo mit seinen Beobachtungen der Jupitermonde gesehen hatte, und warum er guten Grund hatte, diese zu seiner solar-zentrischen Kosmologie zu verallgemeinern. Wie bekannt, weigerte sich Bellarmino, "einen Blick zu riskieren". In der populär-Literatur wird dies meist so dargestellt, dass Bellarmino "den Tatsachen nicht ins Auge blicken wollte". Das stimmt aber nicht ganz: Bellarmino hatte einen sehr guten Grund, sich nicht auf etwas einzulassen, das heute mehr und mehr zum Hauptproblem der physikalischen Kosmologie wird: Die menschliche Wahrnehmung wird tendenziell immer mehr durch Instrumente ersetzt, die nur noch das anzeigen, was in diese Instrumente in technologischer Form als "Pre-Skripte" eingebaut ist. Verstärkungsinstrumente sind gleichzeitig sehr wirksame Wahrnehmungsfilter: Sie lassen nur noch durch, was aufgrund einer herrschenden Theorie in die Technologie eingebaut wurde, und filtern damit möglicherweise essentielle andere Information aus, und das sind alle anderen Gegebenheiten, die ausserhalb der Theorie liegen könnten, und sie "aushebeln" würden, wenn man diese Daten zuliesse. Im Fall des Teleskops von Galileo war dies die Kontext-Information: Zwar konnte man den Jupiter und die Schatten seiner Monde nun genauer sehen, als mit dem blossen Auge, aber der Wahrnehmungs-Zusammenhang musste "draussen bleiben". Diese Filterfunktion gilt sowohl für alle Arten von Teleskopen, die zur Erforschung des Makrokosmos eingesetzt werden, wie den Instrumenten, die für die Erforschung des Mikrokosmos konstruiert werden, den Teilchenbeschleunigern. [250]

Kardinal Bellarmino war nicht nur ein hervorragender Kirchenpolitiker, sondern auch auf allen Feldern der damaligen Wissenschaft auf dem neuesten Stand der Zeit. Und in der damaligen Epoche war es noch lange nicht entschieden, ob die Zentren der abendländischen Christenheit nicht doch noch von den Türken überrannt werden konnten. Man hatte mit der Seeschlacht von Lepanto gerade vor einer Generation einen entscheidenden Sieg über die Türken errungen, die diese Gefahr für einige Zeit abwendete, aber gerade die Kirchenführer waren sich im Klaren, dass das nicht auf Dauer vor dieser Gefahr sichern konnte, ausser, dass man die Maxime prägte und verfolgte: "Vorsprung durch Technologie". Und Galileo hatte mit seinem Teleskop gerade wieder eine neue "strategische Waffe" erfunden, [251] und einen wesentlichen neuen Mosaikstein dazu beigetragen, dass das westliche Abendland dann für die nächsten paar Jahrhunderte genügend "Vorsprung durch Technologie" bekam, um gegenüber der Expansion der Türken "die Nase vorn zu haben". Die Kirche befand sich damals in einem existenziellen Gewissenskonflikt, den man volkstümlich als "Alternative zwischen Tod durch Hängen oder Erwürgen" bezeichnet. Gerade in der heutigen Zeit muss die Bedeutung dieses "Tiefenkampfes der Kulturen" wieder in Erinnerung gerufen werden, denn die Global-Zivilisation tritt heute in eine neue Phase dieses Kampfes ein. Die Türken hatten zwar das islamische Expansions-Programm von den Arabern übernommen, aber die geistigen Kräfte des Islam hatten zur damaligen Zeit schon den Rückwärtsgang eingelegt, und ihre anfängliche technische und wissenschaftliche Dynamik ad acta gelegt. [252] Dasselbe geschah interessanterweise auch fast zur selben Zeit in China: Dort hatte man riesige Flotten mit gewaltigen Schiffen gebaut, gegen deren technische Überlegenheit die damaligen portugiesischen Karavellen wie Nusschalen aussahen. Aber ein Edikt des Kaisers stoppte die Erforschung der Meere und Kontinente, die Flotte wurde Mitte des 15. Jh. verschrottet. Nur ca. 50 Jahre danach wagten sich dann die Portugiesen in ihren Nusschalen um Afrika herum, und fanden endlich den Seeweg nach Indien, Ostasien und China. Die Spanier machten sich unter Columbus auf, Amerika zu "entdecken". Der Rest steht in den Geschichtsbüchern.
2.4.7. Die Pre-Skripte von Urknall, Expansion und Evolution
@ :URKNALL_EVOL
Das heute dominierende kosmologische Pre-Skript ist die Urknall-Theorie, und die unendliche Expansion des Universums. Die Grundlage hierfür ist die beobachtete Rotverschiebung, also das Phänomen, dass das Licht entfernter Galaxien umso mehr in den roten Bereich verschoben ist, je weiter weg sie sind. Das wird so interpretiert, dass sie sich (nach dem Doppler-Effekt) um so schneller von uns (und allen anderen) entfernen, je weiter weg sie sind. Die Tiefenstruktur dieses Pre-Skripts ist die Annahme der linearen Zeitlichkeit, und dies ist auch die Grundvoraussetzung für jede Art von Evolutions-Theorie. Wie schon gesagt, basiert die naturwissenschaftliche Konzeption von Evolution essentiell auf einer Gedächtnis-Funktion im Genom der Arten. In einem zyklischen Universum macht die Idee einer Evolution wenig Sinn, denn irgendwann wiederholt sich der Phasenwechsel vom differenzierten zu einem undifferenzierten Stadium und vice versa. Diese Gedankengänge hatte Nietzsche schon mit seiner Theorie der "ewigen Wiederkehr" formuliert. In anderen Worten: Strukturell ist die Urknall-Theorie immer noch Neo-Kreationistisch, sie folgt also getreu einem Ur-Skript, das u.a. in der abrahamitisch-biblischen Mythologie "aufgehoben" ist. Denn prinzipiell ist es egal, wer oder was die Kreation verursacht hat, solange sie nur stattgefunden hat. Deshalb ist der Kampf der fundamentalistischen Christen (vor allem in den USA, unter ihrem Standartenträger G. W. Bush) gegen die Evolutionstheorie nur ein Schein-Gefecht, das besonders geeignet ist, von einer tieferliegenden Agenda abzulenken.

Wenn man ein Entstehen des Universums annimmt, dann kann man auch annehmen, dass es irgendwann einmal sein Ende finden wird. Das legt wiederum nahe, dass es "danach" einen neuen "Urknall" geben wird, und ein neues Universum wird "evolvieren". Und so weiter ad infinitum. Aber auch wenn man annimmt, dass das Universum zeitlich unendlich ist, kann man nach einer anderen heute geäusserten Kosmologie annehmen, dass in anderen Dimensionen (beliebig?) viele Parallel-Universen "existieren". Diese Formulierung der "Parallelität" ist aber strukturell äquivalent zur zeitlichen "Abfolge", da diese lediglich in die anderen Dimensionen transformiert wird. Ein ähnlicher Kunstgriff der "wundersamen Vermehrung" von Dimensionen wird in der heutigen Super-String Theorie angewandt.

Bei den heutigen Konsensus-Vorstellungen vom Urknall und der unendlichen Expansion des Universums gibt es ein Grundproblem, nämlich die ultimate Fernwirkung der Gravitation, nach der alles dazu tendiert, so schnell wie möglich wieder unterschiedslos zusammenzuklumpen. Um die Idee der Expansion heute noch aufrechtzuerhalten, ist man gezwungen, so "esoterische" Konzepte wie "dunkle Materie" und "dunkle Energie" einzuführen. Diese Konstrukte sind aber so "uneinsichtig", dass man genauso gut alle Denkvoraussetzungen in Frage stellen kann, auf denen sie beruhen: Die Rotverschiebung lässt sich auch durch "tired light" oder durch ein begrenztes Unversum mit einer Anisotropie der Raumzeit an seiner Grenze erklären. Dieser Gedankengang lässt sich wieder mit einem Beispiel aus der Geistesgeschichte erläutern: In den Anfängen der Naturphilosophie gab es bei den Euklidikern (also der Vertreter des unendlichen, grenzenlosen Raumes) folgendes Argument für die Unendlichkeit des Raumes: man postulierte, wenn es möglich wäre, an den Rand des Kosmos vorzudringen, könnte man von dort aus eine Hand durch die Grenze hindurch stecken, oder einen Speer hinaus werfen. Damit wollte man beweisen, daß der Kosmos notwendigerweise unendlich sein muss. [253] Heutige Kosmologen gehen da etwas subtiler vor: Um ein begrenztes Universum zu formulieren, konstruieren sie eine Spiegel-Grenze, die alles, was sich auf diese Grenze zubewegt, einfach zurückwirft, oder gegen unendlich verlangsamt, oder es gegen unendlich verkleinert (was im Effekt dasselbe ist). Diese Denkstrategien sind uns bei Schwarzen Löchern ja schon geläufig, und lassen sich mit derselben Konsequenz auf die Grenzen des Universums anwenden. Eine intiutiv unmittelbar einsichtige Darstellung von solchen Verhältnissen ist in der Graphik "Circle Limit IV" von M.C. Escher zu finden: [254] Die Kreis-Figur, in der invertiert- komplementäre Bilder von Engeln und Dämonen die Fläche ausfüllen, und zum Rande hin immer kleiner werden.

Da m.E. die heutige Kosmologie auf allerlei ziemlich gezwungen wirkende Unwahrscheinlichkeiten verfällt, um ihr konventionelles Modell über die Runden zu retten, denke ich, dass es auch nicht mehr so verboten sein darf, mal wieder ein wenig metaphysische Würze in die kosmische Suppe zu geben. Daher möchte ich das Thema alternativer Sichtweisen der Kosmologie in einem späteren Abschnitt als Noologische Märchen weiterführen. ->: IM_WINKEL, p. 162; ->: EN_ARCHAE, p. 211
2.4.8. Ein Problem mit der Erdwärme
@ :KOSMOLOG_FRAGEN
In diesem Zusammenhang stellt sich eine wichtige Frage für unser Über-Leben auf der Erde: Warum bleibt die Erde heiss, bzw. warum explodiert sie nicht wie eine Atombombe?

Eine thermodynamische Berechnung hat ergeben, dass der Erdkern schon längst ausgekühlt wäre, wenn nicht im Inneren eine Energiequelle am Werke wäre. Das wird von der Wissenschaft mit Hilfe der Kernspaltung von Uran erklärt. [255] Aber wie wir alle seit Tschernobyl wissen, ist das Funktionieren eines Atomraktors eine heikle Angelegenheit. Denn eine einmal in Gang gesetzte Uran-Kernspaltungs-Kettenreaktion erzeugt immer mehr Plutonium als Abfallprodukt. Wenn also Uran in nennenswerter Menge im Erdkern vorhanden ist (und das muss es, weil alle schweren Elemente bevorzugt in den Kern wandern), und wenn einmal eine Kettenreaktion eingesetzt hat, würde immer mehr Plutonium erzeugt, und so müsste sich im Erdkern eine Super-Super-Atombombe bilden, die den Planeten schon lange auseinandergerissen hätte. Ich hoffe es kommt jetzt nicht ein Wissenschaftler auf die Idee, und behauptet, dass es im Universum eben genau so ein anthropisches Prinzip gibt, nach dem genau die richtige Mischung von Neutronen-absorbierenden Substanzen im Kern der Erde existiert, dass er gerade nicht auseinanderfliegt, und trotzdem wie ein guter Atomreaktor das Fissions-Feuer solange unterhält, dass es uns noch warm genug unter den Füssen ist, und über den Vulkanismus die Evolution ab und zu mal ordentlich einheizt. Denn dann könnte ich mich nämlich gleich wieder aufgefordert fühlen, an Gott und seine unendlich gütige und weise Vorsehung zu glauben. Neutronen-absorbierende Substanzen sind bevorzugt leichtere Elemente, wie Wasserstoff, und der kommt im Erdkern bestimmt am allerwenigsten vor.

Eine Denkmöglichkeit wäre etwa die Existenz einer anderen Kategorie von Schwarzen Löchern, die extrem klein sind, und die alles, was an Materie in sie hineinfällt, sofort in Form von Strahlungsenergie zurückwerfen. Demnach wäre der Erdkern ein infinitesimal kleines Schwarzes Loch, und um ihn herum schichtet sich eine gewaltige dichte Plasma-Gasblase, die durch den Strahlungsdruck aufgebläht wird, und eine Art Isolations-Schirm aufbaut, so dass der gravitationale Sog den Strahlungsdruck in etwa ausbalanciert, mit dem Effekt, dass die Erd-Materie nur ganz fein dosiert hineinfällt. Aber das ist eine genauso an den Haaren herbeigezogene Ad-Hoc Kosmologie, die auch kaum anders ist als die guten alten Kreations-Mythen aus der Genesis. Immerhin wäre dieses Konstrukt wieder eine interessante Version der alten Hohl-Erde Theorien.

2.5. Hydro-Noologie: Pre-Skripte und Gedanken-Kanäle
@ :HYDRO_NOO
Sei wie Wasser. (Bruce Lee)

Hier soll weiter ausgeführt werden, wie die Pre-Skripte der Gedanken-Kanäle funktionieren. Am besten nähern wir uns den Bewegungsprinzipien und -Grenzen von Gedanken, wenn wir einen Vergleich mit der Hydrogeologie machen. Wasser hat, wie die Gedanken, die Eigenschaft, alles zu umfliessen (oder zu umfassen) und mit der Zeit auch die Macht, alles zu überwinden. Daran erinnern uns auch die taoistischen Wasser-Metaphern, etwa bei Lao Tse und Dschuang Tse.
2.5.1. Wu Wei, der Weg des Wassers. Ein Vergleich aus der Hydrogeologie
Wasser folgt der Schwerkraft und fliesst immer dort hin, wo es den tiefsten Punkt findet. Welchen Weg es aber genau nimmt, ist abhängig von vielen Einzelfaktoren: Wie steil das Gefälle ist, wie hart der Boden bzw. das Gestein, wo die Biber oder die Menschen ihre Dämme gebaut haben, und dann, wenn ein Fluss sich in eine Tiefebene ergiesst, der Faktor, wieviele Schwemmstoffe er mit sich führt, und damit Sedimente ablagert, die sein Bett immer weiter erhöhen, bis er sich früher oder später einen eigenen Berg aufgebaut hat, und er deshalb seinen Kurs ändern muss. Diese Unsicherheitsfaktoren der Hydrogeologie entschieden über das Wohl und Wehe vieler alter Hochkulturen der Geschichte, besonders in Mesopotamien und China, weshalb wohl auch der Taoismus sich so stark mit Wasser-Analogien beschäftigt hat.
2.5.2. Gedanken graben sich ihre Grenzen selbst
Ein ausserirdischer Forscher machte einmal ein Doppelblind-Experiment: Er setzte eine Ratte und einen Menschen jeweils in ein Labyrinth, und stellte an einer Stelle etwas Futter hin. Die Ratte und der Mensch kamen dann alsbald regelmässig zu dieser Stelle und holten sich ihr Futter ab. Als der Forscher aber die Experimental-Konfiguration änderte, und auf einmal kein Futter mehr an dieser Stelle lag, ging die Ratte zwar noch ein paar mal dahin, schnüffelte herum, und stellte die Besuche dann ganz ein.
Ganz anders der Mensch: Als er nichts mehr dort fand, begann er erst einmal, sämtliche Bewegungen, die er bei den letzten Malen gemacht hatte, zu ritualisieren, und grotesk zu übertreiben. Als das nichts half, baute er schliesslich einen Altar an der Stelle, und er und alle seine Nachkommen pilgerten von nun an da hin, und vollführten unaufhörlich diese Rituale. Irgendwann musste der ausserirdische Forscher dann das Experiment seinem Schicksal überlassen, weil ihm seine Forschungs-Gelder ausgegangen waren.
A.G.

Wie das Wasser, so gräbt sich das System der Gedanken vor allem seine Grenzen von selbst. Dies sind die Faktoren der Denk-Gewohnheiten und unhinterfragten Selbstverständlichkeiten. Dies wirkt sowohl gesellschaftlich, wie auch individuell. Man stelle sich vor, dass man wie ein Gott die unbegrenzte Freiheit der Gestaltung (poiesis) hat. [256] Je mehr Freiheit zur Gestaltung man hat, desto weniger Gedanken macht man sich erst einmal darüber, was man da gerade anstellt. Reflexion setzt erst dann so richtig ein, wenn man bemerkt, dass man sich mit seinen faktischen Taten schon ganz geörig selbst eingekesselt hat. Dies bemerkt man leichter dadurch, dass man in seiner greifbaren Umwelt harte Fakten geschaffen hat, die einer weiteren Gestaltung entgegenstehen. Im Bereich der Gedanken ist das schon schwieriger zu erkennen. Hier setzt dann leicht eine Ritualisierung ein, nach der alles, was in die schon eingegrabenen Denkbahnen nicht ganz passt, weggeschoben wird.
2.5.3. Die 70-90% Regel der Grenzen des Denkraumes
@ :PROZENT_REGEL
Die 70-90% Regel der Grenzen des Denkraumes folgt in etwa einer Gausschen Glockenkurve, insofern, dass etwa 70-90% der Menschen sich strikt innerhalb der gerade gültigen Grenzen des Denkraumes bewegen wollen oder nicht anders können. Hierbei gibt es gewisse sexuelle und altersbedingte Schwerpunkte. So ist es bekannt, dass Frauen sich bevorzugt (bis 90%) innerhalb dieser Grenzen bewegen. Empirische Daten dafür sind die Verhältnisse von Kirchen- und Gottesdienst-Teilnehmer(inne)n. Andererseits finden sich bei Männern zwischen 16-30 Jahren aussergewöhnlich viele nonkonforme Denker. Dies war schon immer und zu allen Zeiten so. Man nannte sie die "jungen Wilden", die "Jungtürken", die Wandervögel, die Romantiker, etc. pp. Wenn aber (ein gewisser Prozentsatz) dieser Männer dann verheiratet sind, und Väter werden, erreichen sie auch fast das 90%-Konformitätsmass. In früheren, wilderen Zeiten schafften es aber vielleicht nur 50% der Jungmänner, eine Familie zu gründen, die anderen starben einfach, bevor sie die darwinistische Zeugungs- und Reproduktions- Phase erreicht hatten. (Siehe Hölderlin, Novalis, der "junge Werther", H. v. Kleist und viele andere).
2.5.4. Die Untergrundströme des Massenbewusstseins: Ethnopsychoanalyse und Dämonologie
Die obige Darstellung gilt aber nur für das Oberflächenwasser. Daneben gibt es noch ziemlich viel Wasser im Inneren der Erde. Davon handelt die Hydro-Thermo-Geologie, die eine Klasse von hydrologischen Phänomenen erforscht, die sehr schwer zu beobachten sind, und einstmals in ziemlich verschrobenen Erd-Theorien formuliert wurden, nämlich dass im Inneren der Erde noch ein Ozean schwappt. Bei Hesiodos finden wir diese unheimlichen Gewässer noch, als Tartaros, Thalassos, Thethys, etc. Wasser bewegt sich unter der Erde nach ganz anderen Prinzipien: Erstens durch die Erd-Wärme, durch Druck der Gesteins-Schichten, und womöglich noch anderen unbekannten Faktoren. Wasser durchdringt den Erdmantel kilometertief. Unter dem ungeheuren Druck im Erdinneren kann es nicht verdampfen, sondern wird zu einem superheissen, superfluiden Lysis-Agens, das die Gesteine durchspült und hier Mineralien auslaugt, und sie dort wieder niederschlägt. So entstehen auch heute zu jeder Zeit an vielen Orten riesige neue Mineral-Lager. Und zwischen all diesen höllischen Verhältnissen existieren und gedeihen unheimliche Formen von Bakterien, denen diese extremen intra-terrestrischen Verhältnisse gerade ideal erscheinen, und die an diesen geo-hydro-thermischen Prozessen entscheidend mitwirken.

@ :ETHNO_PSYCHO
Mit dieser Analogie und Gegenüberstellung von sichtbarem Wasser und bewussten Gedanken, und dem "höllischen" Szenario unseres Unter- oder Traum-Bewusstseins leiten wir weiter auf die "Untergrundströme des Massenbewusstseins". Wie angedeutet, findet sich eine reichhaltige Darstellung dieses verbotenen Territoriums in den Mythologien und Dämonologien aller Kulturen der Menschheit, und in einer ansatzweisen wissenschaftlichen Formulierung, der Ethnopsychoanalyse, insbesondere den Arbeiten von Mario Erdheim. [257]

2.6. Top-Ontik, Mae-Ontik, Prod-Ontik
...denn das Nicht-Seinende kannst du weder erkennen -
denn das läßt sich nicht verwirklichen -
noch aufzeigen. ...
Parmenides B2
Denn niemals kann das erzwungen werden, daß Nichtseiendes ist.
Sondern von diesem Wege des Suchens halte du den Gedanken fern,
Parmenides B7
@ :TOP_MAE_PRODONTIK
Ich rekapituliere hier den Fortgang der obigen ontischen Diskussionen. Das naive Denken geht von seinen unreflektierten Wahrnehmungen aus, und nimmt an, dass das was es "Wahr" nimmt, irgendwo auch "Real" sei, also der "Wirklichkeit" entspricht. Dazu lassen sich aber allerhand philosophische Spitzfindigkeiten und Anomalien produzieren, die ich in den obigen Abschnitten ansatzweise bearbeitet habe. So gibt es auch einen Diskurs darüber, was das Verhältnis zwischen "Wahrheit" und "Wirklichkeit" beinhaltet. Die "Wirk-lichkeit" beinhaltet nämlich das Wirken. Und dies ist einer ganz anderen Klasse von Phänomenen zuzuordnen, als die des "Wahren". Gehen wir von Wittensteins berühmten Satz aus: "Die Welt ist alles, was der Fall ist". So ist wohl eine passende Definition für Wahrheit, dass es eine korrekte Beschreibung dessen ist, was "der Fall ist". Aber bedeutet das schon, dass irgendetwas darüber ausgesagt wird, wie etwas "wirkt"?
2.6.1. Top-Ontik
In der Diskussion über die "ontischen Orte" habe ich stillschweigend etwas eingeführt, was man "Top-Ontik" nennen könnte (topos := der Ort). Ich habe gezeigt, dass man das naive Denken des Seienden zumindest soweit verunsichern kann, dass man ihm verschiedene und unvereinbare Kategorien-Systeme des Seienden vorführt, die nicht so einfach abzuweisen sind. Dazu habe ich mit dem Gegensatz der beiden Monismen Naturwissenschaft und Advaita Vedanta gezeigt, dass man in Bezug auf das "wirkliche Seiende" ganz trefflich uneins sein kann. Strukturell sind beide Systeme aber identisch.
2.6.2. Mae-Ontik
@ :MAE_ONTIK
Der Nachtgesang der Fische


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(Christian Morgenstern, ASCII-Anpassung: A. G.)

Der Buddhismus hat mit der Shunyata ein Konzept des "Nicht-Seienden" explizit eingeführt. Als Klasse von Denk-Strukturen kann man das auch "Mae-Ontik" nennen. Aber, wie oben in der Diskussion des Bereichs SEM angedeutet, müssen Konzepte ja auch irgendwo, irgendwie "existieren", also "Seiend Sein". Deshalb kann man sich nun leicht auf den Standpunkt stellen, dass dadurch, dass jetzt ein Konzept für das "Nicht-Seiende" (also die Shunyata) in den Bereich des "Seienden" eingetreten ist (oder eingeführt wurde), es wieder schön im "Seienden" "augehoben" ist. Und so weiter, ad absurdum. Wie eine solche unerbittliche logische Konsequenz hin zum "absurdum" durchgeführt werden kann, soll im nächsten Abschnitt dargestellt werden.
2.6.3. Rekursive Reflexion: Taliter Aliter -> Totaliter Aliter
@ :TOTALITER_ALITER
Frater Eusubius und Frater Pereginus waren zwei alte Bet- und Kontemplations-Kumpane und hatten sich schon diverse Jahrzehnte bestens über die Grundproblematik auseinandergesetzt, wie nun das Himmelreich beschaffen sei: Taliter oder Aliter (Ähnlich beschaffen wie oder Andersartig als die Welt). Als sie nun alt wurden, und es deutlich wurde, dass es nun bald Schluss mit Diskutieren war, und es an der Zeit war, wirklich vor den Herrgott zu treten, machten sie untereinander einen Vertrag. Wer zuerst sterben würde, sollte dem anderen im Traum erscheinen, und ihm verraten, wie es mit dem Himmelreich nun wirklich bestellt war. Ein paar Tage später starb Frater Eusubius und erschien wie vereinbart dem Frater Pereginus im Traum. Gespannt fragte der ihn: Taliter oder Aliter? Eusubius aber antwortete: Totaliter Aliter. (Völlig anders).

Oben wurde in dem Abschnitt "Das Neti-Neti Postulat der Noologie" schon einmal die Buddhistische logische Konstruktion der Catuskoti erwähnt. Der Buddha hatte zu allen Alternativ-Fragen seiner Schüler nach der "Wahren Buddhanatur", oder "Dem Wesen des Seins" ("ist es" dies oder das?) immer die Standard-Antwort: Neti Neti: "Weder dies noch das". Später kam mit der Madhyamika-Lehre des Nagarjuna dann eine logisch erweiterte Konstruktion hinzu, die Catuskoti, die alles, aber auch alles nur denkbare dazu ausschloss. [258]

Dem Objekt der Frage ("ist es" x ODER y?) gebührt:

1) WEDER "ist es" x,
2) NOCH "ist es" y,
3) NOCH "ist es" (x UND y),
4) NOCH "ist es" (WEDER x NOCH y).

Das ODER der logischen Formel ist in Boolescher Terminologie als XOR zu lesen. Mit den Klammern deute ich an, das jede logische Stufe sowohl die Proposition der vorhergehenden Stufe abweist, sowie auch die Negation ihres logischen Operators negiert. Formal ist dies ein gutes Beispiel, wie man einen Rekursiven Reflexionsprozess in Gang setzen kann. Als Arbeitsbeispiel nehmen wir die obige Frage: Ist es "Taliter ODER Aliter"?, indem wir die Terme in die Catuskoti einsetzen:

Das Wesen des Himmelsreiches:

1) WEDER "ist es" "Taliter",
2) NOCH "ist es" "Aliter",
3) NOCH "ist es" ("Taliter" UND "Aliter"),
4) NOCH "ist es" (WEDER "Taliter" NOCH "Aliter").

es "ist" eben:
Totaliter Aliter. (Völlig anders / eschatos).
2.6.4. Prod-Ontik: Das Werden und Vergehen
@ :WERDEN_VERGEHEN
Let it be noted ... that Galileo's procedure drastically reduces the content of dynamics. Aristotelian dynamics was a general theory of change, comprising locomotion, qualitative change, generation and corruption, and it provided a theoretical basis for the theory of witchcraft also. Galileo's dynamics and its successors deal with locomotion only, and here again just with the locomotion of matter.
P. Feyerabend (1975, p. 99, 160, 161)

Ich verlasse jetzt gänzlich den Bereich der Ontik, und begebe mich wieder auf tückisches Terrain: Nämlich in die Bereiche dessen, was im Werden oder Vergehen begriffen ist.
"Es wird schon"
Volksmund

"Es wird schon" - Im Stil eines Zen-Koans kann man diesen geflügelten Spruch zum Ausgangspunkt einer Philosophie des Werdens machen. Dies sind ungefähr die einzigen gesicherten Aussagen, die man über das Werden machen kann:
1) Was wird, weiss man nicht so genau, aber irgend etwas wird immer.
2) Wenn es nicht sofort wird, dann wird es eben etwas später.

Die systematischen Ansätze zu einer Philosophie des Werdens stammen aus den Werken von Goethe und Spengler. Dies wurde schon im Kapitel zur Meta-Morphologie umrissen. ->: META_MORPH, p. 101

Ich habe das schon mit dem Begriffs-Paar En-ergeia und Ergon angedeutet, und hier soll das ein wenig weiter ausgeführt werden. "Ergon" ist der Klassenbegriff für alles was man nur als "Seiend" bezeichnen kann. Dies ist strukturell äquivalent zu dem Begriff "Tonal" von Castaneda.
->: ENERGEIA_ERGON, p. 55; ->: ENERGEIA_WELT, p. 187

En-ergeia ist der Klassenbegriff für alles, was man als Werden oder Vergehen bezeichnen kann, und zwar nicht der einzelnen Dinge, sondern als Genericum für den Prozess des Werdens und Vergehens. Dies nenne ich "Prod-Ontik" von griech: pros- / prod- := vor. Das "nach" ist äquivalent mit den "vor", weil das "nach" des einen Dinges das "vor" des Nachfolge-Dinges ist. Prod-Ontik ist also genaugenommen überhaupt keine Ontik, weil es sich ja hier definitionsgemäss nicht um Seiendes handelt. Auch finden wir hier, dass wir einen merkwürdigen Zwischenbereich zwischen "Sein und Nichtsein" [259] aufgetan haben, der ebenso schwer zu be-greifen (begrifflich zu machen) ist, wie den Bereich SEM aus den obigen Diskussionen. Bei Castaneda heisst der entsprechende Begriff "Nagual". Manchmal wird dieser Bereich in der esoterischen Literatur auch als der "Kausal"-Bereich bezeichnet, aber das hat selbstredend nichts mit dem wissenschaftlichen Konzept der Kausalität zu tun, und deshalb ist er für einschlägige Diskussionen völlig ungeeignet.

Im Vergleich zu der ungeheuren Menge an Schrifttum, das sich mit dem Seienden beschäftigt, und der immerhin noch beachtlichen Menge, die dem Nicht-Seienden gewidmet ist, ist das Feld des "Werdens und Vergehens" erheblich dünner besetzt. Hier sind vor allem zwei Ausgangswerke zu nennen: Die kleine Schrift des Aristoteles unter demselben Titel, und das "I Ching", das Buch der Wandlungen, das einen starken Einfluss auf den chinesischen Taoismus hatte. Der Taoismus kann insgesamt auch als Philosophie des "Werdens und Vergehens" bezeichnet werden, aber um darüber eingehend zu diskutieren, müsste man die Originalschriften lesen können. Soviel habe ich bei meinem rudimentären Studium des chinesischen Denkens schon herausgefunden. Topische Übersetzungen (Wort für Wort) in westliche Sprachen können einige Eigenheiten des chinesischen Denkens, das auf dem ideographischen Schriftsystem beruht, nicht "translatieren" (Wilberspeak: Translation) [260]. Es gibt kaum einen Bereich, wo das Traduttore-Traditore-Dilemma schwieriger ist, als bei Übersetzungen des Alt-Chinesischen. Das Problem hierbei ist, dass die ideographischen Bilder, aus denen chinesische Schriftzeichen aufgebaut sind, neben ihrer Verbal-Bedeutung noch eine Bild-Kohärenz-Struktur eines Textes aufbauen können, und wer seine Übersetzung nur aufgrund der Verbal-Bedeutung macht, verliert diese Bild-Kohärenz-Struktur. Dies kann in westlichen Sprachen / Schriften nur annäherungsweise dargestellt werden, und ein Beispiel dafür war "der Nachtgesang der Fische" aus dem obigen Abschnitt.
->: MAE_ONTIK, p. 123

Die schriftliche Überlieferung des Taoismus formuliert wohl genau die gegenteilige Absicht, als die westliche philosophische Tradition intendiert, es ist nämlich die grosse Kunst, alles so vage und unpräzise wie möglich auszudrücken. Dies lässt sich z.B. damit demonstrieren, dass jemand, der die "Spitze der Erleuchtung" erricht hatte, den Ehrentitel "Der Grosse Nebelhafte" bekam. Also je nebulöser und uneindeutiger, desto besser. Einen solchen Denkstil kann man im Westen m.E. nur mit den Methoden erfassen, die ich oben mit "Semantische Felder" und "Semantischer Relativismus" bezeichnet habe. ->: SEMF_RELATIVISM, p. 52

Prod-Ontik ist als Konzept unerlässlich für eine Theorie des Handelns. Denn das "Handeln" bzw. die "Tat" ist der Begriff dafür, wie Menschen Dinge in die Welt setzen. In der restlichen Natur heisst das "ein Ereignis". Als passende literarische Einführung zu diesem Thema findet sich die berühmte Szene aus Goethes Faust, in der Faust die Eröffnung des Johannes-Evangeliums umdichtet, und zu dem Schluss kommt: "Im Anfang war die Tat!" (1237) [261]
2.7. Die Semiosphäre: Medientheoretische Aspekte der Noologie
@ :SEMIOSPHERE_PHIL
In diesem Abschnitt sollen die Grundlagen für medientheoretische Aspekte der Noologie auf der Basis folgender Denkansätze konstruiert werden:

Reflexionstheorie, Mehrwertige Logik, Theorie des Nach-Aristotelischen Denkens von Gotthard Günther.
Philosophie der Biosphäre, Semiosphäre und Noosphäre von Whitehead, Spengler, Cassirer, Teilhard de Chardin, Vernadski, Lotman, J. u. T. v. Uexküll, Gumilev.
Neuro- und Medientheorie, Soziobiologische Theorien der Gruppenselektion, Kreative Netzwerke der Biosphäre, von Howard Bloom, Eshel Ben-Jacob, Herbert Levine, John Skoyles.
Sprachphilosophie nach Herder und W.v.Humboldt. [262]
Medientheorie nach Harold Innis, Eric Havelock, Marshall und Eric McLuhan, Douglas Rushkoff.
Konstruktivistische Neurophilosophie nach Maturana, Varela, Olaf Breidbach und Karl Clausberg.
2.7.1. In Medias Res: Das Tertium Datur
@ :TERTIUM_DATUR
Als Enführung zu diser Diskussion folgt ein Satz von Douglas Rushkoff: [263]
And it occurred to me that everything is media. Everything outside my own awareness - whatever it is I call "me" - is some mediation of me. That is, until it gets to you. Everything between the thing that I'm calling Doug and the thing that you're calling John is media.

Rushkoff drückt hier das "Mediate" aus, das die Struktur des Intersubjektiven Bereiches kennzeichnet. Dies ist es, worauf Günther mit seiner Trans-Aristotelischen Logik hinzielte. (Allerdings konnte diese weder von ihm noch von seinen Nachfolgern befriedigend formuliert werden). [264] Das Medium ist das "Ding dazwischen", es ist nicht das "Ich", und nicht das "Es" der Aristotelischen Logik. Damit fällt es aus dem Rahmen der dominanten aristotelischen Denkstruktur der vergangenen Epoche der letzten 2500 Jahre, die von Gotthard Günther durch das "Tertium Non Datur" des Aristoteles charakterisiert wurde. [265]

Geistesgeschichtlich ist die Medientheorie eine Neuaufnahme der alten Aristotelischen und Scholastischen Spekulationen um den Dualismus von Hylae (Materia) und Morphae (Forma), also der philosophischen Betrachtung der allgemeinst möglichen Vorstellungen von Form und Substanz, und ihren Interrelationen. Die heutige Neuerung ist, daß sowohl die Sprache als auch die Neuronale Basis des Erkennens und Denkens in den Fokusbereich der Untersuchung rücken, was in der Vergangenheit nicht in dieser Form möglich war. Von Marshall McLuhan stammt dazu ein enigmatischer Spruch: The Medium is the Message. Die alten philosophischen Spekulationen von Hylae und Morphae nahmen an, daß die Hylae ein völlig eigenschaftsloses Substrat sei, das jede beliebige Form annehmen kann (bzw. in-formiert werden kann). Nach heutiger medientheorischer Sicht besteht immer eine subtile Abhängigkeit zwischen den intrinsischen Gesetzen und Bedingungen des Mediums und dem, was mit diesem Medium dargestellt und übermittelt werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, daß unser neuronales System eben auch ein Medium ist. [266] Das ist die tiefere Bedeutung von: The Medium is the Message.

Die Denkansätze von Oswald Spengler, [267] Teilhard de Chardin, und Gotthard Günther umreißen eine neue Ära des Selbst-Reflektiven Denkens, das auf die gerade ausklingende Epoche des objekt-gebundenen und -zentrierten Denkens (der Aristotelischen Epoche) folgen soll. Wir nennen hier diese anbrechende neue Epoche die "Intersubjektive Struktur" des "Tertium Datur", der Semiosphäre oder Noosphäre. Aus der mythologisch-mystischen Sichtweise ist dieser Bereich auch als das Reich der EL-Systeme bekannt. [268]
2.7.2. Die Semiosphäre
@ :SEMIOSPHAERE
Seit Beginn des Lebens auf der Erde stehen die Organismen der Biosphäre in unaufhörlicher Kommunikation und Interaktion miteinander. Auch hierbei ist wieder der Spruch von Marshall McLuhan eine Schüssel-Erkenntnis: The Medium is the Message. Denn Fressen und Gefressenwerden, der direkte Austausch der Körpersubstanz der Organismen, ist auch die wichtigste Kommunikationsform in der Biosphäre. (In der Ökologie nennt man das trophische Netzwerke.) Dazu kommt der immerwährende Austausch von visuellen, auditiven und chemischen Signalen und Spuren zwischen den Organismen. Dieses, nun schon seit ca. 4 Mrd. Jahren bestehende Kommunikationsnetzwerk wird in seiner Gesamtheit auch die Semiosphäre genannt. [269] Teilhard de Chardin hat in seiner philosophisch-theologischen Gesamtschau versucht, es mit den christlichen Grundgedanken zur Philosophie der Noosphäre und einem notwendigen Evolutionsziel im Punkt Omega zu ver-dichten. Er formulierte damit einen "Ursprung und Ziel der Geschichte", [270] im scharfen Kontrast zu der etablierten Geschichtsphilosophie, wie sie z.B. zeitgleich von Jaspers dargestellt worden war. Die Vison von Teilhard war eine Philosophie der spirituellen Einheit der Biosphäre, dies kollidierte natürlich mit dem biblischen Dogma seiner Kirchen-Oberen, der Sonderstellung des Menschen vor Gott und gegenüber allen anderen Lebewesen. Eine ebenfalls ins Mystische tendierende Formulierung wurde von Lovelock und Margulis mit der Gaia-Hypothese gemacht. In einer mehr nüchternen medientheoretischen, technischen und (sozio-) biologischen Sprache wird dies heute auch das Global Brain genannt. Howard Bloom nennt das schon seit Anbeginn der Zeiten bestehende bakterielle Netzwerk das Präkambrische Global Brain. [271] Diese Theorie des Global Brain postuliert eine wesentliche neue Komponente der Geschichtsfähigkeit der Biosphäre: Erinnerung und Gedächtnis.
2.7.3. Die Dunklen Kontinente der Erkenntnis und das Problem der distributiven Intelligenz
@ :DISTR_INTELL
Menschliches Erkennen, Denken, und Wissen ist, wie Kant schon philosophisch anführte, und die heutige Neurologie wissenschaftlich feststellt, entscheidend von den Modalitäten und Medialitäten des sensorischen und neuronalen Systems beeinflußt. D.h. was unsere Sinne nicht erkennen können, und was das dahinter geschaltete neuronale System nicht als Muster unterscheiden und speichern kann, kann keinen Eingang in unsere Erkenntnisprozesse finden. Das neuronale System ist selber ein Medium, das nur bestimmte Excitations- und Aktivations-Modi darstellen kann, und alles, was nicht mit diesem Modi abbildbar ist, hat keinerlei Existenz-Möglichkeit im Erkennungsraum dieses Systems. [272] Diese prinzipiellen Begrenzungen des Denkens, die Dunklen Kontinente der Erkenntnis, sind immer schon der Bereich der mystischen Spekulationen gewesen, [273] heute beschäftigen sich auch "seriöse" Wissenschafts-Autoren damit, wie z.B. John Horgan oder John Barrow. [274] Um eine bessere Vorstellung davon zu bekommen, was wir uns prinzipiell nicht vorstellen können, sollte man die Arbeiten der evolutionären Erkenntnistheorie (EE), wie z.B. von Riedl, mit umgekehrten Vorzeichen durchlesen. Die Grundaussage der EE ist daß all das, was wir erkennen können, dank evolutionär gewachsener Überlebens-"Erfahrung" der Art über die Selektion in unsere genetische, und damit neuronale, Grundstruktur eingeflossen ist. Allerdings ist das Argument subtil zirkulär. (Siehe auch die Diskussionen von Janich dazu.) Denn was wir im Rahmen unseres wissenschaftlichen Weltbildes über die Strategien der Natur erkennen können, ist eben nur der Teil, den wir mit unserer Experimentier-Technik in einen beherrschbaren Kontext zwingen können, so wie es Francis Bacon mit "der Streckbank des Experiments" vor-formuliert hat. Das sagt aber nichts über "die Natur an und für sich" aus. Es sagt vor allem nichts darüber aus, was irgendwo existent sein mag, aber für uns nicht erkennbar. Wir können nur das wahrnehmen, was uns 1) unsere neuronale Ausstattung zuläßt, und 2) unsere technischen Experimentier-Methoden aufbereiten und darstellen. Manchmal verdecken die Methoden aber auch essentielle Aspekte.

Als Organismen mit einer speziellen evolutionären Prägung sind wir nur sehr schlecht dafür ausgerüstet, Intelligenzformen ganz anderer Art als der cerebralen inkorporierten Intelligenz unserer eigenen Artgenossen und verwandter Tierarten zu erkennen, mit denen wir in unserer Art-Vergangenheit um Lebensraum konkurrieren mußten. Allgemein gesprochen, können wir dies das Problem der Erkenntnis von distributiver Intelligenz nennen. Von unserer neuronalen Disposition her sind distributive Komplexe für Menschen schwer vorstellbar und wahrnehmbar. Genau solche Intelligenzformen werden aber heute aufgrund wissenschaftlicher Fortschritte erkennbar, also ganz andere Formen als die der gewohnten organismischen Lebewesen, unter Kennzeichnungen wie Schwarm-Intelligenz, oder Netzwerk-Intelligenz. [275] Unser eigenes Gehirn ist ebenfalls ein Komplex distributiver Intelligenz, und damit ist uns unsere eigene Bewußtheit prinzipiell fremdartig.
->: VOLADORES, p. 175
2.7.4. Die Morphologie der Semiosphäre
In der Betrachtungsweise von Vernadsky und Nachfolgern [276] ist die Biosphäre ein geochemisches Prozess-System von thermodynamisch getriebener Materie-Energie-Umwandlung, [277] das in seinem Wesen (Hylae), also den grundlegenden molekular-chemischen Eigenschaften der Biomasse, und seinem Umfang (Gesamtmenge der Biomasse, Gesamtvolumen des Energiedurchsatzes aus Geothermal- und Sonnen-Energie) seit Beginn des Lebens in etwa konstant geblieben ist, [278] aber in seiner Formenstruktur (Morphologie, Morphae) die bekannten Ergebnisse der Evolution hervorgebracht hat. Diese Abfolge der Formen ist als molekulares Gedächtnis in den DNA-Strukturen der Organismen aufgehoben (im Hegelschen Sinne). Die Semiosphäre stellt damit eine andere Sichtweise der Biosphäre dar, nicht mit dem Fokus auf ihre Entitäten (Organismen) sondern auf ihre Transaktionen und Transmissionen (d.h. die inter-organismischen Prozesse), und in ihrer Eigenschaft als Geschichtliches Wesen. [279] In Analogie zur anatomischen Morphologie der Organismen läßt sich eine Morphologie ihrer Verhaltens- und Interaktionsstrukturen erstellen. [280]

Wie schon gesagt, fällt es uns Menschen schwer, aus unseren evolutionär geprägten Wahrnehmungsrastern auszubrechen, und die Geschichte der Evolution einmal aus der Perspektive des Inter-Organischen betrachten, also aus der Sicht aller Verbindungen und Einwirkungen von Organismen untereinander und aufeinander. Dies ist natürlich erheblich schwieriger und komplexer, als die Betrachtung der individuellen Organismen, die man ja fangen und sezieren und präparieren und im Museum ausstellen kann, und deren härtere Reste sich auch in den fossilen Strata erhalten, während ihre Bewegungen, Töne, und chemischen Spuren sich kaum jemals dauerhaft konservieren lassen. [281] Die 4-5 Mrd. Jahre alte Geschichte der Semiosphäre ist vorerst nur ein Name für einen ganzen gewaltigen dunklen Kontinent des Nicht-Wissens. Es ist nur der Name für ein System des Zusammenhangs, der heute u.a. unter dem Stichwort Ökologie auftaucht, von dem wir aber nur sagen können: Wir wissen fast gar nichts darüber.
2.7.5. Pattern Transmission Classes als abstraktestes Konzept hinter
Wissen, Gedächtnis, und Leben
@ :PATTERN_TRANSMIT
Unter der allgemeinen medientheoretischen Perspektive der Pattern Transmission lassen sich Wissen, Gedächtnis, und Leben als äquivalente Phänomene darstellen. [282] Der Begriff Transmission sei hier die weiteste mögliche Verallgemeinerung aller Arten von Fixierung und Transport. Weiterhin wird der Begriff des Mediums so verallgemeinert, daß er auf alle Transmissions-Phänomene der Biosphäre, also des gesamten Lebens auf der Erde, seit dem Beginn vor ca. 4-5 Mrd. Jahren, [283] anwendbar ist. Der heutige engere technische Begriff des Mediums ist lediglich eine technologisch verbrämte Neuauflage des alten Aristotelischen Begriffspaars von Hylae und Morphae, philosophisch der abstrakten Vorstellung von Form und Substanz und allen ihren Interrelationen. [284]

Das Wort Pattern wird als Terminus Technicus verwendet, wie es von G. Bateson (1972, 1979) und C. Alexander (1967-1993) definiert. Er entspricht in etwa dem deutschen Begriff der Gestalt in der Denktradition von Goethe und der Gestalt-Psychologie. [285] Hier können die Themen dieses Unterpunkts nur stark verkürzt dargestellt werden. Ausführlichere Darstellungen finden sich in der Sekundärliteratur. [286]

Wir können grob unterscheiden zwischen phylogenetischer (über DNS, RNS) und ontogenetischer (Verhaltensmuster, Kultur) Pattern Transmission. Leben ist definiert als phylogenetische Pattern Transmission in thermodynamisch offenen Systemen, bei der die Patterns der organismischen Fließgleichgewichte (also Körperstrukturen, Metabolismus) gegen die zerstörerische Tendenz der Entropie über die Zeit (diachron) transportiert werden. Zwar sterben die Träger der Muster (die Körper der Organismen), aber über den genetischen Mechanismus ist dafür gesorgt, daß die jeweils nächste Generation wieder in der Ähnlichkeit der Eltern-Generation geboren wird. Die Gene können als das molekulare Gedächtnis (memory) der Biosphäre angesehen werden. [287] Ontogenetische Pattern Transmission betrifft nicht-genetisch übertragene Verhaltensmuster. Im engeren Sinne sprechen wir bei Tieren und Menschen von individuellem Gedächtnis, bei der die Pattern Transmission über den Lebenslauf der Individuen stattfindet. In einer abstrakten Definition ist Wissen das, was in einem allgemein definierten Gedächtnis aufbewahrt wird, um es für zukünftige Handlungen zu nutzen. Es beinhaltet also Antizipation, denn wenn man nicht die Erfordernisse der Zukunft im Blick hätte, gäbe es keinen Grund, Wissen zu sammeln. [288] Um in der Terminologie gröbere Anthropomorphismen zu vermeiden, lassen sich Analogie- oder Proto-Begriffe bilden, die über Indizierung verschiedene einfachere Vorstufen von *Wissen, *Gedächtnis, oder *Kultur kennzeichnen. (Goppold 2000f). Im weiteren Sinne spricht man vom *kulturellen *Gedächtnis, wenn eine nicht-genetische Übertragung von *Wissen zwischen den Generationen (diachron) stattfindet. Das *Wissen aller *Kulturen ist ihr Fundus an Wissenswertem und Bewahrenswertem. Wenn in den folgenden Abschnitten un-indizierte Begriffe von Wissen, Gedächtnis, oder Kultur etc. gebraucht werden, soll als Vereinbarung immer die indizierte Fassung gelten: *Wissen, *Gedächtnis, *Kultur etc..
->: GEDAECHTNIS_BILD, p. 102
2.7.6. Das Periodensystem der Transmissions-Phänomene in der Biosphäre
@ :PERIODEN_XMISS
Ontogenetische Verhaltensmuster (Protokultur, Kultur) sind eine spezielle Unterklasse von Pattern Transmissionen in der Biosphäre, deren tragende Hauptklasse die phylogenetischen Patterns sind. Ohne die Konstanz der genetischen Patterns gäbe es keine Transmission der Verhaltensmuster. [289] Darauf aufbauend läßt sich ein "Periodensystem der Transmissions-Phänomene" der Biosphäre umreißen, dessen Globalzusammenhang die gesamte Geschichte des Planeten Erde durchzieht.

Um von dem bekanntesten Medium, der Schrift auszugehen: Schrift ist ein Medium zur Transmission von Sprach-Äußerungen. Die dadurch geprägte Epoche ist jetzt ca. 5000 Jahre alt. Wenn wir in die Menschheits-(Vor-)Geschichte weiter zurückgehen, finden wir weitere Epochen von Transmissionen, die mit bestimmten "höheren" Kultur-Äußerungen verbunden sind, wie Bilder und Kunst-Gegenstände (seit ca. 50.000 Jahren), dann Werkzeuge, Gebräuche und Rituale (seit ca. 500.000 Jahren), und seit ca. 5.000.000 Jahren das Auftreten der Anthropoiden und Hominiden, mit ihren spezifischen sozial- und instrumental- Transmissionen (wozu der systematische Feuergebrauch als eine der wichtigsten proto-humanen Errungenschaften zählt). Noch weiter zurück, finden wir den allgemeineren Bereich der Transmission der Gesamtmenge der nicht phylogenetisch vererbten Verhaltensmuster der Säugetiere, [290] bis wir bei den allgemeinsten Formen der biologischen Transmission ankommen, nämlich der genetischen Muster in der DNS, die allen Lebensformen gemeinsam sind. Denn wie oben schon angedeutet, ist das Protoplasma das Medium par excellence, es hat sich in Milliarden von Jahren in die aus der Paläontologie und der heutigen Biosphäre bekannten Lebensformen immer weiter und immer komplexer um- und aus-geformt. [291] Die Meinung von Jaspers, und vielen anderen (Geistes-) Wissenschaftlern, der Biosphäre eine Geschichte absprechen zu wollen, ist lediglich der anthropozentrischen Denkweise der vergangenen Epoche zuzuschreiben. Das Ge-Schichte der geologischen Steinschichten ist die Geschichte des Lebens auf der Erde. Man muß sie nur zu lesen verstehen, wie jede andere Schrift (bzw. generell Aufzeichungen in anderen Medien) auch, was die Paläontologie mittlerweile einigermaßen gut beherrscht. Die Gesamtschau über {die Geschichte / das Geschichte} der Biosphäre und der Noosphäre läßt sich zusammenfassend in einem Übersichtsdiagramm darstellen:




Abb.: Die medientheoretische Sicht der Weltgeschichte:
Ein Periodensystem der Transmissionsformen in der Biosphäre

Analog zu dem Periodensystem der Elemente von Mendeleyev [292] finden wir hier ebenfalls eine Regelmäßigkeit in dem "Ge-Schichte der Geschichte" der Biosphäre, indem die Dauer einer Epoche auf jeder Stufe um etwa einen Faktor 10 ab- oder zunimmt. [293] Die Erklärung hierfür ist uns aus heutiger Sicht plausibel: Das Leben wird zunehmend schneller, und das war schon seit Anbeginn der Zeiten so. Nur heute sind die Veränderungen aufgrund ihrer großen Geschwindigkeit in den Aufmerksamkeitsbereich eines einzigen Menschenlebens getreten. [294] Auf tieferer Ebene liegt die Ursache in der Thermodynamik von Dissipativen Systemen, und damit der Durchschnitts-Geschwindigkeit des Aufbaus des Strukturreichtums der Lebewesen und ihrer Organisationsformen. [295] Für ca. 3 Mrd. Jahre, also den weitaus größten Abschnitt der Erdgeschichte, machten die Prokaryoten (Abarten heutiger Bakterien) die Evolution allein unter sich aus, [296] dann erschienen vor 500 Mio Jahren die ersten Mehrzeller, vor 50 Mio Jahren übernahmen die Säugetiere und Vögel den Planeten von den Dinosauriern, und seit 5 Mio Jahren können wir von den ersten Menschenartigen (Anthropoiden) sprechen, [297] und die immer schneller aufeinander folgenden Kulturstufen des Menschen seitdem wurden oben schon angesprochen.

2.7.7. Visionen der Ereignis-Landschaft
@ :VISION_PANORAMA
Der Wesens-Unterschied zwischen Natur- und Geschichts-Philosophie ist der zwischen kausalem Prozess und singulärem Ereignis. [298] Im physikalistischen Paradigma der Naturwissenschaften nach Laplace sind alle Prozesse des Universums in ein kausales Gefüge eingebunden, das sich mechanisch auf Stoß-Reaktions-Ketten abbilden läßt. Dieses Bild dominierte das Wissenschaftsverständnis der letzten 300 Jahre, und liegt auch noch der heutigen Partikel-orientierten Physik zugrunde. Stoß-Reaktions-Ketten sind zeitlich umkehrbar, also reversibel, wie mit der bekannten Laplace'schen Formulierung des Dämons, der die Weltgeschichte berechnen kann, anekdotisch ausgedrückt ist. Nicht viel anders ist heute auch das Einstein'sche Raum-Zeit-Kontinuum aufgebaut. Zur Beherrschung von Prozessen hat die Mathematik das Konzept der stetigen Funktionen, und das Instrumentarium der Differenzial-Gleichungen eingeführt, das für die Ingenieure die Kontrollierbarkeit der technischen Systeme gewährleistet.

Mit der Chaos-Theorie ist aber die Bedeutung einer anderen Art von Prozess deutlich geworden: Das Phänomen der Bifurkation, populär auch als "Butterfly-Effekt" bekannt. [299] Bifurkation bedeutet, daß eine Reaktion mehrere "Auswahlmöglichkeiten" eines Folge-Ergebnisses hat, und keinerlei kausal nachvollziehbare Determination besteht, welche der Alternativen ergriffen wird. Damit ist auch keinerlei Berechenbarkeit von Zukunft oder Vergangenheit mehr möglich. Das Geschehen wird singulär, es wird Ereignis.

Der fundamentale Unterschied aber zwischen natur-kausalem Prozess und Geschichts-relevantem Ereignis ist die Erinnerung oder das Gedächtnis. Dies erfordert eine eigene Art der Wissenschaft, und eine eigene Geschichts-Philosophie, denn die vom physikalischen Dogma der reversiblen Zeit beherrschte Naturwissenschaft kennt kein Gedächtnis. [300] Dies ist eine weitere, andere Formulierung der Grundthesen von Gotthard Günther, daß die vergangene technisch- naturwissenschaftlich dominierte Epoche völlig ahistorisch war. [301] Nur das Leben kennt Gedächtnis, und Ereignis und Gedächtnis sind insofern äquivalent, als daß es eine Definition von Ereignis ist, was für würdig erachtet wird, dem (kulturellen) Gedächtnis anvertraut zu werden. [302] Das Leben vertraut alle sich immer und gleichartig wiederholenden (prozessualen, periodischen) Geschehnisse der Gewöhnung und dem Vergessen an, und bewahrt nur das Einzigartige im Gedächtnis. Für Jaspers ist das kulturelle Gedächtnis die Maxime der Geschichte, auch wenn er es nicht so direkt ausdrückt.
Jaspers (1955: 55): Die Folge der Geschichte ist ein unablässiges Anderswerden der Zustände, des Wissens, der Gehalte in ihrer Erscheinung, aber so, daß ein Bezug von allem auf alles, ein Zusammenhang der Überlieferung, universale Kommunikation möglich und als Forderung erfahren wird.

Virilio hat die Vision der kommenden Epoche einer Universal-Geschichte als sein Neo-Perspektivisches Bild der Ereignis-Landschaft dargestellt. [303] Dieser Trans-Temporale Panorama-Blick ist im anderen Kontext eine Neu-Aufnahme des Kernthemas der Renaissance, deren auszeichnende kognitiv-neuronale Errungenschaft ja die Behrrschung der räumlichen Perspektive war. [304] Als Durchbruchs-Erlebnis des Raum-Bewußtseins ist es von Petrarca 1335 mit dem Blick von dem Gipfel des Mt. Ventoux beschrieben worden. (Gebser 1973: 38-45). Einfacher ausgedrückt: die Renaissance als letzte vorhergegangene "Achsenzeit" leitete die kognitive, logische, und technische Eroberung des Raumes durch die Europäer ein, die ja heute mit der Globalisierung mehr oder weniger in ihre Endstufe eingetreten ist. Und diese ist prinzipiell nicht mehr überwindbar, denn die "Eroberung" des kosmischen Welt-Raumes erscheint nach den heutigen astronomischen und Einsteinschen Erkenntnissen der Absolut-Schranke der Lichtgeschwindigkeit für den Menschen in seiner jetzigen Form auf immer verschlossen. [305] Die neue Denk-Epoche der Menschheit wird sich also einer anderen Dimension zuwenden müssen: Der Eroberung der Zeit. Hoffentlich aber nicht ganz so blutig wie das die vergangene Epoche getan hat.

Weiterhin stellt dieser Panoramablick ein Schlüsselthema aus der Bibel dar, aus Matth. 4,3-11 und Luc. 4,3-13, bei dem der Versucher (Peirazo) Christus auf einen hohen Berg (oder einen hohen Turm) führt, und ihm den gottgleichen Blick über das Große Panorama der Geschichte des Universums gewährt.

2.7.8. Die Immortalitätskomplexe der Semiosphäre
@ :IMMORTAL_KOMPLEX
Die Semiosphäre ermöglicht auch neue Ausblicke auf die Unsterblichkeit: "Die Immortalitätskomplexe der Semiosphäre"

Teilhard (1981: 315): Schließlich erwacht (infolge des neuen und revolutionären Vermögens, die Zukunft vorauszusehen) im Bewußtsein jedes einzelnen Elements das Verlangen nach "unbegrenztem Weiterleben".

Es ist für Menschen schwer, sehr langfristige Entwicklungen zu erkennen, die weit über die Lebensdauer eines einzelnen hinausgehen. Es gibt so etwas wie eine Zeitschranke der Zeit-Erkenntnis, die mit dem Begriff des Saeculum, also der längsten möglichen Zeitspanne der direkten menschlichen Erinnerung verbunden ist, die für Normalmenschen zugänglich ist, etwa 100 Jahre. Geschichts-Erkenntnis und -Wissenschaft ist das Unternehmen der Spezies Mensch, diese Zeitschranke der individuellen Erkenntnis zu überwinden. Aber, Gotthard Günther bemerkte so treffend: "... stehen wir historischen Prozessen heute noch genauso hilflos gegenüber wie vor 10.000 Jahren." [306] Die Menschheit hat bisher noch keine irgendwie nennenswerte Geschichtswissenschaft hervorgebracht, die erkenntnismäßig darüber hinausgekommen wäre, was man etwa in der Biologie vor den Zeiten Linnés als "Kuriositätensammlung" betrieben hatte. Die früheren Versuche von Historikern wie Spengler, "Das Wesen" und "Die Gesetze der Geschichte" zu ergründen, dürfen als gescheitert betrachtet werden.
Das Reich der EL-Systeme
Aber manchmal, wenn die Not am größten, und guter Rat am teuersten, ist vielleicht unerwartete Schützenhilfe am nächsten. Und so soll hier noch eine Darstellung von distributiver Intelligenz erwähnt werden, die uns vielleicht erlaubt, eine völlig andere Sicht auf die Tiefen-Ge-schichte des Ur-Ahnens der Menschheit zu gewinnen, auf die Morphologie der Mythologie: Die unsterblichen Bewohner der Semiosphäre, die EL-Systeme, [307] die mythologischen Lenker und Leiter der Weltgeschichte, die in einer früheren Epoche als Daevas, Elfen, Feen, Sylphen, Nymphen, Gnome, Engel, und andere spirituelle Wesen bekannt waren, und aus unserer jüdisch-christlichen Mythologie z.B. als Micha-El, Gabri-El, Raffa-El, Uri-El, [308] mit dem Sammelbegriff: Die El-ohim, im Arabischen auch als Al-lah bekannt.

Die EL-Systeme stellen vielleicht einen ernstzunehmenden Versuch dar, eine Wissenschaft von der Geschichte zu begründen. Mythologie ist eine Form des Ur-Ahnens der Menschen, sich Dinge und Vorgänge vorzustellen, die sie mit der von ihrer Evolution mitgegebenen neuronalen Ausstattung nicht gut wahrnehmen können. Z.b. extrem langfristige geschichtliche Entwicklungen, oder die fein und weiträumig verteilten Prozesse der Netzwerk-Intelligenz.

Einem Menschen der mythologischen Vorzeit wäre das Konzept der Semiosphäre durchaus nicht fremdartig vorgekommen, denn er hätte jeden biosphärischen Interaktions-Komplex, der sich z.B. um einen bestimmten Hain, eine bestimmte Quelle, eine bestimmte Höhle, oder einen bestimmten Berggipfel, bildet, einfach mit den dort residierenden Natur-Geistern identifiziert. Und das allgemeine Konzept eines Ökosystems wäre ihm deshalb auch sehr bekannt vorgekommen. Das war eben das Konzert der Natur-Geister einer bestimmten Region, und man wäre dann in weitere und weitere Ebenen einander übergeordneter Natur-Geister gekommen, bis man irgendwann einmal bei dem Großen Manitou angelangt wäre, der aber nur ein Sammelname für die Gemeinsamkeit aller Natur-Geister ist. Wenn man sie alle auf einmal ansprechen möchte, dann ist es eben einfacher zu rufen: O Mani-Tou, [309] bitte höret mich alle! oder so ähnlich. Und so entstand auch das Konzept der El-ohim, das nur irgendwann den Charakter bekam, daß es ihrer nur einer sein durfte, der eifersüchtig keinen anderen neben sich dulden wollte. Das war die Geschichte der Monotheistischen Religionen. Man kann die Bildung der Monotheistischen Religionen denk- und reflexions-geschichtlich auch mit der Entwicklung begreiflich machen, daß die Menschen hier die Fähigkeit verloren, distributive Komplexe zu verstehen, und in solchen Kategorien zu denken. Aber seltsamerweise etablierten sich die Systeme der Engel und Heiligen in allen Religionen, sogar den nicht-theistischen, wie dem Buddhismus, sofort wieder, egal was der Gründerprophet an Vorschriften erlassen hatte oder nicht. Offensichtlich erfüllten die Engel und Lokal-Heiligen eine notwendige spirituelle Funktion, ohne die (eine Volks-) Religion anscheinend nicht funktionieren konnte. (S.a. Campbell 1996,III: 292-293).

Nehmen wir der Einfachheit einmal an, daß alles, was an gewöhnlichen Prozessen naturgesetzlicher Art in der Welt passiert, den blinden Kräften des Schicksals (oder des Schopenhauerschen Willens, oder der Entropie, etc. etc.) überlassen werden kann, aber alles, was mit Ereignissen verbunden ist, unter der Obhut eines Engels steht. So ungefähr lassen sich die weiter ausgearbeiteten Entwürfe der Engel-Systeme verstehen, [310] die z.B. von Dionysius Areopagita, über Swedenborg, bis Rudolf Steiner, gemacht worden sind. So lassen sich auch die elaboraten Ritual-Systeme verstehen, die z.B. in der hinduistischen Kultur ein ungeheuer komplexes Regelwerk von genau passenden Ritualen für jede nur mögliche Gelegenheit des menschlichen Lebens vorsehen, das eben nur ein Brahmane in lebenslanger Schulung von Kindesbeinen an, beherrschen und handhaben kann.
Kulturelle Transmission als virtuelle Unsterblichkeit
Kulturelle Transmission ist eine Form der virtuellen Unsterblichkeit. Zwar überlebt nicht der Mensch in seiner fleischlichen Form, aber einige seiner tiefsten und wesentlichsten Gedanken und Empfindungen können so über die Jahrhunderte und Jahrtausende weitergetragen werden. Jeder Brahmane, der heute die Sanskrit-Verse des Mahabharata aus dem Gedächtnis rezitiert, er-innert und impersonifiziert nicht nur das Gedächtnis an Krishna und Arjuna, sondern Krishna und Arjuna leben in ihm auf eine Weise fort, die in einer Zivilisation der schriftlichen kulturellen Transmission nur schwer vorstellbar ist. [311] Ebenso lebt Mohammed in seinen Koran-Versen weiter fort, und die jüdischen Propheten in den Versen der Bibel. Umgekehrt hat der, der heute diese Gesänge er-innert, auf eine ebenso schwer vorstellbare Weise Teil an der Unsterblichkeit dieser Überlieferung.

Mit diesem Seitenblick auf die Mythologie und die Religion finden wir einige Hinweise und Gründe für die erstaunliche Tatsache, daß kulturelle Muster extrem langlebig sind. Die Überlieferung der Juden ist etwa 3500 Jahre alt, [312] die Vedische ist ungefähr gleich alt (wenn man nach den Brahmanen geht, aber wesentlich älter), [313] die Christliche immerhin 2000 Jahre, und die Islamische 1400 Jahre. Die australischen Aborigines behaupten von ihrer Überlieferung sogar, daß sie mehrere 10.000 Jahre alt ist, aber das ist kaum zu verifizieren. Die ältesten Staatsformen waren etwa 2000 bis 2500 Jahre alt, aber wiesen große (über hundert Jahre dauernde) Zivilisationseinbrüche auf: So das ägyptische und das chinesische Reich. China stellt heute den langlebigsten existierenden Zivilisationszusammenhang dar, vor allem aufgrund des Konstanzfaktors der Schrift, die über alle Sprach- und Staatsveränderungen hinweg eine Konformität des Denkens über ca. 2500 Jahre versichert hat. Die ältesten europäischen Staaten waren Byzanz und Venedig, mit je etwa 1000 Jahren.

@ :TRADITION_WERK
Die erste Aufgabe ist: selbst etwas zu machen; die zweite, unscheinbarer, aber schwerer und größer in ihrer Fernwirkung: eine Tradition zu schaffen, andere dahin zu bringen, daß sie das eigne Werk fortsetzen, dessen Takt und Geist; einen Strom einheitlicher Tätigkeit zu entfesseln, der des ersten Führers nicht mehr bedarf, um in Form zu bleiben. Damit wächst der Staatsmann zu etwas empor, das die Antike wohl als Gottheit bezeichnet hätte. Er wird zum Schöpfer eines neuen Lebens, zum geistigen Ahnherrn einer jungen Rasse. Es selbst als Wesen entschwindet nach wenig Jahren aus diesem Strom. Aber eine von ihm ins Dasein gerufene Minderheit, ein anderes Wesen von seltsamster Art, tritt an seine Stelle, und zwar für unabsehbare Zeit, Dies kosmische Etwas, diese Seele einer herrschenden Schicht kann ein Einzelner erzeugen und als Erbe hinterlassen, und das ist es, was in aller Geschichte die Wirkungen von Dauer hervorgebracht hat.... eine Tradition schaffen, heißt den Zufall ausschalten. Eine Tradition züchtet einen hohen Durchschnitt, mit dem die Zukunft sicher rechnen darf... Eine starke Tradition zieht von allen Seiten die Talente an und erzielt mit kleinen Begabungen große Erfolge. Das beweisen die Malerschulen in Italien und Holland nicht weniger wie das preußische Heer und die Diplomatie der römische Kurie.
Spengler (1980, 1115)
Die Morphologie der Zeit-Geister
Ein großer Literaturstoff, wie Goethes Faust, entstand nicht aus der Phantasie eines einzelnen Schreibers, sondern Goethe führte damit einen schon lange laufenden Prozess weiter, der im deutschen Sprachgebrauch als ein Phänomen des Zeit-Geistes bezeichnet wird. Goethes Leistung war es, diesen Stoff, der die Geister der Menschen offensichtlich schon seit vielen Generationen so tief erregte, in eine neue Form zu überführen, und ihm damit eine neue Aktualität zu geben. Er formte damit ein neues mythologisches Selbstbild des abendländischen Menschen, wie Spengler ausführte, und sein Weitblick erfasste genau die Dynamik der Entwicklung der techno-kapitalistischen Zivilisation, die sich in den letzten 200 Jahren entfaltete. [314] Im Rahmen der hier aufgestellten Morphologie der Cultural Patterns handelt es sich um das Weben und Wirken von Wesen der Semiosphäre. Diese ist die Welt der Zeit-Geister, in einem sehr wörtlichen Sinn. Denn es sind Geister, deren Wesen mehr zeit-haftig ist, als räumlich faßbar. Die Semiosphäre ist eine Welt der flüchtigen Phänomene, denn Kommunikationsprozesse sind, auch wenn sie immer auf Medien und Energien angewiesen sind, subtiler als rein materiell-energetische Formungs- und Austauschprozesse (wie etwa das Schmieden eines Eisenstücks). In den Arbeiten von Jung und Campbell (1972-1996) wird das Wirken dieser Wesen als Mythologisches Drama bezeichnet. Das Drama von Faust und Mephistopheles behandelt somit einen zentralen Nexus [315] von archetypischen Kräften in der Menschheitsentwicklung. Campbell (1996: 701-793).

3. Nosologie: Das Wissen vom Leiden

@ :NOSOLOGIE
3.1. Lust, Frust, Leid und die Sucht nach Ewigkeit
Alle Dinge des Lebens, die Spass machen, sind entweder ungesund oder verboten.
Volksmund

Oh Mensch! Gieb Acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
´´Ich schlief, ich schlief -,
´´Aus tiefem Traum bin ich erwacht: -
´´Die Welt ist tief,
´´Und tiefer als der Tag gedacht.
´´Tief ist ihr Weh -,
´´Lust - tiefer noch als Herzeleid:
´´Weh spricht: Vergeh!
´´Doch alle Lust will Ewigkeit
´´will tiefe, tiefe Ewigkeit!''
Nietzsche, Zarathustra

Wenn Gott gewollt hätte, dass die Menschen sich in "Unio Mystica" mit ihr vereinigen, hätte sie die Individual-Seele nicht erschaffen brauchen.
Die Mystik-Vereinigungs-Abwehrerin

Es gibt kaum eine treffendere Darstellung des Zusammenhangs zwischen Lust, Leid und der Sucht nach Ewigkeit als Nietzsches Schluss-Gedicht des "Zarathustra" [316]. Mit diesen Zeilen trifft Nietzsche auch den Kernpunkt der menschlichen Suche nach Transzendenz, Samadhi, Vereinigung mit Gott, etc.: die unendliche Verlängerung der Lust und die dauerhafte Vermeidung von Leid. Die "höheren" Formen der Lust im Mantel der Spiritualität entspringen der Erfahrung, dass alle anderen Formen der Lust mehr oder weniger schnell in Frust oder Leid umschlagen. Dies soll nun ein wenig ausgeführt werden. [317]

3.1.1. Ein Noologisches Märchen: Das Leben der Menschen im Paradiese
@ :NOO_PARADIES
Es wurde oben schon gesagt: Märchen sind ein genuines Thema und eine wesentliche Methode der Noologie. Und so möchte ich ein paar wichtige Themen in Märchenform fassen, die uns das Menschheitsgedächtnis nur als Mythen überliefert hat, und über die es leider nichts genaues mehr zu wissen gibt, da niemand dabei war, der uns heute noch davon berichten könnte. Statt den Mythos für Unsinn zu erklären, oder zu analysieren, oder zu interpretieren, spinne ich ihn weiter: Dieses Verfahren nenne ich auch: Anteil nehmen am Ur-Ahnen der Menschheit. [318]

Das Thema ist das Leben der Menschen vor dem Sündenfall, im Paradiese, wie es in dem Mythos der Genesis "aufgehoben" ist, modifiziert mit ein paar Erkenntnissen der heutigen Paläo-Anthropologie. Seit ca. 10 Jahren befindet sich die Paläo-Anthropologie in einem Chaos, weil die schöne Ordnung, die zwischen den 1950er bis 70er Jahren von Leakey und Kollegen aufgestellt wurde, ins Wanken gekommen ist. Die einfache Abstammungslinie des Menschen "out of Africa" im Kenianischen Rift Valley, ihrer Ur-Ahnin Lucy, [319] und der bekannten Errungenschaften der Ur-Menschheitsentwicklung, dem aufrechten Gang, dem Feuergebrauch, der Werkzeuge, der Sprache, wird durch immer neue Fossilienfunde verwirrt. Heute kann man nicht mehr von einem Ur-Ahnen des Menschen sprechen, sondern man findet über ganz Eurasien und Afrika Knochen und Skelette von allerlei möglichen Vorfahren, die alle irgendwie verwandt, aber gattungsmässig nicht einheitlich sind. Das grosse Problem bei dieser Menge an möglichen Vorfahren ist, dass sie sich einerseits ziemlich verschieden entwickelt haben müssen, aber sie mussten dennoch in der Lage gewesen sein, miteinander Nachkommen zu zeugen. Das passt nicht ganz in das konventionelle darwinistische (bzw. Weismannsche) Raster, denn nach der heute noch gültigen Interpretation der Genetik kann es nur eine Ur-Eva gegeben haben.
3.1.2. Das Leben vor der Erfindung des Leides:
Wenn die Bonobos unsere Vorfahren gewesen wären.
Wie können wir uns das Leben der Menschen im Paradiese vorstellen? In jener paradiesischen pleistozänen Epoche, die in anderen Mythologien auch als das goldene Zeitalter oder Satya Yuga bekannt ist [320], gab es für die Menschen keine Sorgen um das Leben und Über-Leben, Nahrung war genug vorhanden. Diese mythische Epoche unterscheidet sich von den späteren essentiell dadurch, dass das Zentral-Element "Leid" des menschlichen Lebens noch nicht existierte, das erst durch oder nach dem Sündenfall entstand. Hier wäre eine genauere Analyse des Elements "Leid" vonnöten. [321] Wir können zwei Kategorien von Leid unterscheiden: Die physiogenen (von der Natur auferlegten) und die anthropogenen (von Menschen verursacht). Alle höheren Lebewesen sind genauso wie Menschen den Tatsachen der Geburt, des Schmerzes und des Sterbens unterworfen, [322] aber sie leiden nicht so, wie Menschen leiden können. Und wir können mit guter Begründung behaupten, dass das "anthropogene Leid" in gewisser Weise schlimmer ist.

Eine realistische Konstruktion der Lebenswelt der Menschen im Paradiese muss diese wesentlich unterschiedliche Komponente berücksichtigen: Das anthropogene Leid war noch nicht "erfunden". Wie gingen die Menschen wohl mit den natur-gegebenen Formen des Leids um? Der Tod war wie bei allen Lebewesen nicht zu vermeiden, aber er wurde vermutlich als ein Übergangsritus wie jeder andere gefeiert. [323] Der Schmerz hatte einen ähnlich anderen Stellenwert. Wie wir aus den Berichten über Sadhus und Fakire etc. wissen, ist Schmerz sehr relativ, und kann durch psychische Konditionierung wesentlich beeinflusst werden. Ebenfalls stellte man fest, dass Wolfskinder sehr schmerz-unempfindlich sind. So war Schmerz eher ein Freund, ein Warner, der den Menschen zuverlässig mitteilte, dass sie momentan das innere oder äussere Gleichgewicht verloren hatten. Wie eine solche Lebensweise (auf etwas niedrigerem Niveau) in der Praxis aussieht, machen uns die Bonobos vor. So etwa würden auch die Menschen noch leben, wenn es den Sündenfall nicht gegeben hätte.

Wahrscheinlich gaben sich die Menschen im Paradiese ihren ganz normalen menschlichen Neigungen hin, die mit einem Quadrantensystem zu klassifizieren sind: Das waren die Drei Grossen F's, und das Grosse "S". Die Drei Grossen F's stehen für: Ficken, Fressen, Faulenzen [324], und das Grosse "S" steht für Spielen. Die F's können auch als die animalischen Neigungen des Menschen bezeichnet werden, während das "S" wissenschaftlich als Phänomen der Neotenie (verlängertes Kindverhalten) bekannt ist. Bei allen Säugetieren spielen nur die Jungen, und wenn sie erwachsen werden, hören sie damit auf. Menschen haben die Fähigkeit und die Neigung, bis an ihr Lebensende immerfort zu spielen.

Das Hauptmotiv in allen heute populären Skripten der Menschwerdung ist der totale "Kampf ums Überleben", der "Krieg aller Lebewesen gegen alle", wie er schon von Hobbes als das Ur-Skript des Spencerschen (Neo-) Darwinismus formuliert wurde. Aber ist dies nicht lediglich das Phantom der allzu beliebten Retro-Projektion neuzeitlicher Zu- und Umstände auf die Urwelt? [325]
3.1.3. Ansätze für alternative Ur-Menschheits-Historien
In einer gewaltigen Epoche von ca. 1 Mio. Jahren, bevor der heute dominante Menschentyp seinen Siegeszug über den Planeten angetreten hat, gab es genug Zeit und Gelegenheit für viele völlig andersartige Historien, als es die Hobbes- / (Neo-) Darwinistische sozio-biologische Interpretation annimmt.

Stellen wir uns also vor, dass es unter all diesen vergessenen Ur-Ahnen einen Menschenstamm gegeben hat, der aus seinem Spiel- und Forschungstrieb nicht den Symbol- und Waffengebrauch, sondern seine musikalischen und poetischen Fähigkeiten primär entwickelt hat. Dieses Szenario basiert auf der Orpheus-Mythologie. [326] Dadurch ergaben sich bestimmte sehr entscheidende Unterschiede in der Lebensweise: Ein Lager dieser Vor-Menschen wurde nicht mit einem Zaun aus Stangen, Palisaden und Stachelbüschen gegen tierische Räuber verteidigt, sondern es war umringt von Arrangements von Klangsteinen und tönenden Röhren und Pfeifen aus Bambus und hohlen Baumstämmen. [327] Und die Vor-Menschen beschäftigten sich in ihren Spielen vornehmlich mit musischen und ästhetischen Themen. Natürlich gab es damals allerlei gefährliche Tiere, die heute ausgestorbene "pleistozäne Megafauna", Säbelzahntiger, Höhlenlöwen, Mastodons, und sonsterlei furchteinflössende Geschöpfe. Aber dieses musikalische Arrangement hatte eine ganz andere Wirkung als aggressive Verteidigungsbastionen: Die wilden Tiere wurden durch diese Töne "verzaubert", und wenn sie sich den Siedlungen näherten, wurden sie auf heute unerklärliche Weise zahm und friedlich und "das Lamm lag neben dem Löwen". Auf dieser Basis gab es eine ganz andere Koexistenz von Mensch und Tier, als wir es heute ahnen können. Anstelle Tiere für das Abendessen zu jagen, kamen diese ganz freiwillig zu den Menschen. Wenn etwa ein altes Mammut oder Wollnashorn so "keine rechte Lebenslust" mehr hatte, trottete es zu dem Lager der Menschen, und liess sich dort freundlich empfangen, streicheln, und mit ein paar speziellen Kräuter-Leckereien füttern, um dann selig abzudanken. Darauf bekam es eine würdige Grabstatt in den Mägen der Menschen, das war immerhin ein besseres Schicksal, als draussen in der Savanne bei lebendigen Leibe von den Hyänen zerrissen zu werden. Dies liesse sich noch weiter ausspinnen, so z.B. wie die Menschen auf verschiedene Weise ihren Tod inszenierten, und die Lust im Moment der Auflösung auskosteten. Auch dies ist ein Thema, das uns aus verschiedenen mystischen Tradtitionen bekannt ist. Aber alle solche Szenarien stehen und fallen mit einem Zentralthema: Wenn das gute Leben zu einer Bevölkerungs-Explosion führt, ist es mit der Herrlichkeit nach ein paar Generationen vorbei, weil die Umwelt nicht mehr in der Lage ist, für die Bedürfnisse der gewachsenen Bevölkerung zu sorgen.
3.1.4. Sündenfall und Weiblichkeit
Sowohl nach der Genesis, wie auch der griechischen Prometheus-Mythologie gab es irgendwann ein katastrophales (kata-strophae) Ereignis oder Phasen-Übergang, als das Leid(en) entstand. In der Prometheus-Mythologie war es die Büchse der Pandora, die all die Leiden über die Menschheit ausschüttete. Seitdem das Leid das Leben der Menschen bestimmt, wurde ihr Sinnen und Trachten, und philosophisches Schmachten, noch vor der Suche nach Lust, wesentlich von dem Thema des Vermeidens von Leid bestimmt. Hier setzt die Dharma-Lehre des Buddha und die Heilslehre des Christentums an. Auch wenn beide Systeme von verschiedenen Voraussetzungen ausgehen, finden sich doch wesentliche strukturelle Gemeinsamkeiten. Das Konzept der Sünde im Christentum und die Anhaftungen im Buddhismus: Die Übel des Fleisches: Sünde, Anhaftungen, Lüste, Begierden, Suchten, Schwächen, Leidenschaften.

Darum ist auch bei den Männern die Natur der Geschlechtsteile ungehorsam und selbstherrlich geworden wie ein der Vernunft nicht gehorchendes Tier und versucht, durch ihre wütenden Begierden alles zu beherrschen. Aus eben denselben Gründen aber wird andererseits bei den Frauen das, was man Gebärmutter und Uterus nennt und was ein auf Kindererzeugung begieriges Lebewesen in ihnen ist, wenn es entgegen seiner Reife lange Zeit ohne Frucht bleibt, unwillig und nimmt es übel, irrt allenthalben im Körper umher, versperrt die Durchgänge der Atemluft, läßt das Atmen nicht zu, bringt die Frauen in äußerste Ratlosigkeit und führt zu mannigfachen Krankheiten, solange bis die Begierde und der Trieb der beiden Geschlechter sie zusammenbringen, gleichsam von den Bäumen die Frucht pflücken, in die Gebärmutter wie in Ackerland auf Grund ihrer Winzigkeit unsichtbare und ungestaltete Lebewesen aussäen und sie wieder gliedern, im Innern großziehen und hiernach ans Licht bringen und so die Erzeugung der Lebewesen vollenden. So sind also die Frauen und alles Weibliche entstanden.
Platon, Timaios, Schlusskapitel

I believe that I keep my dignity better when I spread my legs
(Cathérine Millet)

Man kann in der Geistesgeschichte des Abendlandes einen schwarzen Faden ziehen, der von Platons Timaios, Plotin, über die "Confessiones" des Augustinus direkt zu den "Meditationes" des Descartes führt, und darin die grossen strukturellen Probleme erkennen, welche sich durch dieses Denken ziehen: Die Verdammung und Vernachlässigung des Leibes und seiner Triebe, Empfindungen und Emotionen. Bei Augustinus wird der Leib zur Quelle der Sünde, was in den folgenden 1500 Jahren zu einer schweren Erblast im Seelenleben der christlichen Menschheit wurde. Descartes hat die Leib-Empfindungen aus seinem System einfach ausgeschlossen. (Und das tat auch die westliche "Natur"-Wissenschaft nach ihm). [328] Allerdings steht das Christentum nicht allein mit diesem Problem. Dasselbe finden wir in den Schriften des Shankara, und wenn auch der Buddhismus propagiert, einen "Mittelweg" zu gehen [329], so ist dieser Mittelweg (zumindest im Theravada) immer noch ziemlich asketisch. [330] Der (unsterbliche) Geist als Feind des (sterblichen) Leibes erscheint also als strukturelles Thema in fast allen "spirituellen" Skripten der geistigen Traditionen der Menschheit.

Eine unheilvolle Konsequenz dieses Denkens ist die Stellung des Weiblichen in den Systemen, die sich daraus ableiten, wie oben bei Plato und in der biblischen Genesis schon vorgezeichnet. Das Weibliche als Trägerin der leiblichen Fortpflanzung wird mit der Begierde und der Sünde identifiziert, und mehr oder weniger verteufelt. Nur die reine Jungfrau und Mutter Maria darf als Ausnahme, und für die sterblichen Frauen nie erreichbares Phantom mit in das Pantheon des männlichen Geistes einziehen. In dieser Ab-Spaltung liegt eine der wesentlichen Ursachen für die Noo-Pathologien der Menschheit.

Wie der Prozess der Entstehung des anthropogenen Leidens seinen Lauf nahm, ist mit seinen verschiedenen Stadien in den Mythologien der Menschheit "aufgehoben". Man muss nur wissen, wie man die Zeugnisse des Ur-Ahnens der Menschen zu interpretieren hat. Dazu müssen wir wieder ein paar Techniken der Pera-Noesis einsetzen. Die späteren Diskussionen zur "Noo-Pathologie: Die Leiden des Wissens", sowie zur "Kalyptologie: Die Struktur-Theorie der Verschleierung" vertiefen dies. Danach wollen wir noch einmal tief in die Welt der Noologischen Märchen eintauchen, und lernen, die ganze Geschichte dieser Welt aus einer völlig anderen Perspektive "wahr-" zu nehmen, oder zumindest als Denk-Hypothese erst einmal zu erwägen. Dies sind die Hypertext-Verzweigungen zu den entsprechenden Kapiteln:
->: NOO_PATHOLOGIE, p. 158; ->: KALYPTOLOGIE, p. 159
->: EN_ARCHAE, p. 211; ->: PRINZIP_SPANNUNG, p. 220; ->: DUALISMUS, p. 224

Dies können wir schon vorwegnehmen: Die Version vom Sündenfall, die uns in der Genesis präsentiert wird, stellt nicht die Ursache der Entstehung (genesis) des anthropogenen Leidens dar, sondern im Gegenteil: die Genesis ist das Pre-Skript, nach dem und mit dem das Leiden in die Welt gesetzt wurde. Dort wird uns berichtet, wie der Dualismus installiert wurde, der für die nächsten ca. 3000 Jahre unermessliches Leid über die Menschheit gebracht hat. Denn ganz im Sinne und Erfüllung des "Luzifer-Ahriman-Projektes" ist genau die Versklavungs-Strategie die erfolgreichste, die vorgibt, uns von dem Übel zu erlösen, das zuerst mit Hilfe dieser Strategie über uns Menschen gebracht wurde. [331] Das fatalste Pre-Skript aber ist das Joshua-Genesis-Syndrom, das ich jetzt erläutern werde.
3.1.5. Die Populations-Bombe und die Entstehung des anthropogenen Leidens
@ :JOSHUA_GENESIS
Die automatische Vertreibung aus dem Paradiese

Keiner ist so nutzlos, dass er nicht wenigstens als schlechtes Beispiel taugte.
Lenin

Eine der Haupt-Ursachen der Entstehung des anthropogenen Leides ist der ungehemmte Vermehrungswahn der Menschen, das Joshua-Genesis-Syndrom. Dies ist so benannt nach den entsprechenden Stellen aus den Büchern Joshua und Genesis in der abrahamitischen Bibel/Torah, wo es das erste Mal strukturell detailliert dargestellt wird. Wie meistens, kann man die abrahamitischen Religionen nicht für dieses Syndrom verantwortlich machen, denn es wurde schon in der ältesten "Ur"-Zeit erfunden, aber mit diesen Religionen wurde es als gottgegeben spirituell überhöht und "geheiligt". Nur wenn die Ur-Menschen strikt auf Begrenzung ihrer Bevölkerung geachtet haben, konnten sie ein dauerhaftes Gleichgewicht mit der umgebenden Natur und damit ihr "paradiesisches Leben" erhalten. Und das war offensichtlich nicht mehr der Fall, als die heute herrschende Menschenrasse ihren Siegeszug über den Planeten antrat. (Der Tyranno-Anthropos Rex). Denn diese Menschenrasse vermehrt sich blindlings und ohne Rücksicht auf Verluste. Und dann folgt sozusagen ganz automatisch die Vertreibung aus dem Paradiese, aber man muss die Darstellung in der Bibel genau umgekehrt lesen. Das Leitmotiv steht in der Genesis, und ist sozusagen der Anfang vom Sündenfall: "Wachset und mehret euch, und machet euch die Erde untertan". [332] Leider ist in dieser Injunktion, die durch das "Wort Gottes" religiös festzementiert ist, schon die grausame Konsequenz enthalten, die bei Joshua (3, 6, 10, 11) beschrieben ist. Die Bevölkerungsexplosion (Baby Boom) führt erst einmal zu einer Vermehrung der möglichen Reibungs- und Konfliktzonen: Wo früher vielleicht 50 Menschen auf einem bestimmten Territorium gut miteinander auskommen konnten, sind es jetzt 500. Das führt ganz automatisch zu (allerlei Gelegenheiten für) erhöhten Stress und Streit, Konkurrenz und Aggressivität der Menschen untereinander, weil die besten Plätze schon vergeben sind, und die Wege zur Nahrungs- und Wasser-Beschaffung immer länger werden. Wenn die gewachsene Bevölkerung ihre Nahrungsressourcen dann jenseits der Tragfähigkeit ausgedünnt hat, wird es wirklich kritisch, und der Kampf ums Überleben aller gegen Alle setzt ein. In den nomadischen Urzeiten war das das Signal zur Teilung der Gruppe und zum Aufbruch in neue "Jagdgründe". Aber schon damals waren die neuen, leeren, unberührten "gelobten Länder" gar nicht so leer und unberührt, wie es verschiedene euphemistische Historien berichten. Was dann geschah, wird im Buch Joshua wenigstens noch ungeschminkt dargestellt. Ein Bevölkerungs-"Austausch" fand statt (so der euphemistische Begriff der Historien-Schreibung der Sieger). Aus der mythologischen Perspektive ist es dabei unerheblich, dass es keine historischen Hinweise gibt, dass die geschilderten Ereignisse aus dem Buch Joshua auch wirklich so stattfanden. Der letzte gut dokumentierte "Bevölkerungs-Austausch" fand vom 17. bis 19. Jh. in den Weiten des Nordamerikanischen Kontinents statt, und in der indianischen Sichtweise sieht das etwas anders aus als die euphemistischen Darstellungen in den Wild-West-Filmen. Es beinhaltet eine grausame Logik, dass immer die aggressiveren Völkerschaften, die von dem Massen-Vermehrungswahn des Joshua-Genesis-Syndroms besessen sind, alle anderen, ökologischer und nachhaltiger eingestellten Gruppen verdrängen werden, weil sie zahlreicher sind und damit mehr Krieger stellen können. Davon handeln nicht nur das Buch Joshua, und Mythen wie von den Amazonen, sondern auch die traurige Geschichte der Kämpfe der nord-amerikanischen Irokesen und Huronen, der Indianer-Stämme des heutigen Uruguay und Nord-Argentinien (Levi-Strauss, Traurige Tropen), und des antiken Sparta. Eins der letzten Überbleibsel solcher ökologischer und nachhaltiger Gesellschaften sind (oder waren) die Kogi-Indianer in Kolumbien. (Reichel-Dolmatoff, Esotera, 5/95: 25-29). Siehe auch "2.6. Of Pro-metheans and Epi-metheans":
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/cunni04.htm#Heading16

3.2. Die Erfindung des Spintisierens
@ :GALEN_CHARTYP
Die Erfindung des Spintisierens und die Sucht nach "Selbst-Reflexion"

Ich gebe nun meinem Spieltrieb weiter freien Lauf, und führe jetzt noch ein Quadrantensystem ein, das Galen vor ca. 2000 Jahren aufstellte, mit dem sich die menschlichen Charaktere klassifizieren lassen: Sanguiniker, Choleriker, Phlegmatiker, und Melancholiker. [333] Die Sanguiniker, Choleriker, und Phlegmatiker bevorzugten in jeweiliger Präferenz die Drei Grossen F's und das Spielen, während einige Melancholiker eine perverse Vorliebe entwickelten, die ich das "Spintisieren" oder kurz "das kleine s" nenne. [334] Dies war eine Entwicklung, die sicher sehr lange Zeit in Anspruch nahm. Spielen und Spintisieren hängen wesensmässig zusammen. Das Spintisieren ist ein Aspekt der Selbst-Reflexion. Wie genau, wird noch weiter auszuarbeiten sein. Das nur in aller Kürze: Die ursprüngliche Neotenie, der nach aussen gerichtete Spieltrieb, wird auf das Subjekt ohne Vermittlung des Zwischenmenschlichen SEM zurückreflektiert. Der Urmythos dazu ist der des Narzissos, der aber diesmal nicht gebannt von seiner eigenen Schönheit regungslos ins Wasser starrt, sondern der irgendwann einmal sein eigenes kreatives Potential in diesem Spiel zum Thema seiner Aufmerksamkeit macht, und beginnt, ein "Zwischenreich" von Vorstellungen zu schaffen, zwischen dem, was er an Regelmässigkeiten (oder Patterns) zwischen seinen eigenen Empfindungen (SUB) und seinen Erfahrungen (OBJ) bemerken kann (Meta-Patterns). Wichtig ist hierbei der Ausschluss des Bereichs SEM, der als Vermittlungsbereich ansonsten eine katastrophale Run-Away-Selbstreflexion verhindern würde. (So der Inhalt des Narziss-Mythos, strukturell interpretiert.)
->: SELBST_REFLEX, p. 50; ->: NOO_PATTERNS, p. 87; ->: META_MORPH, p. 101

@ :EROS_SPIELE
Zur Ergänzung sollte noch hinzugefügt werden, dass die "Spiele der Erwachsenen" entwicklungsgeschichtlich meistens ein Anhang eines der "Drei Grossen F's" sind, nämlich der "Sexuellen Selektion", wie Darwin es genannt hat. D.h. wie wir bei den Bonobos schon ganz gut sehen können, und wie auch aus so vielen frühen anthropologischen Berichten zu erfahren ist, [335] hatte das "Spielen" bei den "natürlicheren" Menschen vor allem den Charakter eines erweiterten und ornamentierten Balzverhaltens, wie Tanzen, sich Schmücken, interessante Gebilde Formen, oder interessante Geschichten Erfinden. Der Favorit war nicht immer nur der, der das meiste Jagdwild heimbrachte, wie es die populären Urwelt-Szenarien darstellen. Man kann sagen, dass das Spielen bei den Menschen dieselbe Funktionalität wie der Pfauenschwanz hatte. (Das hat es aber auch noch heute, wenn man genauer hinsieht.)

Eine Ausnahme von dieser allgemeinen Regel, dass das Spielen vorzugsweise zur besseren Wirkung beim anderen Geschlecht dient, trat anscheinend nur bei Melancholikern auf (und es waren wohl nur Männer). Hier entwickelte sich eine Neigung zur einsamen, grübelnden Versenkung des SUB in das OBJ und wieder zurück in das SUB. [336] Aus solcher Neigung entwickelten sich dann wohl die ersten Schamanen, Magier und Propheten, die aus irgendwelchen brennenden Büschen, donnernden Wasserfällen, oder rauchenden Vulkan-Schlünden irgendwelche Schicksalsbotschaften heraushörten oder -lasen. [337] Eine etwas andere Spur zeigt uns die Mythologie der Schmiede an: Schmiede waren immer auch Magier, und in den Mythologien werden sie meist als irgendwie deformiert oder ungestaltet dargestellt. Ein Archae-Typos dieser Schmiede-Mythologien ist Hephaistos. Er war zwar ungestaltet und hinkte, hatte aber von den Göttern die schönste Frau im Olymp zugeteilt bekommen, nämlich Aphrodite. Die Götter wussten wohl genau, was die Dienste des Hephaistos ihnen wert waren, auch wenn Aphrodite sich gerne einen anderen ausgesucht hätte (Ares). Im Sinne der sexuellen Selektion weist das darauf hin, dass Männer, die von der Natur nicht so gut ausgestattet waren, und daher nicht soviele Chancen im sexuellen Spiel hatten, sich ein paar Umwege ausdenken mussten, um doch noch zu ihrem Ziel zu kommen. Diese Umwege kann man so benennen: Geistige, Mentale und Materielle Macht als Faktoren der sexuellen Attraktion (Eros). Und manchmal natürlich auch mit Zwang. Heute ist es konsequent das Leitmotiv in moderner Form: "Geld ist Sexy". Und irgendwann verselbstständigte und abstrahierte sich das Attraktions-Prinzip zur "Macht an Sich".
->: WISSEN_MACHT, p. 275

Dies bringt uns auch wieder zurück zu dem Thema von Mentaler / Kognitiver vs. Emotionaler / Empathischer Intelligenz. ->: EMOT_INTELL, p. 66

@ :BAUM_ERKENNTNIS
Und wenn es die Melancholiker nicht gegeben hätte, dann würde die Menschheit auch heute noch im Paradiese leben. Wie die Genesis so kategorisch sagt: "Von den Früchten des Baumes der Erkenntnis sollt Ihr nicht naschen", das kann nur bedeuten, dass es sich hier um eine spezielle Ermahnung an die Melancholiker handelt, doch von ihrem verderblichen Tun abzulassen. Aber leider, ja leider, können Menschen kaum von Leiden-Schaften lassen, [338] die ihnen aufgrund ihrer Konstitution in die Wiege gelegt werden.

Und so kam das Unvermeidliche: Das kleine "s" schlängelte sich wie eine Schlange unauffällig in das Bewusstsein der Menschheit, und ehe man sich's versah, hatte dieser unheilvolle Drang nach Erkenntnis schon eine Lawine von Folge-Erscheinungen in Bewegung gesetzt, vor deren Scherbenhaufen wir heute stehen. Das kleine "s" hat sozusagen einen "grossen Schwanz" (wie eben eine Schlange, denn sie besteht fast nur daraus). Der grosse Schwanz des kleinen "s" heisst: "Sucht". "Sucht" ist eines der weniger gut untersuchten Themen der menschlichen Existenz-Philosophie. Sucht wird meistens als Aberration oder Krankheit behandelt, nicht aber als essentieller Bestandteil menschlicher Existenz. Andersherum formuliert: Sucht, "Selbst-Reflexion", und Ego sind verschiedene Aspekte eines essentiell menschlichen Phänomens. Die Natur hat es so eingerichtet, dass alles Sucht-getriebene Verhalten mehr oder weniger schnell in der Selbst-Zerstörung des Organismus endet, der diesem zum Opfer gefallen ist, ausser einer, der tiefsten und schlimmsten Sucht: Der Sucht nach "Selbst-Reflexion". Nicht umsonst war zu den seligen Zeiten christlicher Gottesherrschaft auf Erden die Melancholie die schlimmste Todsünde, denn damals wusste man noch, dass der "Sündenfall" der Menschheit auf dieser Sucht nach "Selbst-Reflexion" beruhte. Denn, es ist die einzige Sucht, die im Tode noch ansteckender ist, als die Tollwut, und durch den Tod selber, Tausende andere Menschen in ihren Bann zwingt, sich dieser Sucht hinzugeben. [339] So etwa verlief die Entwicklung der frühen Christenheit im damals noch heidnischen Rom, als die Anhänger von Jesus Christus den Märtyrer-Tod ihres Vorbildes massenhaft nachahmten. Diese Überwindung der Todesfurcht war wohl der entscheidende Grund für den Aufstieg und Sieg des Christentums. [340]

Diese Sucht nach "Selbst-Reflexion" ist nichts anderes als eine Paraphrase jener anderen berühmten Stelle der Genesis, nämlich die "Sucht nach Gott-Gleichheit". Und mit den Werken von Ken Wilber besitzen wir heute eine der am tiefsten und weitest greifenden Analysen dieser "Sucht nach Gott-Gleichheit". In einem seiner frühen Werke hat er es das "Atman-Projekt" genannt. Selbstredend nehmen wir billigend in Kauf, dass Ken Wilber selber einer von denen ist, die sich und ihr ganzes Leben voll dieser Sucht nach "Selbst-Reflexion" verschrieben haben. Honi soit qui mal y pense. All die anderen Melancholiker, die noch nicht so hoch auf diese eisigen Gipfel der Selbst-Erkenntnis geklommen sind, können ihn als den "Reinhold Messner der Selbst-Reflexion" zum Schutzheiligen für die nächste Heiligsprechung im Vatikan vormerken.
3.2.1. Das Eiserne Dreieck von Lust, Sucht und Frust/Leid
@ :SUCHT_FRUST
Die menschliche Existenz kann auch als ein Zerissenwerden in dem "Eisernen Dreieck" von "Lust, Sucht und Frust/Leid" charakterisiert werden. In der Geistesgeschichte finden wir dazu passend die Denk-Schulen von Hedonismus, Puritanismus, [341] und Stoizismus. Die letztere Philosophie basiert auf der Erkenntnis, dass die Suche nach Lust unweigerlich in Frust endet, und dass man vernünftigerweise versucht, den Frust zu minimieren, indem man seine Begehren mässigt. Der Puritanismus versucht, die Suche nach Lust zu unterdrücken, und fördert so indirekt die Sucht. So ist bipolarer Alkoholismus besonders in puritanisch geprägten Gesellschaften auffällig: die wechselnden Phasen von "der Versuchung zu widerstehen" und ihr dann periodisch umso heftiger zu verfallen. [342] Hedonismus endet meist in Des-Illusionierung, weil das ungestillte Verlangen nach Lust nur in Sucht oder Frust führen kann.

Aber es gibt einen Ausweg: Die Sucht nach "Selbst-Reflexion". Warum? Alle anderen "natürlichen" Formen der Lust enden nach heutiger wissenschaftlicher Erkenntnis in einem Blockade-System des Gehirns: Die Lust-generierenden Neuro-Transmitter- (Endorphin-) Zentren lassen sich aufgrund der Gehirn-Kybernetik bei wiederholter Stimulierung immer weniger aktivieren und stimulieren. Dies nennt man auch Übersättigung. So ist Lust-Vermehrung aufgrund einer perversen Programmierung der Natur sehr eingegrenzt und beschränkt. [343] Aber es gibt ein Lust-Zentrum, das sich diesem Gesetz erfolgreich widersetzt: Die Lust, die man in der Nähe des Todes empfindet. Spezielle Yoga- und Tantra-Techniken, die die Menschheit entwickelt hat, machen sich dieses Prinzip zunutze: Je näher an die Schwelle des Todes man kommt, desto endloser wird die Lust. Dies ist wiederum ein Thema des Atman-Projekts von Ken Wilber und die Basis vieler "spiritueller" Techniken der Menschheit.
3.2.2. Der Schritt über die Grenze: Selbstmumifikation
@ :SELBSTMUMIFIKATION
Eins der seltsamsten Phänomene spritueller Errungenschaft, das aber auch naturwissenschaftlich nicht zu ignorieren ist, ist die Selbstmumifikation. Sowohl im Bereich der (russisch?) [344] orthodoxen Christenheit, als auch im buddhistischen ostasischen Raum finden (oder fanden) [345] sich Hunderte von Leichnamen von Heiligen, die nach ihrem Tode nicht verwesten, und zwar nicht einfach durch Eintrocknen, wie etwa ägyptische und südamerikanische Mumien in den dortigen Wüsten, sondern die teilweise noch die volle Beweglichkeit und Geschmeidigkeit der Haut und der Gliedmassen erhielten. Hier gibt es noch völlig ungelöste Rätsel, durch welche Modifikation der Körper-Endokrinologie das ansonsten unaufhaltsame Wachstum von körperzerfressenden (sarkophagen) Bakterien und anderen Mikro-Organismen gestoppt werden konnte und die ursprüngliche Elastizität bewahrt wurde. Was aber genauso interessant ist, ist die Frage, welche neuro- endokrinologischen und endorphinen Prozesse der Meditierende vor seinem Tod anstossen konnte. Dazu gibt es einige Daten aus den Nah-Tod-Erfahrungen, von Menschen, die nach einem klinischen Tod wiederbelebt wurden, und von ihren Visionen berichten konnten. (Abk. NDE: Near Death Experiences). Diese Bilder hatten vielfach den Charakter von Gottes- oder Erleuchtungserlebnissen. Die andere Datenquelle stammt von sado-sexuellen Praktiken, bei denen man durch Strangulierung die Intensität des Orgasmus erhöhen kann. Bzw. aus den bekannten Fällen von Hinrichtungen, dass Strangulierung selber einen Orgasmus auslösen kann. In der Tat kann man unter den Praktiken tantrischer tibetischer Meditierer ähnliche Techniken finden: So wurde oft ein seidenes Meditations-Band benutzt, das um den Hals und um die Beine geschlungen wurde. Mit einer kleinen Anspannung der Beine konnte die Schlinge um den Hals fester zugezogen werden, und damit die Blutzufuhr des Gehirns gedrosselt werden. Die naheliegende Theorie dazu ist, dass die Meditierer es allmählich lernten, den Nahtod-Endorphin-Schub des Gehirns willentlich zu manipulieren, und sie konnten sich so über lange Zeiten in dem Schwebezustand zwischen Leben und Tod halten, bis irgendwann dann die Kontrolle über die Beine versagte, und sie hinüberglitten ins Mahanirvana (bzw. Nirvikalpa Samadhi). Eine andere Methode der Selbstmumifikation wurde in Japan geübt: Hier trank der Meditierer über längere Zeit den Saft des Lack-Baums, der seine Eingeweide und die unteren Blutgefässe von innen konservierte und die natürliche Bakterienflora abtötete. Das Ergebnis ist noch heute in einigen buddhistischen Schreinen in Japan zu bewundern. [346]

3.3. Vitamin K, John Lilly, Carlos Castaneda und die Matrix
@ :MATRIX_PATTERN
In seinem Buch "The Scientist" beschreibt John Lilly seine Erfahrungen und geistigen Abenteuer mit der Droge "Vitamin K", einem Narkosemittel, das Erlebnis-Phänomene erzeugt, die sehr ähnlich dem sind, was aus den Berichten der Nahtod-Zustände (und vermutlich der o.g. tantrischen Techniken) bekannt ist. Es handelt sich hierbei um eine starke Dissoziation von Körper und Denken. Das Körper-Erleben wird sozusagen "diaphan" (durchscheinend), und gewinnt damit eine Qualität, wie es fast identisch im Advaita Vedanta beschrieben wird: Als pure Überlagerung, als fast materieloser Schleier, oder Maya. [347] In seinem Buch beschreibt John Lilly auch eine der Visionen, die er dabei gesehen hatte: nämlich die Existenz einer unheimlichen elektronischen / kosmischen Kontrollmacht, die unseren Planeten beherrscht, ECCO: "Earth Coincidence Control Office". Eine ähnliche Idee wurde wahrscheinlich in den bekannten Matrix-Filmen bildlich umgesetzt. Siehe dazu im nächsten Absatz den Text von Louis Kauffman und meine Mythos-Analyse. Die Parallelen sind: Die Körper der Matrix-Protagonisten liegen regungslos auf ihren Kontroll-Liegen und erleben all ihre Abenteuer in der VR-Maschinerie der Matrix. Dies entspricht den Schilderungen von Nahtod-Erfahrungen, und der Versuchsanordnung, die Lilly mit seinem Isolation Tank gewählt hatte. Wie bei Lilly handelt es sich um eine elektronische Kontroll-Struktur (auch wenn es für jeden Computer- oder VR-Experten als ziemliche Naivität erscheint, wie diese VR-Perfektion in das Jahr 2100 oder so verlegt wird). Wesentliche Parallelen bestehen auch zu den Don-Juan Abenteuern von Carlos Castaneda, insb. der "Sprung in den Abgrund", der ja in den Matrix-Filmen immer wieder vorkommt, ob von Hochhaus zu Hochhaus, oder auch direkt nach unten, auf das Strassenpflaster. Die interessanten Morphing-Effekte des Films sehen aus wie eine getreue, und etwas technisierte Version der wundersamen Energie-Abenteuer von Carlos und Don Juan Matus. Insbesondere in Teil III, Matrix Revolutions, erscheinen diese Energiebänder sehr ausgeprägt. [348] Castaneda hat wohl auch die ECCO-Matrix zu seinem System all der Bewohner der Nagual-Matrix, wie die Voladores, umgedeutet. Es passt auch hervorragend, dass Carlos Castaneda nach seinem entscheidenden Sprung in den Abgrund dann in seinem Apartment in Los Angeles aufwacht. Er hatte wohl auch "Vitamin K" genommen. Das wirkt wesentlich zuverlässiger als Natur-Drogen wie Datura (little smoke). Dass er die Experimente von John Lilly kannte, ist selbstverständlich. In der damaligen Szene zwischen Los Angeles, Laurel Canyon, Bay Area, Tiburon, Mill Valley, und Esalen Institute traf sich alles, was in diesem Feld Rang und Namen hatte. Ich hatte um 1978 John Lilly und Carlos Castaneda selber bei solchen Gelegenheiten kennengelernt.
3.3.1. Louis H. Kauffman: Virtual Logic - The Matrix Full Text
Die folgenden Absätze sind zitiert aus dem o.g. Artikel von Louis H. Kauffman zu dem Film "Matrix" [349] mit Keanu Reeves (Neo), Laurence Fishburne (Morpheus) [350] und Carrie-Anne Moss (Trinity). Die "Matrix" behandelt die Themen von Realität und Beobachter in der Metapher einer Hyper-Virtual-Reality Simulation, die in einem Computer-System, der Matrix dargestellt wird. Die dargestellte Szenerie ist das ausgehende 20. Jh. in den Mega-Städten der Erde. Die Menschen sind in dieser Hyper-Virtual-Reality gefangen und die Maschinen benutzen menschliche Körper als Energie-Quelle. [351] Niemand hat eine Vorstellung der wirklichen Verhältnisse. Kauffman zitiert als Einleitung das Ausgangsmotiv von John Lilly:
‘In the province of the mind, what one believes to be true is true or becomes true, within certain limits to be found experientially and experimentally. These limits are further beliefs to be transcended. In the mind, there are no limits.’ (John Lilly, 1972)

Aus der Sichtweise der Noologie ist John Lilly allerdings einem Grössenwahn aufgesessen, denn es gibt sehr wohl recht enge Grenzen des Verstandes, wie ich mit den "Pre-Skripten" darstelle. Gleich anschliessend zitiert Kauffman die Darstellung des Apeiron von Anaximandros in der Version von Joseph Campbell:
And listen to Joseph Campbell (1956, pp. 257-258): Briefly formulated, the universal doctrine teaches that all the visible structures of the world - all thngs and beings - are the effects of a ubiquitous power out of which they rise, which supports and fills them during the period of their manifestation, and back into which they must ultimately dissolve ... The apprehension of the source of this undifferentiated yet everywhere particularized substratum of being is rendered frustrate by the very organs through which the apprehension must be accomplished. The forms of sensibility and the categories of human thought, which are themselves manifestations of this power, so confine the mind that it is normally impossible not only to see, but even to conceive, beyond the colorful fluid, infinitely various and bewildering phenomenal spectacle ... Myth is but the penultimate; the ultimate is openess - that void, or being, beyond the categories - into which the mind must plunge alone and be disolved.

Beachtenswert sind auch die Parallelen zu dem (unterirdischen / chthonischen) Thema von Mnaemo dem Kybernetes, und seinem Schiff Nao-Telos. [352] In der Szene, in der Neo das Orakel nach seiner Bestimmung befragt, sieht man bei einem Schwenk der Kamera über der Türschwelle den ominösen Spruch "Temet Nosce". Dies soll wohl das lateinische Äquivalent von "Erkenne dich Selbst" sein (was ich aber nicht verifizieren kann). ->: LOGOS_SPERMATIKOS, p. 47

The machines that have so encaptured humanity are the spawn of twentieth century research in cybernetics and artificial intelligence. At some point the artificial intelligence became a powerful and malevolent awareness intent upon its own propagation and the subjugation of its human progenitors. The ‘mind children’ became the masters. Some humans survived in a mythical city named Zion and some roam the ruined earth in hovercrafts, acting as cybernetic pirates who hack into the Matrix, attempting to sabotage its workings and release humanity from their bondage to illusion.
(Louis H. Kauffman)

Such a ship is the ‘Nebuchadnezzar’ operated by Morpheus and his crew: Trinity, Epoch, Tenk, Switch, Cypher, Dozer and Mouse. Morpheus roams the ruined external reality in his craft, avoiding detection and destruction by the machines, while he and his crew use their sophisticated computer equipment to project themselves into the world of the Matrix. In the Matrix the most terrible dangers come from the Agents, apparent persons representing programs directed by the machine world to act as high level police and enforcers of the order of that virtual reality. A fight with a human in the virtual world is bound by the rules of human strength and reaction. The agents, while still limited by the underlying formalism of their programming have powers that far exceed the human. Furthermore, any person can suddenly be transformed into an agent. Any person is an avatar, a representative of a program in the machine and linked to a mind held captive. An agent can be switched to any human’s line. [353]
(Louis H. Kauffman)

The great hope of Morpheus and his pirates lies in the uncovering of a human who is ‘The One’, a person who can transcend the world of the machines by tapping into a creative power that can subvert the workings of even the most powerful agents. [354] Neo (Keanu Reeves) is singled out by Morpheus as the candidate for this role, and he is convinced within his virtual reality (the only reality that he knows) to take a step into the unknown. His act is to take a virtual pill (the metaphor goes back to Alice, the caterpillar and the Mushroom in ‘Through the Looking Glass’ by Lewis Carroll) that allows the pirates to trace his signal back to the capsule that contains Neo’s ‘real’ body. (By this time it is clear that we can only use the words real and virtual relative to the constructions of the story. This is, of course, the basic semiotic truth of all virtuality.)
(Louis H. Kauffman)
@ :TRINITY
For Neo the path to mastery is part of the remaining story of the film. It is the story of the formation of the warrior and eventually, through Trinity’s love (she could not be named other than Trinity), the birth of a soul whose compassion is so great that it goes beyond mechanism to the heart of creation. [355]
...
In the end, Reality is Quality, the quality of a perfection that breathes itself into existence in the calm center of action that is the nexus of all worlds. [356]
(Louis H. Kauffman)

Die Interpretation von Louis H. Kauffman von 1999 beruht aber nur auf Teil I der Matrix. Wenn man die gesamte Trilogie betrachtet, lässt sich noch weiteres interessantes Material zutage fördern. Dazu muss man eine Kontrast-Analyse der Matrix-Story gegen die anderen bekannten kosmogonischen Mythen der Menschheit durchführen. In M. Reloaded, dem Zusammentreffen von Neo und dem Architekten, Szene 29-30 (und damit im aristotelischen Spannungs-Apex des Dramas), finden wir wohl die entscheidenden Schlüssel zum Untergrund der Matrix (nicht umsonst hat uns der Schlüsselmacher in diese Szene geführt). Hier enthüllt sich (Apo-Kalypsis) das Spannungsfeld von (Apollinisch <-> Dionysisch), das man auch verstehen kann als Darstellung eines primordialen (en archae) Antagonismus. Auf der einen Seite stehen die Harmonie-süchtigen Schöpfungs- (und Eschatologie-) Mythologien, charakterisiert z.B. in Platons Timaios und der christlichen Genesis-Version, sowie der Johannes-Apokalypse, und im Film verkörpert durch den Architekten als Vater der Matrix. Diese stehen im ewigen Kampf (agon) gegen die Chaotischen Schöpfungs-Mythologien, im Film mit dem Orakel als der Chaotischen (chthonischen) Mutter der Matrix. Diese zitiert verdeckt (kalyptisch) die Theogonie des Hesiod, in der das Chaos die Gaia gebiert, sowie auch die Mnaemosyne, als Urmutter der Musen und der Prophesie. Die gnostischen Themen der (falschen) Weltenschöpfer-Demiurgen und der ultimaten Täuschung durch falsche Messias-Mythologien sind ebenfalls in der prägnanten Szene zwischen Neo und dem Architekten "aufgehoben". Weitere interessante Bezüge existieren zu einschlägigen Genesis-Mythen von der mehrmaligen Zerstörung und Re-Kreation der Matrix, das bisher fünf-malige Auftreten von Messias-/Maitreya-/Mahdi-/Kalkin-Figuren, die Auswahl-Konfiguration von 23 (!) Personen, 16 weiblich, 7 männlich, zur Wieder-Population der Welt (Noah -> Neo). Eine andere Schüssel-Sequenz ist die Szene mit dem Merowinger, M. Reloaded, Szene 17: "Entscheidung ist eine Illusion, entstanden zwischen denen mit Macht und ohne Macht", und: "Das Gefühl an sich ist die Natur des Universums. Unterhalb unseres aufgesetzten gelassenen Äusseren sind wir in Wahrheit völlig ausser Kontrolle", "Kausalität, wir sind für alle Zeit ihre Sklaven". Bedeutsam ist auch, dass die gesamte Matrix-Story unterirdisch, also im chthonischen Bereich stattfindet, damit in dem Schöpfungsbereich, der bei Hesiod und bei Goethes Faust der Urquell der Kreation ist. (Siehe dazu auch die Faust-Interpretationen in Teil II).
Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war, / Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar, / Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht / Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht (Faust 1348-1352)

Und so ist die Moral von der Geschicht': "Traue keinem Messias-Mythos nicht". Denn sie sind alle neue "upgraded" Versionen eines immer perfekter werdenden Kontroll-Programms, das von den früheren Versuchen der Menschheit, sich aus ihrer Verstrickung zu lösen, auch gelernt hat, und immer neuere, bessere Versionen des Im-Periums erfindet. (Dazu M. Reloaded, Szene 33: "Der Auserwählte war nur ein zusätzliches Kontrollsystem".) Und damit, so leid es mir tut, muss ich feststellen, ist auch die schwülstige Erlösungs-Szene im Finale der Matrix ebenfalls leider nur eine falsche Hollywood-Prophesie. So stellt auch die Matrix-Story wiederum nur einen "upgraded" Ansatz dar, eine neue falsche Messias-Mythologie zu kreieren, um die Menschen in eine neue und noch tiefere Knechtschaft zu führen. Ich jedenfalls könnte mir keinerlei Frieden der Menschheit mit der Natur und der Schöpfung in einer Art von Mega-Cities vorstellen, wie sie in der Matrix-Final-Szene gezeigt wird. Romantischer Sonnenaufgang und sonstiges schwülstiges Decorum hin oder her.
Ihr, die Ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren.

Und das einzige, was in einer solchen Situation noch hilft, ist kein Messias mehr, sondern ganz schlicht und einfach: "Sapere Aude".

4. Noo-Pathologie: Die Leiden des Wissens

@ :NOO_PATHOLOGIE
Ein wesentliches Feld der Noologie ist die "Noo-Pathologie". Es handelt sich dabei um die Pathologien des "Wissens an Sich". Man kann es auch "die Leiden des Wissens" nennen. Strukturell ist es eine Systematik des Falschen, des Irrtums, und der (Selbst-) Täuschung, der Irreführung, der improvisierten und organisierten Lüge, der List, des Betruges und (ultimativ) der Verschwörung.

Richtig ist, das zu sagen und zu denken, daß Seiendes ist;
denn das kann sein;
Nichts ist nicht: Das heiße ich dich bedenken.
Denn zuerst halte dich von dem Weg des Suchens fern ...
Parmenides

Damit wollen wir weiter in den Grenzbereich, die "Peras" der ultimaten Verstellung und (Selbst-) Täuschung vordringen. Es ist ein Skript, das ein Thema der Meditation des Descartes noch einmal aufgreift: Was wäre, wenn es doch eine Macht gäbe, die unser Denken und "Wahr"-Nehmen systematisch verwirrt und verzerrt? Was wäre die Motivation, so etwas überhaupt zu vermuten, was wäre ihre Entstehung, was ihre Wirk-Mechanismen, ihre Agent(i)en, und letztlich, wenn dies nicht alles nur Hirngespinste sind, was wäre ein Weg, sich aus solcher Verstrickung zu befreien? Auch hier ist der Kantische Imperativ des "Sapere Aude" der Leitfaden. In unserer heutigen Situation 200 Jahre nach Kant muss die Frage nach der Aufklärung aber noch ein wenig den heutigen Verhältnissen angepasst werden. Zu den seligen Zeiten Kants war alles noch ziemlich einfach: Die Kirche und die Obrigkeit bestimmten, was gedacht werden durfte, und was nicht. Heute sind die Haupt-Wirkungs-Instrumentarien des Im-Periums nicht mehr die sichtbaren Denkzäune, sondern die unsichtbaren. Diese Faktoren lassen sich in drei Hauptgruppen gliedern:
1) Die Verblödungsindustrie, besonders hervorragend hierbei: Hollywood, Bollywood, Hongkongwood, RTL, CNN, Bild und grossteils auch ARD und ZDF.
2) Die Political Correctness.
3) Der Wissens-Herrschafts-Komplex der Wissenschaften. Dies wird in Teil III noch ausführlicher behandelt. Die alles erschlagende Datenmenge der Wissenschaften ist einer der Hauptfaktoren, mit denen das Denken erstickt wird, denn bevor man alle nötigen Daten zusammen hat, ist einem das Denken meist schon lange vergangen. Ein weiteres Instrumentarium ist das Publikationsverbot, das über Peer-Review Systeme ausgeübt wird: Nur wer die richtigen "Peers" mit der richtigen Reverenz zitiert, darf in einer Peer-Review Publikation schreiben, und alle anderen müssen eben "draussen bleiben". Weiteres unter: (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol09.htm

So ist das "Sapere Aude" ein Denkprojekt, das nach dem allgemeinen Common-Sense-Konsensus des Im-Periums völlig sinnlos ist, genauso wie es Parmenides schon formuliert hat: "Denn zuerst halte dich von dem Weg des Suchens fern". Aber überall da, wo ein Denkzaun steht, mit einer strengen Warnung, nicht darüber hinaus zu schreiten, ist zu vermuten, dass dahinter etwas steht, das guten Grund hat, sich zu verbergen. Ich greife daher noch einmal das Thema der Entstehung des Leidens auf, das ich schon behandelt habe. [357] Ich habe dort dargestellt, dass das Leid-Thema der Genesis, nämlich die mythologische Vertreibung aus dem Paradiese, "natürlich" nicht so zu verstehen ist, dass die Menschen sich irgendwann einmal (aus völlig unbegreiflichen Gründen) einem völlig absurden Befehl ihres Gottes widersetzt haben, sondern dass der Kranz dieser Injunktionen selber das Kernprinzip enthält, durch das das Leiden generiert wird. Die heutigen evolutionären sozio-biologischen Wissenschaften haben zwar die mythologischen Komponenten des Genesis-Skripts ad acta gelegt, aber sie wieder-holen es trotzdem thematisch, indem sie stattdessen die Neo-Darwinistische Hobbes'sche Konstruktion des primordialen Ur-Kampfes "Aller gegen Alle" einsetzen. Dies ist der Kampf ums Überleben, der "schon immer" alles Leben auf der Erde beherrscht hat, und der damit auch die menschliche Evolution angetrieben hat, dies notwendigerweise aus den Erfordernissen der Jagd und des Kampfes gegen die Natur und gegen die Mitmenschen. So war es "natürlich" notwendigerweise so, dass aller Fort-Schritt als kosmologisches Skript des "ewigen Wettrüstens" von Klauen und Zähnen geschrieben wurde, an dessen logischen Kulminationspunkt die Atombombe und andere moderne Massenvernichtungswaffen stehen. Hier gilt natürlich die alte Volksweisheit: "Wie man es in den Wald ruft, so tönt es heraus." Ich führe hier die Diskussion weiter, wie die Triebkraft dahinter als "Prinzip des Geistigen an Sich" verstanden werden kann, also wie der Geist selber die Polarisationen erzeugt, als deren Opfer die Menschen sich dann in ihrem Leiden vorfinden.

4.1. Kalyptologie: Die Struktur-Theorie der Verschleierung
@ :KALYPTOLOGIE
Mit dem Begriff Kalyptologie möchte ich noch einen weiteren mythischen Zugang zu dem Thema schaffen. Ich habe oben schon das Spannungsfeld von (Wissen <-> Vergessen) als (alaetheia <-> laethae) dargestellt, und in dem Spannungsfeld von (Kalypsis <-> Apokalypsis) bildet sich komplementär eine Form von (Verschleierung <-> Entschleierung). Hier findet sich eine direkte Entsprechung des indisch- vedischen Begriffs der Maya, wie sie im Advaita Vedanta vorkommt. Die numinose Personifikation der Kalypsis ist die Nymphe Kalypso, ihr Name bedeutet "die Verschleierte" (kalyptron, Od. 5.232, Parmenides B1, 10). [358] Das Semantik-Rhizom der Kalypsis oder Maya als Agens der Verschleierung impliziert und assoziiert das Element der Luft (das Wabern des Schleiers in der Luft) und des Lichts (-opsis), als Täuschungsfaktoren.

@ :ALAETHEIA
Das Semantik-Rhizom (alaetheia <-> laethae) wird von den griechischen Wurzeln lanthano, latha, lathra und laethae gebildet. Hier wird auf den Zeit-Aspekt des Verbergens, als Vergessen, abgezielt. So ist die numinose Personifikation der Laethae bedeutsam in der Todesmythologie der antiken Griechen, und die A-Laetheia ist seit Parmenides und Platon der Schlüssel-Term aller philosophischen und wissenschaftlichen Anstrengungen der Aufklärung. [359] Die latha / laethae ist die ultimate Verschleierungs-Technik, weil sie das Selbst-Bewußtsein auslöscht.

Die metaphysischen Aspekte der Verschleierung werden nach Goethes Faust auch "Das Principium Mae-Phaisto-Philaes" genannt. Mephistopheles, aus Goethes Faust, erscheint hier in den vielen schillernden und beständig wechselnden Verkleidungen des Archae-Typos des Cosmic Trickster, als Personifikation des Prinzips der Spannungsfelder, bzw. der Eris oder Discordia, wie von R.A. Wilson dargestellt. "The arch sceptic, dark lord of Disinformation". [360]

4.2. Peri Peirasis
@ :PERI_PEIRASIS
In diesem Abschnitt werden einige der mythischen Fäden aufgezeigt, die sich um Laethae und Kalypsis ranken. [361]

The Journey into, and Beyond, the Boundaries of the Time:
Please allow me to introduce myself, I am a man of mnaemae and phrenae, Mnaemo is my name, and peirasis is my game.

(Perasis: the going through, the going beyond, the transcending; mnaemae: memory; phrenae: brain). The word mnaemo- connects us to Maemosynae, the ancient Greek "mother of the muses", the numinous personification of memory, and of poetic inspiration of the Aoidoi, the bards, epic singers, and prophets, of antiquity. It also reminds us of the captain Nemo in Jules Verne's novel. Nemo in Greek means: outis, maedeis, oudeis, and this is the name that Odysseus called himself in the land of the Kyklops. (Od. 9,366). From the word sounds, we can get an interesting "pattern that connects" oudeis and Odysseus. As the captain, and seafarer, he is a gubernator or kybernaetaes. In his fragment B 64, Heraklit alludes to this: ta de panta oiakizei Keraunos: The Universe is steered by the Keraunos, the thunderbolt, or the Vajra. Odysseus had to endure seven years of captivity, on the island of Ogygia, the Omphalos of the Thalassaean sea (Od. 1,50; Dechend 1993: 183-185, 193, 269, 324). There is a deep cave, the hiding place of the God of Time: Kronos, in Plutarch's account (Dechend 1993: 121). Kronos is the original owner of the Keraunos, before his son Zeus, or Jupiter, had wrenched it from his fist, to govern the universe himself as usurpator. This island is guarded by the nymph Kalypso, whose name means "the Veiled One" (kalyptron, Od. 5.232), she is the personified numinous power of veiling, obscuring, and occulting, in the ancient Greek Homeric mythology. Her name also connects to the flower- kalyx, and the seed husk, thus symbolizing the encapsulation of future potential. She shares her occulting power with Laethae, the numinous force of death-forgetting. (Illich (1988: 13); Hesiodos (1978: verse 211 ff.)). When Odysseus was finally allowed to leave his place of banishment, Kalypso gave him two special tools to cut the trees and fashion his raft: two double axes, the pelekys megas, and the skeparnon, both being variants of the original Keraunos. (Od. 5.234-237; Dechend 1977). Now, as Dechend tells us, the Keraunos is the tool of the time, belonging to the god of the time: Kronos. (One could say: nomen est omen, because Kronos - Chronos and Keraunos are deeply related through their sound). And by its use, Time, the present, the past, and the future, is initially created, en archae, as is related in the mythic account of Hesiodos (1978). Its most common symbol in many cultures world wide is the double axe, the Pelekys, Thor's Hammer, or the Labrys, as it was called in Minoan Crete. (Marija Gimbutas sees a butterfly image in its symbolism, which has its own reasoning, via the temporal stages of metamorphosis, and their initiatic associations: caterpillar / chrysalis / butterfly (Gimbutas 1974: 185-190)). The Keraunos cuts both ways: into the past, and into the future. Its axis / axle / hub is the Kairos, the present, the decisive moment, the instant of creation, the Now. In the grand gory finale of the Odyssee, Homer describes down to the minutest detail the feat how Odysseus shoots his arrow through the hubs of twelve aligned double axes, the abovementioned pelekon. (Od. 21.75-21.421). Let is be said that the Omphalos is a navel as well as a hub (gomphos, Parmenides 1974: B1,17-20), and how else could the Keraunos steer the Universe than through the hub? (German: Nabe -> Nabel). In Roman mythology, the threshold of the past and the future is guarded by the god Janus, the Double-Faced One, who looks into the past, as well as into the future. He ist the guardian of the limen, the threshold, called peras, in Greek. (See also, the liminal, in Gennep 1960). His name re-appears in the month January. A lesser known aspect of the mythological chronology of January was that after the winter solstice on Dec. 21 (and the official end of the year), the following week was considered "outside of the time", that is, in the liminal, or limbo, and also in the hub of the time, until the new year began. Not without good reason, the celebration of the birth of the Christ was placed right in the middle of this period, to Dec. 24. The captain Nemo in Jules Verne's Novel makes his journeys in the Nautilus, or nao-telos, the naos, a submerged, or sub-liminal, ship. According to Vedic mythology, the Vajra was hidden on the ground of the ocean. (Dechend 1977: 99). But naos also evokes our association to noos, and nous, the thoughts, the stuff out of which our memories, imaginations, and anticipations, are fashioned. The connection of nous and telos (aim, goal, finish, completion, success, death, limit -> peras) leads us into the association field of anticipation, and planning, in the ancient mythologies personified by Pro-metheus, the before-thinker. This was also a characteristic of Odysseus the poly-maechanaes, the crafty, cunning, ruseful. Our mental imagery consists of things perceived as phai-nomena, as impressions derived from sensory inputs, and as nou-mena, the impressions derived from mental, noetic, or noietic, sources. The Mnaemo-synae is the ancient nouminous personification of those forces, patterns, and processes which do their work under the surface of the visible and intelligible, in the mae-phainon, the realm below, and before they turn into the phai-nomena, and the nou-mena. These are, in scientific terminology, the workings of neuronal activation patterns, of oscillation fields and logical relation structures of neuronal assemblies, of the coupled dynamic systems of neuronal attractors, of our brains: the phrenae. The mnaemo-synae reminds us of this still quite mysterious working of the neuronal sym-plexis, and syn-apsis, by which our sym-ballein, the concept formation is effected. When the subliminal workings of the neuronal webworks of our phrenae then weave (histon, historia) together into the appearances of the intellegible and discernible, they become ho phainon, that which finds its appearance through phos, the light, and phonae, the sound, as appearance, and apparition, phaino-menon (in German: Auf-Scheinendes), with form: mor-phae, and Gestalt. This, ho phainon, the Brilliant, the Shining One (in German: Er-scheinung), is also the name of the god Hae-phaistos, the one who works the brilliant and shining metals, while they are red and glowing: phoibos, and phoinos, phos-phoros (lucifer). With his hammer and anvil, and with his mighty blows, he forges them into their forms, the mor-phae. And with his hammering, the metallic sounds of phonae and phthongos ring out to make themselves heard awide and afar.

4.3. Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne
Friedrich Nietzsche hat mit seiner wenig bekannten Schrift "Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne" eine sehr prägnante Analyse der Lüge und der Verstellung, der Täuschung und Selbst-Täuschung gegeben. Hiermit kann er als Begründer der Noo-Pathologie bezeichnet werden. Dies soll der Ausgangspunkt der weiteren Diskussion sein.

@ :IM_WINKEL
In irgend einem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der "Weltgeschichte": aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Tiere mußten sterben. - So könnte jemand eine Fabel erfinden und würde doch nicht genügend illustriert haben, wie kläglich, wie schattenhaft und flüchtig, wie zwecklos und beliebig sich der menschliche Intellekt innerhalb der Natur ausnimmt. Es gab Ewigkeiten, in denen er nicht war; wenn es wieder mit ihm vorbei ist, wird sich nichts begeben haben. Denn es gibt für jenen Intellekt keine weitere Mission, die über das Menschenleben hinausführte. Sondern menschlich ist er, und nur sein Besitzer und Erzeuger nimmt ihn so pathetisch, als ob die Angeln der Welt sich in ihm drehten. Könnten wir uns aber mit der Mücke verständigen, so würden wir vernehmen, daß auch sie mit diesem Pathos durch die Luft schwimmt und in sich das fliegende Zentrum dieser Welt fühlt. Es ist nichts so verwerflich und gering in der Natur, was nicht, durch einen kleinen Anhauch jener Kraft des Erkennens, sofort wie ein Schlauch aufgeschwellt würde; und wie jeder Lastträger seinen Bewunderer haben will, so meint gar der Stolzeste Mensch, der Philosoph, von allen Seiten die Augen des Weltalls teleskopisch auf sein Handeln und Denken gerichtet zu sehen.

Es ist merkwürdig, daß dies der Intellekt zustande bringt, er, der doch gerade nur als Hilfsmittel den unglücklichsten, delikatesten, vergänglichsten Wesen beigegeben ist, um sie eine Minute im Dasein festzuhalten, aus dem sie sonst, ohne jene Beigabe, so schnell wie Lessings Sohn zu flüchten allen Grund hätten. Jener mit dem Erkennen und Empfinden verbundene Hochmut, verblendende Nebel über die Augen und Sinne der Menschen legend, täuscht sie also über den Wert des Daseins, dadurch daß er über das Erkennen selbst die schmeichelhafteste Wertschätzung in sich trägt. Seine allgemeinste Wirkung ist Täuschung - aber auch die einzelnsten Wirkungen tragen etwas von gleichem Charakter an sich.

Der Intellekt, als ein Mittel zur Erhaltung des Individuums, entfaltet seine Hauptkräfte in der Verstellung; denn diese ist das Mittel, durch das die schwächeren, weniger robusten Individuen sich erhalten, als welchen einen Kampf um die Existenz mit Hörnern oder scharfem Raubtier-Gebiß zu führen versagt ist. Im Menschen kommt diese Verstellungskunst auf ihren Gipfel: hier ist die Täuschung, das Schmeicheln, Lügen und Trügen, das Hinter-dem-Rücken-Reden, das Repräsentieren, das im erborgten Glanze Leben, das Maskiertsein, die verhüllende Konvention, das Bühnenspiel vor anderen und vor sich selbst, kurz das fortwährende Herumflattern um die eine Flamme Eitelkeit so sehr die Regel und das Gesetz, daß fast nichts unbegreiflicher ist, als wie unter den Menschen ein ehrlicher und reiner Trieb zur Wahrheit aufkommen konnte. Sie sind tief eingetaucht in Illusionen und Traumbilder, ihr Auge gleitet nur auf der Oberfläche der Dinge herum und sieht "Formen", ihre Empfindung führt nirgends in die Wahrheit, sondern begnügt sich, Reize zu empfangen und gleichsam ein tastendes Spiel auf dem Rücken der Dinge zu spielen. Dazu läßt sich der Mensch nachts, ein Leben hindurch, im Traume belügen, ohne daß sein moralisches Gefühl dies je zu verhindern suchte: während es Menschen geben soll, die durch starken Willen das Schnarchen beseitigt haben. Was weiß der Mensch eigentlich von sich selbst! Ja, vermöchte er auch nur sich einmal vollständig, hingelegt wie in einen erleuchteten Glaskasten, zu perzipieren? Verschweigt die Natur ihm nicht das Allermeiste, selbst über seinen Körper, um ihn, abseits von den Windungen der Gedärme, dem raschen Fluß der Blutströme, den verwickelten Fasererzitterungen, in ein stolzes, gauklerisches Bewußtsein zu bannen und einzuschließen! Sie warf den Schlüssel weg: und wehe der verhängnisvollen Neubegier, die durch eine Spalte einmal aus dem Bewußtseinszimmer heraus und hinabzusehen vermöchte, und die jetzt ahnte, daß auf dem Erbarmungslosen, dem Gierigen, dem Unersättlichen, dem Mörderischen der Mensch ruht, in der Gleichgültigkeit seines Nichtwissens, und gleichsam auf dem Rücken eines Tigers in Träumen hängend. Woher, in aller Welt, bei dieser Konstellation der Trieb zur Wahrheit!

Soweit das Individuum sich, gegenüber andern Individuen, erhalten will, benutzt es in einem natürlichen Zustand der Dinge den Intellekt zumeist nur zur Verstellung: weil aber der Mensch zugleich aus Not und Langeweile gesellschaftlich und herdenweise existieren will, braucht er einen Friedensschluß und trachtet danach, daß wenigstens das allergrößte bellum omnium contra omnes aus seiner Welt verschwinde. Dieser Friedensschluß bringt etwas mit sich, was wie der erste Schritt zur Erlangung jenes rätselhaften Wahrheitstriebes aussieht. Jetzt wird nämlich das fixiert, was von nun an "Wahrheit" sein soll, das heißt, es wird eine gleichmäßig gültige und verbindliche Bezeichnung der Dinge erfunden, und die Gesetzgebung der Sprache gibt auch die ersten Gesetze der Wahrheit: denn es entsteht hier zum ersten Male der Kontrast von Wahrheit und Lüge. Der Lügner gebraucht die gültigen Bezeichnungen, die Worte, um das Unwirkliche als wirklich erscheinen zu machen; er sagt zum Beispiel: "ich bin reich", während für seinen Zustand gerade "arm" die richtige Bezeichnung wäre. Er mißbraucht die festen Konventionen durch beliebige Vertauschungen oder gar Umkehrungen der Namen. Wenn er dies in eigennütziger und übrigens Schaden bringender Weise tut, so wird ihm die Gesellschaft nicht mehr trauen und ihn dadurch von sich ausschließen. Die Menschen fliehen dabei das Betrogenwerden nicht so sehr als das Beschädigtwerden durch Betrug: sie hassen, auch auf dieser Stufe, im Grunde nicht die Täuschung, sondern die schlimmen, feindseligen Folgen gewisser Gattungen von Täuschungen. In einem ähnlichen beschränkten Sinne will der Mensch auch nur die Wahrheit: er begehrt die angenehmen, Leben erhaltenden Folgen der Wahrheit, gegen die reine folgenlose Erkenntnis ist er gleichgültig, gegen die vielleicht schädlichen und zerstörenden Wahrheiten sogar feindlich gestimmt. Und überdies: wie steht es mit jenen Konventionen der Sprache? Sind sie vielleicht Erzeugnisse der Erkenntnis, des Wahrheitssinnes, decken sich die Bezeichnungen und die Dinge? Ist die Sprache der adäquate Ausdruck aller Realitäten?

Nur durch Vergeßlichkeit kann der Mensch je dazu kommen zu wähnen, er besitze eine "Wahrheit" in dem eben bezeichneten Grade. Wenn er sich nicht mit der Wahrheit in der Form der Tautologie, das heißt mit leeren Hülsen begnügen will, so wird er ewig Illusionen für Wahrheiten einhandeln. Was ist ein Wort? Die Abbildung eines Nervenreizes in Lauten. Von dem Nervenreiz aber weiterzuschließen auf eine Ursache außer uns, ist bereits das Resultat einer falschen und unberechtigten Anwendung des Satzes vom Grunde. Wie dürften wir, wenn die Wahrheit bei der Genesis der Sprache, der Gesichtspunkt der Gewißheit bei den Bezeichnungen allein entscheidend gewesen wäre, wie dürften wir doch sagen: der Stein ist hart: als ob uns "hart" noch sonst bekannt wäre, und nicht nur als eine ganz subjektive Reizung! Wir teilen die Dinge nach Geschlechtern ein, wir bezeichnen den Baum als männlich, die Pflanze als weiblich: welche willkürlichen Übertragungen! Wie weit hinausgeflogen über den Kanon der Gewißheit! Wir reden von einer "Schlange": die Bezeichnung trifft nichts als das Sichwinden, könnte also auch dem Wurme zukommen. Welche willkürlichen Abgrenzungen, welche einseitigen Bevorzugungen bald der bald jener Eigenschaft eines Dinges! Die verschiedenen Sprachen, nebeneinander gestellt, zeigen, daß es bei den Worten nie auf die Wahrheit, nie auf einen adäquaten Ausdruck ankommt: denn sonst gäbe es nicht so viele Sprachen. Das "Ding an sich" (das würde eben die reine folgenlose Wahrheit sein) ist auch dem Sprachbildner ganz unfaßlich und ganz und gar nicht erstrebenswert. Er bezeichnet nur die Relationen der Dinge zu den Menschen und nimmt zu deren Ausdrucke die kühnsten Metaphern zu Hilfe. Ein Nervenreiz, zuerst übertragen in ein Bild! Erste Metapher. Das Bild wieder nachgeformt in einem Laut! Zweite Metapher. Und jedesmal vollständiges Überspringen der Sphäre, mitten hinein in eine ganz andre und neue. Man kann sich einen Menschen denken, der ganz taub ist und nie eine Empfindung des Tones und der Musik gehabt hat: wie dieser etwa die chladnischen Klangfiguren im Sande anstaunt, ihre Ursachen im Erzittern der Saite findet und nun darauf schwören wird, jetzt müsse er wissen, was die Menschen den "Ton" nennen, so geht es uns allen mit der Sprache. Wir glauben etwas von den Dingen selbst zu wissen, wenn wir von Bäumen, Farben, Schnee und Blumen reden, und besitzen doch nichts als Metaphern der Dinge, die den ursprünglichen Wesenheiten ganz und gar nicht entsprechen. Wie der Ton als Sandfigur, so nimmt sich das rätselhafte X des Dings an sich einmal als Nervenreiz, dann als Bild, endlich als Laut aus. Logisch geht es also jedenfalls nicht bei der Entstehung der Sprache zu, und das ganze Material, worin und womit später der Mensch der Wahrheit, der Forscher, der Philosoph arbeitet und baut, stammt, wenn nicht aus Wolkenkuckucksheim, so doch jedenfalls nicht aus dem Wesen der Dinge.

Denken wir besonders noch an die Bildung der Begriffe. Jedes Wort wird sofort dadurch Begriff, daß es eben nicht für das einmalige ganz und gar individualisierte Urerlebnis, dem es sein Entstehen verdankt, etwa als Erinnerung dienen soll, sondern zugleich für zahllose, mehr oder weniger ähnliche, daß heißt streng genommen niemals gleiche, also auf lauter ungleiche Fälle passen muß. Jeder Begriff entsteht durch Gleichsetzen des Nichtgleichen. So gewiß nie ein Blatt einem andern ganz gleich ist, so gewiß ist der Begriff Blatt durch beliebiges Fallenlassen dieser individuellen Verschiedenheiten, durch ein Vergessen des Unterscheidenden gebildet und erweckt nun die Vorstellung, als ob es in der Natur außer den Blättern etwas gäbe, das "Blatt" wäre, etwa eine Urform, nach der alle Blätter gewebt, gezeichnet, abgezirkelt, gefärbt, gekräuselt, bemalt wären, aber von ungeschickten Händen, so daß kein Exemplar korrekt und zuverlässig als treues Abbild der Urform ausgefallen wäre. Wir nennen einen Menschen "ehrlich". warum hat er heute so ehrlich gehandelt? fragen wir. Unsere Antwort pflegt zu lauten: seiner Ehrlichkeit wegen. Die Ehrlichkeit! Das heißt wieder: das Blatt ist die Ursache der Blätter. Wir wissen ja gar nichts von einer wesenhaften Qualität, die "die Ehrlichkeit" hieße, wohl aber von zahlreichen individualisierten, somit ungleichen Handlungen, die wir durch Weglassen des Ungleichen gleichsetzen und jetzt als ehrliche Handlungen bezeichnen; zuletzt formulieren wir aus ihnen eine qualitas occulta mit dem Namen: "die Ehrlichkeit". Das Übersehen des Individuellen und Wirklichen gibt uns den Begriff, wie es uns auch die Form gibt, wohingegen die Natur keine Formen und Begriffe, also auch keine Gattungen kennt, sondern nur ein für uns unzugängliches und undefinierbares X. Denn auch unser Gegensatz von Individuum und Gattung ist anthropomorphisch und entstammt nicht dem Wesen der Dinge, wenn wir auch nicht zu sagen wagen, daß er ihm nicht entspricht: das wäre nämlich eine dogmatische Behauptung und als solche ebenso unerweislich wie ihr Gegenteil.

Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen, kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden, und die nach langem Gebrauch einem Volke fest, kanonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen, in Betracht kommen.

Wir wissen immer noch nicht, woher der Trieb zur Wahrheit stammt: denn bis jetzt haben wir nur von der Verpflichtung gehört, die die Gesellschaft, um zu existieren, stellt: wahrhaft zu sein, das heißt die usuellen Metaphern zu brauchen, also moralisch ausgedrückt: von der Verpflichtung, nach einer festen Konvention zu lügen, herdenweise in einem für alle verbindlichen Stile zu lügen. Nun vergißt freilich der Mensch, daß es so mit ihm steht; er lügt also in der bezeichneten Weise unbewußt und nach hundertjährigen Gewöhnungen - und kommt eben durch diese Unbewußtheit, eben durch dies Vergessen zum Gefühl der Wahrheit. An dem Gefühl verpflichtet zu sein, ein Ding als "rot", ein anderes als "kalt", ein drittes als "stumm" zu bezeichnen, erwacht eine moralische auf Wahrheit sich beziehende Regung: aus dem Gegensatz des Lügners, dem niemand traut, den alle ausschließen, demonstriert sich der Mensch das Ehrwürdige, Zutrauliche und Nützliche der Wahrheit. Er stellt jetzt sein Handeln als "vernünftiges" Wesen unter die Herrschaft der Abstraktionen; er leidet es nicht mehr, durch die plötzlichen Eindrücke, durch die Anschauungen fortgerissen zu werden, er verallgemeinert alle diese Eindrücke erst zu entfärbteren, kühleren Begriffen, um an sie das Fahrzeug seines Lebens und Handelns anzuknüpfen. Alles, was den Menschen gegen das Tier abhebt, hängt von dieser Fähigkeit ab, die anschaulichen Metaphern zu einem Schema zu verflüchtigen, also ein Bild in einen Begriff aufzulösen. Im Bereich jener Schemata nämlich ist etwas möglich, was niemals unter den anschaulichen ersten Eindrücken gelingen möchte: eine pyramidale Ordnung nach Kasten und Graden aufzubauen, [362] eine neue Welt von Gesetzen, Privilegien, Unterordnungen, Grenzbestimmungen zu schaffen, die nun der andern anschaulichen Welt der ersten Eindrücke gegenübertritt, als das Festere, Allgemeinere, Bekanntere, Menschlichere und daher als das Regulierende und Imperativische. Während jede Anschauungsmetapher individuell und ohne ihresgleichen ist und deshalb allem Rubrizieren immer zu entfliehen weiß, zeigt der große Bau der Begriffe die starre Regelmäßigkeit eines römischen Kolumbariums und atmet in der Logik jene Strenge und Kühle aus, die der Mathematik zu eigen ist. Wer von dieser Kühle angehaucht wird, wird es kaum glauben, daß auch der Begriff, knöchern und achteckig wie ein Würfel und versetzbar wie jener, doch nur als das Residuum einer Metapher übrig bleibt, und daß die Illusion der künstlerischen Übertragung eines Nervenreizes in Bilder, wenn nicht die Mutter, so doch die Großmutter eines jeden Begriffs ist. Innerhalb dieses Würfelspiels der Begriffe heißt aber "Wahrheit'", jeden Würfel so zu gebrauchen, wie er bezeichnet ist, genau seine Augen zu zählen, richtige Rubriken zu bilden und nie gegen die Kastenordnung und gegen die Reihenfolge der Rangklassen zu verstoßen. Wie die Römer und Etrusker sich den Himmel durch starre mathematische Linien zerschnitten und in einen solchermaßen abgegrenzten Raum, als in ein templum, einen Gott bannten, so hat jedes Volk über sich einen solchen mathematisch zerteilten Begriffshimmel und versteht nun unter der Forderung der Wahrheit, daß jeder Begriffsgott nur in seiner Sphäre gesucht werde. Man darf hier den Menschen wohl bewundern als ein gewaltiges Baugenie, dem auf beweglichen Fundamenten und gleichsam auf fließendem Wasser das Auftürmen eines unendlich komplizierten Begriffsdomes gelingt: - freilich, um auf solchen Fundamenten Halt zu finden, muß es ein Bau wie aus Spinnefäden sein, so zart, um von der Welle mit fortgetragen, so fest, um nicht von jedem Winde auseinandergeblasen zu werden. Als Baugenie erhebt sich solchermaßen der Mensch weit über die Biene: diese baut aus Wachs, das sie aus der Natur zusammenholt, er aus dem weit zarteren Stoffe der Begriffe, die er erst aus sich fabrizieren muß. Er ist hier sehr zu bewundern - aber nur nicht wegen seines Triebes zur Wahrheit, zum reinen Erkennen der Dinge. Wenn jemand ein Ding hinter einem Busche versteckt, es ebendort wieder sucht und auch findet, so ist an diesem Suchen und Finden nicht viel zu rühmen: so aber steht es mit dem Suchen und Finden der "Wahrheit" innerhalb des Vernunft-Bezirkes. Wenn ich die Definition des Säugetiers mache und dann erkläre, nach Besichtigung eines Kamels: "siehe, ein Säugetier", so wird damit eine Wahrheit zwar ans Licht gebracht, aber sie ist von begrenztem Werte, ich meine, sie ist durch und durch anthropomorphisch und enthält keinen einzigen Punkt, der "wahr an sich", wirklich und allgemeingültig, abgesehn von dem Menschen, wäre. Der Forscher nach solchen Wahrheiten sucht im Grunde nur die Metamorphose der Welt in den Menschen, er ringt nach einem Verstehen der Welt als eines menschenartigen Dinges und erkämpft sich bestenfalls das Gefühl einer Assimilation. Ähnlich wie der Astrolog die Sterne im Dienste der Menschen und im Zusammenhange mit ihrem Glück und Leide betrachtete, so betrachtet ein solcher Forscher die ganze Welt als geknüpft an den Menschen, als den unendlich gebrochenen Widerklang eines Urklanges, des Menschen, als das vervielfältigte Abbild des einen Urbildes, des Menschen. Sein Verfahren ist, den Menschen als Maß an alle Dinge zu halten: wobei er aber von dem Irrtum ausgeht, zu glauben, er habe diese Dinge unmittelbar, als reine Objekte vor sich. Er vergißt also die originalen Anschauungsmetaphern als Metaphern und nimmt sie als die Dinge selbst.

Nur durch das Vergessen jener primitiven Metapherwelt, nur durch das Hart- und Starrwerden einer ursprünglichen in hitziger Flüssigkeit aus dem Urvermögen menschlicher Phantasie hervorströmenden Bildermasse, nur durch den unbesiegbaren Glauben, diese Sonne, dieses Fenster, dieser Tisch sei eine Wahrheit an sich, kurz nur dadurch, daß der Mensch sich als Subjekt, und zwar als künstlerisch schaffendes Subjekt, vergißt, lebt er mit einiger Ruhe, Sicherheit und Konsequenz: wenn er einen Augenblick nur aus den Gefängniswänden dieses Glaubens heraus könnte, so wäre es sofort mit seinem "Selbstbewußtsein" vorbei. Schon dies kostet ihm Mühe, sich einzugestehen, wie das Insekt oder der Vogel eine ganz andere Welt perzipieren als der Mensch, und daß die Frage, welche von beiden Weltperzeptionen richtiger ist, eine ganz sinnlose ist, da hierzu bereits mit dem Maßstabe der richtigen Perzeption, das heißt mit einem nicht vorhandenen Maßstabe gemessen werden müßte. Überhaupt aber scheint mir "die richtige Perzeption" - das würde heißen: der adäquate Ausdruck eines Objekts im Subjekt - ein widerspruchsvolles Unding: denn zwischen zwei absolut verschiednen Sphären, wie zwischen Subjekt und Objekt, [363] gibt es keine Kausalität, keine Richtigkeit, keinen Ausdruck, sondern höchstens ein ästhetisches Verhalten, ich meine eine andeutende Übertragung, eine nachstammelnde Übersetzung in eine ganz fremde Sprache: wozu es aber jedenfalls einer frei dichtenden und frei erfindenden Mittelsphäre und Mittelkraft bedarf. Das Wort "Erscheinung" enthält viele Verführungen, weshalb ich es möglichst vermeide: denn es ist nicht wahr, daß das Wesen der Dinge in der empirischen Welt erscheint. Ein Maler, dem die Hände fehlen und der durch Gesang das ihm vorschwebende Bild ausdrücken wollte, wird immer noch mehr bei dieser Vertauschung der Sphären verraten, als die empirische Welt vom Wesen der Dinge verrät. Selbst das Verhältnis eines Nervenreizes zu dem hervorgebrachten Bilde ist an sich kein notwendiges: wenn aber dasselbe Bild millionenmal hervorgebracht und durch viele Menschengeschlechter hindurch vererbt ist, ja zuletzt bei der gesamten Menschheit jedesmal infolge desselben Anlasses erscheint, so bekommt es endlich für den Menschen dieselbe Bedeutung, als ob es das einzig notwendige Bild sei und als ob jenes Verhältnis des ursprünglichen Nervenreizes zu dem hergebrachten Bilde ein strenges Kausalitätsverhältnis sei; wie ein Traum, ewig wiederholt, durchaus als Wirklichkeit empfunden und beurteilt werden würde. Aber das Hart- und Starr-Werden einer Metapher verbürgt durchaus nichts für die Notwendigkeit und ausschließliche Berechtigung dieser Metapher. [364]

Es hat gewiß jeder Mensch, der in solchen Betrachtungen heimisch ist, gegen jeden derartigen Idealismus ein tiefes Mißtrauen empfunden, so oft er sich einmal recht deutlich von der ewigen Konsequenz, Allgegenwärtigkeit und Unfehlbarkeit der Naturgesetze überzeugte; er hat den Schluß gemacht: hier ist alles, soweit wir dringen, nach der Höhe der teleskopischen und nach der Tiefe der mikroskopischen Welt, so sicher, ausgebaut, endlos, gesetzmäßig und ohne Lücken; die Wissenschaft wird ewig in diesen Schachten mit Erfolg zu graben haben, und alles Gefundene wird zusammenstimmen und sich nicht widersprechen. Wie wenig gleicht dies einem Phantasieerzeugnis: denn wenn es dies wäre, müßte es doch irgendwo den Schein und die Unrealität erraten lassen. Dagegen ist einmal zu sagen: hätten wir noch, jeder für sich, eine verschiedenartige Sinnesempfindung, könnten wir selbst nur bald als Vogel, bald als Wurm, bald als Pflanze perzipieren, oder sähe der eine von uns denselben Reiz als rot, der andere als blau, hörte ein dritter ihn sogar als Ton, so würde niemand von einer solchen Gesetzmäßigkeit der Natur reden, sondern sie nur als ein höchst subjektives Gebilde begreifen. Sodann: was ist für uns überhaupt ein Naturgesetz? Es ist uns nicht an sich bekannt, sondern nur in seinen Wirkungen, das heißt in seinen Relationen zu andern Naturgesetzen, die uns wieder nur als Summen von Relationen bekannt sind. Also verweisen alle diese Relationen immer nur wieder aufeinander und sind uns ihrem Wesen nach unverständlich durch und durch; nur das, was wir hinzubringen, die Zeit, der Raum, also Sukzessionsverhältnisse und Zahlen, sind uns wirklich daran bekannt. Alles Wunderbare aber, das wir gerade an den Naturgesetzen anstaunen, das unsere Erklärung fordert und uns zum Mißtrauen gegen den Idealismus verführen könnte, liegt gerade und ganz allein nur in der mathematischen Strenge und Unverbrüchlichkeit der Zeit- und Raum-Vorstellungen. Diese aber produzieren wir in uns und aus uns mit jener Notwendigkeit, mit der die Spinne spinnt; wenn wir gezwungen sind, alle Dinge nur unter diesen Formen zu begreifen, so ist es dann nicht mehr wunderbar, daß wir an allen Dingen eigentlich nur eben diese Formen begreifen: denn sie alle müssen die Gesetze der Zahl an sich tragen, und die Zahl gerade ist das Erstaunlichste in den Dingen. Alle Gesetzmäßigkeit, die uns im Sternenlauf und im chemischen Prozeß so imponiert, fällt im Grunde mit jenen Eigenschaften zusammen, die wir selbst an die Dinge heranbringen, so daß wir damit uns selber imponieren. Dabei ergibt sich allerdings, daß jene künstlerische Metapherbildung, mit der in uns jede Empfindung beginnt, bereits jene Formen voraussetzt, also in ihnen vollzogen wird; nur aus dem festen Verharren dieser Urformen erklärt sich die Möglichkeit, wie nachher wieder aus den Metaphern selbst ein Bau der Begriffe konstituiert werden konnte. Dieser ist nämlich eine Nachahmung der Zeit-, Raum- und Zahlenverhältnisse auf dem Boden der Metaphern.

An dem Bau der Begriffe arbeitet ursprünglich, wie wir sahen, die Sprache, in späteren Zeiten die Wissenschaft. Wie die Biene zugleich an den Zellen baut und die Zellen mit Honig füllt, so arbeitet die Wissenschaft unaufhaltsam an jenem großen Kolumbarium der Begriffe, der Begräbnisstätte der Anschauungen, baut immer neue und höhere Stockwerke, stützt, reinigt, erneut die alten Zellen und ist vor allem bemüht, jenes ins Ungeheure aufgetürmte Fachwerk zu füllen und die ganze empirische Welt, das heißt die anthropomorphische Welt, hineinzuordnen. Wenn schon der handelnde Mensch sein Leben an die Vernunft und ihre Begriffe bindet, um nicht fortgeschwemmt zu werden und sich nicht selbst zu verlieren, so baut der Forscher seine Hütte dicht an den Turmbau der Wissenschaft, um an ihm mithelfen zu können und selbst Schutz unter dem vorhandenen Bollwerk zu finden. Und Schutz braucht er: denn es gibt furchtbare Mächte, die fortwährend auf ihn eindringen und die der wissenschaftlichen "Wahrheit" ganz anders geartete "Wahrheiten" mit den verschiedenartigsten Schildzeichen entgegenhalten.

Jener Trieb zur Metapherbildung, jener Fundamentaltrieb des Menschen, den man keinen Augenblick wegrechnen kann, weil man damit den Menschen selbst wegrechnen würde, ist dadurch, daß aus seinen verflüchtigten Erzeugnissen, den Begriffen, eine reguläre und starre neue Welt als eine Zwingburg für ihn gebaut wird, in Wahrheit nicht bezwungen und kaum gebändigt. Er sucht sich ein neues Bereich seines Wirkens und ein anderes Flußbette und findet es im Mythus und überhaupt in der Kunst. Fortwährend verwirrt er die Rubriken und Zellen der Begriffe, dadurch daß er neue Übertragungen, Metaphern, Metonymien hinstellt, fortwährend zeigt er die Begierde, die vorhandene Welt des wachen Menschen so bunt unregelmäßig, folgenlos unzusammenhängend, reizvoll und ewig neu zu gestalten, wie es die Welt des Traumes ist. An sich ist ja der wache Mensch nur durch das starre und regelmäßige Begriffsgespinst darüber im klaren, daß er wache, und kommt eben deshalb mitunter in den Glauben, er träume, wenn jenes Begriffsgespinst einmal durch die Kunst zerrissen wird. Pascal hat recht, wenn er behauptet, daß wir, wenn uns jede Nacht derselbe Traum käme, davon ebenso beschäftigt würden als von den Dingen, die wir jeden Tag sehen: "wenn ein Handwerker gewiß wäre, jede Nacht zu träumen, volle zwölf Stunden hindurch, daß er König sei, so glaube ich, sagt Pascal, daß er ebenso glücklich wäre als ein König, welcher alle Nächte während zwölf Stunden träumte, er sei Handwerker". Der wache Tag eines mythisch erregten Volkes, etwa der älteren Griechen, ist durch das fortwährend wirkende Wunder, wie es der Mythus annimmt, in der Tat dem Traume ähnlicher als dem Tag des wissenschaftlich ernüchterten Denkers. Wenn jeder Baum einmal als Nymphe reden oder unter der Hülle eines Stieres ein Gott Jungfrauen wegschleppen kann, wenn die Göttin Athene selbst plötzlich gesehn wird, wie sie mit einem schönen Gespann, in der Begleitung des Pisistratus, durch die Märkte Athens fährt - und das glaubte der ehrliche Athener -, so ist in jedem Augenblicke, wie im Traume, alles möglich, und die ganze Natur umschwärmt den Menschen, als ob sie nur die Maskerade der Götter wäre, die sich nur einen Scherz daraus machten, in allen Gestalten den Menschen zu täuschen.

Der Mensch selbst aber hat einen unbesiegbaren Hang, sich täuschen zu lassen, und ist wie bezaubert vor Glück, wenn der Rhapsode ihm epische Märchen wie wahr erzählt oder der Schauspieler im Schauspiel den König noch königlicher agiert, als ihn die Wirklichkeit zeigt. Der Intellekt, jener Meister der Verstellung, ist so lange frei und seinem sonstigen Sklavendienste enthoben, als er täuschen kann, ohne zu schaden, und feiert dann seine Saturnalien. Nie ist er üppiger, reicher, stolzer, gewandter und verwegener: mit schöpferischem Behagen wirft er die Metaphern durcheinander und verrückt die Grenzsteine der Abstraktionen, so daß er zum Beispiel den Strom als den beweglichen Weg bezeichnet, der den Menschen trägt, dorthin, wohin er sonst geht. Jetzt hat er das Zeichen der Dienstbarkeit von sich geworfen: sonst mit trübsinniger Geschäftigkeit bemüht, einem armen Individuum, dem es nach Dasein gelüstet, den Weg und die Werkzeuge zu zeigen, und wie ein Diener für seinen Herrn auf Raub und Beute ausziehend, ist er jetzt zum Herrn geworden und darf den Ausdruck der Bedürftigkeit aus seinen Mienen wegwischen. Was er jetzt auch tut, alles trägt im Vergleich mit seinem früheren Tun die Verstellung, wie das frühere die Verzerrung an sich. Er kopiert das Menschenleben, nimmt es aber für eine gute Sache und scheint mit ihm sich recht zufrieden zu geben. Jenes ungeheure Gebälk und Bretterwerk der Begriffe, an das sich klammernd der bedürftige Mensch sich durch das Leben rettet, ist dem freigewordnen Intellekt nur ein Gerüst und ein Spielzeug für seine verwegensten Kunststücke: und wenn er es zerschlägt, durcheinanderwirft, ironisch wieder zusammensetzt, das Fremdeste paarend und das Nächste trennend, so offenbart er, daß er jene Notbehelfe der Bedürftigkeit nicht braucht und daß er jetzt nicht von Begriffen, sondern von Intuitionen geleitet wird. Von diesen Intuitionen aus führt kein regelmäßiger Weg in das Land der gespenstischen Schemata, der Abstraktionen: für sie ist das Wort nicht gemacht, der Mensch verstummt, wenn er sie sieht, oder redet in lauter verbotenen Metaphern und unerhörten Begriffsfügungen, um wenigstens durch das Zertrümmern und Verhöhnen der alten Begriffsschranken dem Eindrucke der mächtigen gegenwärtigen Intuition schöpferisch zu entsprechen.

Es gibt Zeitalter, in denen der vernünftige Mensch und der intuitive Mensch nebeneinander stehn, der eine in Angst vor der Intuition, der andere mit Hohn über die Abstraktion; der letztere ebenso unvernünftig, als der erstere unkünstlerisch ist. Beide begehren über das Leben zu herrschen: dieser, indem er durch Vorsorge, Klugheit, Regelmäßigkeit den hauptsächlichsten Nöten zu begegnen weiß, jener, indem er als ein "überfroher Held" jene Nöte nicht sieht und nur das zum Schein und zur Schönheit verstellte Leben als real nimmt. Wo einmal der intuitive Mensch, etwa wie im älteren Griechenland, seine Waffen gewaltiger und siegreicher führt als sein Widerspiel, kann sich günstigenfalls eine Kultur gestalten und die Herrschaft der Kunst über das Leben sich gründen: jene Verstellung, jenes Verleugnen der Bedürftigkeit, jener Glanz der metaphorischen Anschauungen und überhaupt jene Unmittelbarkeit der Täuschung begleitet alle Äußerungen eines solchen Lebens. Weder das Haus, noch der Schritt, noch die Kleidung, noch der tönerne Krug verraten, daß die Notdurft sie erfand: es scheint so, als ob in ihnen allen ein erhabenes Glück und eine olympische Wolkenlosigkeit und gleichsam ein Spielen mit dem Ernste ausgesprochen werden sollte. Während der von Begriffen und Abstraktionen geleitete Mensch durch diese das Unglück nur abwehrt, ohne selbst aus den Abstraktionen sich Glück zu erzwingen, während er nach möglichster Freiheit von Schmerzen trachtet, erntet der intuitive Mensch, inmitten einer Kultur stehend, bereits von seinen Intuitionen, außer der Abwehr des Übels, eine fortwährend einströmende Erhellung, Aufheiterung, Erlösung. Freilich leidet er heftiger, wenn er leidet: ja er leidet auch öfter, weil er aus der Erfahrung nicht zu lernen versteht und immer wieder in dieselbe Grube fällt, in die er einmal gefallen. Im Leide ist er dann ebenso unvernünftig wie im Glück, er schreit laut und hat keinen Trost. Wie anders steht unter dem gleichen Mißgeschick der stoische, an der Erfahrung belehrte, durch Begriffe sich beherrschende Mensch da! Er, der sonst nur Aufrichtigkeit, Wahrheit, Freiheit von Täuschungen und Schutz vor berückenden Überfällen sucht, legt jetzt, im Unglück, das Meisterstück der Verstellung ab, wie jener im Glück; er trägt kein zuckendes und bewegliches Menschengesicht, sondern gleichsam eine Maske mit würdigem Gleichmaße der Züge, er schreit nicht und verändert nicht einmal seine Stimme, wenn eine rechte Wetterwolke sich über ihn ausgießt, so hüllt er sich in seinen Mantel und geht langsamen Schrittes unter ihr davon.
Friedrich Nietzsche (1873, aus dem Nachlaß).

4.4. Lüge, List, Verstellung und Täuschung
@ :LUEGE_LIST
Auf dem Grabstein eines berühmten Rabbi steht folgender Spruch:
Die Wahrheit ist ein ausserordentlich kostbares Gut, deshalb sollte sie mit äusserster Vorsicht und besonderer Sparsamkeit benutzt werden.
Aus: Die Reise nach Jerusalem

Verstellung, List und Täuschung sind Phänomene, die sich überall in der belebten Natur finden. Schon einige Orchideen täuschen durch die spezielle Form ihres Pollenkörpers den männlichen Hummeln vor, dass Sie eine weibliche Hummel vor sich hätten, auf die diese sich dann stürzen, und sie bestäuben. Insekten tarnen sich als Blätter oder als Schlangen und andere Gift-Tiere, Fische als Seetang, und vielerlei dergleichen mehr. Wenn die Wissenschaft vor 100 Jahren noch glaubte, dass Tiere nicht lügen können, so ist man inzwischen gründlich eines besseren belehrt worden. Lüge und List als Noos-Phänomene erfordern eine doppelte Ich-Du-Reflexion: Ich mache mir eine Vorstellung davon, was du von mir denkst, und verhalte mich so, dass du von mir ein anderes Verhalten erwartest, als was ich tatsächlich intendiere. Über diese Fähigkeit verfügen auch Schimpansen, und setzen sie auch eifrig ein.

Odysseus ist uns aus der Mythologie bekannt, als der Kulturheros der Lüge, List, Verstellung und Täuschung, sein Ehrentitel war "polytropos", der Vielgewundene. [365] Er war es, der sich die Kriegslist der Griechen ausdachte, die ihnen den Sieg über Troja brachte, das hölzerne Pferd. Die heutigen Erkenntnisse der Verhaltensforschung der Tiere, sowie postmoderne Theorien ala "anything goes" von Feyerabend (1975), geben weitere wirkungsvolle Anstösse in die Richtung, die Nietzsche schon praktisch komplett vorweggenommen hatte, nämlich dass Lüge, List, Verstellung und Täuschung ganz wesentliche Faktoren in der Entwicklung / Evolution der Intelligenz gewesen sein müssen. Dies ist natürlich für eine Philosophie, die sich dem Wahrheitsbegriff besonders verpflichtet fühlt, ein sehr problematisches Thema, und sägt vor allem an beliebten Ideologien, dass der "Fort-Schritt" als ein kumulativ- approximativer Prozess des "Fort-Schreitens" hin zur "Wahrheit an Sich", und zur allgemeinen Verbesserung gedeutet wird.

Die Themen von Lüge, List, Verstellung und Täuschung sind im Bereich des Zwischenmenschlichen SEM so universell, dass es nötig erscheint, eine eigene Theoriefassung dafür zu konstruieren, die vor allem das Spannungsfeld zwischen den ethisch-moralischen Injunktionen der Religionen und der gelebten politischen und sozialen Praxis aufarbeitet. Denn wir können aus unser alltäglichen Erfahrung feststellen, dass die organisierte Lüge einer der Haupt-Triebfaktoren unserer Gesellschaften ist. In diesem Zusammenhang soll eine Struktur-Theorie des "Informations"-Krieges erstellt werden. Dies ist das Haupt-Thema von Teil III: "Eine Strukturtheorie von Wissen und Macht".
->: WISSEN_MACHT, p. 275; ->: INFO_KOMM, p. 294

Es gibt hier zwei Zentralbereiche: Einerseits ist Lüge, Verstellung und Täuschung ein essentielles Thema der alltäglichen gesellschaftlichen Konventionen: Das ist in den Zivilisationen des Ostens zwar etwas extremer zu bemerken, als im Westen, aber auch hier genauso wichtig und verbreitet: Gesellschaftliche Konventionen wie "Gesichtsverlust" erzwingen es, dass die Menschen ihre inneren Gefühle, Wünsche, Ärgernisse, Ängste und Triebe so gut wie möglich vor den Mitmenschen verbergen, und so ein permanentes Doppelleben führen müssen. Dies können wir auch als den Komplex der weissen Lüge als Instrumentarium des ganz normalen sozialen Lebens bezeichnen. Man macht sich eben nicht besonders beliebt, wenn man mit einer genauso sterbenstraurigen Miene herumläuft, wie man sich gerade fühlt. Das "Keep Smiling" ist so eine typische US-amerikanische Version dieses Systems.

Andererseits gehört die systematische Irreführung zum wohl-eingeschliffenen Instrumentarium der (Macht-) Politik und der Geschichts-Dichtung oder Euphemistik. Die Mächtigen hatten schon immer eher ein Interesse daran, sich und ihre Taten in einem möglichst guten Licht darzustellen, als sich allzusehr mit dem aufzuhalten, "wie es wirklich gewesen war". (Das ist natürlich immer etwas verschieden, je nach Auge des Betrachters.) Wenn Macht sich etwas zivilisierter geben will, und nicht einfach durch nackte, rohe Gewalt regieren will, dann ist konsequenterweise immer das Thema der Täuschung, Manipulation, und Irreführung im Spiel. Das soll hier auch der 5000-jährige "Informations"-Krieg der Menschheit genannt werden. Dies spielt seit Beginn der Zivilisationen eine gewichtige Rolle, und ist heute wohl zum wichtigsten Instrument von Politik und kommerzieller Werbung, als "Mediokratie" ausgewachsen.

4.5. Die Pathologien des Massenbewusstseins
@ :MASSEN_PATHOLOGIE
Ein grosser Imperator, Massenschlächter oder Diktator wird bei seinen Mitmenschen vielleicht millionenfaches Leiden, Elend und Sterben verursachen, aber spätestens bei seinem Ableben ist es mit dem Spuk zuende. Ein grosser Prophet aber wirkt noch lange, lange über sein irdisches Leben hinaus, und kann noch Jahrtausende später bewirken, dass sich die Menschen im Dienst und der Erfüllung dieser Prophesie nicht nur millionenfach sondern milliardenfach, einander unendliches Leiden, Elend und Sterben bereiten.
A.G.
4.5.1. Das Luzifer-Ahriman-Projekt
@ :LUZIFER_AHRIMAN
Das Luzifer-Ahriman-Projekt ist eine Paraphrase auf Wilbers Atman-Projekt, mit einer Tangente zu Rudolf Steiners Luzifer-Ahriman-Theorie. Die Thesen sind:

1. "Spiritualität" hat keinerlei moralisch-ethischen Anspruch oder Geltung. "Spirituell" ist nicht nur "gut", "wohlmeinend", "altruistisch", "barmherzig", etc. sondern kann genauso auch abgrundtief "schlecht", "böse", egoistisch und zerstörerisch heissen. Und, als ultimate Perversion des Wahren, Gerechten, Guten, und Schönen, erzeugt oft gerade die Sucht nach dem Allerhöchsten und Allerbesten, das finsterste und fürchterlichste Leiden, Elend und Sterben für die Menschen.

2. Das heutige materialistisch- mechanistisch- wissenschaftlich- technisch- kapitalistische Globalisations-Dominator-System ist in seinem Kern "spirituell", und seine materialistisch- mechanistische Tarnung ist ein wesentlicher Wirkmechanismus seines Dominations-Effekts. Diesen Aspekt der sprituellen Domination gilt es zu entschlüsseln.
4.5.2. Die "Mutter aller Verschwörungstheorien"
@ :V_THEORIEN
Das Luzifer-Ahriman-Projekt ist sozusagen die "Mutter aller Verschwörungstheorien" und damit genauso "mega-out" im heutigen sozio-politischen Mainstream wie die anfangs erwähnten "Systeme des Absoluten". Und das ist sowohl unvermeidlich konsequent wie auch logisch, denn wenn es "existieren" sollte, hätten wir es mit einem der wirksamsten Pre-Skripte des Massenbewusstseins zu tun, die je erfunden worden sind. Denn wo kann die "Ultimate Verschwörung" besser "aufgehoben" sein, als in einem unergründlichen, transzendentalen "Netherwhere"? [366] Die beste Tarnung für jemanden, der sich verbergen will, ist immer noch die, dass niemand auf die Idee kommt, nach ihm zu suchen, und wenn er doch auf die Idee kommen sollte, dann wird er von den wachsamen "Aufpasser-Kräften" des gerade herrschenden Konsensus-Systems schnell und zuverlässig "kaltgestellt". Und die Logik gebietet es, dass man ihn nicht verbrennt, kreuzigt oder vierteilt (wie zu den seligen alten Zeiten noch üblich), denn das würde zuviel Aufmerksamkeit erregen, sondern dass man ihn entweder ignoriert oder für verrückt erklärt. Das Luzifer-Ahriman-Projekt in Form einer modernen Mythologie besagt: Eine ultimate Gesellschaft von "Noo-Mongers" residiert völlig un-entdeckbar und un-erreichbar jenseits des Ereignishorizonts in irgendeinem schwarzen Loch, und schickt nur ab und zu mal einen "schwarzen Messias" zu uns Menschen, der allerdings der "ultimate Schläfer" ist, denn er hat keinerlei Ahnung, wer ihn schickt, und was seine Mission ist, und meistens hat er nur das Gute im Sinn, und möchte alles nur für die Besserung der Menschheit tun. Ansonsten wirkt diese Gesellschaft viel subtiler auf die Menschen ein: über die Träume, und über die Untergrundströme des Massenbewusstseins.

Das Luzifer-Ahriman-Projekt ist in seiner Struktur eine der ältesten "Unendlichen Geschichten" der Menschheit. Geschichtlich belegt ist sie mit der ersten Dualismus-Theorie der Zoroastrischen Religion, von der sich andere erfolgreiche Nachfolgemodelle ableiteten, bis hin zu den Konstrukten Rudolf Steiners. Man kann es auch das ewige "Teufel-Wechsel-Dich" Spiel nennen, denn der jeweils höchste Hauptgott einer Epoche wird in der nächsten Epoche zum "Absolut Bösen". So ist Ahriman wohl ein Vorgänger oder Doppelgänger von Ahura Mazda, dem zoroastrischen Ober-Gut-Gott. Ähnlich ist es mit Kronos/Saturn, der der Herrscher des "goldenen Zeitalters" war, aber in der folgenden Mythologie der "Böse Kronos" wurde, der seine Kinder frass. Von Luzifer kennen wir ja alle die traurige Geschichte seines Aufstandes und seiner Verdammung, von der wir mit Sicherheit annehmen können, dass sie in der uns bekannten Fassung "ein wenig redigiert" ist, und dass Luzifer ebenfalls ein Hauptgott der vorhergehenden Epoche war. Verschiedene Versionen dieses Generalthemas bildeten auch die Skripte der Hauptkonkurrenten des frühen Christentums: der Manichäer und der Gnostiker. [367] Und deshalb wurden sie von den Christen auch so eifrig verteufelt und verfolgt, und schliesslich ausgetilgt, weil ihre Skripte eben "zu gut gestrickt" waren, als dass man sie hätte überleben lassen können oder dürfen.

Die Geschichten der Kämpfe des "Absolut Guten" gegen das "Absolut Böse" sind das beste und bekannteste Studienbeispiel für "Pathologien des Massenbewusstseins". Man braucht sie nicht glauben, aber sie sind eine der wirksamsten treibenden Kräfte der Bewusstseinsgeschichte der Menschheit. Das Luzifer-Ahriman-Projekt ist das Skript eines immerwährenden Kampfes um die Weltherrschaft. Und natürlich sind immer diejenigen die Bösen, die gerade auf der anderen Front-Seite stehen als die, die die Welt im Augenblick gerade beherrschen. Das ist nur logisch. Und damit können wir das augenblickliche Leit-Thema als Skript einer Verschwörungstheorie auch so formulieren: Die Kräfte, die im Augenblick unseren Planeten in ihrer Macht halten, maskieren sich hinter einer "Naturalisierung" sozialer Macht-Prozesse: Das Leit-Thema ist, dass alles, was heute passiert, nur ein natürlicher, unvermeidlicher Prozess ist, der von den völlig blinden Kräften von "Zufall und Notwendigkeit", der "Entropie", oder der "unsichtbaren Hand des Marktes" ohne jede Intention und ohne jegliches Ziel und Zweck getrieben wird. Dies kann als das gerade herrschende "Pre-Skript" der monetären Führungs-Elite der industriellen Nationen bezeichnet werden. Umgekehrt ist es ein "Pre-Skript" des Massenbewusstseins in vielen islamischen Ländern, dass hier die Kräfte des "Absolut Bösen" am Werk sind, und dass nur noch eine gewaltige Anstrengung, ein Djihad, die Wende bringen kann, um den Sieg des "Absolut Guten" zu erkämpfen.
4.5.3. Die Voladores des Carlos Castaneda
@ :VOLADORES
Carlos Castaneda hat in seinen letzten Büchern eine interessante Fassung einer ultimaten Gesellschaft von "Noo-Mongers" präsentiert: Die Voladores. Das "Netherwhere" wäre auch eine gute Formulierung des Ortes, an dem sie residieren. Im Tibetischen existiert hier ein ähnliches Konzept des Bardo. Die Voladores sind Wesen des Nagual oder der En-ergeia. Sie sind psycho-emotionale Parasiten und ernähren sich von den psychischen Energien der Menschen. Im Englischen ist dies sehr prägnant mit dem Begriff zu fassen, dass die sich an "bad vibrations" geradezu mästen. Sie haben es also eingerichtet, dass die Menschen untereinander so viele "bad vibrations" wie möglich erzeugen, das ist im oben genannten Kontext das sogenannte "anthropogene" Leid. Und sie halten die Menschen in psychischen Käfigen, so wie wir die Hühner in Käfigen aus Draht halten, und beuten sie genauso aus, wie wir die Hühner ausbeuten. [368]

Natürlich haben diese Wesen keine "reale" Existenz in der Welt OBJ, aber wenn wir das Konstrukt der Welt SEM zu Hilfe nehmen, können wir ihnen ohne weiteres einen Platz zuweisen. Der begriffliche Schlüsel hierzu ist das Konzept von "distributiver" oder "Schwarm"- Intelligenz. Man hat herausgefunden, dass vor allem Ameisen und Termiten, aber auch Bienen, über so etwas wie eine Schwarm- Intelligenz verfügen. Eine einzelne Ameise ist nicht besonders intelligent, aber als Schwarm besitzen sie kognitive Fähigkeiten, die ganz erstaunlich sind, und auf das Vorhandensein einer echten Intelligenz hinweisen. (Siehe die Arbeiten von E.O. Wilson und Hölldobler). Die Voladores der SEM-Sphäre sind (hypothetisch) also Distributive Intelligenzen, die im Denk- und Interaktionsraum der Menschen durchaus "existieren" können. Dazu kommt noch die weitere Beschreibung, die Castaneda ihnen gibt: Ihre Erscheinung ist Schattenartig, d.h. sie sind nicht positiv sichtbar, sondern nur als Abwesenheit von irgendetwas wahrnehmbar. "Schatten" ist strukturell interpretiert, die Abwesenheit von Licht, die aber nicht durch das allgemeine Fehlen von Licht entsteht, sondern durch Verdeckung einer Lichtquelle. Da Castaneda nie unterscheidet, ob er gerade Tonal- oder Nagual-Terminologie verwendet, können wir ihn so interpretieren, dass er damit Nagual-Schatten meint, also kein Licht des Sichtbaren Bereichs.

Der besondere Vorteil, die Voladores als Distributive Intelligenzen zu charakterisieren, ist, dass man auf einmal "Niemand" mehr benötigt, um das ganze Theater zu inszenieren. So wie Odysseus dem Riesen Polyphem in der bekannten Homerischen Geschichte seinen Namen listig mit "Oudeis", also "Niemand" angegeben hatte, [369] so verschwindet die ganze Verschwörung plötzlich spurlos aus unserem OBJ-Denk-Kosmos. Das ist immerhin intelligent genug, dass es fast schon wahr sein könnte. Strukturell interessant ist diese Geschichte auch durch den Vergleich mit dem Buddhismus, weil hier eine versteckte Variation des Shunyata-Konzepts zu finden ist. Hier wird eine Ontik "aufgehoben", und man braucht einfach keine "real existierenden" Agent(i)en mehr, es funktioniert auch ohne sie.
4.5.4. Eine Einführung in Verschwörungstheorien
Der folgende Absatz von Stephan Selle gibt eine genauso gute Einführung in Verschwörungstheorien wie irgendeine andere:

Irgendwann im November 2001 überfiel mich ansatzlos der Gedanke, es müsse doch hinter all den Verschwörungstheorien, die sich auch um den 11. September 2001 ranken, eine Standardtheorie stecken, eine Geschichte, die den Rahmen für all die Aktualisierungen abgibt, die Verschwörungstheorien in ihrer konkreten Ausprägung erfahren.
Eigentlich gibt es ja keine Verschwörungs”theorien”. Es handelt sich vielmehr um ein narratives Modell, eine bestimmte Art und Weise, Geschichte oder Geschichten zu erzählen. V-Theorien produzieren einen Kontext, der ein an sich häufig schon bedeutsames Ereignis noch einmal auflädt. Dieser Kontext ist ein Geheimer Plan, ohne den eigentlich das Einzelereignis entweder nicht verständlich ist oder völlig falsch gewürdigt wird. Mit dem Ereignis werden auch die beteiligten Personen, die Protagonisten, erhöht: die bekommen nachgerade tragische Dimensionen. Meist wollen die Täter nichts weniger als die Welt oder einen signifikanten Teil davon beherrschen, und die Opfer waren gerade dabei, ihnen mächtig in die Suppe zu spucken.
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Der große Plan ist immer nur fast pefekt und fast geheim. Denn natürlich wäre keine V-Theorie erzählbar, wüßten wir nicht aus verräterischen Details den Plan zu enthüllen. Teilweise ist die Nachlässigkeit in der Ausführung aber auch die Lässigkeit des Verschwörers - ob Person oder Gruppe - der um seine Unverletzlichkeit weiss. Er kann sich die Signatur leisten, ein Spiel mit Symbolen und Bedeutungen in der Handlung, das den Eingeweihten und der halb wissenden Umgebung die Autorenschaft am Werk enthüllt.
Diese Signatur besteht häufig aus Symbolen, die wieder auf andere Texte verweisen, in denen sie eine Rolle spielen, dem Buch der Bücher des jeweiligen Bundes (in den meisten Fällen ja leider nicht an jeder Ladentheke zu haben wie die Bibel).
In den folgenden Abschnitten werde ich schildern, was ich herausgefunden habe: es gibt eine Geschichte, in der sich zwei Welten voneinander trennen, die eine, um als unsere Alltagswelt fröhlich vor sich hin zu trudeln, die andere, um im verborgenen Spiel die erste zu organisieren und zu strukturieren.
So gesehen ist das narrative Modell “Verschwörungstheorien” ein verzweifeltes Erzählen gegen die Kontingenz der Katastrophe, sei es eine Naturkatastrophe (im Film Conspiracy Theory experimentieren SIE mit Erdbeben um den Präsidenten umzubringen), ein Krieg oder das Attentat eines wirren Einzeltäters. An dieser Stelle konvergiert V-Theorie mit anderen pandeterministischen Theorien wie fast jeder offenbarte Religion, jedem Aberglauben, jeder Astrologie in der Rolle, die sie der Vorbestimmung geben: Pandeterministen glauben an die Vorbestimmung und leugnen den Zufall, Pandeterminismus haßt Kontingenz.
Der ultimative Zufall, der Tod, ist für jeden nicht denkenden Menschen eine Bedrohung: lieber ist ihm eine Welt, in der irgendein namenloses oder namhaftes Schicksal für Glück und Unglück, Krankheit, Beziehungsstress und entflohene Kanarienvögel zuständig ist. Wir siedeln dieses “Schicksal” in einer der drei Sphären an, die sich hinsichtlich ihres Grades von Transzendenz (Weltferne?) unterscheiden:
* das Jenseits der Götter, luftig-duftig und sehr weit weg
* das Jenseits der Natur, wo Geister hausen und Sterne herrschen
* das Jenseits im Diesseits, die Sphäre geheimer Gesellschaften
Glauben, Aberglauben und - tja, wie nennt man die Zuwendung zur Großen Verschwörung? - Vermutung? - Die Kontingenz-Paranoia hat halt unterschiedliche Flavours und geht von der Annahme aus, dass die Welt, so wie sie uns erscheint, ein Trugbild ist, dass auf mehreren Ebenen dahinter die wirkliche Wirklichkeit rumkaspert, im Verborgenen lauert und der ganzen Veranstaltung Tiefe, Bedeutung & Co. gibt. Leider ist der ganze Spaß nicht tief, sondern allenfalls komplex im thermodynamischen Sinne. Oder, wie der große Oscar Wilde sagt:
It is only shallow people who do not judge by appearances.
(URL) http://www.stephan-selle.de/Buchgarten/Conspiracy/conspiracy.html

Die weiterführende Diskussion dazu wird in Teil III: "Eine Strukturtheorie von Wissen und Macht" geführt. [370] Dort sollen erst einmal strukturelle Grundlagen gelegt werden. Die obige Diskussion von Stephan Selle macht schon deutlich, wenn es eine ultimate Verschwörung gäbe, dass sie kaum jemals aufgedeckt werden kann. Denn wenn jemand diese Verschwörung irgendwann entdecken sollte, dann hätte er nicht mehr genug Zeit zu leben, um seine Entdeckung auch hinauszuposaunen. Andererseits ist das Thema eines uralten Planes zur Beherrschung der Erde in dem Skript des "Luzifer-Ahriman-Projekt" bestens "aufgehoben", und taucht auch immer wieder in modernen Mythologien, wie Hollywood-Filmen (Matrix, Herr der Ringe) auf.
4.5.5. Geheimstrukturen und "kleine" Verschwörungen
Eines kann man mit Sicherheit sagen, dass die Weltgeschichte neben ihrer öffentlichen, in den Geschichtsbüchern festgehaltenen Ereignisstruktur noch eine andere, verborgene Substruktur von Machtkämpfen aufweist, die im Geheimen geführt wurden und werden. Die Geheim-Diplomatie ist ein gesellschaftlich definierter Schauplatz für solche Auseinandersetzungen, und da wird es für selbstverständlich genommen, dass diese Geschehnisse nicht an das Licht der Öffentlichkeit geraten dürfen. Dafür sorgt ein Konsensus-System aller Mächtigen aller Staaten dieser Erde. Man kann hier auch von "kleinen" Verschwörungen sprechen. Diese beruhen auf exklusiv gehaltenen Wissens-Zirkeln, auch "Herrschaftswissen" oder "Insiderwissen" genannt. Mit Hilfe dieses exklusiven Wissens gelang und gelingt es durch alle Zeiten hindurch immer gewissen geschlossenen Gruppen, sich Vorteile und Rechte gegenüber der Rest-Gesellschaft zu bewahren. (Ohne natürlich damit eine "absolute" Herrschaft zu konstituieren). In praktisch allen indigenen Kulturen existier(t)en Initiations-Geheimgesellschaften. In den Zivilisationen war zu früheren Zeiten die Geheimhaltung von Wissen des "inneren Kreises" sowohl bei Aristokraten, Priesterschaften und Handwerker-Vereinigungen gegenüber dem Rest der Gesellschaft die Regel. Einen Rest davon haben Ärztevereinigungen bewahrt: Der Hippokratische Eid war wesentlich ein Instrument, um den Zusammenhalt, und die Vorteilsbildung der Ärztekaste zu versichern. (Indem man schwor, das interne Wissen keinem Aussenseiter zugänglich zu machen, und den Kollegen der eigenen Kaste immer eine Vorzugsbehandlung zu gewähren). Heute sind Verbrecherorganisationen gute Beispiele, etwa die berühmte Omerta der Mafia, oder die praktisch hermetisch geschlossenen Familien-Clan-Systeme etwa albanischer und kurdischer Banden. Eine sich kräftig entwickelnde neo-tribalistische Bewegung in den Zivilisationen sorgt für immer weitere exklusive Kommunikations- und Wissens-Zirkel. Strukturell und generell wird das in Teil III unter dem Titel "neo-tribalistische Vereinigungen" und "Allgemeines Gesetz der Spezialisten-Vereinigungen" behandelt.
->: NEO_TRIBAL, p. 307; ->: SPEZIALISTEN_GESETZ, p. 308
4.5.6. Herrschaftswissen: Wissen als Machtinstrument
Im vorliegenden Kontext der Noo-Pathologie ist vor allem eines als logisch konsequent anzunehmen: Entgegengesetzt zu dem Aufklärungs- Anspruch der Wissenschaften bestehen starke gesellschaftliche Kräfte, die dafür sorgen (wollen), dass nicht allzuviel Wissen über bestimmte Dinge, bei allzuvielen Leuten ankommt, die dies nicht bekommen sollen. Es ist also zu postulieren, dass es gesellschaftliche Strategien der Wissens-Abschottung und Wissens-Eindämmung gibt, die natürlich umso wirksamer sind, je unauffälliger und "selbstverständlicher" sie sind. Paul Feyerabend beschreibt einige dieser Strategien in seinen Büchern, beschränkt sich aber auf den wissenschaftlichen Bereich und spart das eigentliche Territiorium aus, in dem diese Strategien wirksam werden, nämlich die Bereiche gesellschaftlicher und politischer Macht. Anders formuliert: Die öffentlichen Wissenschaftsprogramme, etwa der Universitäten, werden von den gesellschaftlichen Machthabern nur soweit toleriert und unterstützt, soweit es dienlich ist, ihre Machtposition zu stabilisieren. Ein Werkzeug hierbei ist die Diskreditierung der Metaphysik. Dies sind wesentliche Wirk-Komponenten des Im-Perium, wie oben angesprochen. Wissen in seinem Gebrauch als Machtinstrument erzwingt geradezu Mechanismen, dass der grössere Teil der Rest-Menschheit in Unwissenheit gehalten wird. Wie Feyerabend in seinen Diskussionen immer wieder darstellt, und wie aus den obigen Überlegungen folgt, ist es keinesfalls nötig, dass irgendwer auf der Seite der "Wissenden" eine genaue Vorstellung hat, an was für einem Spiel er gerade teilnimmt. Dies ist auch ein Zentralthema der Ethnopsychoanalyse.
->: ETHNO_PSYCHO, p. 122
4.5.7. Das Elend der Propheten
@ :ELEND_PROPHET
Es wurde oben schon unter dem Titel "Das Luzifer-Ahriman-Projekt" angesprochen: Die Untaten von Massenschlächtern wie Shi Huang Di, Caesar, Alexander, Dschingis Khan, Timur Lenk, Francisco Pizarro, Napoleon, Hitler, Stalin, Idi Amin, Pol Pot u.a. verblassen geradezu gegenüber dem unendlichen Leid, das sich die Menschen im Namen der Lehre der grossen Propheten, insb. der Abrahamitischen Religionen, wie auch des Marxismus / Leninismus, einander zugefügt haben. Daran ändert es nichts, wenn einige der og. Schlächter glaubten, nur im Namen und zur höheren Ehre ihres jeweiligen Propheten zu handeln.

Die abgrundtiefe schwarze Erkenntnis direkt aus dem "Herzen der Finsternis" ist: Gerade in der Suche und der Sucht nach dem "Absolut Guten" lauert die finsterste Ver-Suchung: Nämlich dass das "Absolut Gute" und das "Absolut Böse" sehr nahe beieinander liegen. Dies ist die ultimate Pathologie des Massenbewusstseins.

5. Schamanen und das Wissen der altweltlichen Menschheit

Die Hüter des versunkenen Neuronalen Schatzes: Schamanen als letzte Bewahrer des Wissens der altweltlichen Menschheit
@ :NEO_SCHAMAN
5.0. Einführung
Der folgende Text ist eine eingehendere Untersuchung zu alternativen Weltbildern, wie sie Paul Feyerabend in einigen Fussnoten zur Anthropologie in "Against Method" (1975, p. 49-50, 295-309) skizziert hat. Hier wird das "schamanische Weltbild" als Strukturthema behandelt. Die strukturelle Behandlung ist eine Möglichkeit, die ungeheuer vielen (und vermutlich incommensurablen) Weltbilder der einzelnen indigenen Kulturen, aus denen die jeweiligen Schamanen kommen, dennoch unter einem Gesamtbegriff zusammenzufassen. In diesm Sinne sind sie als Umriss / Entwurf für ein Kontrastprogramm zur neuzeitlichen Wissenschaft zu verstehen, wie es Paul Feyerabend formuliert hat:
prejudices are found by contrast, not by analysis
P. Feyerabend (1975, 31)

Mit dieser Revision der schamanischen Praxis möchte ich einen weiteren Ansatz geben, wie man bestimmte Strukturprobleme des "Geistigen an Sich" dadurch aufdecken kann, indem man den Weg zurückverfolgt, der vor dem geistigen Wendepunkt vom "Mythos zum Logos" der antiken griechischen Philosophie liegt, zurück in das Ur-Ahnen der Menschheit. Und in Einklang mit der Programmatik des Ken Wilber, will ich hier nicht einfach ein "Zurück-Kriechen in den Schoss von Mutter Erde" propagieren, sondern das Thema der Praxis, Dynamis und der En-Ergeia aktivieren, das das Fokus-Thema der Noologie ist.

5.1. Schamanische Pfade
Schamanische Pfade durch Großstadt-Dschungel und Zivilisations-Wüsten

Schamanismus im engeren Sinn ist ein ethnologischer Sammelbegriff für bestimmte rituelle und magische Praktiken und Glaubenssysteme der indigenen Völker Eurasiens und Amerikas, insbesondere in Verbindung mit Trance. [371] In den folgenden Beiträgen wollen wir versuchen, das Fortleben und vor allem eine Weiter-Entwicklung dieser alten Wissens-Traditionen der alt-weltlichen Menschheit [372] in der post-modernen, post-newtonischen, post-euklidischen Welt der Global-Zivilisationen zu skizzieren. Eine direkte Übertragung von schamanischem Wissen in unsere wissenschaftlich-technisch-kapitalistische Zivilisations-Welt erscheint schwierig aufgrund unserer völlig andersartigen Lebens-Bedingungen und wegen der großen kulturellen Kluft, die uns von den indigenen Völkern trennt. Die schamanische Lebenswelt war geprägt durch die Einbettung des Menschen in die natürliche Umwelt von Klima und Ökosystem, während die Zivilisations-Welt solche Einflüsse so weit wie möglich von uns fernhält. Statt in Kommunikation mit ihrer natürlichen Umwelt, leben Zivilisations-Menschen in Abschottung von ihr.

Das große Interesse am Schamanismus in den heutigen Zivilisationen ist eine Folge der spirituellen Entleerung, der "Entzauberung" unserer Welt. [373] Schamanisches Wissen wird/wurde auch in den Zivilisationen in zahlreichen Bewegungen von sozialen Randgruppen tradiert, wie etwa der Afro-amerikanischen Santeria / Umbanda / Macumba / Condomble. In den islamischen Ländern arbeiten Sufi-Gruppen mit schamanischen Techniken wie Trance und verkehren mit Geistern, Praktiken, die mit dem Schriftgelehrtentum des orthodoxen Islam wenig gemeinsam haben. Viele Erscheinungen der heutigen Disko- / Techno-Szene lassen sich als neo-schamanisch interpretieren, zumindest was den Konsum von Drogen und ekstatische Tanzformen angeht. Es herrscht bei den heutigen Zivilisationsmenschen geradezu eine "Sucht nach Magie", nach Fluchtmöglichkeiten aus den Stahl-Glas-Beton-ummauerten, Paragraphen-umzäunten Realitätskäfigen unserer Gesellschaften, wie der ungeheure Erfolg von Phantasy-Büchern und -Filmen zeigt. Die Hollywood-Unterhaltungs-Imperien profitieren kräftig von Plastik-Surrogaten für diese Sucht, und die Kassenschlager "Harry Potter" und "Herr der Ringe" waren gewissermassen Höhepunkte des Massen-Konsums von Pseudo-Magie. Es ist nur eine Definitionsfrage, ob man solche Phänomene als "schamanisch" oder auch neo-schamanisch bezeichnen möchte, oder ob man andere Begriffe sucht, wie "New-Age Synkretismus". [374] Tatsache ist, daß die Bewegung der "Suche nach dem Wunderbaren" (Ouspenski), der "Wiederverzauberung der Welt" (Berman) im vollen Schwung ist, und wo ein Bedarf ist, finden sich auch immer jene, die ihn mit mehr oder weniger brauchbaren Produkten bedienen.

Es ist nur für sehr wenige Menschen aus unserer Zivilisation ein gangbarer Weg, sich in den Dschungel des Amazonas oder die wüsten Hochländer Mexicos, Südamerikas, oder Inner-Asiens zu begeben, und dort bei einem der wenigen überlebenden schamanischen Wissenden in die Lehre zu gehen, so etwa wie Carlos Castaneda es in seinen Büchern beschrieben hat. Die wenigen heute überlebenden Schamanen haben wohl kaum die Kapazität und auch nicht unbedingt das Verlangen, plötzlich ganze Horden von wißbegierigen westlichen Schamanen-Lehrlingen unterzubringen und zu unterrichten. Denn Schamanismus läßt sich nicht mit Universitäts-Methoden lehren, es muß eine lange dauernde, tiefe persönliche Verbindung zwischen Meister und Schüler bestehen, um dieses Wissen weiterzugeben. Sollte aber irgendwo plötzlich eine "Schamanen-Universität" eröffnet werden, die uns mit möglichst viel Werbe-Getrommel und für hohe Gebühren "echtes" Schamanisches Wissen vermitteln will, so sollten wir vorsichtig sein: Es könnte sich dabei auch um Pseudo-Schamanen handeln, aus der Szene des Newage-Sewage Schamanismus.
->: NEWAGE_SHAMAN, p. 190

Für "all the rest of us", die zwar Interesse am Schamanismus haben, aber für die so ein Weg aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist, muß ein anderer Zugang gefunden werden. Dies nenne ich: "Schamanische Pfade durch Großstadt-Dschungel und Zivilisations-Wüsten".

Um schamanisches Wissen und schamanische Methoden zu verstehen, ist es hilfreich, eine Anpassung der Begriffssysteme zu finden. Für das Schamanische Erleben ist die Welt ein System von Kräften, die miteinander und mit uns in Beziehung stehen. Nach einer entsprechenden Umformung lassen sich die Methoden des Schamanismus heute durchaus nutzbringend einsetzen. Auf diese Weise können wir verstehen, wie die Visualisierung und Konzeptualisierung der Naturkräfte durch die Schamanen mit den analogen Kräften unserer Zivilisations-Welt erreicht werden kann. Voraussetzung für diese Anpassung ist es, daß die seit Jahrhunderten herrschende Trennung von Natur und Technik / Wissenschaft / Zivilisation wieder überwunden wird, und daß wir verstehen, daß auch die technisierteste Zivilisation genau dem Kräftespiel unterliegt, welches alles Leben auf diesem Planeten seit Jahr-Milliarden antreibt. Dieses Kräfte-System soll hier die Welt der En-ergeia genannt werden. Die Grundsätze der Welt der En-ergeia werden in dem anderen Kapitel unter diesem Titel behandelt.
->: ENERGEIA_WELT, p. 187
5.1.1. Neo-Schamanismus
Die folgenden Beiträge machen den Versuch einer Neuformulierung des Schamanismus im Kontext der heutigen technisch-wissenschaftlichen post-modernen, post-euklidischen, post-newtonischen, konstruktivistischen, quanten- und chaostheoretischen Weltbilder. Zur Unterscheidung von den indigenen Formen des Schamanismus wollen wir dies vorläufig Neo-Schamanismus nennen. Auf diese Weise können wir uns die Freiheit nehmen, diese Bewegungen und ihre Inhalte aus der Sichtweise unserer eigenen Kultur zu verstehen und zu interpretieren, ohne so schnell in die bekannte ethnologische Falle zu laufen, daß man meint, wenn man Erscheinungen eines völlig fremden Kulturkreises aufzeichnet, sie dokumentiert, und kommentiert, daß man damit auch verstanden hätte, wie es wirklich ist, wenn man als "indigener" Angehöriger einer solchen Kultur in einem solchen Weltbild lebt und wirkt. Dies ist die berühmte Falle der Verwechselung der emischen und etischen Sicht. [375]

Schamanische Weltbilder lassen sich deshalb so schwer wissenschaftlich-rational erfassen, weil sie ja genau solche Bereiche berühren, die außerhalb der materialistisch-technischen Reichweite unserer eigenen Zivilisation liegen. Es erscheint deshalb klarer und ehrlicher, wenn wir hier von einer eigenständigen Neuformulierung eines transklassischen Neo-Schamanismus der technologischen Zivilisation sprechen, und uns dabei so gut es geht, von den Meistern der altweltlichen Menschheit leiten lassen, in dem Bewußtsein, daß wir aber unseren Weg selbst zu gehen haben, und wir müssen uns selbst der Herausforderung stellen, mit den Mitteln und Möglichkeiten die wir selbst haben, oder die wir auch noch entwickeln müssen.

Formulieren wir es so: Die Welt des indigenen Schamanismus kann uns aufgrund bestimmter struktureller Gemeinsamkeiten eine entscheidende Hilfe bieten, den Herausforderungen der heute an- und ausbrechenden post-modernen Welt zu begegnen, und adäquate Formen für die Gestaltung des Lebens in dieser fremdartigen "brave new world" zu finden. Wir befinden uns heute in einem Epochen-Umschwung des allergrößten Ausmaßes, und der radikalsten "Umwertung aller Werte", der gesamten Geschichte der Zivilisationen seit ca. 5000 Jahren. Allerdings gilt in dieser Allgemein-Umwertung sofort auch ihre eigene Umkehr: "Le plus ça change, le plus ça reste le même". Konstanz und Wandel sind immer relativ zum Auge des Betrachters. Auch diese alte Weisheit ist ur-schamanisch, denn erst in der modernen Zeit wurde die Idee des linearen Fortschritts der Wissenschaft und der Zivilisation geboren. In allen anderen Epochen und Kulturen der Menschheit der letzten ca. 1 Million Jahre galt vielmehr der eherne Grundsatz:
What goes up, must come down, that is the eternal merry-go-round.
A.G.
5.1.2. Das Kali Yuga
Die Epoche der letzten 5000 Jahre war gekennzeichnet vom unaufhaltsamen Aufstieg eines spirituellen Im-Periums, [376] der heute in seine logische und notwendige Endphase geht: Der Durchbruch der "einen Welt" der Zivilisation und der "Natur-Gesetze", der sich heute an Bewegungen wie der "Globalisierung" zeigt, aber auch an immer schärfer werdenden Konflikten verschiedener Vorstellungen, wer in dieser "einen Welt" die Marschrichtung bestimmen soll. Dies ist auch sichtbar an dem sich abzeichnenden Kulturkampf vor allem der radikal-islamischen Welt gegen die Mächte der technisch-wissenschaftlich-kapitalistischen Globalisierung, der von Huntingdon als "Clash of Civilizations" bezeichnet wurde.

Die technisch-wissenschaftlich-kapitalistische Vereinigung der Welt unter der Allein-Herrschaft der materialistisch-physikalischen "Natur-Gesetze" und die quasi-physikalischen "Natur-Gesetze" des Geldes und des Marktes im Global-Kapitalismus kennzeichnen einen spirituellen Imperialismus: Er ist im wahrsten Sinne des Wortes "kata holon", also katholisch, und damit die Fortsetzung der katholischen Mission mit anderen Mitteln. [377] Das materialistisch-wissenschaftliche Euklidische, Newtonische, Einsteinsche Weltbild ist die logische und lineare Fortsetzung der "Summa Theologiae" des Thomas Aquinas: Das Zusammen-Zwingen, die unbedingte, totalitäre Vereinheitlichung und Hierarchisierung aller Möglichkeiten der Welt-Wahrnehmung. Vor ziemlich genau 5000 Jahren geriet die Menschheit in den Sog eines spirituellen Maelstroems, als in Ägypten und Mesopotamien etwa zeitgleich die ersten Großreiche entstanden, als die Schrift, und der Staat, die Religionen und ihre Priesterschaft, und die Armeen erfunden wurden. Dies war nach der vedisch- / hinduistischen Zeitrechnung der Beginn des Kali Yuga, am 18. Februar, 3102 B.C. [378]
5.1.3. Die Epoche der Alt-Weltlichen Menschheit
@ :ALTWELT
Der Schamanismus entstammt aus einer Epoche der Menschheit, aus einer Zeit und Kulturstufe, bevor die monolithischen "kata holon" Zivilisations- und Denksysteme entstanden waren. Zur Unterscheidung von der Geistes- und Lebens-Verfassung der Zivilisations-Menschheit soll die vorangegangene Epoche auch die Alt-Weltliche genannt werden. Verglichen mit der jüngsten Zivilisations-Epoche sind die Zeiträume der Alt-Weltlichen Epoche unvorstellbar lang: Sie währte mindestens 50.000 Jahre, oder auch 500.000 Jahre. [379] Die Lebensbedingungen der Menschen damals unterschieden sich beträchtlich von den heutigen. Unsere heutigen Vorstellungen von dieser Epoche beruhen auf Propaganda-Märchen, die erfunden worden waren, um den Zivilisations-Menschen die Zustände ihrer jetzigen irdischen Existenz überhaupt erträglich zu machen, und die Verfassung ihrer Zivilisation als beste nur mögliche Errungenschaft anzusehen. [380] Der Ursprung dieser Ideologien läßt sich auf Thomas Hobbes zurückführen, [381] der behauptet hatte, daß das Leben des Urzeit-Menschen "elend, dumpf und kurz" gewesen sei, und daß daher der Staat, und die mit ihm verbundenen Herrschaftsformen, des Geldes, der Armee, der Polizei, der Gesetze, der Kirchen, etc. "die beste aller nur möglichen Welten" [382] darstellten. In populären Bildern und Filmen, und in den Schaukästen der Museen, bekommen wir diese Propaganda-Vorstellungen immer wieder eingehämmert: Zottelige, wilde Gestalten in Tierfellen, unflätig grunzend, mit Keulen und denkbar schlechten Manieren, faulen Zähnen, Mundgeruch, und Läusen im Haar. Diese Vorstellungen entstanden, nachdem die Europäer auf ihren Entdeckungsfahrten sogenannte "primitive" Völker entdeckt hatten, die irgendwo im dichten Dschungel oder in kargen Steppen lebten, und deren Lebensumstände tatsächlich nicht besonders üppig waren. Die systematische Unterschlagung bei solchen Darstellungen ist aber, daß diese Menschen die letzten traurigen Überreste von mindestens 50.000 bis 500.000 Jahre alten Kulturen waren, die in den letzten 5.000 Jahren von den mächtigeren Ackerbau-Kulturen Zivilisationen immer weiter an den Rand der Existenz gedrückt worden waren, nachdem alle fruchtbareren und reicheren Gebiete von den Zivilisationen erobert und ausgeplündert worden waren.

Hierzu gibt es etwas ausführlichere Darstellungen unter dem Titel:
"Wie der Mensch auf den Hund gekommen ist", hier im Text unter:
->: NOO_MAERCHEN, p. 205
Auf dem WWW unter:
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro08.htm
und weiter: "Die Einbettung der Menschheit in die biosphärische Matrix"
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro09.htm

Es widerspricht einfach zu sehr unserem Zivilisations-Dünkel, uns vorzustellen, ein Leben ohne Werkzeuge und Waffen, ohne Geld und Güter, ohne Polizei und Priester, ohne Armee und Beamte, hätte auch ganz angenehm sein können, und daß die damaligen Vor-Menschen für ca. 500.000 Jahre auch sehr gut ohne all das auskommen konnten. [383] Um es in einem Satz zusammenzufassen: Heutiger Schamanismus ist der letzte Rest einer Wissensform, die der Menschheit über ca. 500.000 Jahre gut dabei gedient hatte, mit sich und der Umwelt in einem haltbaren ökologischen Gleichgewicht zu leben. [384] Diese Denkform hatte ganz andere "Zielvorstellungen" als unsere heutige, und deshalb haben wir natürlich Probleme, sie zu verstehen. Unsere Lebensweise heute zielt auf ein möglichst schnelles Verbrennnen und Verbrauchen aller Schätze und Ressourcen der Natur. [385] Unsere Enkel werden nur noch in den ausgebrannten Ruinen eines leergefressenen, vollgeschissenen Planeten sitzen.
5.1.4. Die Welten der En-Ergeia oder des Nagual
@ :ENERGEIA_WELT
Die En-ergeia [386] ist ein Ur-Wort, welches von der wissenschaftlichen Physik zu dem materialistischen Konzept der Energie umgebogen und damit seiner ursprünglichen Kraft und Wirksamkeit beraubt worden war. So ihrer alten Wirk-Kräfte entkleidet, diente die Energie ihren neuen Herren bei dem Aufbau des heutigen technologisch-kapitalistischen Im-Periums, das diesen Planeten ausplündert. En-Ergeia ist nur einer von vielen altweltlichen Namen für die Kraft, [387] mit der die Schamanen arbeiten. Carlos Castaneda hat mit seinen Erzählungen vielleicht einen der am weitesten entwickelten Ansätze gegeben, wie man das Denken und Erleben der Schamanen dem heutigen Publikum der Zivilisations-Menschen mit einer ihm entsprechenden Terminologie nahebringen kann. Er beschreibt die Erlebniswelt der Zauberer in seinen Büchern als leuchtende Bänder und Fäden von Energie. Die speziellen Fähigkeiten der Zauberer bestehen in ihrer Wahrnehmung und Manipulation. Mit dem Term En-Ergeia läßt sich dieses Begriffsfeld so fassen, daß sie nicht mit dem heutigen physikalischen Begriff Energie kollidiert. Dieser Begriff ist aufgrund der fest umgrenzten physikalischen Definition nicht mehr für die schamanischen Zwecke zu gebrauchen. Die En-Ergeia, mit der Schamanen arbeiten, ist nicht physikalisch, sie ist auch nicht meta-physisch oder spirituell, sondern man kann sie hypo-physisch nennen. Ihr Wirken liegt unter der Erscheinungs-Ebene physikalischer Phänomene.
5.1.5. Die Welt der En-Ergeia als Klang-Kosmos
Castanedas phantasievolle Erzählungen zu den Eigenschaften und Gesetzen der En-Ergeia lassen sich mit dem bekannten Spruch von Radio Eriwan charakterisieren: "Im Prinzip ja, aber in den Details dann doch wieder ein wenig anders." Vielleicht haben seine Yaqui-Schamanen, oder wie er sie in seinen späteren Bänden nennt, die Tolteken, die En-Ergeia auch wirklich so gesehen und behandelt, wie er es beschreibt. Man findet in den Mythologien der altweltlichen Menschheit quer über den ganzen Planeten gewaltige Materialsammlungen von Beschreibungen der En-Ergeia, die systematisch ein wenig anders dargestellt sind als bei Castaneda: Denn diese Welt der En-Ergeia ist ihrem Wesen nach mehr ein Klang, als eine Licht-Erscheinung. Die kleinen Unterschiede der Darstellung sind aber nicht bedeutsam, weil es sich hier ja nicht um physikalische, sondern um hypo-physische Phänomene handelt, deren Darstellungsweise in jedem Fall eine Art Gleichnis ist, da diese Erfahrung ja nichts aus der Erlebniswelt unseres physikalischen Universums wiedergibt.

Carlos Castaneda nannte die Welt der En-ergeia das Nagual. [388] Im alten vedischen Sprachgebrauch existierte ein analoges Wort, das so ähnlich klang: die Welt des Nada. Ein anderer Begriff dieser Welt des Nada war Vac. [389] Diese Welt ist, wie oben schon gesagt, in keiner Weise metaphysisch oder spirituell, sondern sie ist hypo-physisch. Daher haben spirituelle Sucher auch keine Chance, zu ihr vorzudringen, weil sie in der falschen Richtung bzw. in der falschen Dimension suchen. Nach Castaneda steht die hypo-physische Welt des Nagual in Dualität mit der "realen" physischen Konsensus-Realität des Tonal. Diese Dualität spiegelt sich in allen Alt-Welt-Mythen wieder. In der Altgriechischen Darstellung ist es die Dualität von En-ergeia und Ergon. Die Magier und Zauberer der En-ergeia wurden in der damaligen Epoche auch als Aoidoi, Vates oder Rishis bezeichnet. Von ihnen stammen die großen Zeugnisse der damaligen Kunst: Die Ilias und die Odyssee, sowie die Vedischen Epen. Dieses Material habe ich in anderen Schriften schon ausführlich dargestellt, und braucht daher hier nicht mehr wiederholt zu werden. [390]
5.1.6. Alchimie und die Welt der En-Ergeia
@ :ALCHIMIE
Eine andere Formulierung der Welt der En-Ergeia findet sich in der Alchimie. Allerdings ist dieses Feld so riesig und durch seine spezielle Codierung so undurchdringlich, daß hier nicht näher darauf eingegangen werden soll. Dazu wird auf die Darstellung von Julius Evola: "Die hermetische Tradition", [391] verwiesen. Die Gemeinsamkeit mit der toltekischen Magie von Don Juan Matus besteht hier wesentlich in dem nüchternen, empirischen, un-spirituellen Ansatz, mit dem man sich dem Gebiet nähert. Es handelt sich um Welten, deren Gesetze zwar anfänglich schwer zugänglich sind, aber die zu dem angestammten Erbe der Menschen gehören. Es bestehen keine göttlichen Ge- oder Verbote, sie zu betreten, und auch keine göttliche Gnade, nach der man in sie vielleicht eingelassen wird, sondern eine ganz nüchterne Gesetzmäßigkeit. Diese Eigenschaft macht ihre Erforschung zu einer Aufgabe der Wissenschaft, und entläßt sie aus der 5000-jährigen Zwangsjacke der Religionen und der Spiritualität, in der sie so lange gefangen war. Dies ist die Aufgabe eines wissenschaftlichen Neo-Schamanismus.

5.2. Schamanismus als neuronale, subsymbolische Wissenstradition
Die folgenden Abschnitte stehen unter dem Aspekt des Schamanismus als Bewahrer einer neuronalen, subsymbolischen Wissenstradition der altweltlichen Menschheit. Das schamanische Wissen ist von einer anderen Art als das schriftgebundene Wissen der Zivilisationen. Daher gibt es grundsätzliche Probleme, diese Wissensformen in die Kategorien unserer Zivilisationen zu übersetzen. Mit heutigen Fortschritten der Neurowissenschaften ergeben sich aber neue Möglichkeiten, ganz andersartige Fassungen zu formulieren, die außerhalb des konventionellen begrifflichen Spektrums liegen, mit dem unsere Kulturen gewohnt sind, umzugehen.

Man kann dies etwa so verdeutlichen: Abendländische Worte und Begriffe sind topisch (nach Aristoteles), also fixe Punkte in einer semantischen Landschaft, in der Hunderttausende und Millionen anderer Punkte in einem starren Begriffssystem miteinander verbunden liegen. Man denke hier z.B. an die gewaltigen Fachsprachen von Biologie, Medizin, Chemie, Jurisprudenz, etc. Das neuronale Wissen ist dagegen feldartig, diffus, und ein Element ist nie strikt von einem anderen Element abgegrenzt, sondern sie gehen dynamisch beständig ineinander über, durchdringen sich, und verkehren sich unversehens auch in ihre polaren Opposite.
5.2.1. Zum hier verwendeten Begriff des Schamanismus
Es sollte noch eine genauere Klärung unserer Verwendung des Begriffes Schamanismus gegeben werden, um Verwechselungen und Mißverständnissen vorzubeugen. Hier soll über den Schamanismus als Bewahrer einer neuronalen, subsymbolischen Wissenstradition der altweltlichen Menschheit gesprochen werden. Es gibt noch viele andere Facetten, Sichtweisen und Variationen des Schamanismus, die hier nicht gemeint sind, oder die nur sehr vage das hier vorgestellte Thema berühren.

Auf der einen Seite ist da der wissenschaftliche Schamanismus-Begriff der Ethnologie, der zwar alle Sorgfalt einer möglichst genauen Dokumentation nach wissenschaftlichen Kriterien aufwendet, aber hier gibt es zwei grundlegende Probleme:

Erstens: Die wissenschaftliche Schamanismus-Forschung kann das Thema nur etwa so behandeln, wie wenn der Papst sein unfehlbares Diktum über das Kinderkriegen spricht. Bei allem genauen Studium aus der Beobachter-Perspektive kann dieses Unterfangen nur die Betrachtung von Außen finden und wiedergeben, aber nie jemals eine Vorstellung oder ein Gefühl dafür geben, wie das Erlebnis wirklich ist, und wenn man mit schamanischen Kräften in Kontakt kommt. [392]

Zweitens: Das schamanische Wissen ist von einer anderen Art, als die Art von Wissen, die man seit ca. 5000 Jahren in den schrift-basierten westlichen Zivilisationen mono-kultiviert. Schamanisches Wissen ist im Gegensatz zu dem westlich-europäischen schrift-basierten Fakten-, Daten- und Begriffswissen vorwiegend neuronal und subsymbolisch manifestiert. Während der Wissensbegriff der westlich-europäischen Tradition stark an mediale Speichersubstanzen (Schrift, Zeichensysteme, Bücher) gebundenen ist, [393] manifestiert sich im Gegensatz dazu das indigene Wissen vorwiegend kinesthetisch-performativ, d.h. in Form von Tänzen und Gesängen und Handlungen, allgemeiner als Ritual. [394] Der Wissensträger produziert und reproduziert sein Wissen nicht diskursiv sondern theatralisch (performativ). Weitere wesentliche Aspekte des Schamanischen Wissens und Arbeitens sind Charisma und Trance. Diese Charakteristika sollen im Folgenden genauer behandelt werden.
5.2.2. Newage-Schamanismus und westlich-europäischer Synkretismus
@ :NEWAGE_SHAMAN
Es gibt noch eine andere Variation, die man den populär-esoterischen Newage-Sewage Schamanismus nennen kann. Nach W.I. Thompson ist die heute populäre Bewegung des "New Age" als "Newage" zu charakterisieren, im Reim mit "Sewage". Dazu ein Ausschnitt aus einem Interview von 1988 mit R.A. Wilson.
URL: (URL) http://www.wco.com/_aquaboy/raw.html

DAB: Let's talk about the whole New Age movement happening now, Shirley McClaine, crystal healing and all that: Didn't I hear something about you writing a book about that?
RAW: Yes, I'm writing a book about New Age sewage.
DAB: New Age sewage?
RAW: Yes, I got the idea from William Erwin Thompson, the anthropologist. He pronounces New Age as "Newage" so it rhymes with sewage. And I thought, boy there sure is enough of that around, isn't there, New Age sewage. Just because there's a slight chance people may not have read my other books, and may read The New Inquisition, and think I'm only against one type of fundamentalism, I decided to make the sequel to it, an attack on the imbeciles on the other side. And so, I'm going to tear into Ramtha and all these other sages who come back ... the main thing Ramtha proves is you can be dead 40,000 years and still be a bore. That may be interesting news, but that's ... Everything I've heard from Ramtha sounds like an editorial from the Reader's Digest in 1958 or something.
Then there are these ecological loonies who would like to abolish the human race so that the trees could live in peace again. I think they're kind of funny. Then there's these animal rights activists who also seem to have a very low opinion of humanity. I don't know why they don't all commit suicide, and get rid of the most, I mean, if you hate humanity, you've got to regard yourself as one of the prime offenders, because you know yourself better than the rest of humanity. If they have a low view of humanity, they must have a very low view of themselves. I wish they'd remove themselves from the scene and stop annoying the rest of us. I like people, I like humanity.

Heute bieten alle möglichen Scharlatane und Halbwisser dem Publikum im Westen auf "Schamanismus"-Seminaren mancherlei seltsam verquaste Versionen dieser alten Traditionen feil. Allerdings wäre es ungerecht, von falschen Schamanen zu sprechen, denn Schamanismus als Sammelbegriff spiegelt eigentlich nur das Unwissen westlicher Kreise über dieses Phänomen wieder, das charakteristisch ist für so viele indigene, bzw. altweltliche Kulturen der Menschheit. Ein Schamane ist nach diesem Verständnis eben auch ein Trickster, ein Schelm (auf Englisch auch Con-Man genannt), der sich und die anderen nicht immer sehr ernst nimmt und ihnen auch gerne mal Streiche spielt. Erst das Priestertum der Zivilisationen brachte den gravitätischen Ernst und die Humorlosigkeit in das Geschäft mit der Spiritualität. So kann man mit einer guten Portion Humor das Völkchen der modernen globalen Newage-Schamanen auch als Eulenspiegel-Gemeinde ansehen, die das Bier-ernste Geschäft der Spiritualität ein wenig aufmischt. Honni soit qui mal y pense! Echt sind solche Schamanen daher wohl schon, aber die Frage ist, wie gut sie sind, und wie tiefreichend ihr Wissen ist. In solchen Fällen ist die schwierige Entscheidung, ob ein bißchen Halbwissen besser oder schlechter als gar kein Wissen ist. Die andere Frage ist, ob es möglich oder sinnvoll ist, schamanische Traditionen anderer Kulturen hier importieren zu wollen oder zu können. Daran anschließend sollte gefragt werden, ob es nicht eine genuine westlich-abendländische Schamanismus-Tradition gibt, an die man auch anknüpfen kann.

Soziologisch- kultur-theoretisch stellt die buntscheckige Newage-Schamanen-Gesellschaft eine zweite Welle der Neuen Religiosität des westlich-europäischen Synkretismus seit dem 19. Jh dar. Seit etwa dem 18. Jh, als das Christentum seine Zwangsherrschaft über die Geister der europäischen Menschheit abgeben mußte, brach eine umfassende Sinnsuche aus, in der die Europäer versuchten, alles das, was ihnen an eigenen spirituellen Lebensinhalten verloren gegangen war, bei den Völkern der Erdteile, die sie unterjocht hatten, zu suchen. Die erste Welle begann, als im großen Stil Übersetzungen der heiligen Schriften des indisch- tibetischen Kulturkreises in europäische Sprachen gemacht wurden. Das geschah hauptsächlich in Folge der englischen Kolonialisierung Indiens, etwa ab Beginn des 19. Jh. Bald danach setzten diverse Schübe von Popularisierungen und Kult-Gründungen ein, am bekanntesten vielleicht die Mystizismen der Theosophischen Gesellschaft (Mme. Blavatski), die nun einen rasch anwachsenden Pantheon von unsterblichen erleuchteten Meistern des fernen Ostens hervorzauberten. Diese Welle ist noch lange nicht abgeebbt, und man kann globale Guru-Phänomene wie Maharishi Mahesh Yogi, Bhagwan-Osho, und all die Babas, Singhs, und Anandas, [395] sowie tausende andere aus dem Guru-Zirkus als reale und vor allem sehr geschäftstüchtige Inkarnationen dieser Phantasien von erleuchteten Meistern ansehen, die mit der sprituellen Sehnsucht der hiesigen Menschen vortrefflich Kasse machen. Vor dem Aufstieg der indischen Computer-Industrie war das "Guru-Business" (Erleuchtungs-Tourismus) sogar einmal einer der grössten indischen Handelsbilanz-Aktivposten.

Ab Anfang des 20. Jh. begannen mit dem Kolonialismus systematische ethnologische Forschungen und Expeditionen durch alle noch übrig gebliebenen indigenen Kulturen der Menschheit, die von der westlichen Eroberung nicht vollends zerstört worden waren. Die zweite Welle des westlich-europäischen Synkretismus begann ernsthaft mit den Erfolgsromanen von Carlos Castaneda, deren ersten Band er sogar als Dissertation ins Nest einer nichtsahnenden Ethnologen-Gemeinde plazieren konnte. Damit begann dann die breite kommerzielle Vermarktung indigenen Wissens (oder was man dafür hielt) auf dem schon gut vorbereiteten Esoterik-Markt der europäisch-amerikanischen Kultur, der "Aufstieg in die höheren Sphären der Vermarktung", oder wie man heute auch sagen könnte: Die Globalisierung des Schamanismus.

5.3. Der Schamane als Bewahrer einer Tradition indigenen Wissens

Ein Schamane soll hier der/die heißen, wer als Bewahrer und Hüter eine Tradition indigenen Wissens pflegt und weitergibt. [396] Hierbei handelt es sich um spezielle Wissensformen, die weniger auf praktische handwerkliche Tätigkeiten des täglichen menschlichen Bedarfs wie Werkzeug- und Gegenstände-Herstellung, oder Pflanzen- und Tierzucht gerichtet sind, sondern auf Heilung sowohl im individuellen, wie auch sozialen Bereich, sowie Kommunikation und Interaktion mit den spirituellen Aspekten von Natur und Kosmos. (Diese können z.B. als Geist-Wesen aufgefaßt werden). Allerdings muß vor dem unbedachten Gebrauch des Wortes "spirituell" ernsthaft gewarnt werden, denn dies ist ein durch und durch westliches Konzept, das aus unserer cartesischen Spaltung von Geist und Materie herrührt, welche für das schamanistische Weltbild keinesfalls so gilt. Das soll später behandelt werden, zuerst werden andere wesentliche Charakteristika des schamanischen Wissens genannt.
5.3.1. Charismatisches Wissen
Schamanisches Wissen ist charismatisch, im Gegensatz zur rationalen Wissensform der westlich-europäischen Tradition. Was bedeutet aber charismatisch? (Siehe Fußnote [397] zu weiteren Hintergründen von Neuronal-Theorien und Charisma). Eine Definition wie die von Max Weber ist hier nicht sehr hilfreich, weil Weber als rationaler europäischer Wissenschaftler nur den rational-sprachlichen Aspekt von Charisma in einen Begriff kleiden kann. Aber Charisma ist wesentlich unbegrifflich, und entzieht sich beharrlich einer Definition. Es läßt sich nur umschreibend darstellen, und dies ist der Hauptgrund, warum ein Verständnis des Schamanismus in unserer rationalen westlichen Welt so schwierig ist, und warum hier so viele Pseudo-Schamanen so erfolgreich ihr Unwesen treiben können.

Charisma ist ein Phänomen aus dem Spektrum der Empathischen Kommunikation. Jemand, der eine besondere Fähigkeit zur empathischen Kommunikation hat, wird als charismatisch bezeichnet. Im Westen ist das Bewußtsein der Bedingungen der empathischen Kommunikation weitgehend verloren gegangen, unter anderem als Folge der stark formalisierten, schrift- und Medien-gebundenen Kommunikations- und Herrschafts-Formen in unseren "zivilisierten" Gesellschaften. Als typisches Beispiel ist etwa die Bürokratie zu nennen. [398] Einige weitere Hintergründe hierzu: Daniel Goleman "Emotionale Intelligenz" (2001) und andere populäre Bücher. Max Weber gibt in seinen Schriften unwillkürlich das Unverständnis und die Abneigung der formal gebildeten Kreise gegen das Charisma wieder.

Westliche Menschen haben aufgrund der extrem rationalen Strukturen der Zivilisation, in der sie leben, insbesondere der ebenso extrem einseitig rationalen Erziehung, die sich vorwiegend an den formalen Standards des IQ orientiert, [399] einen schon Jahrtausende währenden Prozess anti-charismatischer Konditionierung durchgemacht, der sich auch in der genetischen Konstitution der europäischen Bevölkerungen manifestiert hat. Man kann z.B. Phänomene wie die Bogomilen- / Katharer-Vernichtung und die Hexen-Ausrottung als eugenische Exterminations-Programme von Menschen mit charismatischen Anlagen ansehen. [400] Eine andere Form genetischer Unterdrückung der charismatischen Fähigkeiten war die christliche Sitte, solche Menschen bevorzugt in den geistlichen Stand zu schicken, wo sie von der Weitergabe ihrer Gene abgeschnitten wurden. Das Charisma wurde gewissermaßen aus unseren westlichen Gesellschaften exorziert. Mit gelegentlichen "Ausrutschern": Man kann Adolf Hitler als einen der größten Charismatiker des 20. Jh. bezeichnen, der in Joseph Goebbels einen teuflisch schlauen Mephisto-Helfershelfer gefunden hatte, der es verstand, mit den neuen technischen Massen-Medien einen maximalen Durchschlagseffekt des neuronalen Charisma-Potentials zu erzielen.
5.3.1. Charismatische Traditionen in islamischen Ländern
@ :CHARISMA_ISLAM
Umgekehrt finden wir andere Kulturen, in denen Charismatiker bevorzugte Stellungen einnahmen, in denen auf systematische Pflege des Charisma-Potentials hingearbeitet wurde. Die Sufi-Bewegnungen des Islam sind ihrem Wesen nach charismatisch. Im mystischen Islam lebt die charismatische, schamanistische Tradition auf ihrem Platz an der Unterseite der formalen, rationalen, orthodoxen Struktur des schriftgebundenen Islam weiter. Im Sufismus ist die Barakah eine Esszenz des Charisma, die von einem Heiligen ausgeht. Besonders zu nennen ist die shiitische Faktion des Islam, in der die charismatische Abstammungs-Linie von Ali eine Art "Gral" darstellt. [401] Ihr entstammen so berühmte Persönlichkeiten wie Hassan e Sabbah, auf seiner lange unbesiegbaren Festung Alamut, von der aus die Sekte der Assassinen/ Hashishinen ihre Aktivitäten konzertierte. Ein anderer war Rashid ad-Din as-Sinan, auch als der "Alte vom Berge" bekannt. Diese Sekte war eine Untergruppe der Ismailiten, die auch heute noch in Indien und Pakistan weite Anhängerschaft hat, unter ihrem Oberhaupt des Aga Khan. Heute findet anscheinend die alte Assassinen-Tradition ihre Wiederkehr und Wieder-Auferstehung in den Aktivitäten militanter islamischer Fundamentalisten, etwa Osama bin Laden, der wohl Anspruch als Reinkarnation von Hassan e Sabbah erheben kann.

5.4. Neuronale Typen: "Sein und Zeit", oder "Sein oder Nichtsein"

Schamanische Begabung hat mit bestimmten Organisations-Strukturen des Neuronal-Systems zu tun. Hierzu findet sich in einem anderen Kapitel "Die Prinzipien der Meta-Morphologie" schon eine Betrachtung dieser Grund-Unterscheidungen menschlicher neuronaler Organisation. Dort wird es so genannt: "Die mentale Struktur und die morphische Struktur": ->: META_MORPH, p. 101
5.4.1. Verschiedene Typen menschlicher neuronaler Organisation
Gehen wir davon aus, daß 90 % der heute lebenden Menschen von ihrer genetischen und neuronalen Konstitution dem "homo robustus" oder "homo practicus" Typ angehören, soll heißen: sie kümmern sich vorzugsweise um die praktischen Dinge des Lebens, wie Essen, Trinken, ihre Arbeit, ihr Auto, ihren Urlaub, ein Dach über dem Kopf, und einen Mann oder eine Frau, um eine nette Familie mit vielen lieben kleinen Kinderlein zu gründen. Sie sind die "Normalos". Diese Art von Existenz bekommen wir im Fernsehen täglich so penetrant als die Ideologie des "American Dream" vorgeführt. [402] In Deutschland ist diese Lebensweise etwa durch den schwäbischen "schaffe schaffe Häusle baue" -Prototyp charakterisiert.

Der "American Dream" vom "Pursuit of Happiness" ist aber eisern darin festzementiert, daß man immer einen Standard des "keeping up with the Joneses" zu befolgen hat, d.h. er basiert auf einer bestimmten Form von Konformität, innerhalb derer das so definierte Lebensglück zu erlangen ist. Und nur innerhalb derer. Und das Fatale an diesem System ist, dass es ein "Red Queen" -Syndrom ist" [403] Wenn man diese Konformität nicht einhalten kann, dann wird es mit dem Lebensglück auch etwas schwieriger. Daher auch der treffende Spruch: "The Human Race has turned into a Rat Race." Nun müssen wir nämlich auch die obige Zahl von 90% "Normalos" wieder revidieren. Genauer gesprochen, sind es nämlich nur 90%, die es versuchen, wie die "Normalos" zu leben, und den "American Dream" vom "Pursuit of Happiness" nachzumachen, der ihnen im Fernsehen und in der Werbung vorgeführt wird. Und von denen, die es versuchen, scheitern wiederum 90% auf die eine oder andere Weise: Zwar mögen sie unter Mühen eine Fassade von "Normalo"-Dasein aufrechterhalten, aber unter der glatten Oberfläche brodelt und gärt es. Und so leben Millionen und Milliarden von Menschen als Schatten, einer aufgeprägten, nicht eigentlichen Persona, die nicht die ihre ist, und die im Laufe des Lebens immer schwerer auf ihnen lastet, so dass immer mehr von ihnen irgendwann als ausgebrannte Persona-Hülsen in Zivilisations-Leiden ver-fallen: in Alkoholismus, Drogensucht, Neurose, Psychose, Krebs und Demenz.
->: LUZIFER_AHRIMAN, p. 173

Wir werden als Originale geboren, und sterben als Kopien.
(Frederic Vester)
5.4.2. Schamanen und die "Misfits" der Gesellschaft
Oben habe ich gesagt, dass es etwa 10% der Menschen gibt, die sich nicht ganz so leicht in das "Normalo"-Muster einordnen lassen, die aber auch nicht einfach auf einen anderen klaren Nenner zu kategorisieren sind. [404]

Schamanen rekrutieren sich vorzugsweise aus dieser Rest-10% Gruppe, die man vielleicht als "Sonderlinge" oder "Misfits" bezeichnen kann, weil sie irgendwie nicht in die Gesellschaft der "Normalos" hineinpassen, aber man weiss eigentlich nicht so recht, warum sie nicht passen (engl. := fitness). Deshalb ist es auch praktisch die Norm, daß ein potentieller Schamane/in irgendwann als Kind oder in der Jugend durch eine Lebenskrise gehen muß, die auch als die "Schamanische Krankheit" bekannt ist. D.h. irgendwann merkt ein potentieller Schamane, daß er/sie nicht in die Welt der "Normalos" paßt, aber er/sie weiß natürlich nicht, warum, sondern erfährt im Leben nur allerlei Mißgeschick, Krankheit, Vernachlässigung, Ablehnung, Brutalisierung und ähnlich unersprießliche Lebenserfahrung. Aber von den 10% Misfits werden vielleicht nur 1-10% auch Schamanen. Die in der Literatur zu findenden Berichte von den Lebens-Schicksalen von Schamanen machen natürlich keine Erwähnung von denen, die gestorben sind, ohne diesen Berufungs-Weg zu finden. Denn zu Zeiten und an Orten, als 50-70 % aller geborenen Kinder vor dem 12. Lebensjahr wieder starben, war es eine eiserne Selektionsregel. daß die weitaus meisten Menschen, die in ihre Gesellschaft nicht passen, früh sterben oder kinderlos bleiben, oder sie werden marginalisert, als Einsiedler, Eremiten, Hexen, oder Ausgestoßene und Kriminelle. Das ist das eiserne Gesetz des "Survival of the Fittest", welches menschliche und tierische Gesellschaften beherrscht, das dafür sorgte, daß immer 90% der lebenden Menschen das Leben so weiterführten, wie "wir es schon immer gemacht haben".
5.4.3. Neuronale Typen von "Sein und Zeit", oder "Sein oder Nichtsein".
Vielleicht eine der besten und bekanntesten Typisierungen des tragischen Schicksals eines potentiellen Schamanen in einer christianisierten westlich-"zivilisierten" Gesellschaft wurde von Shakespeare im Hamlet gegeben. Seine Schicksalsfrage "Sein oder Nichtsein" enthält in Nucleo das unlösbare Dilemma, vor das ein Mensch mit schamanischen Anlagen in einer solchen Gesellschaft gestellt ist, und an dem er fast unweigerlich scheitern muß. Denn die Frage ist eine ausweglose Alternative, wenn man nicht ihre grammatische Falle erkennen kann: Es gibt nämlich zwischen "Sein oder Nichtsein" noch das große offene Feld des Werdens oder der Potentialität. Wer aber auf die Denk-Alternativen von "Sein oder Nichtsein" fixiert ist, für den gibt es keinen Ausweg, und er muß tragisch scheitern, so wie Hamlet. Hier kommt es auf das Verhältnis von "Sein und Zeit" an, aber in einer ganz anderen Weise, als Heidegger das intendiert hat. Zeit ist nämlich nicht nur eine Bedrohung, sondern auch Potentialität. (Wie Heidegger es als durch und durch "Normalo" bürgerlicher Philosoph unweigerlich darstellen mußte). Und Potentialität ist immer auch eine Gefahr für die Aktualität, oder den Status Quo, weil Veränderung die Zerstörung des Existierenden bedeutet. [405]

Das neuronale System ist unsere Grundausstattung für das Überleben auf diesem Planeten und sorgt mit seinen Realitäts- Konstruktoren und -Filtern dafür, daß wir uns um die überlebens-relevanten, greifbaren und essbaren [406] Dinge des Lebens kümmern. Das ist die Welt des Habens (Nach Erich Fromm), [407] oder der "Seienden Dinge", der Tatsachen, eben die Welt der "Normalos". [408]

Schamanische Wahrnehmung beruht auf einem andersartigen Verhältnis von Aktualität und Potentialität als bei dem Normalo-Durchschnitt der Menschheit. Dies läßt sich mit einem einfachen Test deutlich machen: Bestimmte Szenen, die für die einen nur ein verwirrendes Chaos bilden, enthalten eine Fülle von Bildern und Vorstellungen für die anderen. So etwa die Wolkengebilde am Himmel, oder die Sonnenflecken-Muster auf der Oberfläche eines Sees, oder Nebel, Kaffeesatz, oder ähnliches mehr. Wer aus dem Stand in der Lage ist, aus solchen Mustern konkrete Bilder von Vergangenheit und Zukunft zu lesen, hat vermutlich eine natürliche Eignung zum Schamanen. In heutigen Zivilisationen landen solche Charaktere aber meistens eher in der Psychiatrie und bekommen hohe Dosen von Psychopharmaka, so dass ihnen die Neigung, aus solchen Mustern die Zukunft zu lesen, oder sie gar als "Botschaften Gottes" zu interpretieren, wieder schnell vergeht.

Lily Tomlin: "Why is it when we talk to God, we're said to be praying, but when God talks to us, we're schizophrenic?"

6. Peri mnaemae kai ana-mnaesis, peri ais-thaesis kai phainosis

@ :PERI_MNAEME
Hier eine Kurzfassung des WWW-Artikels:
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro07.htm
6.1. Proimion
Please allow me to introduce myself, I am a man of mnaemae and phrenae, Mnemo is my name, and peirasis is my game. [409]/ [410]

Nemo (=outis, maedeis, oudeis -> Odysseus, Od. 9,366), der Kapitän (gubernator = kybernaetaes) [411], der seine Fahrten in einem {unsichtbaren / untergetauchten / untergegangenen} Schiff (nao-telos, -> naos, -> argo) (in Gedanken -> noos, -> nous) unter der Oberfläche des sichtbar Wahrnehmbaren (des phainomenon), daher im Verborgenen (mae-phaino) durchführt. Mnemo verbindet Erinnerung, mnaemo-synae (-> sym-plexis, sym-ballein, syn-apsis) und Erscheinung im Gedächtnis: mnae-phaino- / phaisto- -> phaino-menon -> ho phainon -> phos -> phonae, als Aufscheindendes (phaino-menon) in Form (mor-phae) von Gesehenem (phos) und Gehörtem (phonae). [412]
6.2. Klangfelder und Morphogramme
@ :MORPHOGRAMM
Eine wesentliche Arbeitsmethode der vorliegenden Untersuchung ist der Zugang über die Klangfelder [413] der griechischen Worte, die als Morphogramme interpretiert werden. Mor-phae- gramma: eine Klang-Form, wie sie mit den grammata (Buchstaben) aufgezeichnet werden kann. Eigentlich also ein mor-phae-phono-gramm, dessen Klangform (phonae-mor-phae) sich mit einem geeigneten multimedialen System darstellen ließe. In der Linguistik gibt es ein ähnliches (aber anders gebrauchtes) Konzept des Morphems. Die Theorie dieses Vorgehens wird weiter unten ausgeführt, jetzt wird sie nur eingesetzt.

Heidegger sagt in seiner Besprechung der Physik des Aristoteles in (1976b: 242):
Allerdings ist dieses [des Aristoteles] erste denkerisch geschlossene Begreifen der physis auch bereits der letzte Nachklang des anfänglichen und daher höchsten denkerischen Entwurfs des Wesens der physis, wie er uns in den Sprüchen von Anaximander, Heraklit, und Parmenides noch aufbewahrt ist.

Hier befinden wir uns also am Anfang (archae) der Entwicklung, die als der "Übergang vom Mythos zum Logos" bezeichnet wird. Einen Schritt weiter zurück, und wir befinden uns jenseits der Grenze, bei Hesiodos, hier dargestellt in der Version von Ivan Illich (1988: 13):
At the time when heaven still embraced the earth, when Uranus still lay with full-hipped Gaia, an aeon before the Olympian gods, the Titans were born and with them, memory, or Mnemosyne. In the Hymns to Hermes, she is called the Mother of the Muses. She is the earliest of the goddesses, preceding even Apoll with his lyre. Hesiod mentions her as the goddes of the first hour of the world... When the god Hermes plays to the song of the Muses, its sound leads both poets and gods to Mnemosyne's wellspring of remembrance. In her clear waters float the remains of past lives, the memories that Lethe has washed from the feet of the departed, turning dead men into mere shadows.
6.3. mnaemae
@: MNAEMAE
Hier finden wir auch den ersten Kernbegriff aus unserem Titelthema: mnaemae: das Gedächtnis. Andere verwandte Formen sind: mnaema, mnaemeion, mnaemo-syne. Der mythologische Stammbaum der altgriechischen Götter, der von Hesiodos gelistet wird, führt die mnaemosyne als eine der ältesten Göttergestalten an. Wir können davon ausgehen, je älter, desto ursprünglicher, und damit auch zentraler ist sie. Daher hat die mnaemosyne eine besonders wichtige Stellung im Denken der archaischen Kultur. Alle epischen Dichtungen von Homer und Hesiodos enthalten ausgiebige Huldigungen an sie. Ihre große Bedeutung in dem vorschriftlichen Zeitalter, als die kulturellen Werte noch von den Aoidoi (Sänger und Dichter) im Gedächtnis tradiert wurden, als es noch keine Schrift, und keine Bücher gab, ist verständlich. Natürlich wurde mnaemosyne nicht nur profan als Gedächtnis begriffen, sondern als die Quelle der Inspiration, und der göttlichen Eingebung, der Weissagung und der Prophesie.

mnaomai, mnomai, und mimneskomai sind mit mnaemae verwandte Verbformen. Jean Gebser (1973) hat das Feld ähnlich klingender Wortformen in den indoeuropäischen Sprachen untersucht: Menis, Mens, Manas, Mensch. Ob das nach etymologischen Maßstäben machbar ist, soll hier nicht behandelt werden.
6.4. ana-mnaesis
ana-mnaesis: bedeutet Er-Innerung. Damit verwandte Verbformen sind ana-mignymi, ana-meignymi, ana-mimnesko. Wir sehen daran, daß die Morphogramme mnae- mign- meign-, mimn- über ihre ähnliche Bedeutung in Verbindung stehen. Man kann anamnaesis auf zwei Weisen verstehen: entweder als ana- mnaesis, was einen Aufstieg oder ein Entlanggehen (ana-) [414] andeutet, und gut auf das Bild paßt, das Aristoteles in "peri mnaemae" mit dem Entlanghangeln an einer Assoziationskette darstellt. Die andere Möglichkeit ist an-a-mnaesis.
a-mnaesis ist das Vergessen. a- bedeutet Negation, und so ist die a-mnaesis die Negation von mnaemae. an-a-mnaesis kann also auch als doppelte Negation gedeutet werden.
6.5. laethae und a-laetheia
@: LAETHAE
Ein damit nahe verwandtes Begriffspaar ist laethae (Vergessen) und a-laetheia (Wahrheit, Wahrhaftigkeit). Wie Illich uns oben darstellt, war laethae in der Mythologie sowohl eine Göttergestalt, als auch ein Fluß, von dessen Wasser die Seelen der Toten trinken mußten, wenn sie sich wieder auf die Welt in eine Wiederverkörperung gebären lassen wollten. [415] Deshalb hat der philosophische Begriff der a-laetheia eine noch weitere mythische Bedeutung, der über die philosophische Version hinausreicht. Alaetheia bedeutet nämlich damit "die Wieder-Er-Innerung" ana-mnaesis, der Erfahrungen aus einem {anderen/ früheren} {Dasein/ Existenzen}. [416] Nach der Mythologie (Iamblichos) ist diese Form der alaetheia mit der Errungenschaft des Pythagoras verbunden, der von den Göttern ein Geschenk bekommen sollte. Zwar konnte er nicht unter die Unsterblichen aufgenommen werden, und so wünschte er sich die alaetheia seiner früheren Leben. Ihm blieb also das Schicksal aller anderen Sterblichen erspart, zwischen Tod und Wiedergeburt alle Erinnerungen an die früheren Leben zu verlieren.
6.6. chiasma
Wir können die Begriffe in ein Kreuzverhältnis (chiasma) setzen:

mnaemae a-mnaesis

an-a-mnaesis

a-laetheia laethe

Der interessante philosophische Bezug ist hier in der Analogie zu sehen, die bei Platons an-a-mnaesis zwischen dem Er-innern und der Findung der Wahrheit, a-laetheia besteht.
6.7. phaino, phos, phonae
@: PHAINO
Um einen Zugang zu finden, was man in Altgriechenland beim Sprechen und Hören dieser Worte verstand und empfand, untersuchen wir ihren Gebrauch in den alten Werken und behandeln auch die benachbarten Klangfelder. Das Verb phaino bedeutet: Zum Licht phos (Leuchten) oder zum Klang phonae [417] (Klingen) bringen. Ho phainon ist auch der Name für den Saturn, und es ist ebenfalls der Beiname für den Schmiedegott He-phaistos. Dieser arbeitet sowohl mit hell glühenden und glänzenden Metallen, und bringt sie mit seinem Hammer und Amboß zum hellen Klingen. phoibos ist der Lichtgott Apollon . Die Göttin Athaenae wird auch phain-ops oder glaukops (die hell- oder Eulen-Äugige) genannt.

Varianten von phos sind phoos und phaos , phaous , photos . [418]
photisma , phoibos: Glanz, hell erscheinend, blendend, schimmernd, leuchtend, funkelnd.
phoibasma, phoibetes: Prophet, Orakel, Weissagung.
phoinos : Purpur, Phoenizisch, dunkel rot (glühend).
phosphoros : Glück, Heil, Rettung.

Über phaino sind phos und phonae verbunden. phonae ist das Morphogramm, das mit allen Phänomenen des Klangs und der Stimme verbunden ist. phaemi heißt Sprechen, [419] phaemae heißt Rede. phthongae ist ein weiteres Wort für Ton und Klang.
6.8. ais-thaesis und phaino{p/e}sis
Wir wenden uns nun den beiden anderen Begriffen zu: der ais-thaesis: (Wahrnehmung), und der phaino{p/e}sis: (Vorstellung). [420] Die phaino{p/e}sis ist ein Kunstwort, das wir für diesen Zweck bilden. Wir kennen alle das phaino-menon, das ja ein philosophischer Zentralbegriff ist. [421] Das Phänomen ist das, was erscheint (als das Wahrgenommene oder das Objekt), und die phaino{p/e}sis ist der Prozess, indem es erscheint. ais-thaesis bezeichnet den Teil der phaino{p/e}sis, in dem ein Objekt der äußeren Wahrnehmung wahrgenommen wird (Ding-Gebilde), oder auch phainopsis. Das nou-menon kennzeichnet das Objekt der inneren Wahrnehmung (das Denk-Gebilde), oder auch phainoesis. [422] Schopenhauers (1977) Begriff der Vorstellung erlaubt es, die beiden Seiten dieser Differenzierung im Blickfeld zu behalten. Denn eine Vorstellung ist entweder das, was man als Vorstellungsbild erfährt, als auch der Prozess der Vorstellung, wie in einem Theaterstück (theatron).
6.9. Kata-basis: die neuronale Infrastruktur
"What goes up, must come down, that is the eternal merry-go-round"

Katabasis: Hinabgehen, Rückzug, Rückkehr. kata: herab, hernieder, gegen, abwärts, hindurch.

Wir kehren nun um und begeben uns in die Niederungen unserer neuronalen Infrastruktur. Die vorgegangen Betrachtungen sollen nun mit einigen Erkenntnissen aus der Neurologie verbunden werden. Da das Thema schon hinreichend bekannt ist, brauchen wir hier nur wenig Zusätzliches zu sagen. Wir beziehen uns auf die Ansätze, wie man Neuronen als Felder oder Assemblies interpretieren kann, besonders auf eine Metapher, die man als "Spin-Gläser" [423] bezeichnet. Weiterhin soll der dynamische Aspekt von Neuronenfeldern besonders akzentuiert werden.
6.10. Die neuronale Resonanz
@ :NEUR_RESONANCE
Von den Sinneszellen werden die Wahrnehmungsleistungen in Pulscodierungen der neuronalen Aktionspotentiale umgewandelt, und über verschiedene Zwischenstufen (Ganglienknoten / Rückenmark) ins Zentralnervensystem (Gehirn) geleitet. Von dort werden wiederum neuronale Pulscodierungen an die ausführenden (motorischen, endokrinen, exkretorischen) Körpersysteme geleitet. Das Gehirn befindet sich in ständiger neuronaler Aktivität, und seine Struktur, die synaptischen Verbindungen seiner Neuronen untereinander, ist in ständiger Veränderung. [424] Während die Welt des Erlebens ihre charakteristischen sinnlichen Qualitäten (Qualia) aufweist, ist die Arbeitsweise des neuronalen Systems digital, sie beruht auf den Pulsfrequenzen der Aktionspotentiale.

Im folgenden soll das Grundprinzip der Arbeitsweise des neuronalen Systems die Neuronale Resonanz genannt werden. Die Neuronen des Gehirns stehen in einem wechselseitigen Stimulationsprozess. Wenn man die Potentiale während eines solchen Prozesses mißt, so kann man eine Frequenz-Synchronisation feststellen. In Analogie zu klanglichen Phänomenen läßt sich daher Kommunikation als ein neuronales Resonanz-Phänomen auffassen. Es lassen sich somit Einschwing- und Ausschwing-Phasen und Periodizitäten, also Rhythmen, feststellen. [425] Damit bilden Neuronenfelder spatiale und temporale Muster aus.

Nun formulieren wir eine Arbeitshypothese: Worte müssen ausgesprochen und verstanden werden, sie bauen also auf extrem subtile neuro-muskuläre Konfigurationen auf. Es ist allseits bekannt, daß von allen möglichen Phonemkombinationen jede Sprache nur eine sehr kleine Untermenge verwendet, ein Indiz dafür, daß ein "Sprachzeichen", das Wort, einem sehr engen Selektionskriterium folgen muß, um im "Sprachschatz" seinen Platz zu finden. Dies kann begriffen werden als ein "Feld" von aktiven, dynamischen, aufeinander einwirkenden neuronalen Konfigurationen.

Die oben dargestellten Überlegungen zu der alten griechischen Geisteswelt basieren auf der hypothetischen Arbeitsweise solcher Neuronenfelder.

7. Noologische Märchen

@ :NOO_MAERCHEN
Ich habe in vorhergehenden Kapiteln schon das Thema Mythos und Märchen angesprochen, und die spezielle Technik erläutert, wie diese in der Noologie eingesetzt werden. ->: MYTHOS_MAERCHEN, p. 56; ->: NOO_PARADIES, p. 142

Hier folgen weitere Beispiele für Noologische Märchen, etwas alternative Geschichten im Sinne von Paul Feyerabend, wie sich bestimmte wichtige Entwicklungen in der Ur-Zeit auch anders zugetragen haben können, als es die populären Schemata der Kosmologie vom Urknall oder der Evolution der Menschen annehmen.

7.1. Wie der Mensch auf den Hund gekommen ist

7.1.1. Eine Geschichte aus der Ur-Urzeit der Mensch - Tier Lebensgemeinschaften
@ :DOMESTIKATION
Dies ist eine alternative Darstellung der Geschichte der Domestikation des Hundes, die einige populäre Ideen vom Fort-Schritt allgemein, und vom Leben der Menschen in der Urzeit, "vom Kopf auf die Füsse" stellt.
7.1.2. Das Märchen vom Fort-Schritt
Dazu eine Vor-Bemerkung: Dies ist eine Geschichte gegen bestimmte etablierte Vorstellungen vom Fort-Schritt, gegen die evolutionistische sozial-darwinistische, anthropo-zentrische Ur-Geschichts-Schreibung oder Prä-Historien-Dichtung, [426] deren Grundmuster sich schon bei Thomas Hobbes zeigen. [427] Der Fort-Schritt wird hier entkleidet als eine unheilvolle Folge von Konsequenzen, bei denen jeder "Schritt" immer weitere unbedachte und unheimliche Nebenwirkungen zeigt, die ein immer weiteres Fort-Schreiten immer weiter weg von einem Zustand des Gleichgewichts von Mensch und Biosphäre erzwingen. Das hier beschriebene Szenario basiert auf einrer Neu-Interpretation der antiken/ alt-weltlichen Denkweise der Vier Zeitalter (Hesiodos), nach der sich die Verhältnisse seit der Ur-Vergangenheit, dem Goldenen Zeitalter (dem Aion Chryseon), [428] durch die akkumulierenden Folgen des Fort-Schritts nur immer mehr zum Schlechteren gewendet haben. Diese Sichtweise wurde noch von Giambattista Vico vertreten, [429] aber heute ist sie "politically incorrect" und wird in der populären Literatur totgeschwiegen. Es gibt nur noch einige Außenseiter wie René Guenon und Julius Evola (:= anti-Evolution), die sie vertreten.
7.1.3. Die Inter-Spezies-Kooperation
Aber im Gegensatz zu Vico, Guenon, und Evola basiert diese Geschichte auf einer anderen Grundlage, warum die alten Mythen vom Paradies heute mit neuer Aktualität doch wieder ernst zu nehmen sind: Dem Prinzip der Inter-Spezies-Kooperation (Kropotkin), oder dem Globalen Netzwerk des Lebens (H. Bloom). [430] Auf dem gesamten Planeten Erde gab es vor ca. 1,000,000 bis vor 10,000 Jahren riesige Gebiete mit einer "paradiesischen" Natur, die sich anscheinend im ökologischen Gleichgewicht mit den Eispanzern der immer wieder kommenden und gehenden Eiszeiten befanden. Es war das Zeitalter der "pleistozänen Megafauna", und es gab riesige Tierherden, und der Planet quoll über von Leben. In diesem "Schlar-Affenland" brauchten sich die relativ wenigen Menschen nicht um ihr Überleben sorgen, denn sie hatten sich in sehr profitable Inter-Spezies-Koalitionen mit anderen Tierarten begeben, die ihnen willig alles gaben, was sie zum Leben brauchten, im Austausch gegen gewisse Dienste, die ihnen nur die Menschen geben konnten. Diese Herrlichkeit fand ihr abruptes Ende vor ca. 10,000 Jahren, als auf dem ganzen Planeten die Tierarten in Massen ausstarben, ohne daß irgend eine besonders gravierende Katastrophe geologisch nachzuweisen wäre. Das sog. End-Pleistozäne Massen-Sterben (Hester 1967).
7.1.4. Wer hat Wen domestiziert? Das ist hier die Frage
In unserer speziellen Geschichte der Domestikation des Hundes wird diese tiefer liegende Frage aufgegriffen: Wer hat hier Wen domestiziert? Man hat in der konventionellen etablierten Historien-Dichtung möglicherweise wichtiges Material ignoriert, das die Humanisten noch sorgfältig aus der Überlieferung der alten Völker mit-tradiert hatten: so etwa den Mythos der Römer von der Entstehung ihres Volkes. Es widersprach einfach zu sehr den jüdisch-christlichen Herrschafts-Denkbahnen, dem Hund irgendeine andere als völlig untergeordnete Stellung in der menschlichen Geschichte zuzubilligen. (Nach der semitischen Werteordnung gehört der Hund ja zun den niedrigsten und verachtenswertesten Tieren, wenig besser nur als das noch schlimmere Schwein [431]). Die Domestikation des Hundes hat sich nach unserer Version nämlich ziemlich genau umgekehrt zugetragen, als wie es die orthodoxe Ur-Geschichts-Mythologie uns weismachen will.

Und zwar ist dieses Geschehen vielleicht so passiert, wie es uns die Mythologien der alten Völker als das Ur-Ahnen der tiefsten Vergangenheit der Menschheitsgeschichte übermittelt haben. Wie es der Mythos von Romulus und Remus erzählt, und wie es in jener uralten indischen Bauernlegende erzählt wird, [432] aus der uns Rudyard Kipling seinen Mowgli-Roman für die Geschmäcker seiner viktorianischen Herrenmenschen-Zeitgenossen zusammengeklittert hat. [433] Aus vielen Begebenheiten bis in unsere Zeit wissen wir, dass nicht nur die Menschen Wolfsjunge bei sich aufgenommen haben, und sie aufgezogen haben, sondern dass es auch immer wieder vorkam, dass Wölfinnen ein Menschenkind ernährt und grossgezogen haben. Das kam in der Ur-Zeit sicher noch öfter vor. Und so kehren wir ein Stück dieser Ur-Geschichte um: Denn es war die Domestikation des Menschen durch den Wolf, dem Ur-Vater des Hundes. Und der Hund ist das Erinnerungsstück, das uns der Wolf hinterlassen hat, zum ewigen Gedenken an das epochale Geschenk der Domestikation des Menschen, das er uns vermacht hat. Denn der Wolf hat den Menschen domestiziert, und ihn damit erst zum Menschen gemacht, das was er heute ist, indem er ihm erst das soziale Leben beigebracht hat. Das war vor ungefähr 1 Million bis 100,000 Jahren, "nichts genaues weiß man nicht". [434]

Als die Vorfahren der Menschen im damaligen pleistozänen Afrika nolens volens aus den Bäumen heruntersteigen mußten, weil die Wälder immer lichter wurden, und es in den Baumkronen einfach nicht mehr genügend zu futtern gab, da mußten sie sich für die Lebensweise am Boden gründlich umstellen. In vielen alten Legenden der Ur-Völker (Indianer und Aborigines) wird uns erzählt, wie die Ur-Ahnen der Menschen sich der Hilfe anderer Tierarten anvertrauen mussten, um in der gefährlichen neuen Umwelt überleben zu können. Hier liegen die Ursprünge der Tier-Clan-Mythen, nach denen sich die Stammesvölker dann durch die Jahr-Zehntausende hindurch ausgerichtet haben, um die alten Ur-Lehren nie zu vergessen. Verschiedene Gruppen der Prä-Anthropoiden gingen mit verschiedenen Tierarten Bündnisse ein. Hier soll die Geschichte der Wolfs-Menschen erzählt werden.
7.1.5. Die Wolfs-Menschen
Die Wolfs-Menschen waren eine Gruppe von Prä-Anthropoiden / Prä-Hominiden, die symbiotische Lebensgemeinschaften mit den Wölfen eingingen, wie es z.B. die heutigen australischen Aborigines mit ihren Wild-Hunden, den Dingos, noch heute machen. Das Sozialleben der Wölfe war für sie das Muster, nach dem sie ihr eigenes Leben strukturierten. Natürlich muß man zuerst fragen, warum die Wölfe die Ur-Menschen nicht einfach auffraßen. Das Feuer war ein Grund, aber der andere, wohl wichtigere, war das Lausen und Kraulen, das die Anthropoiden dank ihrer Affen-Hände einfach besser konnten als die Wölfe. Das, und nicht der in der konventionellen Historien-Dichtung so vielgepriesene Stein-Werkzeug- (oder Waffen-) Gebrauch, war die Ur-Errungenschaft, warum die Hände dem Menschen so wichtig wurden! Diese Entwicklung fand unabhängig in verschiedenen Regionen der Erde statt; da, wo die gewaltigen Tierherden des Pleistozän ihre Wanderungen zogen, wie sie uns z.B. in den Malereien von Altamira, Lascaux, und Chauvet dargestellt sind. Beide Parteien, Wolf und Anthropoiden, waren dabei relativ unabhängig voneinander, aber sie profitierten voneinander. [435] Erst durch Nachahmung der starken, eng koordinierten Kooperation des Wolfsrudels konnten die Menschen später selber zu erfolgreichen Jägern werden, und den Rest der Tierwelt dominieren. Und es waren die Muster dieser engen Kooperation, die es ihnen später ermöglicht haben, dann ihre nächste evolutionäre Stufe zu erklimmen, nämlich die Herausbildung ihrer Sprache und ihrer Kultur. Ihre Sprache lernten die Menschen von den anderen Tieren, indem sie deren Signale nachahmten und weiterentwickelten. Die Wölfe waren mit ihren all-nächtlichen Mond-Arien die unbestrittenen Gesanges-Meister der Urzeit - bis es die Menschen ihnen nachmachten, und sich bald als die besseren in dieser Kunst erwiesen. Aber für diesen "Erfolg" mußten die Menschen teuer bezahlen - mit der Vertreibung aus dem Paradies.
7.1.6. Das Paradies: ein pleistozänes Schlar-Affen-Land
Und auf diese Weise ist es auch leicht zu erklären, wieso "kurz" nach dem Auftreten des Menschen "plötzlich" überall die pleistozäne Mega-Fauna verschwunden ist. [436] Es waren die Jagdgemeinschaften von Prä-Anthropoiden und Wolf, die diesen globalen Ur-Holocaust vor 100,000 bis 10,000 Jahren bewerkstelligt hatten. Die Legenden vom Paradies sind nur zu wahr: Denn es war ein wahrhaftiges pleistozänes Schlar-Affen-Land, [437] ein Hunderttausend Jahre währendes Großes Fressen, bei dem die Anthropoiden sich gar nicht allzusehr mit den gröberen und blutigeren Aspekten des Jagd-Geschäftes belasten mußten, das erledigten ja die Wölfe für sie viel besser und effizienter. So war ein einzelnes Mammut oder Wollnashorn auch ganz schnell "verwertet", was einer einzelnen Menschenhorde allein zuviel des Guten gewesen wäre. [438] Und dann zog die ganze Horde eben weiter, zur nächsten Mammut- oder Wollnashorn-Herde, es gab ja genug von ihnen, auf den weiten, grünen Pampas Eurasiens und Nordamerikas. Aber alle Herrlichkeit hat irgendwann mal ein Ende, vor allem wenn mehr frißt, als von selbst nachwächst. [439] Und so fand diese glorreiche Groß-Epoche der Ur-Geschichte ihren Untergang. Als das große Fressen vorbei war, und alle großen Beutetiere erledigt waren, und nichts mehr übrigblieb, als das "Kleinvieh", trennten sich die Wege von Wolf und Mensch wieder. Die Kooperation lohnte sich nicht mehr, denn jetzt mußte man sich um die Reste streiten. Die so oft beschworene Feindschaft von Mensch und Wolf setzte ein.
7.1.7. Der Große Abstieg: Die Neolithische Revolution
Danach begann das Trauerspiel, das mühselige Auf- und Zusammenkehren der Reste, das die bürgerliche Geschichtsschreibung in der Nachfolge von Hobbes heute großspurig die Neolithische Revolution nennt. Man sollte es besser so nennen: Die erste Phase des Abstiegs ins Kleinbürgertum. Nur die Degenerati der Wölfe, die Hunde, blieben bei den Menschen und halfen ihm in den letzten ca. 10.000 Jahren, seine Dominanz über das übriggebliebene "Kleinvieh" zu sichern, als Kuh- und Schaf-Hirten-Gehilfen, und noch später, als der Abstieg ins Kleinbürgertum noch eine weitere Stufe der Degeneration genommen hatte, waren die Hunde essentielle Stützen der Begründung der urbanen bourgeoisen Gesellschaft, als die treuen Bewacher der angehäuften Güter und Schätze der Wohlhabenden.
7.1.8. THE CHIMPANZEES WHO WOULD BE ANTS
@ :CHIMP_ANTS
Das folgende ist ein Hinweis auf eine interessante Dastellung, die zwar die wissenschaftlichen Denkpfade nicht verläßt, aber immer noch genügend interessantes Material zusammenträgt:
The Evolutionary Epic of Humanity, Russell Merle Genet, 1997. ISBN 1-56072-522-2. $34. (URL) http://www.nexusworld.com/chimpants/summary.html 

TABLE OF CONTENTS
PROLOGUE In the spirit of Aesop
PREFACE Why science is perverse
I. WHO ARE WE? Revealing perspectives from other life
1. CHIMPANZEES Masters of tools and Machiavellian intrigue
2. ANTS The perfect little Communists
3. LIFE ON EARTH An evolutionary hierarchy of complexity
4. OUR PLACE Regular citizens or revolutionary upstarts?
II. HOW DID WE COME TO BE? Cultural evolution takes command
5. HOMO The Chimpanzees who were thrown to the lions
6. CIVILIZATIONS The Chimpanzees who became ants
7. MACHINES The geese who laid the golden eggs
8. SCIENTISTS The curious cats who pried open Pandora's Box
III. WHAT IS OUR FATE? Four epic finales
9. BOOM AND BUST Humanity's extinction liberates Earth
10. ROBOTIC TRIUMPH Our mind children inherit the Galaxy
11. SUSTAINABLE BIOSTARS Modest self restraint avoids the crash
12. CHIMPANZEE PARADISE High-tech Garden of Eden
EPILOGUE Futures most likely and desirable
 
BOOK SUMMARY
THE CHIMPANZEES WHO WOULD BE ANTS
The Evolutionary Epic of Humanity

Summary of the book by Russell Merle Genet

PROLOGUE In the spirit of Aesop
Who are we? How did we come to be? What is our fate? These have always been our ultimate questions, for to be human is to be deeply curious about our own nature, history, and destiny. In our species' youth, we spun tales around the campfire that assured us of membership in Earth's living community. We were colleagues of coyote and kangaroo. With civilization, however, we transcended nature and elevated our gods (and ourselves) above all others. The Bible has since become the best-selling storybook of all time. Cynics such as Aesop insisted, however, that in spite of our sophisticated airs we were still just animals. Children--who have always thought highly of animals and delighted in seeing adult pretensions exposed--claimed Aesop as their own. Translated into every major language, Aesop's Fables have sold more copies than any book save the Bible. Science, the most recent antidote to human puffery, has finally confirmed what Aesop and children knew all along: some animals are shockingly human (e.g. chimpanzees), while others are amazingly civilized (ants). We are not unique. Yet it is becoming painfully obvious (even to objective scientists) that we are bent on taking over the planet, although successful planet grabbers are rare. We have already commandeered a hoggish piece of the planetary pie, but can we hold onto it? Do we even want to? In the spirit of Aesop, I've christened science's definitive fable of humanity, The Chimpanzees Who Would Be Ants.

[33] Zur Richtigstellung soll hier gesagt werden, dass Kant als rein mentaler und kognitiver Denker eben kaum eine Ahnung davon hatte, wie Frauen wirklich denken. Wie den meisten Philosophen, war ihm entgangen, dass es neben der Rationalen Intelligenz (OBJint) noch eine ganz andere Form gibt, die Emotionale Intelligenz (SEMint). Anders ausgedrückt: Frauen sind eher Common-Sense Denkerinnen, sie machen zwar generell nicht soviele intellektuelle Salti Mortali wie die Männer (und vor allem wie die Philosophen) aber dafür produzieren sie auch nicht so viel abstrusen Unsinn. ->: SUB_OBJ_SEM, p. 39; ->: ORTE_SUB_OBJ, p. 108
[34] ->: PARMENIDES_SCHRIFT, p. 361
[35] Siehe oben: ->: KANT_AUFKLAERUNG, p. 23
Dies wird auch formuliert in Nachfolge der Denkwege, die Paul Feyerabend (1975) vorgezeichnet hat.
[36] ->: BAUM_ERKENNTNIS, p. 150
[37] Selbstredend kann man auch nichts anderes tun als etwas so zu interpretieren, wie man es verstanden hat. Definieren wir "interpretieren" einmal ad hoc als: Das Verständnis eines vorliegenden Textes mit dem Allgemein-Verständnis zu verknüpfen, das man von allen Texten hat, die sich mit dem Umkreis der Thematik befassen, die der gerade vorliegende Text hat, und daraus einen neuen Text zu knüpfen.
Textum (lat)/ Histion (griech): Das Gespinst, Gewebe.
[38] ->: IMHO_PRINZIP, p. 12
[39] ->: STRUKTUR_SYSTEM, p. 49
[40] Siehe "Semantischer Relativismus": ->: SEMF_RELATIVISM, p. 52
[41] Weitere Erläuterungen unter ->: DESN_SPF2, p. 53
Diese Methode habe ich in meiner Dissertation 1999 erstmals mit vielen Beispielen formuliert:
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn.htm
(URL) http://www.bib.uni-wuppertal.de/elpub/fb05/diss1999/goppold/
[42] Es sind gleichzeitig auch die Spannungsfelder der neuronalen Aktivität, also der Substrukturen und -Prozesse unseres Denkens.
[43] "Natürlich" nur nach Radio Eriwan: Im Prinzip ja, aber in der Praxis sieht das dann doch ein wenig anders aus. Dazu hat sich Paul Feyerabend ausgiebig geäussert.
[44] ->: BEZUG_WILBER, p. 10; ->: NOO_AUFHEBEN, p. 48
[45] Der Zusammen-Halt und -Hang, der ein Holon konstituiert, ist in der Noologie ein Thema der Morphologie und des Kräftespiels der Gregationen:
->: WILBER_NOOLOGIE, p. 74; ->: NOO_MORPHOLOGIE, p. 87;
->: META_MORPH, p. 101; ->: WISSEN_MACHT, p. 275; ->: SPEKTRUM_GREGATIONEN, p. 278
[46] Ein bekanntes Beispiel dazu ist die Katastrophentheorie von Rene Thom. Er bezieht sich in der Motivation seiner Arbeit auf die Vorsokratiker Anaximandros und Heraklit.
[47] Ein Neuron hat wie ein Schalter zwei elektrische Zustände: Ruhepotential und Aktionspotential. Die dichotome Wirkungsweise neuronaler Prozesse lässt sich am besten mit den bekannten Gestalt-Kipp-Bildern illustrieren: ->: BORING_FRAUEN, p. 97
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn07.htm#Heading12
Siehe auch: Feyerabend (1975, p. 226-227).
[48] Man sollte sich nicht dadurch verwirren lassen, dass die Spannungsfeld-Notation die graphischen Verhältnisse von Wilbers Quadranten invertiert, i.e. was im Quadranten (Left / Right) ist, ist hier (Oben / Unten) und umgekehrt. Das ist nur ein Thema der Notation, die hier aus "Convenience" dem normalen Textfluss (links-rechts) folgt.
[49] Dieser primoridale Kampf ist in allen Ur-Mythen der Menschheit zu finden. Z.b. bei Anaximandros: "Time, Anticipation, and Pattern Processors"
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol08.htm
"Noo-logy and Kalypto-logy"
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol14.htm#Heading108
[50] Ich verweise hier auf den Index von EKL, wo die vielen Stellen von "Aufstieg" und "Abstieg" gelistet werden. Weitere Diskussionen der Wilberschen Konzepte finden sich im späteren Abschnitt: "Ken Wilber und die Noologie". ->: WILBER_NOOLOGIE, p. 74
[51] Das sind die essentiellen Schlüsselbegriffe bei Hesiodos.
[52] ->: ENERGEIA_ERGON, p. 55
[53] Er hat inzwischen ein System von Verständnis- und Abstraktionsphasen eingeführt, von Wilber I, II, III, IV, und V, und wahrscheinlich immer so weiter, solange er seine schriftstellerische Tätigkeit fortführt. Warum sollte man auch einen Grund haben, seine jeweils neuen Bücher zu kaufen, wenn er nicht immer wieder etwas neues herausbringt?
[54] ->: TENSEGRITY, p. 13
[55] Sinn, Besinnung, Denkkraft, Verstand, Vernunft, Geist, Einsicht, Klugheit, Gemüt, Herz, Gesinnung, Denkweise, Wille...
Weitere Diskussion, siehe: Parmenides (1974, p. 99-104)
[56] Der Begriff der Meta-Morphologie leitet sich historisch von Goethes Lehre der Metamorphosen ab. ->: NOO_MORPHOLOGIE, p. 87; ->: META_MORPH, p. 101
[57] ->: PARMENIDES_SCHRIFT, p. 361
Siehe dazu auch den nächsten Abschnitt.
[58] (co)gnoscere ist ein direkt aus dem griechischen (g)noein abgeleitetes lateinisches Wort.
[59] ->: NOO_ERINNERUNG, p. 93
[60] ->: EMOT_INTELL, p. 66; ->: MENTAL_EMOTIONAL, p. 41
[61] ->: POIE_PATHE, p. 33; ->: NOSOLOGIE, p. 141
[62] ->: META_MORPH, p. 101; ->: NOO_PATHOLOGIE, p. 158; ->: LUEGE_LIST, p. 171
[63] ->: ZEN_KOANS, p. 367; ->: NOO_HUMOR, p. 367
[64] ->: MYTHOS_MAERCHEN, p. 56; ->: NOO_PARADIES, p. 142; ->: NOO_MAERCHEN, p. 205
[65] Selbstredend ist meine Behandlung des Themas ein wenig verschieden von dem, was Wilber daraus macht: "Vive la différance!" Wilber liefert mit seinem Upper-Left Quadranten auch einen Ansatz zur Ordnung und Systematisierung eines Teils des Bedeutungsfeldes der Noologie. Weiteres dazu unter:
->: SPEKTR_BEW, p. 58
[66] ->: SUB_OBJ_SEM, p. 39; ->: ORTE_SUB_OBJ, p. 108
[67] Dazu mehr unter den Abschnitten: ->: NOO_HYBRIS, p. 69; ->: NOO_SCHEITERN, p. 74
[68] D.h. Wissen und Handeln stehen im Kreislauf der Reflexionsphänomene. Nach der Tat sollte man die Gelegenheit suchen, und darüber reflektieren, was man da gerade angerichtet hat. In der Genesis steht dazu die wiederkehrende Passage nach jedem Handlungsschritt: "Und Gott sah, dass es gut war."
->: RECHT_UND_ORDNUNG, p. 226
[69] Ein anderer paradigmatischer Ausspruch stammt von Heraklit: "Der Krieg ist der Vater aller Dinge." Das Ziel der Beherrschbarkeit der Natur taucht als Pre-Skript schon deutlich in der Genesis auf. Nach Leiber (1996, 27, 36) findet sie sich noch nicht ausgeprägt in der antiken griechischen Naturphilosophie sondern erst in der Neuzeit.
[70] Wilber, EKL 87.
[71] Der ebenfalls nahe liegende Begriff "Pathologie" ist leider schon von der Medizin mit einer bestimmten Interpretation belegt. Hieran lässt sich beispielhaft ein Wilbersches Thema des "Flatland" illustrieren, wie die natur-wissenschaftlich (physikalistisch) orientierte Denkweise die Medizin dominiert. Die alte Bedeutung des Wortes pathe- heisst "Er-leiden" als (Wilberspeak-) Upper-Left-Side Phänomen, also von der Innensicht. Die Medizin hat es aber umgekrempelt im Sinne von (äusserlich wahrnehmbaren) Upper-Right-Side Ausfalls-Erscheinungen.
[72] Analog zu dem Begriff Ortho-Dox(a/-ie).
Der Begriff der Wahrheit hätte als Diskussions- und Entscheidungskriterium nicht allzuviel Sinn, wenn es beliebig viele "Wahrheiten" gäbe. Denn da wären wir mit dem Begriff "Meinungen" genausogut bedient, also die SUBjektiven Standpunkte, die jeder aus seiner eigenen gerade optimal erscheinenden Bewertungsfunktion konstruiert. Eine ausführliche Diskussion zum Thema "Wahrheit" und "Realität" findet sich bei Leiber (1996, 38-54).
[73] Das ist zwar ein etwas un-etymologisches Konstrukt, denn Esoterik soll von "esos" (innen) abgeleitet sein, im Gegensatz zu "exos" (aussen), aber für die Diskussion passt es so besser.
[74] Man kann als Kritik an der heute populären Esoterik auch äussern, dass sie sich nicht die Finger schmutzig machen möchte, mit den täglichen Gemeinheiten und Widrigkeiten der conditio humana.
[75] In den spirituellen Traditionen ist katabasis der Weg des Buddha und Bodhisattva. Eine Darstellung der Tonglen Meditation ist in Wilber, MG, p. 276-279.
[76] Die schriftliche Fassung beider Mythen entstand ebenfalls etwa zur gleichen Zeit: In der babylonischen Epoche des Judentums, und in der griechischen Welt ca. 100 Jahre bevor der Schritt "vom Mythos zum Logos" vollzogen wurde.
Siehe "Anticipation, Meta-Morphology, and the Promethean Venture of Computing"
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol21.htm
[77] Weiteres Material: Harris, Baine R. (Ed.): Neoplatonism and Indian Thought, Int'l Society for Neoplatonic Studies, Norfolk, Virginia (1982)
Als der Neoplatonist Julian Apostata zum Kaiser aufstieg, besuchten ihn viele indische Delegationen, aus so weit entfernten Gebieten wie Ceylon und von den Malediven. Die Pali-Schrift "Questions of Milinda" sollen ein Dialog mit Menander gewesen sein, dem König eines griechischen Territoriums in Indien um ca. -100.
[78] Ein Quadrant ist lediglich eine besondere geometrische Anordnung des Struktogramms.
[79] Siehe dazu auch die in allen alten Kulturen zu findenden literalen primordialen Dichotomie-Urweltmythen, wie in der Genesis die Trennung von Himmel und Erde, Land und Wasser, bei Hesiodos die Kastration des Ouranos, in Mesopotamien die Zerstückelung der Tiamat, dem Platonischen Mythos der Trennung von Mann und Frau, etc.
[80] Der wissenschaftliche Begriff der Theorie ist analog zu dem obigen Begriff "Pathologie" wiederum ein Flatland-Konstrukt (in Wilberspeak), das ignoriert, dass "Theoria" dem Upper-Left Bereich entstammt.
->: KARTOGRAPHIE, p. 77
[81] Nach Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung.
[82] "Noo-logy and Kalypto-logy": ->: KALYPTOLOGIE, p. 159
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol14.htm#Heading108
[83] Die Legende erzählt von Pythagoras, dass die Götter ihm ein besonderes Geschenk machen wollten. Leider konnten sie ihm aber nicht die Unsterblichkeit schenken, und so erbat er sich die Fähigkeit, seine Erinnerungen aus früheren Leben in allen seinen Inkarnationen wieder zu gewinnen. Das war die A-Laetheia. Pythagoras hatte die Götter damit überlistet, denn die A-Laetheia als Gedächtnisfunktion erreicht das "Ewige Leben" im Sinne von "Pattern Immortality" (Tipler). Das "Sterben" bedeutet hier nicht viel mehr als das Versinken in den Tiefschlaf, den normale Menschen jede Nacht durchmachen, um dann am nächsten Morgen mit gestärkter Selbst-Er-Innerung wieder aufzuwachen. Siehe dazu auch die eindrucksvolle Überleitungs-Szene, mit der Goethe die beiden Teile von Faust I und Faust II verbindet (4613-4727).
[84] (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/cunni03.htm#Heading8
->: NOO_MORPHOLOGIE, p. 87; ->: TEMPORAL_MORPHOLOG, p. 90
[85] ->: IM_WINKEL, p. 162
[86] Ob es Zeit "an sich" gibt, ist eine philosophische Streitfrage. Bei Kant war die Zeit wie der Raum noch eine Erfahrungskategorie, und in der Physik der unbelebten Objekte ist die Raum-Zeit lediglich das Feld, in dem Prozesse ablaufen können, und das durch die gravitationalen Objekte verformt wird.
[87] Wilber behandelt die zwei verschiedenen Vorstellungen von Zeit u.a. in EKL (23-31, 95) als "die zwei Zeitpfeile". M.e. hätte Wilber besser daran getan, seinen Begriff "Efflux", den er gleichbedeutend mit "Evolution" verwendet, als Zentralbegriff zu wählen, denn mit seiner Version von "Evolution" setzt er sich der berechtigten Kritik aus, dass er den wissenschaftlichen Ausdruck falsch verwendet.
->: EFFLUX, p. 84
[88] Die hierfür angesetzten morphogenetischen Felder von Sheldrake überzeugen weder mich noch die meisten Wissenschaftler.
[89] (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn10.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn18.htm
[90] Wie immer bei solchen Aussagen, unter dem Imho-Prinzip: "In my humble opinion". ->: IMHO_PRINZIP, p. 12
[91] Platon bevorzugte dieses Wort in seinen Dialogen, meist mit einem homo-erotischen Unterton der "Männerfreundschaft".
[92] ->: PRINZIP_SPANNUNG, p. 220
[93] ->: DESN_TRIPOLAR, p. 240; ->: TRINITY, p. 156
[94] Dies wird von Ken Wilber auch in dem Atman-Projekt thematisiert.
->: NOSOLOGIE, p. 141
[95] Ken Wilber (MG) hat dieses Motiv in der schicksalshaften Begegnung mit seiner Seelenpartnerin Treya "erschöpfend" dargestellt, gleichzeitig wieder-holt er auch den Platonischen Mythos der (schmerzhaften) Trennung, bedingt durch ihren Krebs-Tod.
[96] ->: JOSHUA_GENESIS, p. 147
Als Kontrast-Skript wäre der Islam zu nennen, der recht ausschliesslich nur die Glaubens-Brüder und -Schwestern als Agape-würdig betrachtet. Die folgenden Passagen aus dem Koran lassen sich auch als paradigmatisches Programm der Intoleranz und als Aufruf zur Bekämpfung der "Ungläubigen" interpretieren:
II, 186, 187, 212, IV, 76, IX, 52, 88-89, 90, XLVII, 4-7, 37, LX 38.
So etwas wie Compassion mit Tieren kennt der Islam überhaupt nicht. Siehe dazu die Praxis des Schächtens der Schlacht-Tiere, also des Ausblutens bei lebendigem Leibe und bei vollem Bewusstsein, die nicht nur bei rituellen Handlungen, sondern bei jeder Schlachtung angewandt wird.
Weiteres Material zu meiner Einschätzung des Islam ist unter:
->: CHARISMA_ISLAM, p. 194; ->: ISLAM, p. 327
[97] ->: KATA_HOLON, p. 314
[98] So klingt der deutsche Titel erheblich prätentiöser als von Wilber ursprünglich intendiert. Man kann auch sagen, hier wurde Wilber die Petersilie ver-hegelt.
[99] Siehe Wilbers Gebrauch der Prä- / Trans-Verwechselung (EKL 259-261). Er zitiert Freud mit "die schwarze Schlammflut des Okkultismus" (EKL 259). Dazu gehörte zur damaligen Zeit u.a. die Theosophische Gesellschaft der Mme. Blavatski. EKL 260: "Freud war ein Reduktionist, Jung ein Elevationist - die beiden Seiten der Prä- / Trans-Verwechselung."
[100] Es hätte kaum einen Sinn, überhaupt etwas zu schreiben, wenn hier nicht einige neue Ansätze entwickelt würden. Siehe dazu auch das Spannungsfeld zwischen Tradition und Innovation. Weiteres in diesem Kontext:
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn11.htm
[101] Wilber nennt es die Integrale Transformative Praxis, kurz ITP.
[102] Siehe die kurze Diskussion von "Viveka Chudamani" unter dem Kapitel:
Die "Ontologie" des Advaita Vedanta. ->: ADVAITA_VEDANTA, p. 109
[103] Die letzte grosse Bewegung, die sich damit hervorgetan hat, ist die Nachfolgelinie von Ramana Maharshi, der über den Guru Poonjaji einen grossen Einfluss auf die damals (herren-/guru-)los gewordenen Bhagwan-Osho-Rajneesh-Sannyasi-Gemeinde genommen hat, nachdem ihr Guru gestorben war. Und diese Bewegung hat allerlei zweifelhafte Nachfolge-Satsang-Gurus hervorgebracht, vor denen man sich besser in Acht nehmen sollte.
[104] In Indien, wo man kaum erfrieren kann, ist es auch leichter, fast nackt in einer Ecke zu liegen, und sich mit Almosen am Leben zu erhalten. Eine solche Lebensführung ist ja in der Jahrtausende alten Sadhu-Tradition Indiens eine gesellschaftlich akzeptierte Lebensweise.
[105] Korvin-Krasinski: 1986, 420
[106] Nagel, Stephan: "Brahmas geheime Schöpfung", Peter Lang, Frankfurt/M (1999), p. 301-302. Weiteres Material aus christlicher Sicht: Korvin-Krasinski: 1986, 416-434.
[107] Nach einiger Praxis stellt sich von selbst das Bedürfnis ein, sich gerade zu setzen, was natürlich förderlich ist, aber es ist keine notwendige Voraussetzung.
[108] Es ist sowieso zwecklos, die Tradition der Gnosis in irgendeiner Weise weiterführen zu wollen, da wir ihre Inhalte nur aus den Schriften ihrer Erzfeinde, der Christen, kennen, und aus denen irgendeinen positiven Inhalt destillieren zu wollen, halte ich für eine Aufgabe, die ich lieber anderen überlasse.
[109] Wilber auch nicht. siehe seine Diskussion von Charles Taylor, (EKL 48-53 und EKL 253-257). Weitere Materialien zu "anything goes": Feyerabend (1975: p. 28).
[110] Wobei Wissenschaft noch den Anspruch erhebt, dass die Strukturen den Tatsachen entsprechen sollten.
->: NOO_MORPHOLOGIE, p. 87; ->: META_MORPH, p. 101
[111] Dazu sagte Hegel einmal: "Wenn die Tatsachen der Theorie widersprechen, ist das umso schlimmer für die Tatsachen". Dazu auch Feyerabend (1975), p. 29, 31.
[112] Dies lässt sich an einem trivialen logischen Beispiel illustrieren: Die Grundlage der Aristotelischen Logik ist die Identität: A = A. Ohne Identität ist der Widerspruch sinnlos. In der Noologie ist aber ein "A", das man einmal erblickt, gedacht, oder sonstwie in seiner Erinnerung "aufgehoben" hat, nie wieder "A" sondern es ist A' oder irgendetwas ganz anderes. Und wenn A =/= A ist, dann ist das ein Widerspruch in sich, und die gesamte Aristotelische Logik ist nicht anwendbar. Die Mathematik hat für Erinnerung keinen Platz in ihrem Gebäude, weil sie ursprünglich "Platonisch" ist, also das A=A eine ewig währende, unveränderliche Identität voraussetzt. (Z.b. als "Welt der Ideen", im Popper/Eccles Modell der "drei Welten").
[113] In Wilberspeak ist "etisch" die Sicht von aussen, und "emisch" die Sicht von innen.
[114] Siehe Wilber, EKL 434-439. Anekdotisch und persönlich am interessantesten finde ich in seinen "Confessiones" sein jeden Abend wiederholtes Gebet: "Lieber Gott, lass mich keusch werden, doch bitte nicht, schon diese Woche". Irgendwann wurde er dann doch keusch, aber mit fatalen Folgen für die Menschen der Christenheit. Anstatt so human zu sein, und allen anderen Christen auch dieselbe Unkeuschheit zuzubilligen, die er selbst jahrelang genossen hatte, stellte er (und die Kirche nach ihm) die Forderung auf, dass alle guten Christen immer schon gleich keusch sein sollten, womit er millionenfaches seelisches Elend, Gewissens-Leid und menschliche Zerrissenheit über die Christenheit brachte.
[115] Ein Noologisches Märchen: Der Sündenfall und die Sucht nach "Selbst-Reflexion"
->: NOO_PARADIES, p. 142
[116] Mit einigen Nachfolge-Versuchen bis heute, wie Rudolf Kaehrs Arbeit.
[117] (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn24.htm#Heading120
[118] Wilber erwähnt in EKL, 62-63 die Bedeutung des Kontexts bei Derrida in der Interpretation von Jonathan Culler..
[119] Die beiden Varianten sind rechts-drehend und links-drehend. Auffallend dabei ist, dass Moleküle in Lebewesen meist von der links-drehenden Variante sind.
[120] Das soll aber nicht den Anspruch erheben, dass alle diejenigen, die keine Theoretischen Physiker sind, das auch verstehen.
[121] (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn.htm

5.1.4. Die Welten der En-Ergeia oder des Nagual:

(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro07.htm#hdr2.1.4.
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro07.htm#hdr2.1.5.
S.a. Feyerabend (1975, p. 190)
[123] (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro12.htm
[124] aus Kant: Kritik der Reinen Vernunft.
[125] Siehe Wilber, EKL 254. Nach ihrer Entstehung in Griechenland vor ca. 2500 Jahren war die Philosophie etwa 1000 Jahre die Zentral-Wissenschaft der griechisch-römisch-hellenistischen Kultur, geriet dann sozusagen in christliche Gefangenschaft als "ancilla theologiae", und wurde seit ca. 300 Jahren von den Einzelwissenschaften mehr und mehr ihrer traditionellen Inhalte beraubt. Und sie steht seitdem unter heftigstem Druck der positiven (Natur-) Wissenschaften, doch endlich von so fruchtlosen Unternehmen wie Metaphysik abzulassen. Der Zusammenbruch des deutschen Idealismus ist ein gutes Beispiel für diese Entwicklung. Philosophie als soziale Unternehmung ist auch ein Kampf der Philosophen um die knappen Mittel der Gesellschaft, und nur wenige konnten sich den Notwendigkeiten dieses Kampfes entziehen, wie Diogenes in seiner Tonne. Als symptomatisch für diesen Kampf können wir schon Platons Verbalkrieg gegen die Sophisten nehmen, wo der "Dialog" gar nicht so sachlich und rational bestimmt geführt wurde. Und daran hat sich in den letzten ca. 2400 Jahren auch nicht viel geändert. Dazu passend, wenn auch etwas einseitig und polemisch, siehe Schopenhauers Diskussion "Über die Universitäts-Philosophie" in "Parerga et Paralipomena".
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/plato07.htm#Heading42
[126] Diese Themen werden von Spezial-Wissenschaften bearbeitet, entweder Ethnologie, Vergleichende Religionswissenschaft, Theologie (hier als Allegorien) und einige Bereiche der Grenz-Psychologie und Psychotherapie, insb. in der Nachfolge von C.G. Jung. Die Psychiatrie interessiert sich ebenfalls dafür, aber mehr um Systematiken und Strukturen der mentalen Pathologie zu finden.
[127] Ein Beispiel für die Anwendug dieser Methode wird unter "Die Mühle des Hamlet" gegeben: ->: HAMLET_CODIERUNG, p. 262
Die Bezüge zum Werk von H.v. Dechend ziehen sich durch viele meiner Schriften, und bilden ein eigenes semantisch-mythologisches Rhizom.
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro04.htm
[128] Die aussereuropäischen Traditionen bewahrten dieses Erbe bis in unsere Tage, so etwa die australischen Aborigines mit ihren Traumzeit-Epen, oder in Zentral-Asien das Gesar-Epos.
[129] (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol17.htm
[130] Wilbers System ist vor allem Mental-Kognitiv. Das behaupte ich, obwohl Wilber immer und überall verkündet, dass es integral und trans-xyz sei.
[131] ->: DESN_SPF1, p. 25
(URL) http://www.imprint.co.uk/Wilber.htm, Figure 1.
[132] Dazu die Philospohie von Whitehead in "Process and Reality", der die nicht-reflexive Empfindung "prehension" schon dem Feld des Bewusstseins zuordnet.
[133] Umgekehrt ist aber das Vergessen als "Entropie" formalisiert.
[134] Platon übernahm diese Anschauung aber von Parmenides, daher müsste es korrekter "parmenideisch" heissen.
[135] ->: BORING_FRAUEN, p. 97
[136] Eine besondere Form des logischen Quadranten ist im System des Madhyamika-Buddhismus formuliert: Die Catuskoti. Siehe: Sturm (1996).
[137] Das Lehrgedicht des Parmenides: "Vom Wesen des Seienden",
"to gar auto noein estin te kai einai" (verily, knowing and being are the same)
(Denn dasselbe ist Erkennen und Sein.), Parmenides (B1, 1,21)
->: PARMENIDES_SCHRIFT, p. 361
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol14.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/plato11.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/infra09.HTM#Heading150
[138] "The ecology of mind": auf Deutsch etwa: "Der vernünftige Gebrauch des Verstandes".
[139] Übrigens ist im Englischen das wort "know" noch ein Nachfahre von "Noein".
[140] In den lateinischen theologisch- / philosophischen Texten steht für "archae" meist "principium" mit etwa demselben semantischen Feld wie das Wort "archae". Es umfasst:
1) Anfang, Beginn, Anfangspunkt, Ursache, erste Veranlassung, (phil.) Prinzip.
2) Anführung, Herrschaft, Obrigkeit
3) Reich, Gebiet, Statthalterschaft
4) Ur-Grund, Wesensgrund
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/infra09.htm#Heading180
[141] Eine ausführlichere Diskussion der theologischen Konzeption von "archae" bei Johannes befindet sich unter:
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn08.htm#Heading22
und:
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn27.htm
[142] Diese vorbewussten neuronalen Funktionen werden nach Brunsvik auch als der "ratiomorphe Apparat" bezeichnet. (Siehe die Schriften von Rupert Riedl, sowie Leiber 1996, 40).
[143] (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro03.htm
In der angelsächsischen Philosophie wird Handlungs-Wissen auch als Common Sense bezeichnet, und fand bei C.S. Peirce und W. James unter der Bezeichnung Pragmatism / Pragmaticism seine philosophische Ausarbeitung.
[144] Das Dharma des Buddha ist ein System für richtiges Wissen, richtiges Können, und richtiges Handeln, mit dem Ziel der Befreiung von Leiden. Es muss seinen Erfolg an diesem Ziel messen lassen, und da ist seine Bilanz kaum besser als die von anderen Systemen. Zudem hat der Buddhismus, der einmal über fast ganz Asien verbreitet war, ca. 2/3 der Territorien und Bevölkerungen wieder verloren: Indien an den Hinduismus, Zentralasien und Indonesien an den Islam. So ist es gut möglich, wenn der Buddha heute zum Vorsitzenden der Buddhismus-Reform-Kommision berufen wäre, dass er die heute existierenden Schulen des Buddhismus erbarmungslos mit seinem berühmten "Neti-Neti"-Spruch abweisen würde. Aus diesem Grund stören mich auch nicht die bissigen Kommentare, die viele Religionswissenschaftler zu den Werken Wilbers machen, dass er diese oder jene Variante des Buddhismus falsch verstanden hat.
[145] (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro03.htm
[146] Dies ist auch nach der Galen'schen Charakterlehre zu erklären. Tatkraft ist besonders auffällig bei Cholerikern und Sanguinikern, während Wissen hauptsächlich eine Lieblingsbeschäftigung der Melancholiker ist. Siehe auch: Ein Noologisches Märchen: "Lust, Frust, Leid und die Sucht nach Ewigkeit"
->: NOSOLOGIE, p. 141
[147] ->: GALEN_CHARTYP, p. 148
[148] (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/plato04.htm#Heading22
[149] Natürlich sind die Grenzen fliessend, und was hindert uns, auch genügend politisch gesinnte und erfolgreiche Religionsführer und Charismatiker in die erlauchten Reihen mit aufzunehmen, wie Mohammed, die Renaissance-Päpste, den Dalai Lama, Papst Joh. Paul II, oder weitere weise Potentaten, etwa Harun al Rashid, oder König Ashoka, der den Buddhismus in Indien zur Staatsreligion machte.
[150] Die Neuro-Serie:
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro01.htm bis
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro04.htm
[151] Populär von den Rolling Stones ausgedrückt: "I can't get no satis-faction".
[152] ->: PRE_SKRIPTE, p. 113
[153] Eine bestimmte Variante dieser kat-holisierung wird in einem anderen Kapitel wieder aufgegriffen:
->: DUALISMUS, p. 224; ->: KATA_HOLON, p. 314
[154] Man kann allerdings auch argumentieren dass der Buddha als wohlabgeschirmter Königssohn keinerlei Erfahrungen vom wirklichen "Reiben und Treiben" der Menschen in der Gesellschaft sammeln konnte, und die berühmten überlieferten Beispiele seiner nächtlichen Ausflüge und Erfahrung menschlichen Leids ganz unspezifisch die Vergänglichkeitserfahrung ist, die alles Leben überschattet. Dies ist aber untypisch für menschliches Leid, weil das Leid, das sich die Menschen gegenseitig zufügen, in noch einer anderen Kategorie steht.
[155] ->: NEWAGE_SHAMAN, p. 190
Das Thema des Neo-Maitreya / Kalkin / Mahdi / Messias findet sich auch in der Matrix-Story, mit "Neo" als Protagonisten. ->: MATRIX_PATTERN, p. 153
[156] Es gibt aber auch Stimmen, die mit guter Begründung behaupten: "The End of Science" (Horgan) steht irgendwann bald bevor. Das muss nicht in den nächsten 10-20 Jahren sein, kann aber durchaus in 100 bis 200 Jahren so kommen, falls die Zivilisation noch so lange durchhält.
[157] Mehr dazu unter: (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro03.htm
[158] ->: PERAS, p. 103
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro07.htm
[159] Der Sündenfall und die Sucht nach "Selbst-Reflexion"
->: NOO_PARADIES, p. 142
[160] ->: PRE_SKRIPTE, p. 113
[161] Hier können wir Marshall McLuhan mit seinem Diktum: The medium is the message" anführen. ->: SEMIOSPHERE_PHIL, p. 126
[162] Wilber spricht in EKL 56-57 auch die Polarität von Dingen und Prozessen an, ordnet sie aber beide den Holons unter: "Die Wirklichkeit könnte in der Tat eher aus Prozessen als aus Dingen bestehen, aber auch alle Prozesse existieren in anderen Prozessen, sind also ausnahmslos Holons."
Die Vorstellung von ineinander-geschachtelten Prozessen könnte etwa so aussehen:
->: SIEBENFACH_SPIRALE, p. 216; ->: KOSMO_AXIS, p. 253
[163] ->: ATMAN_PROJ, p. 83
[164] ->: ADVAITA_VEDANTA, p. 109
[165] Innis (1991: 4): A complex system of writing becomes the possession of a special class and tends to support aristocracies. A simple flexible system of writing admits of adaptation of the vernacular but slowness of adaptation facilitates monopolies of knowledge and hierarchies... Concentration on learning implies a written tradition and introduces monopolistic elements in culture which are followed by rigidities and involve lack of contact with the oral tradition and the vernacular. "Perhaps in a very real sense, a great institution is the tomb of the founder." "Most organizations appear as bodies founded for the painless extinction of ideas of the founders." "To the founder of a school, everything may be forgiven, except his school".
[166] Ich interpretiere Wilbers Anspielung auf eine "World Gone Slightly Mad" aus "The Eye of the Spirit" als einen Hinweis in diese Richtung.
twm.co.nz/kwilb_eyspir.html
[167] Für eine etwas tiefer greifende Erklärung dieses Phänomens, siehe auch:
"Prolegomena to an Art Theory of Event-Scape Architecture"
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol22.htm
Ich schrieb diesen Artikel etwas mehr als ein Jahr vor dem 11.9.2001.
[168] Blake, Novalis, Hölderlin, Rilke...
[169] Siehe: "Pathologien des Massenbewusstseins":
->: NOO_PATHOLOGIE, p. 158; ->: MASSEN_PATHOLOGIE, p. 173
[170] Ein Hinweis für die Mentale Zentrierung ist, dass er den Bereichen "Emotion" und "Empathie", als Faktoren der "Sozialen Intelligenz" kaum Aufmerksamkeit widmet (oder habe ich das nur überlesen). Sie sind zwar im "Lower Half" seines Quadranten "irgendwo" aufgehoben, aber mehr konnte ich nicht entdecken.
[171] ->: AUGE_PYRAMIDE, p. 99
Dies ist ein Konstrukt, das ich an vielen Stellen benutze, um meine Methode zu erläutern, u.a. in dem Artikel: "Die neue Kunst der Perspektive"
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol20.htm#Heading208
In EKL, 244 bringt Wilber die Pyramide auch in sein System ein: "Natürlich wäre es besser, das Diagramm als auf der Spitze stehene Pyramide zu zeichnen". Die quadratische Basis dieser Pyramide würde wiederum die Quadranten symbolisieren.
[172] Das bedeutet aber nicht, dass die Menschen diese Prinzipien nicht schon vorher anzuwenden verstanden. Auch in der Antike konnte man schon perspektivisch malen. Aber bis zur Renaissance wurde dieses Prinzip in der Kunst nicht so wichtig genommen. S.a. die Arbeiten von Kim Veltman zur Perspektive.
[173] Mehr zu nicht-konventionellen Perspektiven in:
Das Symbolator-Projekt: "A Spatio-Temporal Perspective Vision of Neuronal Resonance Technology, of Technological Ars Memoriae, and of the Aesthetics and Architectonics of Tensegrity Structures in Hypertext Node Networks"
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol08.htm bis
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol23.htm
[174] Siehe dazu auch Foucaults Analyse des Pan-Opticums in "Überwachen und Strafen".
[175] Korvin-Krasinski, C.v.: Trina Mundi Machina. Die Signatur des alten Eurasien, Grünewald, Mainz (1986)
[176] Dieses Thema behandele ich unter etwas anderen Vorzeichen auch unter dem Namen "Neuronale Resonanz".
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol12.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol13.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol17.htm
[177] Demnach ist die Stufenpyramide das Urmodell, und die gradlinige geometrische Pyramide der ägyptischen Pharaonen ein Sonderfall. Dies lässt sich etwa so interpretieren: Die glatten Linien der klassischen ägyptischen Pyramiden beseitigen die Abstufungen der Ebenen untereinander und illustrieren den absolutistischen Anspruch des Pharao, als einziger, alleiniger und privilegierter Vermittler zwischen der Menschen- und Götterwelt aufzutreten. Der Kern dieser Idee wird später in der Person von Jesus Christus als alleinigemVermittler zwischen "Gott dem Vater" und der Menschenwelt wiederholt.
[178] ->: SOZIO_KYBERNETIK, p. 278; ->: UNIVERSAL_MONOPOLY, p. 281
[179] Bei Wilber, EKL 64-71. Die vier Grundvermögen der Holons. Selbsterhaltung, Selbstanpassung, Selbsttranszendenz, Selbstauflösung. Wesentlich für das Thema der Selbst-Identiät von Holons ist das Muster oder "Pattern". Dazu mehr in der folgenden Diskussion: "Das holistische Prinzip im menschlichen Vorstellungssystem". ->: HOLON_PATTERN, p. 82
[180] ->: DARK_ENERGY, p. 362; ->: DARK_MATTER, p. 363
[181] Allerdings wird angenommen, dass im Inneren der Sterne oder in heissen interstellaren Gaswolken ein Plasma-Zustand herrscht, also dass dort Atomkerne und Elektronen separat auftreten.
[182] ->: NOO_MORPHOLOGIE, p. 87; ->: META_MORPH, p. 101
[183] "Das Struktogramm von ais-thaesis und phai-no(e)sis, pragma und theoria"
[184] ->: SEMF_RELATIVISM, p. 52
[185] Siehe dazu auch Platon, in Wilber: EKL, 391.
[186] Das deutsche Wort "Muster" wird hier als Übersetzung des englischen Begriffs "Pattern" verwendet. Pattern weist in der genannten Literatur auf eine Gesetzmäßigkeit, und Regelmäßigkeit hin, die sich über alle Modalitäten der Wahrnehmung erstrecken kann.
[187] (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn10.htm#Heading45
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn24.htm#hdr18.1.1.
[188] S.a. Thom (1975: 10)
[189] S.a. Roth (1996: 213-247)
[190] Popkin (1956: 200-208). In Kontradistinktion zu Parmenides: "to gar auto noein estin te kai einai" (wahrlich, dasselbe ist Erkennen und Sein). (B1, 1,21)
[191] Siehe auch: Leiber (1996, 59-66).
[192] Ausführliche Einführungen in die Meta-Morphologie finden sich in folgenden WWW-Schriften:
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn09.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn17.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol08.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol16.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol18.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol21.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro06.htm#Heading39
[193] S.a. Klages (1981, III, 499-551): "Vom Wesen des Rhythmus".
[194] Seashore (1967), Simon (1968)
[195] Godwin (1989), Haase (1998), Iamblichus: "Das Leben des Pythagoras", James (1993), Kayser (1930-1950), Kepler (1982), McClain (1978), Schneider (1951-1990)
[196] Thom (1975)
[197] Rudhyar (1988: 119, 132, 230-236)
[198] Erinnerung ist essentiell für das Erkennen der Musterhaftigkeit von temporal auseinanderliegen Ereignissen, also ihre Gruppierung unter einem Merk-mal.
[199] Hertha v. Dechend (1993).
[200] S. a. das Zitat von Bazon Brock "Theorie der Avantgarde", unter "Kultur im Spannungsfeld von Tradition und Innovation".
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn11.htm
->: THEORIE_AVANT, p. 14
[201] S.a. Gumilev (1990: 186): "grouping on the principle of similarity and causal succession"; die Anmerkungen von Spengler zur Morphologie der Wissenschaften (1972: 548-553); Schunk (1996); Riedl (1990); Barrow (1998: 5-6, 57-58, 89, 190-193). Heidegger (1976b: 244):
Epagogae meint nicht das Durchlaufen einzelner Tatsachen und Tatsachenreihen, aus deren ähnlichen Eigenschaften dann auf ein Gemeinsames und "Allgemeines" geschlossen wird. Epagogae bedeutet Hinführung auf Jenes, was in den Blick kommt, indem wir zuvor über das einzelne Seiende weg blicken...
[202] s.a. Karbe (1995: 296-355). In einer mehr informationstechnischen Sprechweise finden wir ein ähnliches Konzept unter dem Begriff "Conceptual Navigation". S.a. Veltman (1986, 1997, 1998)
[203] siehe: Gebser (1973), Brock, (AGEU: 198-214), Karbe (1995: 296)
[204] Spengler (1980: 65-70, 611-612)
[205] Gumilev (1987), (1990)
[206] s.a. Gumilev 1990: 98-100
[207] Pöppel (1978-1995).
[208] S.a.: Hume: zu Kausalität und Induktion (Straub 1990: 139-146), Nietzsche, Götzen-Dämmerung, Die Vier großen Irrtümer
[209] (373): "Die vergangenen und erst ankommenden Erlebnisse sind dagegen nicht mehr, bzw. noch nicht 'wirklich'...
Das Dasein durchmißt die ihm verliehene Zeitspanne ... dergestalt, daß es, je nur im Jetzt wirklich, die Jetztfolge seiner 'Zeit' gleichsam durchüpft. Bei diesem ständigen Wechsel der Erlebnisse hält sich das Selbst in einer gewissen Selbigkeit durch."
(410) "An das Besorgte vielgeschäftig sich verlierend, verliert der Unentschlossene an es seine Zeit. Daher denn die für ihn charakteristische Rede: 'Ich habe keine Zeit'."
[210] Brock, AGEU, p. 194
[211] Z.B. Assmann & Assmann (1983-1995), Bergson (1919), Connerton (1989), Halbwachs (1985), Harth (1991), Loftus (1980), Norman (1970-1982), Roth (1996: 276), Schmidt (1991), Spitzer (1996)
[212] Harth (1991: 99)
[213] Wer erinnert sich noch an den speziellen Atemzug, den er vor 20 Jahren, am Sonntagmorgen, den x.x.xxxx, beim Aufstehen tat?
[214] Eine weitere Assoziation zu dem Beatles-Song "Yellow Submarine" ist das Buch von Jules Verne mit dem Uboot Nautilus (nao-telos) und dem Kapitän Nemo. Die Nautilus-Legende steht mit der homerischen Odyssee in Verbindung. Dies ergibt sich unter anderem über die Parallele des Griechischen Outis-Oudeis-Odysseus (Niemand, aus der Polyphem-Episode) = Nemo. Es lassen sich noch viele weitere interessante morphologische Affinitäten finden, wie noo-telos <-> nao-telos. Es ist interessant, was R.A.Wilson in seinem "Illuminatus" Epos daraus gemacht hat. Siehe auch:
->: PERI_PEIRASIS, p. 160
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol08.htm
[215] Goppold (1999g - 2001a).
[216] Goppold (1999g, 1999h, 1999i, 2000a, 2000e, 2001a).
[217] Weitere Erläuterungen und Materialien:
Goppold (1999d: 58-61, 109, 110-111, 196)
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn15.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn23.htm#BIBLIOSPHERE
Weiteres Material: Lippe (1997).
[218] Sturm (1996), p. 12 f.
[219] Die Basis der Arbeiten Spenglers dazu wird an anderer Stelle weiter ausgeführt.
Siehe Goppold, A. (2001c) "Der unbekannte Visionär Oswald Spengler"
->: OSWALD_SPENGLER, p. 351
[220] Siehe: Morphae - gramma: die Klang-Form.
->: MORPHOGRAMM, p. 199
[221] Auf die naheliegende Frage, warum es denn nun plötzlich verboten sein sollte, sich den Grenzen (pera) zu sehr zu nähern, oder sie sogar zu untersuchen, ist die leicht einsichtliche Antwort: Da das Im-Perium sich nur dadurch erhalten kann und seine Machtstrukturen wirken lassen kann, wenn die Menschen sich tunlichst innerhalb der ihnen von der höchsten Autorität (hieros-archae) vorgegeben Grenzen halten, und nicht von den vorgeschriebenen Denk- und Verhaltensmustern abweichen. Wie wir alle wissen, entstand die christliche Religion aus einer sehr interessanten Verbindung jüdischer Mystik (Messias / M-Essener), mit hellenistisch-orientalischer Mystik (Chrysto- / Chresto- / Christo-logie: Joh. 1.1.), und einem mehr als gehörigen Zu-Schuß von römischen Im-perialismus (St. Paulus). Das weiter zu verfolgen ist hier nicht das Thema, aber wir können leicht sehen, wie das spirituelle (nicht von dieser Welt) Im-perium hier seine Fundamente findet. Der Im-perator (hier-archon) ist deshalb der, der alles schön in seinen vorbestimmten Grenzen festhält, und dafür sorgt, daß seine Schäfchen nicht auf anderen Wiesen weiden, und wenn schon, dann wenigstens daß sie zur Schafschur und zur Schlachtung wieder rechtzeitig im heimischen Stall sind. In dieselbe Richtung geht auch die vielsagende römische Legende Plutarchs von der Gründung des nachmaligen Imperiums durch Romulus und Remus, (Campbell 1996, III, 358-359). Es wurde eine runde Grube ausgehoben (chasm / chaos) und als mundus bezeichnet, dann wurde mit einem Pflug eine Furche (peras) darum herum (peri) gezogen. Wer diese Furche mutwillig überspringt, wird mit dem Tode bestraft.
[222] Siehe dazu auch Gennep (1960: 15-25), und das Konzept des limen als räumlich und zeitlich ausgedehnter Grenzbereich.
[223] aristos: bester, tüchtigster, edelster, vornehmster.
[224] telos: Ende, Ausgang, Ziel, Vollendung, Ausführung, Erfolg, Tod, Grenze -> peras.
teleios: vollendet, beendet, vollkommen, endgültig.
[225] Diels 1954,I:12; Pleger 1991: 61
[226] Da die Schriften des Aristoteles nicht von ihm selbst redigiert worden sind, sondern von seinen Schülern irgendwann nach seinem Ableben nach Mitschriften und aus dem Gedächtnis reproduziert worden sind, ist Wortwahl des Begriffs sowieso ziemlich zweifelhaft, da sie nur auf die mehr oder weniger zufällige Position hinweist, die sie in diesen Nach-Schriften einnimmt.
[227] Eine analoge "Line of Reasoning" führt P. Feyerabend (1975) in Bezug auf "conceptual totalitaranism" und die vorherrschenden Denkschemata der Naturwissenschaften aus. ibid. p. 261-262. Wilber führt in EKL, 427 einen ähnlichen Gedanken für das "mythisch-militärische Imperium des römischen Christentums" ein, das ca. 300-500 entstand. Weitere Kommentare dazu in EKL 701-704. Zur Fortführung der Gedankenlinie der Entstehung des christlichen Im-Periums, siehe:
->: WISSEN_MACHT, p. 275; ->: ZEIT_METAPHYSIK, p. 316
Eine mehr wissenschafts-philosophische Darstellung der Welt-Bildung findet sich bei Leiber (1996, 24, 40, 49).
[228] ->: PRE_SKRIPTE, p. 113
[229] "Proimion":
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro07.htm#Heading42
"peri peras":
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro07.htm#hdr7.2.3.
Anm: Das "peri peras" ist zwar griechisch ungrammatisch, aber darauf kommt es mir nicht an.
[230] Siehe die Arbeiten von Hertha v. Dechend. Edda / Voluspa / Snorri
[231] ->: DUALISMUS, p. 224
Siehe dazu auch meine Diskussion der Goetheschen Rezeption und Weiterverarbeitung dieses Archae-Motivs bei Hesiodos.
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn08.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn27.htm
[232] Allerdings vertrete ich hier nicht die Position des "naiven Realismus", dass es eine Welt der OBJektiven Dinge völlig unbeeinflusst von unserer "Wahr-" Nehmungs-Funktion und Interpretation gibt. Eine ausführliche Diskussion dazu findet sich bei Leiber (1996, 38-54). Der "naive Realismus" unterliegt dem wahrnehmungsphänomenologischen "Mythos des Gegebenen", wie Leiber (1996, 38-39) es ausdrückt.
[233] Unter: "Information and Third Order Ontology"
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/inform01.htm
Sowie:
10.2. The Semiosphere, 10.2.1. The home of the unicorn
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn16.htm#hdr10.2.1.
[234] Solange es Menschen gibt, wird es Sprache geben. Das ist unabhängig davon, ob vielleicht die eine oder andere indigene Stammes-Sprache ausstirbt, wie etwa in den letzten und kommenden 50 Jahren, in denen hunderte und tausende Stammes-Sprachen ausstarben und aussterben werden. Der Tsunami vom 26.12.2004 hat einige Ongee-Sprachen auf den Andamanen ausgelöscht.
[235] Man kann natürlich auch in geometrischen und visuellen Konzepten "denken", wie es z.B. Steven Hawking notwendigerweise lernen musste, nachdem er paralysiert war. Er beherrschte dieses Instrumentarium dann auch sehr souverän, und seine Behinderung tat seiner Forschertätigkeit keinen Abbruch. Aber er hatte vorher schon das sprachliche und mathematische Instrumentarium beherrschen gelernt, und es ist fraglich, ob man es ohne vermittelnde Verbal-Sprache lernen könnte, komplexe geometrische und visuelle Konzepte zu manipulieren.
[236] Shankara: "Viveka Chudamani: Kleinod der Unterscheidung"
->: ADVAITA_VEDANTA, p. 109
Allerdings kann man diese Feststellung nur unter dem Vorbehalt machen, dass man möglicherweise mit dem griechischen Konzept der Ontologie der indischen Denkweise Gewalt antut.
[237] Dies ist ungefähr auch die Argumentationslinie des Parmenides in seiner Schrift, nur dass er natürlich nicht den Begriff "Brahman" verwendet.
->: PARMENIDES_SCHRIFT, p. 361
[238] Weiter unten wird das unter "Taliter Aliter" kurz behandelt. Das Brahman ist demnach "Totaliter Aliter".
->: TOTALITER_ALITER, p. 123
[239] Nach der Redeweise des Buddha, der zu allen Alternativ-Fragen ("ist es" dies oder das) immer die Standard-Antwort hatte: Neti Neti: "Weder dies noch das". Später kam mit Nagarjuna dann eine logisch erweiterte Konstruktion hinzu, die catuskoti, die alles, aber auch alles nur denkbare dazu ausschloss. Dem Objekt der Frage (Es ist) gebührt:
1) WEDER "ist es" "Sein",
2) NOCH "ist es" "Nicht-Sein",
3) NOCH "ist es" ("Sein" UND "Nicht-Sein"),
4) NOCH "ist es" (WEDER "Sein" NOCH "Nicht-Sein").
Mit den Klammern deute ich an, das jede Stufe sowohl die Proposition der vorhergehenden abweist, sowie auch die Inversion ihres logischen Operators negiert.
Nach Sturm (1996).
[240] Shakespeare, Sturm, III, 2.
Und aus GMX Magazin, 25.1.2005, "Die Gedanken sind frei":
Das Jahr 2005 steht, wie es der Zufall will, ganz im Zeichen zweier Männer, auf die diese Beschreibung absolut zutrifft: Albert Einstein, der vor genau 100 Jahren mit mehreren bahnbrechenden Arbeiten in kurzer Folge die Physik auf ganz unterschiedlichen Gebieten revolutionierte, und Friedrich Schiller, dessen Todestag sich zum 200. Mal jährt. ... aus Schillers "Don Carlos" stammende vielzitierte Forderung: "Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!"
[241] Dazu prägten die Römer auch den Spruch: "Si tacuisses, philosophus mansisses."
[242] Wiederum als passendes Beispiel: Stephen Hawking. Umgekehrt ist es zwar weniger zwingend, aber naheliegend: Je mehr Freiheit zur Gestaltung (poiesis) man hat, desto weniger Gedanken macht man sich darüber, was man da gerade anstellt. Reflexion setzt erst dann so richtig ein, wenn man bemerkt, dass man sich mit seinen faktischen Taten schon ganz gehörig selbst eingekesselt hat.
Das kann man als Programmierer gut nachvollziehen, wenn man ein neues System entwickelt, und alsbald merkt, wie man sich mit bestimmten Design-Entscheidungen "in die Ecke" programmiert hat.
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro11.htm#Heading65
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro11.htm#Heading67
[243] Die berühmteste Darstellung des Sarkilegs, die "peras" zu überschreiten, findet sich in der Legende der Gründung Roms durch Romulus und Remus: Die rituelle Gründung des heiligen umfriedeten Ortes geschah durch Pflügen einer Furche, die die "peras" (perimeter) der Stadt markierte. Remus übersprang mutwillig mehrere Male diese Grenze, worauf hin Romulus ihn erschlug. (Campbell 1996, III, 358-359)
[244] ->: BLOOM_BIO, p. 365
[245] Joseph Vogl nennt diese (oder ähnliche) Phänomene auch "soziale und ökonomische Grosswetterlagen":
(URL) http://movies.abacho.de/tv/tv_programm/details/?ab_tvid=11013374
Metereologie des Zufalls
Sendedatum: 14. November 2004 SAT 1 23:45
Partner: KAIROS Kategorie: Forschung & Wissenschaft
Joseph Vogl über die „unsichtbare Hand“
Ähnlich wie Stürme und Wetterzonen um die Welt rasen, bewegt sich das moralische und ökonomische Wetter in der zweiten (gesellschaftlichen) Natur. Bei der Begegnung mit solchen „Wetterzonen“ spielt der Zufall zunehmend eine Rolle. Schlagen „Zufallsgewitter“ auf die Menschen ein, so reagieren sie darauf mit starken Gefühlen. Aus allen solchen unvereinbaren Kräften besteht im 21. Jahrhundert die „unsichtbare Hand“, die unser Schicksal regiert.
Die Antwort der Menschen auf ihr Schicksal geht noch von traditionellen Bildern aus, in denen der Tüchtige belohnt und der Schuldige bestraft wird. Dieses moralische Bewusstsein reagiert empört, wenn der Zufall und die „Wahrscheinlichkeitswetter“ im 21. Jahrhundert die Unterscheidung von Gut und Böse verwirren.
Prof. Dr. Joseph Vogl, Bauhaus-Universität Weimar, über das gesellschaftliche Unbewusste“, die „unsichtbare Hand“ und die „Meteorologie des Zufalls“.
[246] Seine Methodik zur Bestimmung eines "Ethnos" unterscheidet sich aber wesentlich von anderen Herangehensweisen der Ethnologie (oder Social Anthropology), so dass keine direkte Korrespondenz mit der westlichen Wissenschafts-Tradition besteht.
[247] Kotkin, Joel: Tribes: how race, religion, and identity determine success in the new global economy. Random House, New York (1993).
[248] Weinberg, Gerald: The Secrets of Consulting, Dorset House, N.Y. (1985)
[249] Peri mnaemae kai ana-mnaesis, peri ais-thaesis kai phainosis
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro07.htm
[250] Bei Janich kann man einige Ansätze zu einer prinzipiellen Diskussion finden, aber leider müssen weiter gehende Ansätze "draussen bleiben". Feyerabends Arbeiten zeigen eine andere mögliche Diskussionslinie an. Lippe (1997: 23, 193) erläutert, daß es der Verlust des Zusammenhangs war, der Kardinal Bellarmino an der Wahrheit dieser Weltsicht zweifeln ließ. In der Sprache Batesons ist hier von einem Verlust des "pattern that connects" zu sprechen.
[251] Feyerabend (1975, p. 103-108)
[252] Ein wesentlicher äusserer Einfluss dabei war die Zerstörung der islamischen Zivilisations-Zentren durch die Mongolen in ihren verschiedenen Eroberungswellen, angefangen mit der Zerstörung von Bhagdad durch die Mongolen unter Hülägü 1258. Was noch nachhaltiger wirkte, war die Zerstörung der alten mesopotamischen Bewässerungsanlagen. ->: ISLAM, p. 327; ->: CHARISMA_ISLAM, p. 194
[253] Lucretius: On Unbounded Space
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol20.htm#hdr7.7.
[254] Für eine Google-Suche: "Escher Circle Limit".
[255] Es sind sogar schon Reste eines natürlichen Atomreaktors in der Oklo-Mine in Westafrika entdeckt worden, der vor 2 Milliarden Jahren "gearbeitet" hatte.
www.zeit.de/2003/02/N-Naturkonstanten.html
[256] Ich habe diese Linie anhand der Metapher des "göttlichen Programmierers" in dem Artikel: "Das symbolische Universum des Computers" schon weiter ausgeführt:
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro11.htm
[257] Die "Wissenschaftichkeit" der Psychoanalyse wird in weiten Kreisen der "academic community" verneint.
[258] Nach Sturm (1996).
[259] Auch hier habe ich in früheren Schriften schon umfangreiche Darstellungen des Themas gemacht, und das soll hier nur kurz zusammengefasst werden. Als guter Einstieg dient auch das berühmte Thema bei Hamlet: "Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage":
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn06.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn07.htm
[260] Wilber benutzt "Translation" in einem speziellen Sinn als Kontrast zu Transformation: EKL 86ff, 506, 613f.
[261] "21.1.2. Faust's Metanoia and Mephistopheles"
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn27.htm#hdr21.1.2.
[262] Berg (1990), Clausberg (1999: 305): die unbekannten, noch nicht benannten, kaum denkbaren Dinge jenseits des Sprachkokons, den Wilhelm von Humboldt als Mittler zwischen Mensch und Welt beschrieben hat"
[263] (URL) http://www.edge.org/3rd_culture/rushkoff/rushkoff_p1.html
[264] Hierzu auch die Schriften der Klagenfurter Poly-Kontexturalen Günther-Forschungsstelle unter Leitung von Arno Bammé, sowie die Arbeiten von Rudolf Kaehr.
[265] ->: ARISTO_EPOCHE, p. 268
[266] ->: GENERAL_NN, p. 94
[267] Der Untergang des Abendlandes ist somit die Ablösung seiner charakteristischen Denkstruktur.
[268] ->: IMMORTAL_KOMPLEX, p. 137
[269] Lotman (1990), Margulis (www), Hoffmeyer (1996-1998).
Goppold (1999d: 40-52, 116-118)
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn09.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn16.htm#SEMIOSPHERE
[270] Jaspers
[271] Howard Bloom: "Creative Nets in the Precambrian Age", History of the Global Brain, Part II, Bloom (www). (URL) http://www.heise.de/tp/english/special/glob/default.html
[272] Das ist eine Wiederaufnahme des alten Sokratischen Spruches "Ich weiß daß ich nichts weiß". Das Grundproblem ist, daß wir uns deshalb auch nicht einmal vorstellen können, was wir nicht wissen. Das ist eine ganz andere Problematik, als die, wenn man nicht die Antwort auf die Frage weiß, was z.B. die Prim-Faktoren einer Zahl wie 38932047109574532099328548951892132175092352093423473471 sind. Dies sind ganz andere "Grenzen der Wissenschaft" als die weiter unten von Barrow und Horgan thematisierten.
Weiteres Material unter: ->: GENERAL_NN, p. 94
[273] Esoterik, Spritualismus, Theosophie, Theologia Negativa...
->: IMMORTAL_KOMPLEX, p. 137
[274] Barrow (1998).
Other indications of unsurmountable limits of science are expressed in John Horgan's "The End of Science" (Sentker 1997) and Mittelstraß (1989: 43-44), or in the scientific quest towards the "ultimate questions" (eschatology), which were up to now in the domain of theology, like the "Physics of Immortality" (Tipler 1994). For all their differences in outlook and method, Tipler's work can be directly compared with Spengler's on the central theme of pattern identity (Tipler 1994: 164, 282-284, 291-293).
[275] Z.B. die distributive Intelligenz der Bakterien, nach Howard Bloom, Eshel Ben Jacob.
[276] Vernadsky (1930, 1997); Hofkirchner (1997); Margulis (1991, www).
[277] (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol14.htm#Heading105
[278] Je nach Interpretation auch mit heftigen periodischen Oszillationen (Katastrophismus, Massenvernichtungen).
[279] Sekundärliteratur: Goppold (1999d: 40-45, 128-138)
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn09.htm
.../desn17.htm .../symbol08.htm .../symbol16.htm .../symbol18.htm .../symbol20.htm .../inform.htm .../poly.htm
[280] Virilio (1998) hat diese Sichtweise poetisch als Ereignislandschaft bezeichnet.
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol20.htm#Heading208
[281] S.a. Hoffmeyer (1997) zur Einführung in die Thematik: "a complexity beyond our imaginative power". Hier ist auch der Einfluß der technischen Hilfsmittel wichtig. Das Mikroskop hat die Grundlage der Beobachtung der zellularen Bausteine der Organismen und der Mikroben entscheidend geprägt. Es ist deutlich, daß bedingt durch den beschränkten Einstellspielraum dieses Instruments (kein stufenloser Zoom, notwendige Präpariertechnik der Objekte), mit der erheblich zugenommenen Stärke der Fokussierung auf Einzel-Objekte ein entsprechender Verlust der Wahrnehmbarkeit ihrer Verbindungen und Interaktionen erkauft wird
[282] Cassirer (1960: 68-69) nach Ewald Hering: "... daß das Gedächtnis als allgemeine Funktion aller organischen Materie zu betrachten sei." Im weiteren spricht er von "mnemischer Biologie" nach R. Semon.
[283] Wenn man nicht eine außerirdische Entstehung des Lebens annehmen möchte. In der Beziehung werden wir uns wohl noch auf einige Überraschungen einstellen können. Die Erforschung der Jupitermonde und der interstellaren Gaswolken wird sicher ganz neue Erkenntnisse bringen. Siehe auch den Aufsatz von Peter Krüger in "Spektrum der Wissenschaft".
[284] Ausführlicher behandelt unter ->: TERTIUM_DATUR, p. 127
[285] Goppold (1999d: 50-53)
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn09.htm#Heading30
[286] Goppold (1999d)
(URL) http://www.bib.uni-wuppertal.de/elpub/fb05/diss1999/goppold/
http://www.noologie.de/desn.htm
Goppold (1999g), (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol16.htm
Goppold (2000a), (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol08.htm
[287] Auch hier gibt es einen subtilen Bedeutungsunterschied zum Englischen, denn im deutschen Wort Gedächtnis ist eine starke Assoziation an (verbales) Denken enthalten, die aber hier nicht zutrifft.
[288] Hier spielen die alten Aristotelischen Begriffe der Causa Finalis und der Entelechie ihre Rolle.
[289] Goppold (1999d: 40-53), (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn09.htm
[290] über Brutpflege und gelerntem Herdenverhalten
[291] Siehe dazu auch Teilhard de Chardin und die "Einrollung" der Evolution. ->: BIOSPHAERE, p. 265
[292] Britannica: Mendeleyev
[293] Siehe dazu auch die hinduistische Epochen-Mythologie: ->: MAHA_KALPA, p. 219
Die Zahlen sind im Unterschied zu dem chemischen System aber nur als grobe Annäherung zu verstehen. Weiterhin ist diese Epochen-Einteilung natürlich "im Auge des Betrachters", also als externes Ordnungs-Schema zu verstehen, denn je nach Vorliebe lassen sich auch beliebig andere Epochen-Einteilungen finden. Diese hat wenigstens den Vorteil, daß sie leichter zu erfassen ist, als die Nomenklatur der Geologen und Paläontologen, die sich nach den Gesteinsschichten, den vorkommenden Leitfossilien, und nach den Ideosynkrasien der Wissenschaftler richtet, die ihre Benennug formulierten. Precambrian Era, Paleozoic Era, Mesozoic Era, Cenozoic Era, mit Cambrium, Ordovicium, Silur, Devon, Carbon, Trias, Jura, Cretaceous, Tertiär, Quartär, Pleistocän, Holocän. (Britannica: Geochronology: The Interpretation and Dating of the Geologic Record.)
[294] Natürlich gibt es noch einen anderen Grund, warum die jüngeren Zeit-Epochen meist kürzer als die älteren sind: Man weiß eben normalerweise mehr aus der jüngeren Vergangenheit, als aus der älteren, deshalb unterteilt man sie in kürzere Abschnitte, um das Material besser zu sortieren. ->: IMMORTAL_KOMPLEX, p. 137
[295] Hierzu bes. die Werke von Prigogine und Jantsch, aber auch beim Altmeister Teilhard de Chardin finden wir eigentlich schon alles prophetisch vorausgeahnt.
[296] Man kann sich das als einen mehr oder weniger dicken Algenteppich vorstellen, der über den ganzen Planeten ausgebreitet ist: von gift-grün über orange bis schwarz-braun, und fürchterlich stinkend. Die Hölle auf Erden, sie ist eine Realität der biosphärischen Vergangenheit.
Siehe auch: Howard Bloom: The Lucifer Principle (1995), und: History of the Global Brain (www), (URL) http://www.heise.de/tp/deutsch/special/glob/default.html , http://www.howardbloom.net
[297] Auch hier ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen, wie jüngste Entdeckungen zeigen, wonach man hier sogar bis 7 Mio Jahre zurückgehen kann. Aber es kommt eben darauf an, was man letztlich als entscheidendes Kriterium für "menschenartig" definiert. Der aufrechte Gang, die Hände, oder das Gehirn? Siehe: (URL) http://www.zeit.de/2000/51/Wissen/200051_millenniummensch.html
[298] Siehe dazu z.B. die Diskussion von Jaspers (1955: 54-55) zur Charakteristik von Geschichte. Er nennt das den "Sprung vom bloßen Geschehen in die Geschichte". Das mythische Ur-Erlebnis dieses Sprungs ist in der biblischen Erzählung vom Sündenfall (55) im kollektiven Gedächtnis der (jüdisch-christlichen, westlich-abendländischen) Menschheit eingekapselt.
[299] Dazu: Ralf Abraham: Dynamics...
[300] Goppold (1998a, 1999d, 2000a, 2001a, 2001b), Cramer (1993).
[301] Die Arbeit von Spengler, auf der auch Günther aufbaut, drückt dies pointiert aus.
[302] Dazu auch die Arbeiten zum kulturellen Gedächtnis: Assmann, Connerton, Halbwachs... Bee (1974)
[303] ->: EREIGNIS_LANDSCHAFT, p. 248
[304] Dazu auch die Neuronale Ästhetik, insb. in der Fassung von Breidbach und Clausberg.
[305] Dazu auch die Arbeit von H. Bloom und Tipler (1994).
[306] ->: ARISTO_EPOCHE, p. 268
[307] Britannica: Religious Doctrines and Dogmas, Angels and demons.
[308] Britannica: Uriel. in the Apocrypha, a leading angel, sometimes ranked as an archangel with Michael, Gabriel, and Raphael. Because his name in Hebrew means "fire of God," or "light of God," he has been variously identified in Jewish traditions as an angel of thunder and earthquake, as the wielder of the fiery sword in driving Adam and Eve from Eden, as the destroyer of the hosts of Sennacherib, as the figure who enlightens Ezra with visions, and, generally, as an angel of terror, prophecy, or mystery. John Milton in Paradise Lost described Uriel as "Regent of the Sun" and the "sharpest sighted spirit of all in Heaven"; but Christian tradition has generally paid little attention to Uriel.
[309] Oder auch: Om Mani Padme Hum, Amen, SoHam, etc. etc.
[310] oder auch, magno cum grano salis, weitläufig interpretieren
[311] Randaria (1992), Rangachari (1985)
[312] Hier muß man differenzieren, daß darin ja auch die viel ältere Überlieferung der Sumerer ein-codiert ist, so die Geschichte Noahs, die im Gilgamesch-Epos fast wörtlich genauso vorkommt. Die Bibel, oder Torah, wurde erst zwischen -586 bis -538 im Babylonischen Exil konsolidiert (das Pentateuch). Stanford (1996: p. 33).
[313] In der brahmanischen Zeitrechnung fällt der Beginn der gerade herrschenden Weltenepoche, des Kali Yuga, genau auf das astronomisch bestimmte Datum des 18. Februar 3102 v.u.Z. Dies ist auch der Todestag des Weltzeit-Avatars Krishna des vorhergehenden Weltenalters Dvapara Yuga. Das Mahabharata-Epos handelt von den Ereignissen unmittelbar vor diesem Datum. Thompson (1989: 19)
[314] Binswanger (1985), Spengler (1980); Campbell (1996: 724-778); Gebser (1973)
[315] Im Sinne von Whitehead's "Process and Reality" (1969)
[316] (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro14.htm
[317] Im Kontrast zu Wilber ist dies also eine Neo-Freudianische Interpretation der "Spiritualität". Zur Erläuterung müsste man darauf hinweisen, dass Freud viele seiner Konzepte direkt von Nietzsche übernommen hatte. Ein sehr interessantes Buch in diesem Kontext ist der Roman von David Yallum: "Und Nietzsche weinte".
[318] Weitere Beispiele für diese Methode:
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro08.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro14.htm
[319] "in the sky with diamonds" (nach den Beatles). Dieser phantasivolle Schlenker erweist sich heute als "nomen est omen".
[320] (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro12.htm
und: "Wie der Mensch auf den Hund gekommen ist: Eine etwas andere Geschichte aus der Ur-Urzeit der Mensch - Tier Lebensgemeinschaften" ->: DOMESTIKATION, p. 205
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro08.htm
[321] Die Legende berichtet uns, dass der Buddha als Königssohn Gautama ein völlig abgeschirmtes und wohlbehütetes Leben im Luxus führte, in dem er vom normalen menschlichen Leid fast perfekt abgeschirmt war. Nur auf seinen überlieferten "Ausbrüchen aus dem goldenen Käfig" wurde er mit den vier natur-gegebenen Faktoren des menschlichen Leids konfrontiert: Geburt, Krankheit, Alter und Tod. Doch sind dies wirklich die entscheidenden Faktoren des Leids?
[322] Bakterien haben die beneidenswerte Eigenschaft, dass sie prinzpiell unsterblich sind. Siehe auch:
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn09.htm#Heading29
[323] Siehe dazu Daten aus verschiedenen indigenen Gebräuchen. z.B.:
Gennep, A.v.: The rites of passage, Univ.of Chicago Press, Chicago (1960)
[324] engl.: Feeding, loaFing, Fornicating
[325] (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro08.htm
[326] Ich habe selber auch einiges dazu erlebt. Siehe: Eine Wanderung zur Erd-Musik, oder: Der Spaziergang in einem neolithischen Plattenspieler"
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/infra10.htm#Heading186
[327] Siehe die Didgeridoos der Aborigines.
[328] Damasio: "Descartes' Error." Wilber, EKL 440-441: Asketismus, Gegensatz von Eros und Phobos.
[329] Buddhas Weg war der "Mittelweg" zwischen der extremen Leib-Verdammung der Asketen, Arhants, und auch der praktischen Jainistischen Befreiungs-Philosophie, nach der sich die Adepten zu Tode hungerten, und dem extremen Hedonismus, der in Indien ebenfalls als Denksystem und in der Praxis gelebt wurde.
[330] Es gibt auch eine (weniger bekannte) buddhistische rote tantrische Tradition, analog des indischen roten (sexuellen) Tantra.
[331] Weiter bei: ->: LUZIFER_AHRIMAN, p. 173
Hier noch zur Erläuterung ein moderner Vergleich, die Bestandsaufnahme der Marketing-Strategie eines verbreiteten Computer-Betriebssystems: Die Herstellerfirma macht ihre besten Geschäfte mit Produkten, die Probleme lösen sollen, die wir nicht hätten, wenn wir keine Produkte dieser Firma benutzen würden. Siehe:
"5.8. Die SW-Industrie und die gesellschaftliche Institutionalisierung des Revenge-Effekts" (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol19.htm#hdr5.8.
[332] Siehe auch: ->: SPIRALE_GEWALT, p. 228; ->: RECHT_UND_ORDNUNG, p. 226
und im WWW:
Tyranno-Anthropos Rex: Die Weltherrschaft des Killer-Affen
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro09.htm#Heading57
[333] Dies lässt sich heute ohne weiteres als intuitiver Versuch einer Typologie der Neuro-Transmitter-Endokrinologie darstellen. Es gibt nur ein paar Substanzen, die über das limbische System die Bewertungsfunktionen, damit auch den Charakter entscheidend beeinflussen: Dopamin, Oxytocin, Serotonin, Adrenalin, Testosteron ...
Versuchsweise könnte man die Quadranten auch mit Extrovertierten und Introvertierten, Beziehungs-orientierten und Inhalts-orientierten Charakteren besetzen.
[334] Man erinnere den bekannten Ausspruch von Aristoteles: "Bei all denen, die eine philosophische Neigung zeigten, war auch ein Hang zur Melancholie bemerkbar".
[335] Nachdem die christlichen Missionare aber erst einmal Fuss gefasst hatten, wurde dieses "unsittliche" Verhalten dann als erstes ausgerottetet.
[336] Viele interessante Bezüge dazu finden sich in den mönchischen Traditionen:
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro11.htm
[337] Dann kann noch hinzugefügt werden, dass bei vielen indigenen Kulturen, nicht nur den Indianischen, der "Vision Quest" eine bevorzugte Initiations-Aufgabe war. Das hat Joseph Campbell in seinen Büchern ausführlich beschrieben. (U.a. "Der Heros in tausend Gestalten"). Robert Bly hat daraus die Mythologie der neuen initiatischen Männerbewegung gestrickt.
->: NEO_SCHAMAN, p. 180
[338] Die Wissen-Schaft ist eine Leiden-Schaft, in der man unter Leiden Wissen schafft.
[339] (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro09.htm#Heading57
[340] ->: CHRISTENTUM, p. 314
[341] Die zentrale moralische Injunktion des Puritanismus ist: Du darfst alles machen, die Hauptsache aber ist, dass Du keinen Spass dabei hast.
[342] Alkohol hat als Sucht-Thema wesentlich verschiedene Ausprägungen in den katholischen Latino-Ländern, im orthodoxen Russland, und wiederum anders als im protestantischen Nordeuropa und insbesondere den USA. Die US-amerikanische "Anonymous Alcoholics" Bewegung ist für den eifrigen Anthropologen auf Feldforschung der "seltsamen Sitten und Gebräuche der Eingeborenen der nordwestlichen weissen Rassen" (Popper 1962) ein besonders ergiebiges Reservoir für interessante Materialien zu dem Zusammenhang zwischen Sucht und Spiritualität, wie die reichhaltige Literatur dieser Bewegung dokumentiert.
[343] Das hat Schopenhauer in seiner "Metaphysik der Geschlechterliebe" sehr feinsinnig festgestellt: Die Natur schaltet die sexuellen Lustzentren auf Sparflamme, wenn die Eier des Vogels gelegt sind.
[344] Aus der byzantinisch-orthodoxen Welt sind mir keine bekannt, aber wenn es welche gab, gingen die wohl bei den türkischen Eroberungen "verloren".
[345] Bei der Eroberung Tibets durch die Chinesen wurden Hunderte solcher Mumien von den Mönchen verbrannt, damit sie nicht den Eroberern in Hände fallen und geschändet werden konnten.
[346] Google Search: "selfmummification"
[347] John Lilly brachte sich ein paar mal fast dabei um, als er nicht genug darauf Rücksicht nahm, dass sein Körper keinesfalls so schwerelos war, wie er sich anfühlte.
[348] ->: NEO_SCHAMAN, p. 180; ->: ENERGEIA_WELT, p. 187
[349] Kauffman, Louis H.: Virtual Logic - The Matrix Full Text, Cybernetics & Human Knowing, Volume 6, No.3 1999
(URL) http://www.imprint.co.uk/C&HK/vol6/v6_3-kauffman.html
[350] ->: NOO_MORPHOLOGIE, p. 87; ->: META_MORPH, p. 101
[351] Das ist aber eine ausserordentlich naive und primitive Vorstellung, denn von irgendwo muss die physikalische "Energie" ja herkommen, die den menschlichen Körper "antreibt". Und das ist letztlich immer die Solar-Energie. Etwas eleganter ist dies bei Castaneda dargestellt. Siehe: "Die Voladores des Carlos Castaneda" ->: VOLADORES, p. 175
[352] Diese Artikel habe ich 1999 geschrieben, vor dem Kino-Start der "Matrix".
->: PERI_PEIRASIS, p. 160
[353] Analog dazu: der "schwarze Messias", als der "ultimate Schläfer", denn er hat keinerlei Ahnung, wer ihn schickt, und was seine Mission ist, und meistens hat er nur das Gute im Sinn, und möchte alles nur für die Besserung der Menschheit tun. ->: V_THEORIEN, p. 173
[354] In der Noologie siehe das Luzifer-Ahriman-Projekt, und die "Noo-Mongers".
->: LUZIFER_AHRIMAN, p. 173
[355] In der Noologie findet sich als Analogie für die Person der "Trinity" das Tripolare Spannungsfeld und die Emotionale / Empathische Intelligenz.
->: DESN_TRIPOLAR, p. 240; ->: EMOT_INTELL, p. 66; ->: MENTAL_EMOTIONAL, p. 41
[356] Dies ist in der Noologie das Auge des Zyklons / Zyklops, oder das "Auge auf der Pyramide". ->: AUGE_ZYKLON, p. 77
[357] ->: NOSOLOGIE, p. 141
[358] Siehe den folgenden Abschnitt: "Peri Peirasis", sowie das Kapitel zum Informationskrieg. ->: PERI_PEIRASIS, p. 160; ->: INFO_KOMM, p. 294
[359] Das Thema der Aufklärung ist sowohl in der Philosophie wie beim Militär ein entscheidendes: ->: KANT_AUFKLAERUNG, p. 23
[360] (URL) http://www.disinfo.com/pages/article/id672/pg1/index.html
z:/htt/disinf2/www.disinfo.com/pages/article/id672/pg1/index.html
[361] Sekundärliteratur:
(Dechend 1993; Diels 1954; Gadamer 1989; Gebser 1973; Goppold 1999d: 207-218, 1999h; Heuser 1992; Hölscher 1989; Pleger 1991).
[362] ->: PERSPEKTIV, p. 75; ->: HOLON_ARCHIE, p. 79; ->: AUGE_PYRAMIDE, p. 99; ->: DESN_TRIPOLAR, p. 240
[363] ->: SUB_OBJ_SEM, p. 39; ->: ORTE_SUB_OBJ, p. 108
[364] ->: IM_PERIUM, p. 106
[365] ->: PERI_PEIRASIS, p. 160
[366] So das Hintergund-Thema eines neueren Sci-Fi-Films von 2004.
[367] Die letzten waren die Katharer und Bogomilen.
[368] Weiter bei: ->: NEO_SCHAMAN, p. 180 ; ->: ENERGEIA_WELT, p. 187
[369] ->: DISTR_INTELL, p. 129; ->: PERI_PEIRASIS, p. 160
[370] ->: WISSEN_MACHT, p. 275; ->: VERSCHWOERUNG_THEOR, p. 298
[371] Hierzu existiert eine umfangreiche ethnologische Literatur, in der es gewisse Definitions-Varianzen des Schamanismus gibt. Diese Problematik soll hier nicht interessieren, da die hier entwickelte Sicht auf den Schamanismus sich auf das Denk- und Begriffs-System der heutigen technisch-wissenschaftlichen "zivilisierten" Menschheit bezieht, welches ja definitionsgemäß in der ethnologischen Literatur ausgeschlossen ist, weil man dort die indigenen Völker von der "zivilisierten" Menschheit abschottet. Das ist eine Folge der gegenseitigen Abgrenzung der akademischen Disziplinen.
[372] Der Begriff alt-weltlich wird hier eingeführt, um die direkte Verbindung zwischen den heutigen indigenen Formen des Schamanismus und dem gewaltigen kulturellen Erbe der gesamten Menschheit herzustellen, das natürlich auch im Untergrund unserer abendländischen Zivilisationen zu finden ist.
Siehe auch: ->: ALTWELT, p. 185, ->: ENERGEIA_WELT, p. 187
Im folgenden soll gezeigt werden, daß auch wir Kinder des Abendlandes über ein sehr reichhaltiges schamanische Erbe verfügen. Es findet sich z.B. in der Alchimie, und ihr berühmtester und möglicherweise wichtigster Sproß ist noch recht wohlerhalten in den alten Mythologien zu finden, insbesondere der Homerischen Epik. Das Herausstellen solcher Verbindungen ist aber wissenschaftlich höchst gefährlich, da die Vertreter der jeweiligen Fachdisziplinen sehr empfindlich darauf reagieren, wenn jemand versucht, ihnen in ihre jeweiligen Macht- und Herrschafts-Bereiche hineinzureden.
[373] Nach Max Weber, "Wissenschaft als Beruf": Rationalisierung, Fortschritt und Entzauberung der Welt
[374] ->: NEWAGE_SHAMAN, p. 190
[375] "Indigen" ist nur der wissenschaftlich klingende Ausdruck für den alten, etwas herablassenden Begriff "Eingeboren". Es bedeutet, in eine Kultur "hineingeboren" zu sein, und sie mit der berühmten "Muttermilch" aufgesogen zu haben, Angehöriger und Mitträger all ihrer impliziten Kommunikations- und Referenz-Systeme zu sein. Die emische Sicht ist die der Angehörigen einer Kultur, die etische Sicht ist notwendigerweise für die, die "von Draußen" kommen. Auch zu dieser Problematik gibt es eine reichhaltige ethnologische Literatur. Natürlich nimmt man immer stillschweigend an, daß irgendetwas von dem, was sich ein Angehöriger einer technischen Zivilisation zum Schamanismus denken mag, auch in irgendeiner Form kommensurabel mit den genuin "indigenen" Denk- und Erfahrungs-Mustern ist. Dass so etwas überhaupt möglich ist, darüber haben Ethnologen schon lange und ausgiebig gestritten. Es ist zumindest theoretisch möglich, eine kategorische Grenze ziehen, und zu behaupten, daß eine Übereinstimmung nicht möglich ist, da unsere Neuronalstruktur sich schon zu sehr von der indigenen unterscheidet. Damit wäre aber jede ethnologische Forschung schon von vorneherein ziemlich sinnlos. Kipling hat eine fundamentale In-Kommensurabilität von Kulturen mit seinem berühmten Diktum "East is East and West is West" schon sehr gut ausgedrückt. Spengler hat sich diese Meinung ebenfalls vertreten. Und es gibt einen "schlagenden" Beweis für die Gegen-These, daß (zumindest einige) kulturelle Muster unter allen Menschen austauschbar sind: die "Globalisierung" oder "McDonaldisierung" oder das "Kata Holon". Seltsamerweise ist offenbar jeder tribale Schamane vom Amazonas bis nach Neuguinea sofort in der Lage, die Vorteile von Dollar, Klima-Anlage, Telefon, Laptop, Fernsehen, Taxi und interkontinentalem Jet-Transport zu nutzen, während im umgekehrten Fall ein Zivilisationsmensch erst einmal sehr große Probleme hat, sich auf den nagualen Pirsch-Pfaden eines Don Juan Matus zu bewegen.
[376] ->: IM_PERIUM, p. 106
[377] ->: KATA_HOLON, p. 314
Dazu sollte angemerkt werden, daß auch die Römisch Katholische Kirche die Fortsetzung einer bestimmten Agenda des Imperium Romanum "mit anderen Mitteln" war. "Kata Holon" drückt sich etwa im Segen des Papstes aus: "Urbi et Orbi" und dokumentiert den spirituell-imperialen Anspruch, für die gesamte Menschheit zu denken und zu handeln, und am besten zu wissen, was gut für sie ist. Ebenso ist der Islam als extrem expansive, missionarische Weltreligion im Ur-Sinne "Kat-holisch".
[378] Dechend (1993: 394,3), Goppold (1999h), Britannica: Hindu Calendar, und die spezielle Interpretation der ISKCON Krishna Society des Swami Bhaktivedanta. Thompson (1989: 19):
... the astronomical date of the beginning of the Kali Yuga, set exactly] "at midnight on the meridian of Ujjan in India on February 18, 3102 B.C.".
Die genaueren Details der Unterscheidung der vier Yugas nach dem hinduistischem Schema, und die analogen vier Zeitalter nach dem antiken griechisch-römischen werden hier übergangen.
[379] Je nachdem, zu welcher Zeit man den Anfang "menschlicher" Kultur setzen möchte: Bei den Cro Magnon (Homo sapiens sapiens) vor etwa 50.000 Jahren, oder auch noch früher (Homo sapiens). Die Ur-Geschichtsforschung ist in voller Bewegung und alle paar Jahre wird aufgrund neuerer Funde und Interpretationen die Ur-Geschichte des Menschen neu geschrieben.
[380] Siehe z.B. die Theodizee von Leibniz, die er sich ausgedacht hatte, um das unbeschreibliche Elend der Menschen im 30jährigen Krieg, einem der Tiefstpunkte der europäischen Zivilisation überhaupt, mit seinen Vorstellungen eines gütigen Gottes verträglich zu machen.
[381] Thomas Hobes, 1588-1679.
[382] Der Spruch "die beste aller nur möglichen Welten" ist wiederum von einem anderen großen Zivilisations-Apologeten, Leibniz, geprägt worden.
[383] Zwar werden die Paläontologen hier einwenden, was dann von all den Urmensch-Skelett-Funden zu halten ist, die auf ziemlich bedrückende Lebensumstände hinweisen: Schwere Knochenverformungen, Anzeichen von Unterernährung und Krankheit, sowie Kannibalismus. Dazu wäre zu sagen, daß die besten Gegenden, wo sich Fossilien erhalten, nicht notwendigerweise die besten Gegenden für das Leben sind. In einer ökologisch reichen Landschaft werden alle organischen Materialien sehr viel vollständiger wieder dem Lebens-Kreislauf zugeführt, so daß Fossilien sich kaum erhalten. Aus den paar Vormenschen-Knochenfunden aus aller Welt, die man bequem in einen großen Koffer (oder einem Sarg) verstauen könnte, kann man kaum auf das Leben auf diesem gesamten Planeten, über mindestens 500.000 Jahre schließen.
[384] Mir sind natürlich die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Naturzerstörung durch indigene Völker bekannt, und die bezweifele ich nicht. Was ich hier aber in Frage stelle, ist die stillschweigende Annahme, dass dies die Regel, und nicht die Ausnahme gewesen ist. Leider sind genau die Völker, die sich strikt an ökologische Regeln gehalten haben, von anderen, expansiveren Völkern irgendwann ausgerottet worden. Es gibt aber einige wenige Beispiele noch überlebender "ökologischer" Kulturen, so die Toda in Indien. Die Schamanen dachten natürlich nicht in der Terminologie des ökologischen Gleichgewichts, sondern im Geben und Nehmen mit und von den Natur-Spirits, und so kam das ökologische Gleichgewicht als ein Effekt dabei heraus.
[385] Natürlich "wollen" wir heute auch nicht bewußt die Umwelt zerstören, aber die technisch-ökonomischen Kräfte, die wir entfesselt haben, vor allem die Massenvermehrung der Menschheit, zwingen uns dazu.
[386] ausgesprochen mit Betonung auf "er": en-érgeia
[387] auch Dynamis, Prana, Ruach, Mana,...
[388] Man muß auf die Lautwerte achten: Nagual wird wie Nah-wal ausgesprochen. Um die Lautverbindungen weiter zu verfolgen, muß man wissen, daß die alte Sprache der Tolteken, wie Castaneda die Adepten seiner Zauberkunst nennt, das Nah-uatl oder Nah-watl war.
[389] Vac hat ein "c" mit einem "v" Akzent, aus der lateinischen Sanskrit-Umschrift. Das Wort wird ausgesprochen als watsch.
[390] Siehe:
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro12.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/infra10.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol16.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol17.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol18.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn07.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn08.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn24.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn27.htm
[391] Julius Evola: "Die hermetische Tradition", Ansata, Interlaken 1989
[392] Oder wenn "frau" ein Kind bekommt.
[393] Natürlich muß das Begriffswissen aus den Büchern irgendwann auch in eine neuronale Form im Gehirn des Wissenden überführt werden, aber das wissenschaftliche Intersubjektivitäts-Gebot verlangt, daß es immer in einer exosomatischen Form materiell manifestiert sein muß, eben intersubjektiv.
[394] Auch hier muß darauf hingewiesen werden, daß der Begriff Ritual extrem schwammig ist, und daher eigentlich nur ein Leer-Konzept ist, das sich in wesentlichen Teilen einem rationalen Verständnis entzieht. Insbesondere, wie westliche Wissenschaftler (Ethnologen) damit umgehen.
[395] Um-Ananda, Durch-Ananda, Aus-Ananda, Über-Ananda, Beyond-Ananda. (Google-Search)
[396] Weitere theoretische Hintergründe hierfür in:
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn.htm
[397] Zu weiteren Hintergründen von Neuronal-Theorien und Charisma gibt es einige Unterkapitel von
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol.htm
Etwa:
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol08.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol11.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol12.htm
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol16.htm
bis
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol22.htm
sowie:
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/symbol20.htm#Heading191
[398] Siehe Fromm: "Haben oder Sein" S. 184-185.
Hier soll nicht gesagt werden, daß Bürokratie an sich schlecht wäre, denn es hat sicher seine Vorteile, wenn man sich (als Untertan) auf eine standardisierte, formalisierte Prozedur verlassen kann, die irgendwie auch berechenbar ist, als wenn man im Umgang mit der Macht und der Herrschaft einer ständigen launischen Willkür ausgesetzt wäre, wie das in den "seligen Zeiten" des Ancien Regime (oder auch in den "orientalischen Despotien", nach Wittfogel) so üblich war.
[399] Daniel Goleman: Emotionale Intelligenz, DTV, München 2001
[400] Siehe auch korrespondierende Ausrottungsprogramme für Nabijim bei den alten semitischen Völkern vor ca. 2500 Jahren, wie Julian Jaynes beschreibt.
[401] Siehe hierzu auch die Interpretation von Baigent / Leigh: Le saint gral <-> le sang real. Ali war ein naher Verwandter Mohammeds und er heiratete dessen Tochter Fatima. Seine Linie führte das Charisma Mohammeds weiter, während die orthodoxe sunnitische Faktion des Islam aus der Kalifen-Linie entstand, die Generäle in der ersten Eroberungsphase des Islam waren. Hier stehen die formalen, rationalen Kräfte im Vordergrund, die Ulama und die Sharia, sowie die Machtstrukturen des Schriftgelehrtentums, und die Gewalt der weltlichen Hierarchien. (Siehe z.B. Ernest Gellner: Der Islam als Gesellschaftsordnung.)
[402] Diese Ideologie ist im Grundsatz der amerikanischen Verfassung als "Pursuit of Happiness" verankert. Sie ist der unvermeidliche Propaganda-Hintergrund aller amerikanischen Soap-Operas und Film- und Fernseh-Produktionen. Man sehe sich nur die Einrichtung und materielle Ausstattung der Sets aller Serien an, sogar in den Krimi-Szenen werden Inneneinrichtungen des "Nice American Family Home" dargestellt, auch wenn die soziale Situation der Unterschicht realistisch eine ganz andere ist. Siehe dazu auch die Medien-Macht-Analysen von Douglas Rushkoff.
Eine weitere ausgezeichnete Analyse dieses Typs ist in den Büchern von Lev Gumilev zu finden.
[403] Aus "Alice in Wonderland": "You have to run ever faster for just to keep staying in the same place." Ridley (1995)
[404] Dies frei nach dem Leitsatz von Tolstoi (Anna Karenina): Alle glücklichen Familien sind irgendwie ähnlich, aber alle unglücklichen Familien sind jeweils sehr verschieden von den anderen. Weiteres Material dazu bei Howard Bloom: "The Global Brain".
[405] "Innovation wird als gefährlich oft empfunden, weil stets sie mit Veränderung verbunden".
(URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/desn11.htm
[406] und nicht zu vergessen, die kopulierbaren
[407] Das "Sein" in Fromms Titel "Haben oder Sein" ist nicht mit den "Seienden Dingen" zu verwechseln. Dasselbe Problem findet sich auch im "Sein und Zeit" von Heidegger. Der Begriff "Sein" ist ein philosophischer Wechselbalg, und daher für eine Diskussion eigentlich ungeeignet. "Sein" hat zwei völlig verschiedene Bedeutungen: Einerseits gibt es ein "Sein" der objektiven, "Seienden Dinge" der materiellen Welt der Physik, das philosophische Gebiet der Ontologie. Dann aber gibt es das "Sein" des erlebenden Menschen. Dieses Pseudo-Sein basiert auf dem Pseudo-Phänomen des Bewußt-"Seins", welches ebenfalls kein "Sein" ist. Beides sind Prozesse, Fließgleichgewichte am Rande des Chaos. Diese unselige Begriffsverwirrung hat zu einem Chaos geführt, in der Computerei sagt man dazu: "Garbage in Garbage out".
[408] ->: META_MORPH, p. 101
[409] Heidegger (1977b: 8): Die Übersetzung der griechischen Namen in die lateinische Sprache ist keineswegs der folgenlose Vorgang, für den er noch heutigentags gehalten wird... Das römische Denken übernimmt die griechischen Wörter ohne die entsprechende gleichursprüngliche Erfahrung dessen, was sie sagen, ohne das griechische Wort. Die Bodenlosigkeit des abendländischen Denkens beginnt mit diesem Übersetzen.
[410] {Para / Pera}-Phrase der Einführungszeile (proimion) aus einem Stück von den Rolling Stones.
peirasis ->: PERAS, p. 103
[411] Heraklit, B 64: ta de panta oiakizei Keraunos. s.u.
[412] ->: MNAEMAE, p. 200 ->: PHAINO, p. 201
[413] in griechisch etwa: phonae-plexis -> syn-plexis -> syn-apsis.
[414] ana- : darauf, daran, auf, hinauf, über, hin durch, entlang, während (zeitlich), hindurch.
[415] (Hesiodos 211 ff.); Hamilton (1942: 36, 228)
[416] Z.b. Plato, Meno 81 A ff.; Hoffmeister (1955: 38)
[417] phonae mit Omega. phonae mit Omikron bedeutet Mord.
[418] eine alte Bedeutung von phos, photos ist: der Sterbliche, der Mann.
[419] Konjugationsformen von phaemi: ephaen, ephasa, ephastai, ephanto, phato, phao, ephato.
[420] Zu verstehen etwa im Sinne von Schopenhauer (1977).
[421] S.a.: das phainomenon, Heidegger (1977a: 38-48), Peirces Begriff des "phaneron" Peirce (1931-1958): CP 1.284; Hoffmeister (1955: 437): "phainomenon, das Erscheinende, die *Erscheinung, die sich den Sinnen darbietet; dann übertragen auf alle Bewußtseinsinhalte..."
[422] Hoffmeister (1955: 437): "nou-menon, nach Plato (Staat 508 C ff.) das mit dem Geiste (*nous) zu Erkennende im Unterschied zu dem mit den Augen zu sehenden, der Erscheinung... Vgl. Kant, Prolegomina §§ 32-35."
[423] Siehe den Artikel von Günther Palm zu Spin Glasses.
[424] Breidbach (1993), (1997) and Brock (NeuroAe), Brock (1994), Calvin (1989), (1991) (1996a), Edelman (1992), Gazzaniga (1989), Haken (1992), Maturana (1982-1994a), Pöppel (1978-1995), Riegas (1990), Roth (1996), Schmidt (1987, 1991), Spitzer (1996), Mühlmann (1996: 30);
Brock: (URL) http://www.uni-wuppertal.de/FB5-Hofaue/Brock/Projekte/NeuroAe2.html,
Howard Bloom: Tools of Perception - The Construction of Reality: History of the Global Brain, Part VII, (URL) http://www.heise.de/tp/deutsch/special/glob/default.html
[425] Uexküll, in Cassirer (1994: 23-25); Gumilev (1990) geht mit der physikalischen Metapher noch weiter, und spricht von Phänomenen der Induktion.
[426] Histion := das Gespinst. Über die Zeiten vor Erfindung der Schrift kann man keine Geschichtsschreibung machen, da die stummen Zeugen der Urzeit, die in den Ausgrabungen der Archäologen und Paläontologen zum Vorschein kommen, nur durch die Filter des heutigen Denkens und Verstehens interpretiert werden können, und die unweigerlich mehr oder weniger starke Projektionen des "Jetzt" auf die Ur-Zeit enthalten. Weitere Hintergrund-Materialien: Anthro (www), Bellier (1990), Calvin, W. H. The throwing madonna, The cerebral code. (URL) http://www.WilliamCalvin.com/
(URL) http://www.nexusworld.com/chimpants/summary.html
->: CHIMP_ANTS, p. 209
Noch weiteres Tiefen-mythologisches Material: Dechend (1993: 369) "... Pythagoras ... lehrte: Die Planeten sind die Hunde der Persephone", und: "Alle mythischen Caniden haben alles oder jedes mit Licht zu tun."
[427] Thomas Hobes, 1588-1679.
[428] (URL) (LOC_CD) http://www.noologie.de/neuro12.htm
[429] Giambattista Vico, 1668-1744
[430] ->: BLOOM_BIO, p. 365
[431] Das (Mutter-)Schwein war ja die Haupt-Kulturträgerin in den eleusinischen Mysterien, aber das ist eine andere Geschichte.
[432] Die Ur-Ahnen sind eine personifizierte Form des Er-Ahnens der tiefsten Rassen-Vergangenheit. Für weitere Details, siehe Dechend (1993). Ein Beispiel dieses Ur-Ahnens ist der Aeneas-Mythos: Die Verbindung der Römer und Inder über die Hurriter-/ Mitanni-Herrscher-Kaste von Troja, in einer gemeinsamen Ur-Wurzel einer arischen Reiter- Herden- und Hirtenkultur. Hirtenkultur ist natürlich nur mit Hilfe der Hunde möglich. Vor jeder Domestikation des Rindes (und anderer Groß-Säuger) mußte folgerichtig die Domestikation des Hundes erfolgt sein.
[433] Kipling war ein typischer Vertreter der white supremacy Ideologie. (Gut dargestellt in seinem anderen Roman "Kim"). Darwin hat ungefähr zur selben Zeit seine gesamte Evolutionstheorie an dem Modell der Zuchtwahl der Gentleman-Hunde- und Pferdezüchter ausgerichtet.
[434] Aus so alten und frühen Vorzeiten kann man keine Tatsachen-Berichte schreiben, die auf irgendwelchen wissenschaftlich belegbaren Daten und Fakten beruhen. Das müßte man auch all der bekannten "wissenschaftlichen" Historien-Dichtung immer voranstellen. Also muß man ein Histion, ein "Gespinst" entwerfen, das den Charakter eines möglichen Szenarios hat. Es handelt sich immer um mehr oder weniger gut fundierte Nach- (Ver-) Dichtungen von Märchen und Mythen. Im Sinne von Joseph Campbell handelt es sich um kreative Mythologie. Der Hauptsinn der kreativen Mythologie ist die Befreiung von ideologischer Unterdrückung (Kant: Was ist Aufklärung), und in diesem Sinne ist die hier dargestellte Geschichte zu verstehen.
[435] Solche Inter-Spezies Jagd- und sonstige Zugewinn-Gemeinschaften sind in der Natur recht häufig, H. Bloom beschreibt einige davon in "History of the Global Brain". Die heute bekanntensten sind Korallenriffe und Wälder.
[436] Das "kurz" ist nur in geologischen Maßstäben zu verstehen, also insgesamt ca. 100,000 Jahre.
[437] oder vielleicht auch Schlau-Affen-Land.
[438] Die Größe solcher UR-Gemeinschaften dürfte etwa 30 Menschen und 50-70 Wölfe umfaßt haben. Das langt, um ein Mammut vor dem natürlichen Verderben bis auf die Knochen "herunterzuputzen".
[439] Bzw. wenn ein tiefgreifender Klimawandel einsetzt.

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